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Vossische Zeitung 7. Oktober 1883 Nr. 469 Seite 1 bis 36

No. 469, Sonntag 7. October

Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht: dem Geheimen Ober-Justiz- und Kammergerichtsrath Wentzel zu Berlin den Rothen Adler-Oden (sic) zweiter Klasse mit Eichenlaub; dem Amtshauptmann Gerdes zu Stickhausen den Rothen Adler-Orden dritter Klasse mit der Schleife; dem Steuer-Inspector Fritze zu Ortelsburg, dem Steuereinnehmer und Zollinspector a. D. Diebeler zu Caub i Rheingaukreise, dem Zolleinnehmer und Zollcontroleur a. D. Ehrhardt zu Hamburg, dem Steuer-Einnehmer a.D. Bartelt zu Pollnow im Kreise Schlawe, dem Salzsteuer-Einnehmer a. D. Traut zu Orb im Kreise Gelnhausen und dem Rendanten der Fürstenthums-Landschaft Meisse-Grottkau, Reichl zu Reisse den Rothen Adler-Orden vierter Klasse; dem Ober-Bürgermeister Pehlemann zu Stargard in Pommern den Königleichen Kronen-Orden dritter Klasse; dem Haupt-Steueramts-Assistenten a.D. Paetzold zu Berlin und dem Sattelmeister a.D. Jodlack zu Landgestüt Insterburg den Königlichen Kronen-Orden dritter Klasse; [weitere Ordensempfänger]

Staat und Commune

Zur rechten Zeit ist der erste Theil des „Berichts über die Gemeindeverwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1877 bis 1881“ erschienen. Inmitten der hochgehenden Wogen eines künstlich erregten und geflissentlich genährten Parteikampfes kann er Allen als ein zuverlässiger Führer dienen, denen es ehrlich darum zu thun ist, den Werth der hüben und drüben geltend gemachten Beschuldigungen, Beweissätze und Forderungen auf das Maß objectiver Feststellungen zurückzuführen. Wenn es nur nicht so schwer wäre, inmitten der leidenschaftlichen Kampfesstimmung diejenige Ruhe und Unbefangenheit zu bewahren, die, unter der Voraussetzung der erforderlichen Einsicht, ein gerechtes Urtheil möglich macht! Und deshalb eben wird es vom Standpunkte des gesammten Staatsinteresses einer der beklagenswertesten Mißgriffe bleiben, daß man die ruhige und stetige Entwickelung unseres communalen Lebens durch eine Maßregel, wie die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung, der Gefahr aussetzte, durch das Hineinzerren politischer und anderer Gegensätze von ihrem eigentlichen Ziele abgelenkt zu werden.

Wie sorgsam man auch bemüht gewesen ist, jeden Schein einer derartigen Absicht von sich abzulehnen: man sehe sich nur in den Reihen derer um, die den Sturmlauf gegen die fortschrittliche Hochburg des städtischen Regiments unablässig gefordert und, wie sie sich rühmen, durchgesetzt haben, - um was ist es ihnen in erster Reihe zu thun, als die politischen Widersacher zu Paaren zu treiben? Denn obschon es zweifellos ungerecht wäre, ihnen viel Verstand in den mitunter weidlich complicirten Fragen der städtischen Wirthschaftsführung zuzutrauen, soviel Ahnung von dem Wesen der Dinge wird ihnen wohl aufdämmern, daß sie sich sagen müssen, daß ihre Recepte zur Herbeiführung eines goldenen Zeitalters für unsere Commune nichts sind als eitel Flunkerei, höchstens so eine Gattung „Distanceblender“, lustig aufprasselndes Raketenfeuer, das, wenn es vorüber, das darauffolgende Dunkel nur noch finsterer erscheinen läßt. Ihnen ist also die ganze Bewegung nur Mittel zum Zweck, die Auflösung der bisherigen Versammlung nur ein Hebel, vermittelst dessen sie den Boden für die künsritgen politischen Wahlen für sich zu occupiren trachten.

Der heftigste der Angriffspunkte, den die Reactionäre aller Schattirungen mithin gegen den ganzen Geist des communalen Regiments gerichtet haben, der einer einseitigen Parteiregierung, bildet seinem Inhalt nach genau dasselbe, was die Befreier der Bürgerschaft Berlins von dem Joche fortschrittlicher Tyrannei selbst erstreben, nämlich die eigene Herrschaft. Freilich mit dem Unterschiede, daß, wo jetzt der gottlose Liberalismus seine Orgien feiert, der alleinseligmachende conservative Hauch reinigend und erlösend über die Stätte der Sündhaftigkeit fahre. Der neue Heilige, der diesen Kreuzzug wider die Ungläubigen als ein wiedererstandener Peter von Amiens gepredigt, ist auch zur Stelle, um mit seinem frommen: „Gott segne die Reaction!“ dem erbaulichen Werke die höhere Weihe zu geben.

So wogt der Kampf der Parteien durcheinander: Liberale, deutsche Bürgerpartei, Arbeiterpartei, Hausbesitzerpartei, – wir stehen nicht dafür, daß das Register nicht bis zum Wahltage noch eine weitere Bereicherung erfahre. Das ist der Gewinn, das die eigenthümliche Signatur dieser Wahlcampagne, von der alle bisherigen im Wesentlichen frei geblieben sind. Den Ruhm, diesen Fortschritt gezeitigt zu haben, kann der Minister des Innern, Herr von Puttkamer, als weiteres Ornament seinem „monumentum aere perennius“ hinzufügen.

Und wie verhalten sich die intellectuellen Urheber, die conservativen Preßorgane zu dem unter ihren Auspicien eröffneten Feldzuge? So weit sie auf ernste Beachtung Anspruch haben, ist ihre Haltung in dem Maße, als ihre Schützlinge sich weiter decouvrirten, mehr und mehr zurückhaltend, zusehends genirter geworden. Die Aufstellung von Programmen nach Analogie jenes bekannten: „Die Republik mit dem seligen Großherzog an der Spitze“ ließ man sich allenfalls noch gefallen, nach dem Sprichwort: Fordern und Bieten macht den Handel. Man konnte wie Puck in Freiligrath‘s neuem Walpurigsnachts-Traum dazu sagen: „Die Sache scheint mir zwar confus, jedoch sehr erhaben.“ Und wenn man nothgedrungen etwas erwidern mußte, nachdem seitens der Angegriffenen die ganze Nichtigkeit der erhobenen Vorwürfe, die Leere der gemachten Verheißungen dargethan worden war, so geschah es lediglich aus dem Grunde, um doch etwas zu sagen, wenn es auch eben nur Worte waren. Denn waren es etwa mehr als Worte, wenn das eine conservative Blatt – man glaubt förmlich den schnarrenden und hüstelnden Ton autoritariver Ueberlegenheit zu vernehmen – die Ansicht hören ließ, wenn die Liberalen zugeben müßten, die Lösung der Miethssteuerfrage bisher nicht gefunden zu haben, so sei das eben ein Eingeständniß ihrer Schwäche, und deshalb müßten sie denjenigen Platz machen, die sich der Aufgabe gewachsen zeigten.

Ja, da lag aber eben der Hase im Pfeffer; an dieser Kleinigkeit fehlte es eben, am Beweise des Besserkönnens. Oder was glaubte wohl die „Kreuzzeitung“ erreicht zu haben, wenn sie gelegentlich der Erörterung der Frage des allgemeinen gleichen direkten communalen Wahlrechts den Orakelspruch von sich gab, alles Vorgebrachte wäre ganz nichtssagend, die Lösung des Räthsels liege in der „corporativen Zusammenfassung der Bevölkerungsgruppen“. Nun, die Arbeiter gehen bereits damit vor, eine solche specielle Vertretung ihrer Gruppe ins Leben zu rufen; unter den Zünftlern hat sich ein gleiches Bestreben gezeigt; die Hausbesitzer, denen das Gesetz bereits die Hälfte der Sitze in der Stadtverordneten-Versammlung sichert, ziehen mit fliegenden Fahnen, auf denen die Noth der Eigenthümer von Immobilien gar beweglich dargestellt ist, auf die Wahlstatt; die Christlich-Socialen mit ihrem einzigen Stöcker an der Spitze pflanzen das confessionelle Banner auf, – was Wunder, wenn die mit Exclusion Bedrohten sich auch um ihr Fähnlein schaaren? Und so haben wir den frischen, fröhlichen Krieg mit all seinen lieblichen Folgen nach dem schönen Vorbilde weiland Heirich Leo‘s des Streitbaren, des Erfinders des scruphulösen Gesindels, des Vorkämpfers der Demagogen neuesten Datums, von denen er sich freilich an Geist und Consequenz genau so unterscheidet, wie das Original von der Fratze.

Da ist es denn recht und lehrreich, wenn der Verwaltungsbericht Seite 42. in dem Kapitel: „Die Gemeindebehörden in ihren Beziehungen zu dem Herrscherhause, zu den Reichs- und Staatsgewalten“ urkundlich ins Gedächniß zurückruft, auf welchen Ausgangspunkt die Schürung dieser Gegensätze zurückzuführen ist. Der Reichskanzler selbst war es, der in der Reichstagssitzung vom 4. März 1881 aus Anlaß der Berathung über die Besteuerung der Dienstwohnungen der Reichsbeamten seinem Unmuthe gegen die Gemeindeverwaltung von Berlin einen unzweideutigen Ausdruck gab, der in der Androhung gipfelte, den Reichstag, die Centralbehörden und die Reichsresidenz nach einem andern Ort zu verlegen. In der Sitzung vom 29. April desselben Jahres gelangte diese Gesinnung zu einem erneuten und verschärften Ausdruck; auch die Verlegung der preußischen Regierung wurde als ein Gegenstand nahe bevorstehender ernster Erwägung bezeichnet. Seitdem sind Jahre vergangen, Berlin ist noch immer der Sitz der Reichsregierung; der stolze Königsplatz wird durch die Errichtung des Reichstagspalastes einen monumentalen Abschluß finden; zahlreiche, in dem Bericht wiedergegebene/Urkunden bezeugen die innigsten und ehrfurchtsvollen Wechselbeziehungen zwischen den Gemeindebehörden Berlins und seinem Herrscherhause, und nichts deutet darauf hin, daß dieses Band durch eine äußerliche Trennung jemals solle gelockert werden können.
Möge die Bürgerschaft Berlins bei den bevorstehenden Wahlen sich des stolzen und berechtigten Gefühls bewußt sein, ein Gemeinwesen zu bilden, das aus allen Kämpfen und Anfechtungen bisher siegreich hervorgegangen ist; möge jeder Einzelne der Pflicht eingedenk sein, am Wahltage dafür einzustehen, daß die Hauptstadt Deutschlands und Preußens auch diesmal ihren alten Ruhm behaupte.


Berlin, 7. Oktober.

Mit dem heutigen Tage beginnen die Erinnerungstage, welche auf das 25-jährige Jubiläum Kaiser Wilhelms als preußischer Regent Bezug haben. Nachdem in Folge der Krankheit König Friedrich Wilhelm IV. Schon am 23. Oktober 1857 die Uebertragung der stellvertretenden Regierung auf den Prinzen von Preußen stattgefunden hatte, wurde diese Stellvertretung im nächsten Jahre noch mehrmals verlängert, und am 7. Oktober 1858, also heute vor 25 Jahren, erschien der Brief König Friedrich Wilhelm IV. an den Prinzen von Preußen, welcher demselben definitiv um die Uebernahme der Regentschaft ersuchte. Der Brief besagte darüber Folgendes: „Ew. Königliche Hoheit und Liebden haben Mir in dem seit Meiner Erkrankung verflossenen Jahre durch Meine Stellvertretung in den Regierungsgeschäften eine große Beruhigung gewährt, wofür ich Ihnen auf das Innigste danke. Da ich aber nach Gottes Rathschluß durch den Zusand Meiner Gesundheit jetzt noch verhindert bin, Mich den Regierungsgeschäften zu widmen, die Aerzte auch für den Winter mir eine Reise nach südlicheren Gegenden verordnet haben, so ersuche Ich bei dieser Meiner immer noch fortdauernden Verhinderung, die Regierungsgeschäfte Selbst zu führen. Ew. Königliche Hoheit und Liebden, so lange, bis Ich die Pflichten Meines Königlichen Amtes wiederum Selbst werde erfüllen können, die Königliche Gewalt in der alleinigen Verantwortlichkeit gegen Gott, nach bestem Wissen und Gewissen in Meinem Namen als Regent ausüben und hiernach die weiteren Anordnungen treffen zu wollen.“

Bald darauf trat König Friedrich Wilhelm seine Reise nach Italien an, am 20. Oktober unterbreitete der Prinz-Regent in der Thronrede, mit welcher die außerordentliche Sitzung des Landtages eröffnet wurde, der Volksvertretung die Uebernahme der Regentschaft, die darauf bezügliche Vorlage wurde am 25. Oktober vom Landtage einstimmig angenommen, und am 26. Oktober erfolgte die Eidesleistung des Regenten mit folgender Eidesformel: „Ich, Wilhelm, Prinz von Preußen, schwöre hiermit als Regent vor Gott dem Allwissenden, daß Ich die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich halten und in Uebereinstimung mit derselben und den Gesetzen regieren will, so wahr Mir Gott helfe!“ Die neue Regentschaft begann alsdann mit der am 5. November 1858 erfolgten Berufung des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen zum Ministerpräsidenten und der Neubildung des Cabinets. Die Männer, welche unter dieser Leitung die ersten Regierungssorgen Kaiser Wilhelms mit tragen halfen, waren: Staatsminister v. Flottwell als Minister des Innern, v.d. Heydt als Handelsminister, Dr. Simons als Justizminister, Oberpräsident a. D. v. Auerswald als Staatsminister, Wirkl. Geh. Rath Frhr. v. Schleinitz als Miniuster der auswärtigen Angelegenheiten, General-Lieutnant v. Bonin als Kriegsminister, Frhr. v. Patow als Finanzminis er, Regierungspräsident Graf v. Pückler als Landwirthschaftsminister und Geh. Oberregierungsrath Dr. v. Bethmann-Hollweg als Cultusminister. Wie früher mitgetheilt, hat der Kaiser angeordnet, daß von einer Feier der Gedenktage abgesehen werden solle, aber er kann nicht verhindern, daß aus Millionen von Herzen bei dieser Gelegenheit die heißesten Wünsche für sein Wohl emporsteigen.

In der letzten Sitzung der Kölner Stadtverordneten-Versammlung theilte der Vorsitzende, Herr Beigeordneter Rennen, eine Verfügung der königl. Regierung vom 20. September mit, in welcher dieselbe mit Genehmigung der Minister der Finanzen und des Innern ihre Zustimmung zu dem von der Stadtverordneten-Versammlung gefaßten Beschlusse in Bezug auf die Befreiung auch der zweiten Stufe von der Communalsteuer ertheilt. In welcher Weise der Ausfall zu decken ist, soll bei der nächsten Etatsberathung in Betracht gezogen werden. Eine ungleiche Belastung der einzelnen Stufen wird als unzulässig angesehen. Bekanntlich hatte die Stadtverordneten-Versammlung die Absicht, die wohlhabenden Klassen (über 6000 Mk. Jährliches Einkommen) zur Deckung des Ausfalls heranzuziehen. Aber den Communalverwaltungen gegenüber befolgt die Regierung nicht dieselbe Steuerpolitik wie im Landtage.

In der gestrigen Sitzung des ungarischen Unterhauses brachte der Abgeordnete Helfy den Antrag ein, das Haus möge seine Mißbilligung über das Verhalten der Regierung in der kroatischen Angelegenheit aussprechen. Der Abgeordnete Szilagyi von der gemäßigten Opposition forderte die Ablehnung des vom Ministerpräsidenten Tisza gestellten Antrags auf Billigung des Verhaltens der Regierung. Der Ministerpräsident vertheidigte das Vorgehen der Regierung und erklärte, daß die gemeinsamen Minister sich strengstens jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ungarns enthalten würden. Der Finanzminister Szapary erklärte sich solidarisch mit der Politik der Regierung; er strebe die Beseitigung der Schwierigkeiten in der Steuerverwaltung an, für welche die ungarische Regierung nicht verantwortlich gemacht werden könne.

(2) Der französische Marineminister hat aus Hongkong ein Telegramm von gestern vom Admiral Courbet empfangen, wonach der Admiral, der Civilkommissar und der Truppenkommandant in einer am 30. September abgehaltenen Conferenz einstimmig zu der Ueberzeugung gekommen sind, daß der schlechte Zustand der Wege in Tonkin aktive Operationen unmöglich mache, daß aber die Truppen die Ankunft der avisirten Verstärkungen in vollkommener Sicherheit abwarten könnten. Der Admiral hat sich nach Tourane zurückbegeben. Das Journal „Paris“ schreibt, die französische Regierung, welche jetzt die Dispositionen Chinas kenne, glaube nicht daran, daß die Verhandlungen zum Ziele führen würden. China hoffe noch günstigere Bedingungen zu erhalten, indem es die Verhandlungen in die Länge ziehe, und rechne auf eine Veränderung der Politik des Ministeriums oder auf eine französische Niederlage in Tonkin. Das Journal fügt hinzu, die Ereignisse würden die chinesischen Illusionen schon zu zerstören wissen. Nachrichten aus Hanoi vom 28. September melden, daß eine weitere Anzahl Mandarinen dem Civilkommissar Harmand ihre Unterwerfung angeboten hätten. Die schwarzen Flaggen seien durch Krankheiten und die letzten Kämpfe decimirt, die Strecke von Hanoi nach Sontay sei von denselben gesäubert, auch die Banden in der Umgebung von Namdinh hätten sich zurückgezogen.

In Serbien ist trotz der unerwartet raschen Schließung der Skupschtina die Ruhe bisher nicht gestört worden. Der neue Ministerpräsident Christic zeigt sich beflissen, dem ihm vorangegangenen Rufe der Energie zu entsprechen. Er bereitet ein Circular an die Behörden vor, in welchem er allen Beamten die pünktlichste Erfüllung der bestehenden Vorschriften und Gesetzt empfiehlt, da er sonst genöthigt wäre, mit der größten Strenge vorzugehen. Die bei der Cabinetsbildung übergangenen Parteien haben gegnerische Kundgebungen bisher vermieden. Die Fortschrittspartei, der das vorige Ministerium angehörte, erschien sogar vollzählig beim König Milan, der sie freundlich empfing. Der König sprach der Partei für ihr patriotisches Wirken seinen Dank aus und wiederholte, was er in dem Handschreiben an den gewesenen Ministerpräsidenten Pirotschanac zum Ausdruck gebracht hatte. Ferne empfing der König eine Deputation der radikalen Partei, welcher er Ernst und Mäßigung empfahl, indem er betonte, daß davon die Haltung der Regierung gegenüber der radikalen Partei und ihre weiteren Schritte abhängen werden. Die Mehrzahl der Abgeordneten hat Belgrad bereits verlassen.


– Wie aus Baden-Baden gemeldet wird, fand bei dem Kaiser am Freitag ein größeres Diner statt, zu welchem auch der Prinz Hermann von Sachsen-Weimar und die dort anwesenden Generale Einladungen erhalten hatten. Gestern Nachmittag wohnte der Kaiser, begleitet vom Großherzog, der Großherzogin, dem Prinzen Hermann von Weimar, dem Fürsten von Fürstenberg, der Herzogin von Hamilton und der Fürstin von Hohenlohe, dem Armeerennen in Iffezheim bei. Den Kaiserpreis gewann Lieutenant Graf Nesselrode.
– Der Kronprinz und die Kronprinzessin mit der Prinzessin Victoria sind, wie der Berner „Bund“ meldet, am 3. d. M. Morgens von Martigny über den großen Sanct Berhard nach Italien weitergereist.
– Nachdem der zum ersten Secretair bei der Botschaft in St. Petersburg ernannte Freiherr von Plessen daselbst eingetroffen ist, hat derselbe für die fernere Dauer der Beurlaubung des Botschafters von Schweinitz die Leitung der botschaftlichen Geschäfte übernommen. – Der Minister-Resident am serbischen Hofe, Graf von Bray-Steinburg, ist vom Urlaube nach Belgrad zurückgekehrt und hat die Geschäfte der dortigen Mission wieder übernommen. – Der Gesandte der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Oberst-Lieutnant Dr. Roth, ist vom Urlaube nach Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandtschaft wieder übernommen.

– Der dem Bundesrath zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Commandit-Gesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, wird nebst Begründung und Anlagen in vollem Umfange demnächst im Wege des Buchhandels veröffentlicht werden. Wir haben den ersten Theil des Gesetzentwurfes selbst gestern zum Abdruck gebracht und werden mit der Publication am Dienstag fortfahren.

– Die Reichsschulkommission hat ihre diesjährige Sitzung vor einigen Tagen unter Vorsitz des Geh. Raths Dr. Bonitz aus Berlin in Meiningen gehalten. Ueber die Verhandlungen selbst ist bislang nichts bekannt geworden.

– Wie verschiedene in neuerer Zeit von der königlichen Eisenbahndirektion zu Bromberg erlassene Bestimmungen beweisen, richtet dieselbe ihre ganz besondere Aufmerksamkeit darauf, daß von dem ihr unterstellten Zugpersonal die unter dem 1. Juni c. Herausgegebenen Vorschriften über die Ausführung der Transporte von Personen und Reisegepäck ec. auf das Genaueste beachtet werden. In denselben ist unter Anderem ausgesprochen, daß auf die Wünsche kranker Personen und allein oder mit Kindern reisender Damen bei der Placirung möglichst Rücksicht genommen werden soll, damit ihnen die Beschwerlichkeiten der Reise möglichst erleichtert werden. Es ist nun der Fall vorgekommen, daß einer Dame mit 2 Kindern nicht ein disponibles Coupé erster Klasse angeboten, vielmehr verlangt wurde, daß sie ein Coupé benutzen solle, in welchem nur noch zwei Plätze frei waren, oder aber getrennt von ihren Kindern placirt werde. Die königliche Eisenbahndirektion hat daher angeordnet, daß unter solchen Umständen eine Trennung der Reisenden nicht stattfinden soll, dieselben vielmehr, auch wenn noch einzelne Plätze der betreffenden Klasse frei sind in einem Coupé höherer Klasse placirt werden sollten, wenn dieselben in diesem zusammen bleiben könnten. Ferner hat die königliche Eisenbahn-Direktion bestimmt, daß 2 Kinder unter 10 Jahren, die auf ein Billet zu befördern sind, zwei volle Plätze zu beanspruchen haben. Die Stationen sind angewiesen, dem ihr unterstellten Stations- und Zugpersonal diese Bestimmungen auf das Genaueste einzuschärfen. Um jede Unregelmäßigkeiten zu verhindern, sind im Laufe dieses Jahres sogenannte Zugrevisoren bestellt. Es werden hierzu von den Betriebsämtern Stationsassistenten herangezogen, die von 3 zu 3 Monaten abgelöst werden. Die Thätigkeit derselben besteht ausschließlich darin, die Züge zu begleiten und die controliren und haben dieselben allwöchentlich ihrem vorgesetzten Betriebsamt über ihre Erfahrungen Bericht zu erstatten. Auch diese sind angewiesen, ihr Augenmerk darauf zu richten, daß für die Bequemlichkeit der Reisenden soviel wie möglich von Seiten des Zugpersonals gesorgt wird.

– Die Beschwerden in der letzten Reichstagssession über verschiedene Mißstände beim Cantinenwesen der Truppen haben doch einen praktischen Erfolgt gehabt, wie aus folgendem auf königlichen Befehl erfolgten Erlaß des Kriegsministeriums hervorgeht:
Die Cantinen sind Privateinrichtungen der Truppen und haben den Zweck, nur den Angehörigen des Heeres gegen sofortige Bezahlung die gewöhnlichen Lebensbedürfnisse und Gebrauchsgegenstände in bester Beschaffenheit und zu den billigsten Preisen zu liefern. Der Betrieb anderweitiger Waaren ist nicht gestattet. Die Cantinen können selbst bewirthschaftet oder verpachtet werden; die Entscheidung hierüber steht dem Truppen-Commandeur zu. Unter seiner obern Leitung und Aufsicht stehen auch die Cantinen mit Selbstbewirthschaftung. Die Führung des speciellen Verwaltungsgeschäftes kann einer besondern Kommission übertragen werden. Für Verluste der Cantine ist derjenige, welchen hierbei ein vertretbares Verschulden trifft, haftbar; trifft Niemanden ein Verschulden oder ist der Haftpflichtige zahlungunfähig, so tritt das Cantinen-Vermögen ein. Als leitende Norm ist festzuhalten, daß diejenige Cantine ihrer Aufgabe am vollkommensten entspricht, welche bei und in Erfüllung ihres Zweckes möglichst geringe Ueberschüsse liefert. Die Ueberschüsse haben in Rücksicht auf vorbezeichnete Haftbarkeit des Cantinen-Vermögens und auf etwa anderweite Bedarfsfälle zunächst zur Bildung eines angemessenen Reservefondes zu dienen. Die damit noch verbleibenden Ueberschüsse sind im ausschließlichen Interesse der Unteroffiziere und Mannschaften zu verwenden, so daß sie möglichst direkt und gleichmäßig den Betheiligten wieder zu gute kommen. Die alljährliche Vertheilung der Ueberschüsse bis zur Entlassung der Reserven erscheint daher am zweckmäßigsten. Bei Verpachung der Cantine hat der Commandant des Truppentheils dafür zu sorgen, daß der Pächter den abzuschließenden Contract und in Besondern die vereinbarten Preisfestsetzungen genau einhält. Zur speciellen Ueberwachung des Cantinenbetriebes kann eine Aufsichtskommission ernannt werden. Die Verwendung der Pachtgelder hat ebenso zu erfolgen, wie die der Ueberschüsse bei eigenem Betrieb. Mannschaften des activen Dienststandes und Oekonomen von Offizierspeiseanstalten sind als Pächter ausgeschlossen.

– Aus Hamburg, 4. Oktober, wird uns geschrieben: Der Senat hat gestern auf die bürgerschaftliche Interprellation in Sachen der Spritklausel zum Erstaunen Aller schriftlich geantwortet, obgleich er vor acht Tagen durch den Vorsitzenden der Bürgerschaft eine mündliche Beantwortung in sichere Aussicht stellte. Die Antwort hat Neues nicht gebracht, was nicht der Senator Dr. Versmann schon in der außerordentlichen Session des Reichstages gesagt hätte, mit Ausnahme etwa der Thatsache, daß Hamburg vor der Unterzeichnung des deutsch-spanischen Handelsvertrages von dem Inhalt desselben keine Kenntniß erlangt habe und dieselbe ihm erste nachher auf diplomatischem Wege geworden sei. Die Gieschen beantragte die Niedersetzung eine Ausschusses zur Prüfung der Senatsantwort. Bei der Stellung der Unterstüzungsfrage erhob sich zur Noth die erforderliche Anzahl und es wird der Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung kommen. Es ist sehr fraglich, ob er dann angenommen wird, denn die gesammte Rechte und das linke Centrum versagte ihm die Unterstützung. Ist das der Maßstab für die Stimmung der Bürgerschaft in dieser Sache, so fällt der Antrag und die ganze Angelegenheit ist vorerst begraben. Wir sind in der Lage mittheilen zu können, daß nicht einmal die Linke die Consequenzen aus dem Verhalten des Senats in der Spritklauselangelegenheit ziehen mag, daß dagegen die übrigen Fraktionen in der Bürgerschaft die Ansicht vertreten, der Senat habe vollständig correct gehandelt und das Reich sei nicht wohlwollend gegen Hamburg vorgegangen. Eine Minorität macht jedoch Propaganda für die Idee, daß in Folge der Spritklausel die Kosten für die Durchführung des Zollanschlusses weggeworfen sind, da durch den letzteren gerade die Industrien, welche für das Ausland arbeiten, concurrenzfähig erhalten werden sollten, nunmehr aber alle diese Industrien, gleich der Spritfabrikation, jeden Augenblick vor der Gefahr der Vernichtung stehen.

– Mit dem Ablauf des letzten Quartals hat eine Wochenschrift ihr Erscheinen eingestellt, welche in guten wie in bösen Tagen der Sache wirthschaftlicher Freiheit mit ebenso unermüdlicher wie erfolgreicher Arbeit zu dienen bemüht war, das „Bremer Handelsblatt“. Die „Freihandels-Corr.“ widmet ihm folgenden Nachruf:
„Ueber die Dauer einer Generation hinaus, bis zu seinem 33. Jahrgang, hat das „Bremer Handelsblatt“ bestanden; lange Zeit vorher, ehe in Deutschland sich eine einigermaßen geschlossene Freihandelspartei bilden konnte, ist es durch wissenschaftliche Erörterungen wie durch klärende Besprechungen praktischer Zeitfragen, für die Grundsätze freien wirthschaftlichen Verkehrs eingetreten, und über die Periode hinaus, in welcher diese Grundsätze in unserer gewerblichen und zollpolitischen Gesetzgebung zum Siege gelangten, hat es bis zum letzten Tage seines Erscheinens in der gleichen ruhigen, sachlichen Weise und in dem gleichen idealen Streben Schutzzöllner und Agrarier, Zünftler und Socialisten Bekämpft. Ein schönes Bild pietätvoller Anhänglichkeit bietet die letzte Nummer. Noch einmal, zum letzten Male, haben sich in seinen Spalten die Männer vereint, welche nach einander mehr als drei Jahrzehnte hindurch mit ihrem reichen Wissen und ihrem überzeugungstreuen Freimuth die Leitung des Blattes geführt haben. In einem Leitartikel, welcher den letzten volkswirthschaftlichen Congress in Königsberg und zugleich in einem Rückblicke das gemeinsame Wirken des Congresses und des Bremer Handelsblattes seit 1858 (=?) bespricht, nimmt der letzte Herausgeber, A. Lammers, Abschied von den Lesern; Dr. Victor Böhmert (jetzt Direktor des Kgl. Statistischen Bureaus in Dresden) bespricht in einem zweiten Artikel die künftige Entwickelung der Handelswissenschaft und der Volkswirthschaftslehre auf statistischer Grundlage, und Dr. A. Emminghaus (jetzt General-Direktor der großen Gothaer Lebens-Versicherungs-Gesellschaft auf Gegenseitigkeit) weist ion einem dritten Artikel noch einmal die „alten Auflagen gegen die Freihandelslehre“ zurück. Mit warmer Ueberzeugung betont insbesondere der Letztere den sittlichen Gehalt der Freihandelslehre, der auch bei den verschiedenen Richtungen der Freihandelspartei, denen man theilweise eine Verherrlichung des Egoismus zum Vorwurf gemacht habe, voll gewahrt worden sei. „Die Consequenzen,“ bemerkt er treffend, „zu denen sie von ihren theoretischen Grundlagen aus in Fragen der Wirthschaftspolitik gelangten, leisten in Wirklichkeit doch dem Egoismus weit weniger Vorschub, als die jetzt herrschende Richtung, deren praktische Wirkung ein lebhafter und unaufhörlicher Kampf um Gunst und Vortheil auf allgemeine Kosten ist. Und das praktische Resultat der ethischen Anschauungen, von denen sie beherrscht waren, war doch ein werthvolleres und für unsere gesammte Culturentwickelung segensreicheres, als das Ergebniß jener angeblich von ethischem Gehalt strotzenden wirthschaftlichen Anschauungebn, deren Vertreter heutzutage den Trumpf der List‘schen Schlagworte wieder gegen die Freihandelslehre ausspielen. Denn der Appell an die eigene Kraft und die eigene Wahl ist, wie in der Privat-Pädagogik, so in der Volkserziehungskunst, welche der Gesetzgeber zu üben hat, unzweifelhaft ein sichererer Bürge guten Gelingens, als die Einimpfung der Hoffnung auf fremde Leitung und fremde Hilfe.“ Daß die Lücke, welche das Aufhören eines bei Freund und Feind zu verdientem Ansehen gelangten Organs wie das „Bremer Handelsblatt“ in der freihändlerischen Publicistik zurückläßt, nicht unausgefüllt bleibt, ist bekannt; mit erweitertem Programm und auf breiterer Grundlage tritt an seine Stelle die neue, vom Reichstagsabgeordneten Dr. Barth herausgegebene Wochenschrift „Die Nation“, der man bei ihrem Entstehen keinen besseren Wunsch darbringen kann, als daß es ihr beschieden sein möge, in Bekämpfung alles modernen Staatssocialismus mit der gleichen Sachkunde und Entschiedenheit, wie das „Bremer Handelsblatt“, aber vor einem viel größeren Kreise einen Sammelpunkt für die Vertretung freisinniger wirthschaftlicher Anschauungen zu bilden.“//

– Wegen der Antoine‘schen Angelegenheit war der Unterstaatssecretair von Puttkamer am 4.d.M. in Metz.

Schweiz.

Bern, 4. Oktober. (Orig.=Corr. Der „Voss. Ztg.“) Die Frage der katholischen Schule in Basel naht ihrer endgiltigen Lösung. Die von der Erziehungsdirektion bez. der Regierung angeordnete Schließung der ausschließlich unter kirchlicher Leitung stehenden Anstalt hatte einen Rekurs ihrer Leitung an den Großen Rath zur Folge gehabt. Der Regierungsrath beantragt nun, der Große Rath möge aus folgenden Erwägungen den Rekurs abweisen: Der Staat habe laut der Verfassung die Aufgabe, das Erziehungswesen und die Volksbildung zufördern. Die ihm zur Erfüllung dieser Aufgabe zuste hende Leitung des Unterrichts sei nicht vereinbar mit der Verwendung von Lehrkräften, welche als Mitglieder religiöser Orden und Congregationen ihren geistlichen Obern zum unbedingten Gehorsam verpflichtet sind. Die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde erkläre die Verwendung derartiger Lehrkräfte für eine Lebensbedingung der Schule, den geforderten Ersatz dagegen durch Lehrer und Lehrerinnen bürgerlichen Standes sei eine Unmöglichkeit. Der Unterricht der Anstalt komme an Werth nicht demjenigen der Volksschule gleich, auch lasse die ganze Bildungsweise zu wünschen übrig. Es müsse aber durchaus darauf gehalten werden, daß eine Schule, welche thatsächlich eine allgemeine Volksschule für den römisch-katholischen Theil der Bevölkerung sei, diejenigen Anforderungen erfülle, welche an die Volksschule des Kantons Basel-Stadt gestellt. Werden. Gestützt hierauf empfiehlt der Regierungsrath die Abweisung de sR ekureses und die Aufhebung der Schule. Stimmt der Große Rath diesem Antrage bei, dann erleiden die schweizerischen Ultramontanen einen sehr schweren Schlag, da die Baseler Schle eine der wichtigsten Pflanzstätten des Ultramontanismus ist.

Frankreich

Paris, 4. Oktober. (Orig.=Corr. Der „Voss. Ztg.“) Ich habe Ihnen die charakteristische Stelle des Brief es, den Herr Roux an Herrn Pasteur über den Tod des jungen Gelehrten Thuillier richtete und in welcher er gerührt des Benehmens der deutschen Cholera-Mission gegen den todten französischen Rivalen gedenkt, telegraphisch übermittelt. Herr Dr. Koch (den übrigens alle hiesigen Blätter mit bezeichnender Pariser Unwissenheit Koeh nennen) hat gehandelt, wie es sich einem Deutschen, einem großen Gelehrten, einem Manne von edlem Herzen und Gemüthe ziemt und damit den Franzosen wieder einmal eine Lection ertheilt, die zwar an ihnen verloren ist, an die man sie aber doch gelegentlich wird erinnern können. Um den Schritt des Herrn Dr. Koch recht zu würdigen, muß man sich erinnern, daß er und seine großartigen Entdeckungen hier mit einer Gehässigkeit angegriffen wurden – und noch angegriffen werden, – die so maßl,os ist, daß sie nur noch ein tief mitleidiges Löcheln erregen kann. Die nach Aegypten zum Studium der Cholera entsandte französische Kommission hatte unter der Hand den Auftrag, der Dr. Koch‘schen Mission um jeden Preis den Rang abzulaufen, und bis zum Tode des armen Thuillier wahrte sie den deutschen Collegen gegenüber eine kleinlich eifersüchtige und offen feindselige Handlung. Das ist nicht Alles. Als hier Thuilliers Tod bekannt wurde, brachte die „République française“ an erster Stelle einen Leitartikel, der das Verdienst und den Heroismus Thuilliers in begeisterten Ausdrücken pries, was nur recht und billig ist, abesr mit dem Ausrufe schloß: „das ist es, was die Größe unserer Nation ausmacht und worin keine andere Nation uns gleichkommt: diese echt französische Verachtung der Gefahr und des Todes, wo es sich um die Förderung der Civilisation und den Ruhm des Vaterlandes handelt.“ Das Blatt that also, als wüßte es nicht, daß einige deutsche Gelehrte ganz diesselbe angeblich „echt französische“ Verachtung der Gefahr und des Todes an den Tag gelegt haben, und nahm für Frankreich allein ein Verdienst in Anspruch, das mindestens in demselben Maße auch ein deutsches ist. Das Alles focht Herrn Dr. Koch nicht an. Als Thuillier auf der Bahre lag, kam der deutsche Gelehrte zum todten Franzosen und schmückte seinen Sarg mit Lorbeerkränzen und ehrte sein Andenken mit Worten des Preises und der Sympathie, wie sie seit 1870 kein Franzose für einen Deutschen gefunden hat, und auch vorher nicht eben oft. Herr Dr. Koch hat recht gethan und jeder Deutsche wird seiner Handluntgsweise hohen Beifall zhollen. Jetzt aber können wir wieder ruhig zuhören und lächeln, wenn uns Pariser Journalisten nächstens von Neuem erzählen, daß Großmuth und Takt und Zartgefühl ausschließlich französische Eigenschaften und außerhalb Frankreichs nicht zu finden seien.
Paris, 6. Oktober. Die interimistische Verwaltung des Kriegsministeriums ist dem Marineminister Peyron übertragen worden. – Die Nachricht von der Demission des Polizeipräfekten wird als unbegründet bezeichnet.

Italien.

Rom, 1. Oktober. Die italienische Presse aller Farben faßt die Insultirung des König Alphons in Paris als ein sehr ernstes Ereignis auf. Von der „Opinione“ bis zur „Riforma“ besprechen dasselbe alle Blätter mit Entrüstung als eine muthwillig von Frankreich gegen Deutschland mehr als gegen Spanien geschleuderte Herausforderung, welche sehr bedenkliche Folgen haben könne. Nur der hochofficiöse „Diritto“, Organ des Auswärtigen Amtes, schweigt vorsichtig, offenbar wegen der Abwesenheit des Ministers Mancini, welcher gestern in Alessandria der Einweihung des Standbildes für Ratazzi beiwohnte. Bei den ausgezeichneten Beziehungen aber, welche gegenwärtig zwischen Spanien und Italien herrschen, ist nicht daran zu zweifeln, daß auch die Officiösen in den allgemeinen Tadel einstimmen werden.

Großbritannien und Irland.

London, 5. Oktober. Die Wahl eines Parlamentsmitgliedes an Stelle des verstorbenen Mr. Hugh Birley (conservativ) wurde gestern in Manchester vollzogen. Dem Resultate wurde mit großem Interesse entgegengesehen, da dasselbe nach zwei Richtungen hin Aufschlüsse zu geben geeignet war, welche sich für die nächsten Neuwahlen von Wichtigkeit erweisen dürften. Der liberale Caucus hatte beschlossen, die Wahl des conservativen Candidaten (Manchester ist durch zwei Liberale und einen Conservativen im Parlamente vertreten) an Stelle Mr. Birley‘s unangefochten zu lassen. Unbekümmert um den Parteibeschluß trat der radikale Dr. Pankhurst als liberaler Candidat auf und sicherte sich die Unterstützung der Irländer, die in Manchester sehr stark vertreten sind. Es sollte sich nun zeigen, wie ein unabhängiger Candidat mit Hilfe der Irländer gegen den Caucus anzukommen vermag, was im bejahenden Falle, von tiefeinschneidender Wichtigkeit und auf die Zusammensetzung des nächsten Parlaments von großem Einflusse wäre. Daher die leicht erklärliche Spannung, mit welcher man dem Ausgange der Wahl entgegensah. Der Caucus forderte die Liberalen noch kurz vor der Wahl auf, sich der Theilnahme zu ...

(3) zu enthalten, und das Resultat zeigt, daß der Befehl nicht unbeachtet blieb. Es wurden abgegeben: für den conservativen Candidaten, Mr. Houdsworth, 18 188 und für den liberalen Candidaten, Dr. Pankhurst, 6216 Stimmen. Der liberale Cauens errang somit durch die Niederlage des liberalen Candidaten den Sieg, und die Irländer vermochten dem Ausfalle keine entscheidende Wendung zu geben. Trotzdem weist aber die Ziffer von 6216 Wählern darauf hin, daß ein namhafter Theil der Liberalen mit dem Despotismus des Caucus nicht einverstanden und nicht gesonnen ist, die Befehle desselben ohne Weiteres zu respectiren, was immerhin bedeutungsvoll ist und von der liberalen Partei die bisher durch ihre stramme Parteidisciplin die größten Erfolge errang, mit einiger Beunruhigung bemerkt wird. Durch die Wahl von Mr. Houldsworth wird das Stimmenverhältniß im Parlament nicht geändert.

Zu Ehren Sir Stafford Norhcote‘s veranstalteten die Conservativen von Ulster ein Baket, welches am Donnerstag Abend unter dem Vorsitze des Herzogs von Abercorn in der Ulster-Halle von Belfast abgehalten wurde. In Erwiderung des ausgebrachten Trinkspruchs hielt Sir Stafford eine lange Rede, in welcher er die von der liberalen Regierung nach außen und innen hin, namentlich aber in Bezug auf Irland verfolgte Politik einer selbstverständlich sehr absprechenden Kritik unterzog. – Kaum ist der große Strike in Ashton beendet, so drohen dem englischen Arbeitsmarkte neuerliche Störungen. In Wales haben die Eisen- und Gußstahlhütten bereits die Feuer ausgelöscht, da die Arbeiter die angekündigte Lohn-Reduktion nicht annahmen. Im Im ganzen nordöstlichen Lancashire haben die Weber, und in dem Distrikte von Dudley die Nagelschmiede ihren Entschluß angekündigt, die Arbeit in 8 Tagen einzustellen. Auch in einigen Kohnenwerken begannen die Bergleute zu striken, und man rechnet, daß durch diese neuen Strikes mindestens 15 000 Arbeiter für eine lange Zeit der Erwerbslosigkeit anheimfallen werden.
– Der Mörder Carey‘s, Patrick O‘Donnel, erhielt gestern von dem New-Yorker Comité 300 Lstr., um sie zur Bestreitung der Kosten seiner Vertheidigung zu verwenden. O‘Donell ist nach der Schilderung eines Berichterstatters ein Mann von 46 Jahren, nahezu 6 Fuß hoch, mit wettergebräuntem Gesicht und halbergrautem Haar; seine Züge drücken Entschlossenheit und Intelligenz aus, aber er ist weder des Lesens noch des Schreibens mächtig. Sein ganzes Aussehen ähnelt dem eines irischen Ackerarbeiters der besseren Art.

Rußland.

Aus Petersburg, 2. Oktober, berichtet die „Pol. Corr.“: Die oberste Preßverwaltung hat soeben an alle Zeitungen ein Rundschreiben versendet, durch welches ihnen untersagt wird, Etwas über die Maßregeln mizutheilen, welche die Polizei ergreifen wird, um die Ordnung am Tage des Begräbnisses Turgenjew‘s aufrecht zu halten. Diese Maßregeln, die natürlich so weit als möglich geheim gehalten werden, sind sehr umfassender Natur. In unmittelbarer Nähe des Wolkower Friedhofes wird eine namhafte Anzahl Truppen in Bereitschaft stehen. Ein Gerücht behauptet sogar, daß die Truppen in den Kasernen consignirt sein werden. Erfreulicherweise scheint aber nichts darauf hinzudeuten, daß diese Gelegen heit von revolutionärer Seite benützt werden solle Excesse zu arrangiren, womit aber nicht gesagt sein soll, daß die Möglichkeit von Excessen völlig ausgeschlossen sei. Es herrscht in der That in den Gemüthern eine nicht zu verkennende Gährung und leider fehlt es dem jetzigen Petersburger Präfekten, Gresser, an allem Takte, um gegebenen Falles eine Manifestation innerhalb der wünschenswerthen Grenzen zu erhalten. Der Präfekt selbst scheint sehr ernst Besorgnisse für den Begräbnißtag zu hegen; allein es ist zu hoffen, daß sich seine Anschauungen als allzu pessimistisch erweisen werden. Charakteristisch für diesen Funktionär, der sich schon des Oefteren durch unerklärliche Bestimmungen unpopulär gemacht hat, ist insbesondere seine neueste geradezu unbegreifliche Verfügung. Er hat nämlich den Miethskutschern verboten, sich Abends mit ihren Passagieren den Theatern zu nähern, so daß nur Privatequipagen bis an die Theater heranfahren dürfen. Wer also nicht glücklich genug ist, seinen eigenen Wagen zu besitzen, muß entweder auf den Theaterbesuch verzichten oder in einiger Entfernung aussteigen, um durch die schmutzigen, schlecht gepflasterten Straßen zu Fuße zu gehen.

Amerika.

New-York, 3. Oktober. Vertreter vieler Freihandelsvereine traten gestern in St. Louis zu einer Sitzung zusammen, welche den Zweck hat, eine Freihandelsliga für das Mississippithal zu reorganisieren. – In Verfolg eines vom Congresse angenommenen Gesetzes hat Präsident Arthur die verschiedenen Länder eingeladen, Vertreter zu einer in Washington abzuhaltenden internationalen Conferenz behufs Herstellung eines gemeinsamen ersten Meridians zu entsenden. Die Regierungen von Oesterreich, Schweden und Norwegen haben abgelehnt, die Conferenz zu beschicken, aber die zwei letzten Länder billigen den Zweck. Spanien billig das Project, aber hat seine Antwort verschoben. Belgien ist ungewiß, aber Dänemark und Portugal haben die Einladung bedingungsweise angenommen. Die Schweiz, Venezuela, Mexiko, Liberia, Holland, Canada, Guatemala, Rumänien, Nicaragua und Honduras haben eingewilligt, die Conferenz zu beschicken. Von Italien, Großbritannien, Rußland, Frankreich, Chili, Brasilien und Deutschland stehen die Antworten noch aus.

Aus den Provinzen und dem Reiche.

Breslau, 5. Oktober. In Folge einer Einladung des Comités zur Veranstaltung einer volksthümlichen Lutherfeier in Breslau hat der Magistrat beschlossen, an den festlichen Veranstaltungen insbesondere an dem Festgottesdienste in der Elisabethkirche am 10. November d. J. Und dem beacbsichtigten Festzuge vom Rathhause aus, und zwar bei letzterem an hervorragender Stelle theilzunehmen.

Leer, 3. Oktober. Die Entscheidung des Consistoriums bezüglich des Pastors Steinhagen hat man folgendermaßen zu begründen versucht: „Sowohl aus den mit einem Protest aus der Gemeinde gegen die Wahl des Pastors Steinhagen eingereichten nachgeschriebenen Predigten, als auch insonderheit aus der unterm 1. Juli d. J. von Pastor Steinhagen abgegebenen Erklärung über diesen Protest und den im Colloquio vor dem Coetus von ihm entwickelten Ansichten sei ersichtlich, daß Pastor Steinhagen nicht blos in seiner Ausdrucks- und Darstellungsweise, sondern im Inhalt seiner Lehre selbst mit der in der ostfriesischen reformirten Kirche zu Recht bestehenden geltenden Kirchenlehre sich nicht im Einklange befinde. Und zwar beziehen sich die Abweichungen nicht etwa auf theologische Schulmeinungen oder auch blos auf confessionelle Eigenthümlichkeiten der reformirten Kirchenlehre, sondern auf die biblischen Grundlagen der Kirchenlehre, und es werden von den Abweichungen nicht allein untergeordnete Lehrstücke betroffen, sondern sie gehen vor allem auf den eigentlichen Hauptpunkt, indem Pastor Steinhagen zum Glauben an die Gottheit Christi, an die sühnende Bedeutung seines Todes und an seine Auferstehung eine theils abschwächende und unbedeutende, theils zweifelnde und ablehnende Haltung an den Tag legt, überhaupt auch der normativen Autorität der heiligen Schrift nicht im Sinne der evangelischen Kirche gerecht wird. Die vorhandenen Abweichungen bleiben mithin nicht innerhalb der Grenzen einer billig zu respektirenden evangelischen und theologischen Freiheit, sondern überschreiten dieselben und lassen die Uebertragung eines Lehramts ungerechtfert erscheinen. Es werden sonach die von den Beschwerdeführern gegen die Wahl des Pastors Steinhagen erhobenen Einwendungen für begründet und erheblich erachtet, wie auch der Coetus [?] erklärt hat, die Wahl zur Bestätigung nicht empfehlen zu können, weil die Abweichungen zu ernster Natur seien.“

Reisebriefe aus Amerika

Von Dr. H.W. Vogel.
VIII.
Das interessanteste der drei Geiserbassins am Firehole-Fluß ist das dritte, auch das obere genannt, einerseits wegen der großen Zahl, andererseits wegen der Großartigkeit der sich hier zusammendrängenden heißen Springquellen. Je näher man diesem Geisterfelde kommt, desto zahlreicher werden die Dampfwolken, welche bald hier bald da mitten im dunklen Tannengrün plötzlich aufsteigen. An manchen Stellen erscheint der Firehole-Fluß mit kleinen Geisern, die manchmal Vulkanen ähnlich erscheinen, deren Krater jedoch stets mit Lava und kochendem Wasser erfüllt sind, förmlich garuht [?].

Man achtet aber diese kleinen Individuen gar nicht mehr, wenn man der großen Geiser ansichtig geworden ist. Dieselben haben sich durch Kieselerdeausscheidungen an ihrer Mündung meistens kleine Krater aufgebaut, die mitunter ganz sonderbare Gestalten zeigen, so beim Castlegeiser die Gestalt einer Schloßruine, beim Grottengeiser ein von Höhlungen durchbrochenes Gebilde. Zur Zeit der Ruhe entströmt ihren Kratern meist nur leichter Dampf und man kann dann ohne Gefahr in das innere, wenn auch nicht sehr tief, denn unten ist‘s finster, blicken. Manche, wie der Castlegeiser, speien aber auch kleine Wasserstrahlen außerhalb der eigentlichen Eruption. Diese tritt bei den verschiedenen Geisern in sehr verschiedenen, aber keineswegs immer regelmäßigen Intervallen ein, so daß es zum Theil Glückssache ist, Zeue einer solchen zu sein. Mancher, wie der Grandgeiser, dessen Mündung in Zeiten der Ruhe ein, mit fast siedendem Wasser erfülltes Becken bildet, speit in Zwischenräumen von etwa 14 Tagen, wieder andere, wie der Castlegeiser, sollen täglich zweimal speien. Ich habe jedoch vergeblich darauf gewartet. Auf einen der Geiser, die hier sehr unregelmäßig vertheilt sind und eigentlich drei große Gruppen bilden, ist aber sicher zu rechnen, das ist der in Zwischenräumen von 50 – 70 Minuten speiende, seinen Namen Ehre machende old faithfull (der alte treue). Dampfwolken, die nach und nach an Dichtigkeit zunehmen und denen sich bald einzelne Wasserstrahlen beimischen, und ein leichtes unterirdisches Grollen kündigen die Eruption an; dann entfährt plötzlich ein heißer Wasserschwall dem Krater, ihm folgt ein zweiter höher gehender, dann ein dritter, jeder mit gewaltiger Dampfentwicklung. Schließlich folgen sich die Strahlen, etwa 150 Fuß hoch in die Luft gehende, ohne Unterbrechung, bis nach fünf Minuten die Steighöhe sich mindert, die Wassersäule zusammensinkt und der letzte Rest in den Krater zurückfällt, während der vorher aufgeworfene Ueberfluß nach allen Seiten dampfend abfließt. Länder halten die Eruptionen des Grandgeiser an, die ich ebenfalls zu beobachten das Glück hatte. Der Grandgeiser hat keinen Krater. Er bildet ein von knolligem Kieselerdegestein eingerahmtes ebenes Loch in der Erde. Seine Eruption kündigt sich durch unt erirdisches Getöse an, dann entfährt ein Dampfstrahl dem Krater, endlich folgen die Wasserschüsse, die bis 200 Fuß emporgehen, während die Dampfsäule bis ca. 1000 Fuß emporsteigt. Die Eruption währt wohl ½ Stunde unter Zu- und Abnahme der Höhe. Sobald die ersten Anzeichen bemerkbar werden, pflegen die im Geiserfelde befindlichen Touristen herbeizueilen, die näheren zu Fuß, die entfernteren zu Pferde, um das grandiose Naturschauspiel in der Nähe zu bewundern.

Inmitten dieser Geisergruppen, dicht beim old faithfull, hat man den „hotel camp“ aus ca. zwanzig im Halbkreis geordneten Zelten errichtet. Trotz der Anwesenheit der Hatchpartie [?] hatte ich Glück; ich bekam mit meinen Reisegefährten ein Zelt und Matratzen. Freilich mußten je zwei ein Lager theilen. Schlimmer sah es mit der Naturalverpflegung aus. Eiun 2 Zoll großes Stück Fleisch bildete den Hauptinhalt des Dollardiners des einen Tages; noch frugaler war das Frühstück des folgenden Morgens. Einen erfreulicheren Genuß, als diese Mahlzeiten bildeteedas Naturbad im Flusse, dessen Temperaturgrad man je nach der Nähe einer der vielen kleinen am Ufer postirten, immerfort kochenden Geiser beliebig wählen konnte. Freilich bildeten die zackigen kieseligen Massen am Grunde des Flusses keinen angenehmen Ruhepunkt für die Füße, so interessant und bunt gefleckt sie auch dem Auge erschienen. Noch umfassenderen Gebrauch wußten die weiblichen Mitglieder der zahllosen Camps, die in der Geiserregion in Lager aufgeschlagen hatten, von den kleinen Heißwasserkratern zu machen; sie dienten ihnen, wie ich öfter beobachten konnte, zur Abhaltung der großen Familienwäsche.

Eine absonderliche Art, in der großen Geiserregion Hemden zu waschen, lernte ich nur durch Hörensagen kennen. Man spannt das Hemd zur Zeit der Ruhe im Krater des old faithfull aus, legt ein Stück Seife darauf und wartet ruhig die Eruption ab. Bei derselben wird natürlich das Hemd mit in die Luft genommen und durch die aufeinander folgenden siedenden Wasserstrahlen auf das Kräftigste ausgekocht und gereinigt. Der Hauptzweck wird also zweifellos erreicht. Gewöhnlich kommt aber das Hemd in Stücken wieder herunter – relata refero.

In landschaftlicher Hinsicht erscheint das dritte Geisergebiet im Vergleich mit dem Zweiten weniger malerisch. Die Geiser selbst, so hochinteressant sie als wunderbares Naturschauspiel sind, welches uns das geheimnißvolle Walten der Mächte in der Tief e in eindringlichster Weise zur Anschauung bringt, tragen zur Schönheit der Region nichts bei, ihre Krater sind zu klein, um landschaftlich von Wirkung zu sein. Die blendend weißen Felder von Kieselerde, die sich aus ihren Wassern abgesondert haben und die durch Ausscheidung eisenhaltiger Stoffe an einzelnen Stellen seltsam roth und braun gefärbt erscheinen, stehen zu dem tiefen Grün der sie umgebenden Tannen in zu scharfem Contrast, namentlich wenn die blendende Mittagssonne darauf herniederbrennt. Am anziehendsten ist der Anblick am am kühlen Morgen, dann erscheinen die aus den Geisern quellenden Dampfwolken am Dichtesten. Man erkennt dann an ihnen erst die unzählbare Menge der sich hier vorfindenden heißen Quellen und bieten die unaufhörlich im Spiel des Windes sich verändernden Umrisse ihr er Dampfwolken ein immer wechselndes, interessantes Bild.
Aber es fehlt der nächsten Umgebung der Geiser keineswegs an malerischen Punkten.Als einer der schönsten muß die Schlucht des Firehole-Flusses bezeichnet werden. Derselbe durchbricht etwa drei Meilen oberhalb der Geiser das Trachytgebirge und bildet hier einen von schroffen Felswänden eingeengten Bergstrom, der in einem mannigfach getheilten Wasserfall in eine tiefe, im dichten Walde versteckte Schlucht stürzt. Ringsum hängen theils lebende vom Winde umgeworfene, theils abgestorbene Baumstämme über die Felsenwände herab und vermehren die Wildheit des ernsten großartigen Naturbildes.

Leider ist zu befürchten, daß der dichte Wald, welcher einen der Hauptreize des Yellowstonegebiets bildet, seinem Untergange entgegengeht. Die Zahl der Waldbrände in diesem Gebiete ist Legion. Ich selbst erlebte an einem Tage drei. Einer dieser Waldbrände erreichte sogar das Hotel Camp im oberen Geiserbassin. Aber Niemand kümmert sich darum. Stundenlang führt der Weg in manchen Regionen des Yellowstone zwischen verbrannten, schwarzen, kahlen Stämmen hin, die, ihrer Aeste beraubt, finster gen Himmel starren. Manche Berge erscheinen mit ihrem verwüsteten Wald von Weitem wie der Rücken eines Stachelschweins. Einem Deutschen thut das Herz weh bei diesem Anblick. Wir Deutschen lieben den Wald mehrt als andere Nationen. Hunderte, ja Tausende von unsern Liedern preisen die Herrlichkeit des Waldes und das „Schirm dich Gott du deutscher Wald“ hallt in allen deutschen Herzen wieder. Diese Waldliebe kennt der Amerikaner nicht. Er hat auch nichts, was einer Forstaufsicht zu vergleichen wäre. So haben die zahllosen Camp parties freies Spiel; sie schlagen zehn Mal so viel Holz nieder, als sie für ihr Bivonacfeuer brauchen und überlassen das letztere ruhig sich selbst. Wenn sie den Platz verlassen, so theilt sich das Feuer dem Walde mit und erlischt nicht eher, als bis ein kräftiger Regen eintritt. Solcher stellte sich in Yellowstone einige Mal des Nachts ein, war aber meist nur von kurzer Dauer.

Nach zweitägigem Aufenthalt verließen wir die wunderbare Geiserregion, um noch eine dritte Merkwürdigkeit des Yellowstoneparks zu besuchen, den großen Canon des Yellowstoneflusses. Derselbe liegt östlich an der Geiserroute und erfordert einen ziemlich starken Umweg, den viele Reisende scheuen, der aber die aufgewendete Zeit und Mühe auf das Glänzendste lohnt. Der Weg läuft durch ein wiesenreiches Hochthal, am Medisonflusse entlang, den man mehrmals durchschreiten muß; weiterhin durch Wälder, manche grün, manche verbrannt, andere wieder durch Windbruch verwüstet, hier und da schießen zwischen verbrannten Stämmen wieder junge Bäume auf; an anderen Stellen sind auch diese bereits wieder ein Opfer des Feuers geworden. Ich sah nur wenige Bäume in der Waldregion des Yellowsstone, deren Alter man höher als fünfzig Jahre taxiren konnte. Der Weg führt weiterhin über eine bewaldete Paßhöhe. Auf derselben liegt ein kleiner See im Tannengrün, der mich und meine Begleiter sofort an die Hundekehle im Grunewald erinnerte. Die Aehnlichkeit war in der That frappant. Jenseits des Passes betritt man eine neue Region. Ein weites Thal, eingerahmt von bewaldeten Höhenzügen, liegt im Vordergrunde, im Nordosten und Südwesten desselben erheben sich eine Anzahl 10 – 11 Tausend Fuß hohe Bergesspitzen von denen einer, der Mount Washburn, schon ein beliebter Zielpunkt für Touristen geworden ist. Die Landschaft erscheint im Ganzen etwas monoton. Hier und da verrathen Dampfwölkchen am Wege, daß es auch hier an heißen Quellen nicht fehlt. Man macht ihrethalben jedoch keinen Umweg. Eine Quelle aber fesselt das Interesse der Reisenden in hohem Grade, das ist die am Fuße eines weißschimmernden felsigen Hügels entspringende Schwefelquelle. Dieselbe bildet, ähnlich vieler andrer Quellen, ein kreisrundes Bassin, in dessen Mitte das Wasser heftig aufkocht und Schwefelwasserstoffdünste ausstößt. Der Bord des Beckens ist außen schwarz, innen enthält er einen von Schwefel intensiv gelb gefärbten Saum. Unaufhörlich scheidet sich hier Schwefel in Krystallen aus. Er durchsetzt das ganze Gestein des benachbarten Berges. Man mag dasselbe anschlagen wo man will, überall findet sich Schwefel. Derselbe erscheint selbst in den Furchen des Fahrweges, da dieser an dem Schwefelborn vorbeiführt. Nahe der Quelle befindet sich etwas tiefer in einer kleinen Schlucht ein Schlammvulkan. Derselbe hat sich aus seinen Auswurfsstoffen einen kleinen Krater von ca. 20 Fuß Höhe mit sehr flacher Abdachung aufgebaut. Wir sahen ihn nicht speien, wohl aber erkannten wir das Kochen der in seinem Krater befindlichen schlammigen Flüssigkeit. Von dem Schwefelberg bis zur Yellowstone canon ist‘s nicht mehr weit. Bald tritt der Yellowstonefluß, der ein Abfluß des Yellowstonesee‘s ist, und eine Breite gleich der Weser bei Holzminden zeig, in Sicht. Er fließt mit seiner imposanten Wassermasse anfangs zwischen sanft gerundeten kahlen Hügeln dahin; bald aber treten Felsen an den Fluß heran, diese sind mit reichem Waldwuchs geschmückt, das Flußbett wird uneben; es bilden sich Stromschnellen. Wilder und wilder wird der Charakter der Landschaften mit dem Fortschreiten nach Norden hin, und von Weitem verkündet ein Donnern und Brausen die Nähe eines großartigen Falles. An diesem Flusse hat sihc in einem Seitenthale ein Hotel camp, d. i. Eine Zeltstadt, etabliret, das Gott sei Dank besseres Obdach und bessres Essen bot, als das an den Geisern. Die Löschung des Durstet mit anderen Getränken als Wasser, stellte freilich auch hier solche Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bestellers, daß man allen Freuden des Gambrinus und Bacchus willig entsagte. Selbst eine kleine Flasche Selter wurde mit 50 Cent (2 Mark 50 Pf.) berechnet.

Wir fanden in dem Camp einen Theil der Hatchgesellschaft vor, u. A. auch den Musikdirektor Hermann aus New=York. Der Abend versammelte uns gemeinschaftlich um ein Bivonakfeuer, das, bei der sehr kühlen Temperatur, die gewöhnlich Morgens und Abends eintritt, allen willkommen war. Bald machte sich das Verlangen der größtentheils amerikanischen Gesellschaft nach deutschen Liedern geltend und selbst ich mußte meine schwachen Kräfte dazu herleihen. Sogar Duette wurden versucht und vielleicht zum ersten Male, so lange der Yellowstone canon existirt, erklangen zu dem Brausenseines Wasserfalls die Lieder: „Ich wollte meine Lieb’ ergösse“ etc. und „Lorbeer und Rose“.

In der Nähe unseres Zelthotels hatten verschiedene Camps ihr Lager aufgeschlagen. Das hervorragendste derselben war das des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Arthur, der schon seit Wochen, vom Süden kommend, die Wildniß durchstreift, und zwar mit einem Gefolge, wie wohl selten ein europäischer Fürst sich erlaubt. 50 Sergeanten der Vereinigten Staatenarmee begleiteten ihn unter Führung des höchstkommandirenden Generals Sheridan [?]. Außerdem waren die Gouverneure der Staaten, die er durchreiste und mehrere Reporter in seinem Gefolge, letztere berichteten in spaltenlangen Artikeln haarklein über die allerunbedeutendsten Vorkommnisse des Tages. Selbst ein Zeichner fehlt nicht; derselbe läßt zu Ehren des Präsidenten in seinem, in Frank Berlin’s illustrirter Zeitung erschienenen Bilde u.A. vier große Geiser auf einmal speien. 280 Maulthiere sind nöthig, um das Zeltlager, welches dem hohen Herrn und seinem Gefolge dient, zu translociren. Die Reisekosten bestreitet das Gouvernement. Leider brach die Gesellschaft schon am frühen Morgen des nächsten Tages auf. Wir hatten aber später Gelegenheit sie zu sehen.

Desto ungestörter konnten wir unsere Zeit dem uns neuen Wunder des Yellostoneparks, dem sogenannten Grand Canion of the Yellowstone-river widmen. Es ist die gewaltige Felsenschlucht in welcher der Yellowstone-Fluß in zwei Stufen herabstürzt, zwei Wasserfälle bildend, die etwa 1000 Schritt von einander entfernt sind. Der erste Fall ist 162 Fuß, der zweite 350 Fuß hoch. Schon der Anblick des ersten imponirt gewaltig. Der im oberen Laufe breite Strom wird durch Felsen nach und nach eingeengt, bis er nur noch ½ der ursprünglichen Breite zeigt, und hier, wo er am engsten durch wild zerrissene Felsengrate eingedämmt ist, stürzt er sich brausend in die Tiefe, um auf der nächsten unteren Thalstufe, in gleicher Weise eingeengt, weiter zu toben. Man glaubt anfangs, mit diesem ersten Felsenschlunde habe die Natur genug gethan, und bebtg zurück, wenn bei der Fortsetzung des Weges am oberen Rande er Schlucht sich plötzlich eine zweite viel mächtigere und unheimlichere Tiefe vor dem Beschauer öffnet, in welche die aufgeregten Wassermassen in dem zweiten größeren Falle sich ergießen, um unten indem ca. 2000 Fuß tiefen Felsenkessel, der ganz von dem Strom ausgefüllt ist, weiter zu rasen. Aber nicht allein der donnernde Fall und der fürchterliche Abgrund erregen unser Staunen, sondern die über alle Beschreibung seltsamen Gestalten und Farben der die Tiefe begrenzenden Felsenwände. Dieselben sind trachytische Gesteine, die verschiedenen Graden der Verwitterung anheimgefallen sind. Manche der Felsen erscheinen gelblich weiß, andere, breite Wände bildende tief schwefelgelb bis roth, wieder andere sepiafarben. Es sind die fremdartigsten Tinten, die mir jemals in einer Felsenwildniß begegnet sind, und ebenso fremdartig sind die Formen der Felsen, die gleich Vorgebirgen in die zickzackförmige gewundene Schlucht hineinragen. Manche bilden Thürme, manche erinnern an Burgruinen. Die Verwitterung hat tief e Scharten in die Wände hineingeschnitten, die Reste der Felsen ragen in spitzen Zacken aus dem Schlunde empor, die dem oben stehenden Beschauer fast unheimlich erscheinen. In die grausige Tiefe ist, wie man sagt, noch kein Mensch gedrungen. Desto zahlreicher sind die Adler, die auf den Felsnadeln horsten, welche aus der Schlucht bis zur halben Höhe derselben aufragen.

Der Gipfel der Felsen trägt reichen Waldwuchs, die Abhängew derselben aber sind im oberen Theile der Schlucht größtentheils ...

(4) kahl. Erst weiter unten ändert sich der Charakter des Thales, die seltsamen Farben der Felsen verschwinden und machen einem tiefen Braun Platz, und die Schutthalden, welche ihren Fuß umgeben, tragen reichlich Nadelholz. Der Weg am oberen Rande dieser sich über zehn englische Meilen hinziehenden Schlucht führt zu zahlreichen Aussichtspunkten auf vorspringende Felsenmassen, und jede bietet neue eigenthümliche Felsenprofile und überraschende Gesammtbilder dar, deren prominentester Punkt immer der mächtige Wasserfall bildet. Freilich verlangen diese Standpunkte einen schwindelfreien Beobachter. Manche haben die gähnende Tiefe unmittelbar senkrecht unter sich. Zuweilen konnte ich hier ein leises Gefühl der Furcht nicht überwinden. Gewaltig muß der Schrecken des ersten Forschers gewesen sein, der auf dem Hochplateau durch dichten Wald vordrang und plötzlich unerwartet diesen ungeheuren Abgrund mit den donnernden Wassern in der Tiefe zu seinen Füßen sah.

Wir haben Abgründe gleicher Tiefe, ja noch tiefer in den Alpen, aber wohl keinen, der bei so seltsamer Gestaltung und Färbung der Felsen einen solchen majestätischen Wasserfall und gewaltigen Bergstrom einschlösse. Eigenthümlich ist es aber für Amerika, daß die mächtigsten Schluchten der Art doch nur in ein Plateau eingeschnittene Rinnsale sind. Das Plateau an sich zeigt durchaus keine mannigfaltige Bodengestaltung, es erscheint z. B. flach oder nur von einzelnen Bergen überragt. So ist es hier, so ist es auch im Gosemitthal in der Sierra Nevada und in den Schluchten des Colorado, während in der europäischen Alpenwelt neben gewaltigen Schluchten, die zu Füßen des Beschauers sich öffnen, ebenso gewaltige Felsen gen Himmel ragen, die oben von ewigem Schnee und Eis gekrönt sind und von deren Firnflächen sich eisige Gletscher in die grünen Thäler hinunterwälzen. Diese Gletscher fehlen leider Amerika. Schon aus diesem Grunde können seine Hochgebirge die Schweiz niemals erreichen.

Ein Bild im Kleinen von der Natur des Yellowstone Canion giebt der Bodekessel des Harzes. Leider gestattete meine beschränkte Zeit eine weitere Ausdehnung meiner Wanderung nicht. Ich ging denselben Weg zurück, den ich gekommen war, und erreichte, nachdem ich einen gewaltigen Gewitterregen, welcher mich bis auf die Haut durchnäßte, überstanden, die früher erwähnte Wirthschaft von Marshall in der Nähe des zweiten Geiserfeldes. Hier mußte ich übernachten. Die Schlafräume befanden sich auf dem Boden des Blockhauses, das trotz des Holzreichthums der Umgebung so erbärmlich dünn gebaut war, daß man durch die Bodendielen zu brechen fürchtete. Die einzelnen Zellen, denn von Zimmern konnte man nicht reden, waren durch Leinwandvorhänge von einander abgetheilt, die natürlich das leiseste Geräusch durchließen und auch verstohlenen Blicken kein Hinderniß in den Weg legten.

Das Wenden eines Schlafgastes in seinem Bett in der Nacht war von einer Erschütterung des ganzen Hauses begleitet. Von dem Zustande des Bettes schweige ich lieber. Leider hatte ich Insektenpulver vergessen. Ich war froh, als die Nacht vorüber war.

Am folgenden Abend war ich wieder in dem trefflichen Mammoth-Hotspring-Hotel. Hier ging es lebhaft her. Die Hatch-Gesellschaft war wieder vollzählig beisammen und zugleich war der Präsident mit seinem Camp im Thale eingetroffen. Er hatte der Hotel-Gesellschaft seinen Besuch zugesagt und alle Damen hatten ihr Bestes angelegt, um den Repräsentanten der Vereinigten Staaten würdig zu empfangen. Er erschien denn auch, und zwar im einfachen grauen Reisecostüm, grauem Schlapphut und blaugestreiftem Reisehemd. Das graumelirte Haare trägt er kurz geschoren, ebenso kurz erschienen seine grauen Bartkoteleten. Sein Gesicht verräth mehr Wohlwollen als Genie oder Energie, und ich würde ihn eher für einen Engländer als für einen Amerikaner gehalten haben; seine Körperlänge von ca. 6 Fuß unterscheidet ihn vortheilhaft vondem General Sheridan, der noch nicht fünf Fuß mißt. Ich hatte die Ehre, auch dem Präsidenten introducirt zu werden. Er schüttelte mir freundliche die Hand und fragte nach dem Zweck meiner Reise. Ich nannte ihm als solchen das Studium der Fortschritte der Photographie und des elektrischen Beleuchtungswesens. „Da sind Sie am rechten Platze“, antwortete er. Aber die Thatsachen straften seine Worte zum Theil Lügen, denn gleich darauf begann das elektrische Licht des Hotels zu flackern und erlosch für einige Minuten ganz, so daß Petroleumlampen, die zur Erleuchtung der Zimmer dienen, herbeigeholt werden mußten, um den Herrscher der großen Republik nicht ganz im Finstern stehen zu lassen. Derselbe empfahl sich, nachdem er einige Lieder, welche die Damen Robertson zum Besten gaben, angehört hatte. Am folgenden Morgen verließ ich auf dem Wege, den ich gekommen, den Yellowstone. Die Eisenbahn war inzwischen dem Hotel um vier Meilen näher gerückt, ohne daß unser Kutscher darum wußte. Er führte uns in dem unteren Yellowstonethale lange herum, ehe die Stelle gefunden war, wo wir einsteigen konnten. In der Finsterniß erreichten wir Livingstone und damit wieder die Hauptlinie der Nordpacificbahn.

Kunst, Wissenschaft und Literatur

– In der Wiener Leopoldstadt fand am 4. Oktober vor dem Geburtshause Johann Strauß’ des Aelteren die Enthüllung einer Gedenktafel statt, wobei Karl Blasel die Festrede hielt. Die Gedenktafel besteht aus dunklem Marmor und träg mit goldenen Lettern folgende Inschrift: „In diesem Hause wurde Johann Strauß Vater, der Kunst- und Zeitgenosse Lanner’s, am 14. März 1804 geboren.“ Mit dem Vortrage des Radetzky-Marsches, der populärsten Weise des Meisters, wurde die Feier beschlossen.

– Heinrich Heine’s Memoiren, von deren Vorhandensein wir im heutigen Morgenblatt berichteten, befinden sich, wie man uns aus Paris meldet, im Besitz eines Freundes von Heine, des Expräfecten der Basses-Alpes [?], Julia. Derselbe erklärt, sie jetzt herausgeben zu wollen. Die Memoiren umfassen 200 Blätter größten Formats.

Theater, Musik, Concerte etc.

Königliche Oper

In der Aufführung von Gounod’s Romeo und Julie, am Mittwoch, sang Frl. Beeth zum ersten Mal die Partie der Julie. Wenn auch an der ruhigen Festigkeit des Tons und an der Sicherheit in der Ausführung von kleinen Verzierungen Manches fehlte, so bot die Sängerin dafür in Bezug auf natürliche Schönheit und Wärme des Tons um so Erfreulicheres; namentlich war ihr piano von süßem Reiz des Ausdrucks durchdrungen, und auch das forte hob sich in der Scene am Schluß des vierten Aktes, in der Julie den Schlaftrunk nimmt, zu festerer Consistenz und zu feuriger Energie. Die Gunst des Publikums wurde ihr in reichem Maße zu Theil; es wird ihr dieselbe aber noch uneingeschränkter werden, in dem Verhältniß, als es ihr gelingt, ihre von warmer Empfindung zeugenden Leistungen auch künsttlerisch in allen Einzelheiten runder und ausgeglichener zu gestalten. Die Gesammtheit der Aufführung war nicht sehr befriedigend; es schien mehrfach schlechte Stimm-Disposition zu herrschen. – In Meyerbeer’s Prophet, am Freitag, gab Frl. Baader aus Augsburg die Fides als Gastrolle. Daß ihre Fähigkeiten für Bühnen ersten Ranges ausreichend sind, bezweifeln wir; sehen wir aber von diesem hohen Maßstabe ab, so erschien sie als eine recht achtungswerthe Sängerin; mitunter freilich etwas tremulirend und detonirend, in der Höhe nicht überall ausreichend, aber von angenehmer und ziemlich kräftiger Stimme, modulationsbegabt, warm im Ton und dramatisch lebendig in der Auffassung. Daß Frl. Baaader eine hoch reichende Kopfstimme hat, bewies sie durch das dreigestrichene Des in der Fluchscene; nun verlangt aber die Partie der Fides sehr häufig eine hohe Führung des Mittelregisters, mitunter bis zum h [?] hinauf, und dies scheint ihr schwer zu werden, so daß sie gerade in diesser Lage, etwa vom zweigestrichenen g bis h, leicht zu tief wird, oder einen gepreßten, angestrengten Klang hören läßt. Verhält es sich so, so wäre es möglich, daß Frl. Baader für dramatische Sopranpartieen besser geeignet sein würde. Als für die Forderungen, welche die Rolle der Fides stellt. Es läßt sich indeß nach einmaligem Hören nicht sicher darüber urtheilen. Herr Niemann (Johann von Leyden) schien nicht sonderlich disponiert; Frau Sachse-Hofmeister (Bertha) entfaltete die volle Schönheit ihres dramatischen Sopranes und große Wärme der Auffassung. Das Duett zwischen Bertha und Fides im vierten Akt war von durchgreifendem Eindruck. G.E.

Deutsches Theater.

Ueber die Vorstellung von Goethe’s „Iphigenie“ schien am Freitag zuerst ein Unstern walten zu wollen. Der Gott des Hustens und der Heiserkeit ging zürnend im Hause um; die rauhe fe [?]thische Luft hatte die an sanfteres Klima gewöhnten Griechen heftig getroffen, und auch wir unten im Saale spürten ihr Wehen.
Ueber dem Zauber der Goetheschen Verse und einer beseelten Darstellung verwand man zum Glück diese tückischen Hemmungen bald. Lebendig, wie selten, trat das Werk vor uns hin, und in dieser beflügelten Aufführung empfand man recht, daß es an dramatischen Wirkungen auch diesem Schauspiel nicht fehlt. Die Vorgänge sind nicht reich nach außen entwickelt, aber tiefe seelische Conflicte erlassen Iphigenie, Orest und Thoas; und dieses Seelendrama, das dem Shakespeareschen und Schillerschen gegenüber eine besondere, neue und echt moderne Gattung bedeutet, ist bei einer empfänglichen Hörerschaft eines tiefen Eindruckes sicher. Dies von Neuem bewiesen zu haben – man hatte es vergessen – ist ein großes Verdienst der Aufführung im Deutschen Theater. Da war nichts von jener conventionellen Steifheit und feierlichen Langsamkeit, die man wohl sonst für das classische Werk unerläßlich glaubt; und wie in der äußeren Scene des Schauspiels, in jenem Hain vor Dianens Tempel, die abgezirkelte Leere des viereckigen Platzes vermieden war, und ein (mit Meiningscher Kunst) verkleinerter verengter, intimer Raum an seine Stelle trat, so war auch in geistigem Sinne alles Abgezirkelte lebendig überwunden.

Für Iphigenie bringt Frl. Haberland so schätzbare Gaben mit, wie nur irgend eine Darstellerin der gegenwärtigen deutschen Bühne. Die mächtige Erscheinung wird hier zum Vortheil; und die klangvolle Stimme ist inniger Beseelung fähig. Die Darstellerin erinnert vielfach an Frl. Ziegler, aber wie unendlich ist dieser an geistigem Erfassen der Aufgabe überlegen! Das Parzenlied haben wir nie so gewaltig und so rein zugleich aus der Situation heraus sprechen hören, wie von Frl. Haverland: man fühlte, wie auch in Iphigenie einen Augenblick das Tantalidenblut sich regte, und wie solches Empfinden das alte, gern vergessene Lied heraufbringt. Wenn die Künstlerin so eindringlich, wie dieses Moment, auch seinen Gegensatz, das Hervorschlagen des tief en Wahrheitssinnes in der Priesterin bezeugen könnte, würde sie dem Ideal einer Iphigenie noch um ein gutes Theil näher kommen.

Herr Barnay, als Orest, war sehr glücklich in der Erscheinung: das pechschwarze Haar schien um den ausdrucksvollen Kopf wie Nattern sich zu ringeln, die den Muttermörder ins Hirn stechen. Nach der Heilung, in glänzender Waffenrüstung, ist dieser Orest ein wahrhaft königlicher Sproß des Hauses von Mycenä [?], und mit dieser kurzen Handbewegung des geborenen Fürsten spricht er, auf den Vorschlag des Waffenstillstandes sein: „“Ich nehm es an“. In der Darstellung der Reinigung selbst freilich, vermochte der Schauspieler die geforderte tiefere seelische Empfindung nicht auszusprechen; es fehlt dem stark realistischen Künstler die Fähigkeit, das Dämmernde, Ahnungsvolle, Visionäre anzudeuten und die Scene, da sich Orest im Tartarus glaubt, miißlang gänzlich.

Im geraden Gegensatz zu Orest stand Pylades günstiger innerlich als äußerlich da.
Herr Kainz, obgleich er schon eine Anzahl von Jahren der Bühne angehört, hat noch wenig in seiner Kunst sich befestigt, er ist ein ganz wildwüchsiges Talent, das hoffentlich bei uns in ernste Schule genommen werden kann. Der Darsteller weiß nicht einmal, was seinem Äußerem Noth tut; er macht die wenig männliche Erscheinung noch immer weichlicher und erweckt dadurch einen peinlichen Eindruck, den sein kräftiges Organ und seine feurige Rede nur schwer vertreiben.

Den Thoas gab Herrr Sommerstorf jünger als üblich ist, und verlieh dadurch der Figur eine menschlichere Haltung. Der Darsteller entwickelt bisher mehr eine rhetorische als eine eigentlich schauspielerische Begabung; er schwelgt in seinem Organ, das Gesicht ist geringen Ausdrucks fähig, die Bewegungen sind spärlich und abgemessen. Aber ein entschiedenes Talent ist vorhanden, und auch dieses mag die neue Bühne erziehen helfen.

Das Deutsche Theater blickt nun auf die glücklich vollbrachte erste Woche zurück. Schiller, Lessing, Goethe sind mit vortgrefflicher Auswahl, in gut vorbereiteten Aufführungen für die junge Bühne gewonnen worden, der die reiche Theilnahme unseres Publikums zur Seite steht; und es ist gelungen, klassische Dichtungen darzustellen in unmittelbarer, frischer Wirkung und ohne jene stilisirte Langeweile, welche Manchem an den Werken höherer Gattung unzertrennbar erscheint. Ein guter Anfang ist gemacht; Glückauf zur guten Folge! O. Brm.


– Das Repertoir des „Deutschen Theaters“ für diese Woche weist neben Wiederholungen der beiden Eröffnungsstücke als neue Vorstellung das Lustspiel „Krisen“ von Bauernfeld auf. In demselben spielt Hedwig Niemann die „Priska“, Friedrich Haase „Lämmchen“, Ludwig Barnay den „Doctor“, August Förster den „Simon“ und Siegwart Friedmann den „Baron Hohenberg.“ Für „Kabale und Liebe“, welches am Dienstag gegeben wird, sind Anstalten getroffen, daß die Vorstellung, welche bereits das letzte Mal um eine halbe Stunde früher als am Eröffnungsabend beendet war, nunmehr nur bis 10 ½ dauern wird.

– Im Residenz-Theater findet morgen vorläufig die letzte Aufführung von „Die Prinzessin von Bagdad“ statt, da Fräulein Kathi Frank bereits am Dienstag in einer hier noch nicht gespielten Rolle, nämlich als Odette in dem gleichnamigen Sardon’schen Schauspiel, auftreten wird. – Im Louisenstädtischen Theater behauptet sich „Der Pyramidenfritz“ auf dem Repertoire und soll am letzten Sonntag bereits um 6 Uhr kein Billet mehr an der Kasse zu haben gewesen sein.

– Im Belle-Alliance-Theater findet heute die 15. Aufführung der Posse „Die Rosa Dominos“ statt.

– Helen Meinhardt und Jenny Stubel treten heute wieder im Walhalla-Theater auf.

– Die Singakademie wird zur Feier des Luthertages am 20. November, Abends 7 Uhr, eine Aufführung veranstalten (Bach „Ein’ feste Burg“ und Magnificat, sowie Mendelssohn’s Lobgesang), deren Ertrag für die auf Luther bezügliche monumentale Ausschmückung einer in Berlin zu erbauenden Lutherkirche bestimmt ist.

– Am Donnerstag, den 11. Oktober, Abends 7 Uhr, findet in der Matthäikirche ein von dem Organisten Otto Gehrke veranstaltetes Concert für den Allgemeinen Blindenverein statt. In demselben werden mitwirken: die Concertsängerin Frau Vindhoff, der königl. Kammermusiker, Violoncellist Herr König, der Violinist Herr Heber und der Organist Herr Schmid, welcher die Begleitung übernommen hat.

– Auf dem im heutigen Inseratentheil veröffentlichten Programm des Concerts, welches der Riedel’sche Gesangverein am 21. October in der Garnisonkirche zum Besten des Pestalozzi-Frauen-Vereins zu Berlin unter dem Protectorat J.K.K.H. der Frau Kronprinzessin veranstaltet, figurirt u.A. ein Werk des Leiters der großen Abonnements-Concerte in der Philharmonie, Prof. Dr. Franz Wüllner. Die Solisten, Herr Brucks, Prof. Brodsky und der Leiter des nach seinem Namen benannten Vereins, Herr Riedel, haben ihre Thätigkeit bei diesem Concert in Anbetracht des wohlthätigen Zweckes zugesagt.

– Die Montags-Conzerte der Herren Hellmich und Maneke beginnen am 29. Oktober in der Singakademie. Für den ersten Abend haben der Pianist Herr Franz Rummel und der königl. Kammersänger Herr Dr. G. Gunz ihre Mitwirkung zugesagt.

– Für das erste Wüllner’sche Abonnements-Concert, in welchem „Eine feste Burg“ von Bach, Schlußscene 1. Act aus Parsifal und die Neunte Sinfonie von Beethoven zur Aufführung gelangen, beginnt der Billetverkauf morgen bei Bote u. Bock.

– Die Concerte des Philharmonischen Orchesters in der „Philharmonie“, welche während des ganzen Winters regelmäßig jeden Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Sonntag stattfinden werden, haben am vergangenen Dienstag begonnen. Das heutige Sonntags-Programm weist eine Reihe interessanter Piecen auf.

Vereine und Versammlungen.

– Im Bürgersaale des Rathhauses wird morgen Abend 8 Uhr Herr Canitz auf Veranlassung des Vereins für volksverständliche Gesundheitspflege einen öffentlichen Vortrag halten „über das Wasser in seinem segensreichen Einflusse auf Gesunde und Kranke.“

– Die liberalen Vertrauensmänner des 27. Kommunalwahlbezirks (Stadtbezirke 117 – 120.) versammelten sich am Freitag Abend in Bade’s Salon, Gr. Frankfurter Str. 87., um die Candidatenrede des in einer früheren Vertrauensmännerversammlung für die dritte Abtheilung aufgestellten Candidaten Direktor Gerth anzuhören. Herr Ferth hielt auch einen oft von Beifall unterbrochenen Vortrag über die bevorstehenden Wahlen und die Forderungen der Gegner, erklärte aber, daß er zu seinem Bedauern die ihm übertragene Candidatur nicht annehmen könne, da er sich bereits dem 25. Bezirk gegenüber zur Annahme der Candidatur verpflichtet habe. Dagegen bat er, die bereits früher in Vorschlag gebrachte Candidatur Straßmann zu acceptiren. Nach längerer Debatte wurde denn auch Herr Dr. Straßmann von den etwa 300 Anwesenden mit allen gegen 1 Stimme als Candidat der 3. Abtheilung des 27. Bezirks aufgestellt. Einstimmig nahm die Versammlung auch eine Resolution an, in welcher sie sich mit der bisherigen Verwaltung der Stadt vollkommen einverstanden erklärte und sich verpflichtete, mit aller Energie für die Wahl des Herrn Dr. Straßmann einzutreten. – in der am Freitag Abend bei Bettin [Vettin?], Brunnenstraße 34.m, stattgehabten Versammlung von Vertrauensmännern der liberalen Partei im 35. Kommunal-Wahlbezirk hielt der Herr Stadtverordnete Fessel einen beifällig aufgenommenen Vortrag. Nach Beendigung desselben wurde einstimmig beschlossen, Herrn Fessel als alleinigen Candidaten der liberalen Partei im 35. Kommunal-Wahlbezirk aufzustellen.

– Heute, Sonntag, den 7. Oktober, zur Berathung über die Stadtverordnetenwahlen: Auf Einladung des Wahlcomités der vereinigten Hausbesitzer-Vereine Versammlung sämmtlicher Haus- und Grundbesitzer Berlins, Vormittags 10 ½ Uhr, Leipziger Str. 48. im Concerthause. – Versammlung der Kommunal-Wähler der III. Abtheilung im 5. und 11. Kommunal-Wahlbezirk (Stadt-Bez. 34., 37-40. und 56A., 58-60.), Vormittags 10 ½ Uhr, im großen Saale der Bock-Brauerei (Tempelhofer Berg).

– Morgen, Montag, den 8. Oktober, Abends: Friedrichs-Werderscher Bezirks-Verein, präcise 8 ¼ Uhr, im Gesellschaftshaus (gr. Saal) Niederwallsstr. 20. Hr. Rechtsanwalt Ladewig über „Die bevorstehenden Stadtverordnetenwahlen“. Durch Mitglieder eingeführte Gäste haben Zutritt. – Versammlung liberaler Wähler der III. Abtheilung der Stadtbezirke 17.-20.,22., 8Uhr in Martens Saal, Dorotheenstraße 58. – Fortschrittlicher Bezirks-Verein de 29. Communal-Wahl-Kreises (Stadtbezirke 126., 127., 132-137.), 8 ¼ Uhr, im Schützenhause, Linienstraße 3./4., Herr Prediger Dr. Kahlhoff: „Die deutsche Fortschrittspartei und die Lutherfeier“. – Allgemeine Wähler-Versammlung im 38. Communal-Wahlbezirk (Stadtbezirke 1823. 184a., 184b., 185., 185a.) 8 Uhr, im Eiskeller-Etablissement, Chausseestraße 88., Herr Stadtverordneter Geiter über „Die communale Armenpflege von Berlin.“ Des beschränkten Raumes wegen finden nur Wähler aus den bezeichneten Stadtbezirken Zutritt. – Bezirksverein im 40. Stadtbezirk, 8 Uhr, in Kuhlmann’s Lokal, Lindenstr. 105. Die Herren Stadtverordneten Solf, Hanke, Franke, Herrmann, Zippel, Jacobs und Baumgarten sind eingeladen und haben ihr Erscheinen zugesagt. – Allgemeine Wählerversammlung des 42. Kommunal-Wahlbezirks im Volksgarten, Badstr. 56. Alle Parteien haben Zutritt. – Liberaler Verein der Halleschen Thorbezirke, 8 Uhr, in dem Toppe’schen Lokale, Bellealliancestr. 32. Vortrag des Reichstagsabgeordneten Herrn Rechtsanwalt Lüders: Deutschland und seine Nachbarn. – Andreasplatz-Bezirksverein, 8 ½ Uhr, im Salon zum „Freischütz“, Fruchtstr. 36a. Hr. Stadtverordneter Dr. Kürten über: „Die Angriffe gegen die städtische Verwaltung“. Gäste, durch Mitglieder eingeführt, haben Zutritt. – Berliner Handwerkerverein, Rechtsanwalt Jonas: „Ueber das Haftpflichtgesetz und den Schutz gewerbliche rArbeiter.“ Damen haben Zutritt. – Ortsverein der Kaufleute zu Berlin, 8 ½ Uhr, Annenstraße 16., Restaurant Sahm. Herr G. Ledebour „Ueber die Stellung der deutschen Kaufleute in England.“ – Berliner Arbeiterverein, 8 ½ Uhr, Alte Jakobstraße 131. (2. Eingang, Lindenstraße 20/21.), Herr Reichstags-Abgeordneter Dr. Max Hirsch über: „Der Streit über die corporativen Genossenschaften in der Socialpolitik.“. Gäste sind willkommen. – Verein ehemaliger Schüler des Sophien-Gymnasiums, im Restaurant „Riedel“, Spandauerstr. 27. – Stenographischer Verein (Stolze) zu Berlin, (gegründ. 1844), 8 Uhr, im Saale des Architekenhauses, Wihelmstr. 9293. – Stenographenverein Gebelsberger, 8 Uhr, im Café Printz, Behrenstraße.

Städtisches.

– Die Stadtverordnetenversammlung hatte im März d.J. den Magistrat ersucht, in einer Denkschrift verschiedene, die Kanalisation angehende Fragen zu erörtern, namentlich die Bewirthschaftungsart der Rieselgüter, deren finanzielle Ergebnisse, die Berieselungsmethode und Desinfection der Abwässer, sowie die Hindernisse, welche sich bisher der Ausführung der Kanalisation entgegengestellt haben, und die Schritte, welche die städtische Verwaltung zu deren Beseitigung gethan hat. Die Verwaltung der Kanalisationswerke, welche sich der Beantwortung dieser Fragen unterzogen hat, hat dieselbe mit dem demnächst erscheinenden Berichte über das letztverflossene Verwaltungsjahr 1882/83 verflochten. In den Vordergrund tritt eine Erörterung der Hindernisse, welche der Kanalisation entgegentraten, und die Beseitigung derselben. Es wird eingeräumt, daß sich im Laufe der Zeit Mißstände auf den Rieselgütern dadurch eingestellt hatten, daß die vorhandenen Flächen die Masse der darauf geleiteten Abwässer nicht aufnehmen konnten und die vorhandenen Entwässerungslinien nicht schnell genug die gereinigten Drainwasser von den Rieselgütern den öffentlichen Wasserläufen zuführen konnten. Es wird aber dann ausgeführt, daß es sich nur um Schäden vorübergehender Natur handle und daß dieselben, wenn sie auch auf eine zu schnelle Durchführung der Kanalisation in der Stadt zurückzuführen seien doch nicht der städtischen Verwaltung allein zur Last fielen, da diese häufig gegen ihren Wunsch dem Drängen der Bevölkerung und der Behörden habe nachgeben und mit den Anschlüssen vorgehen müssen. Sobald sich Mißstände herausgestellt hätten, sei den Arbeiten in der Stadt nachhaltig Halt geboten worden. Die Verwaltung ist in der Lage, erklären zu können, daß diese Hindernisse nunmehr für beseitigt zu erachten sind, nachdem Dank dem Entgegenkommen der Stadtverordneten-Versammlung mit großen Opfern der erforderliche Grundbesitz beschafft und aptirt worden sei und sowohl für die alten wie die neuen Rieselgüter ausreichende Entwässerungslinien geschaffen seien. Nach den bisherigen Erfahrungen reiche eine Entwässerungsfläche von 1 ha für 250 Seelen aus, und da die Stadt jetzt im Kreise Teltow mehr als 2000, im Kreise Nieder-Barnim mehr als 3000 ha besitze, sei für viele Jahr geeignetes Rieselland vorhanden. Der Bericht hebt die Thätigkeit der von den Ressortministern eingesetzten Ministerial-Kommission hervor, welche mit der Ueberwachung der Rieselanlage beauftragt, in vielen Stücken die Beseitigung der vorerwähnten Hindernisse und damit die Durchführung des gesammten Unternehmens wirksam gefördert habe. Derselbe spricht sich auch über die Desinfection der Abwässer aus, besonders über diejenige in der Stadt Frankfurt a.M. und kommt zu dem Resultate, daß sowohl aus finanziellen und ökonomischen, wie aus sanitären Rücksichten das von der Stadt

                                                                      (Acht Beilagen incl. Sonntagsbeile.)

Für die hiesigen Leser ist die Preisliste der Brennmaterialien-Groß-Handlung von Leopold Falk beigefügt, worauf mit dem Bemerken aufmerks. gem.w., daß sich das Hauptcomtoir gen. Firma in ihren neuen Räumen Leipziger Str. 29., Ecke Friedrichstr. befindet.

Für Druck und Verlag: L. Müller in Berlin (Lessing’sche Buchdruckerei)
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(5) ... Berlin gewählte Entwässerungssystem allein den Verhältnissen entspreche und durch kein Desinfectionsverfahren ersetzt werden dürfte.

– In unserem gestrigen Bericht über städtische Angelegenheiten wird gesagt, daß der Magistrat einen Antrag für die Wahlen in der dritten Abtheilung, in jedem Bezirke zwei getrennte Wahllokale zu bestimmen, deshalb nicht habe stattgeben können, weil der Antrag vom Ausschuß der Stadtverordnetenversammlung zu spät eingebracht wäre. Darauf wird uns mitgetheilt, daß bereits am 26. Juli d.J. Namens des Wahlvereins der Fortschrittspartei im II. Berliner Reichstagswahlkreise beim Magistrat der Antrag gestellt worden sei, jede III. Abtheilung in zwei Bezirke zu theilen und so wählen zu lassen.

Gerichtsverhandlungen

– Unter der Anklage, vermittels Sammelbonds zu socialdemokratischen Zwecken nach dem Verbot des Berliner Polizeipräsidiums vom 1. März cr.[?] Sammlungen veranstaltet zu haben, hatte sich gestern der Instrumentenmacher P. Vor der vierten Strafkammer hiesigen Landgerichts I. zu verantworten. Der Angeklagte, bei dem am 28. März cr.[?] eine Anzahl solcher Bonds gefunden worden ist, stellte die Sammlungen in Abrede, bestritt auch die Berechtigung des Polizeipräsidiums zu einem Verbot der Sammlungen, welche nur für die Familien der ausgewiesenen Socialdemokraten bestimmt seien. Der Staatsanwalt beantragte 30 Mk., ev. 3 Tage Gefängniß; der Gerichtshof erkannte aber auf Freisprechung des Angeklagten, indem er zwar den Einwand gegen die Rechtsgiltigkeit des Sammlungsverbots als unbegründet zurückwies, weil dagegen nach dem Gesetze nur die Beschwerde zulässig wäre, die nicht eingelegt worden ist, aber die Sammlungen von Beiträgen nach Erlaß des Verbots nicht für erwiesen erachtete.

– Wegen Nichtaufnahme einer Berichtigung hatte sich gestern der Redacteur der „Staatsbürger-Zeitung“, Dr. Otto Bachler, vor dem hiesigen Schöffengericht, Abtheilung 94., zu verantworten. Die genannte Zeitung veröffentlichte in ihrer Nummer vom 13. Juni cr. Eine Mittheilung, nach welcher ein Dienstherr seinem Dienstmädchen, welches sich das Schienbein gebrochen hatte, ärztliche Hilfe versagt habe; das Mädchen habe sich alsdann aufgemacht, um einen Verwandten zu besuchen, sei unterwegs zusammengebrochen und habe ins städtische Krankenhaus geschafft werden müssen. Der betheiligte Dienstherr sandte hierauf an die genannte Zeitung eine Berichtigung ein, die dahin ging, daß das Mädchen sich nur eine Verrenkung zugezogen und daß er demselben mit Rücksicht auf die nothwendige Schonung den Besuch eines Verwandten untersagt habe; nach ärztlicher Behandlung hätte dasselbe überhaupt nicht verlangt. Diese Berichtigung ist nicht aufgenommen worden. Der Angeklagte wandte ein, daß er die Aufnahme deshalb unterlassen, weil er das Schriftstück nicht als Berichtigung angesehen habe und die Aufnahme nicht auf Grund des Preßgesetzes verlangt worden sei. Der Gerichtshof erachtete dieses Erforderniß für irrelevant und verurtheilte den Angeklagten zu 30 Mk. eventuell 3 Tagen Haft.

– Das Eisenbahnungflück am 18. November 1882 auf dem Bahnhofe zu Kohlfurt, bei dem zehn Personen mehr oder weniger schwer verletzt wurden, durch Fahrlässigkeit verschuldet zu haben war der frühere Weichensteller Zöllner aus Kohlfurt angeklagt. An jenem Tage fuhr der Zug No. 103. von Magdeburg auf der Kohlfurt-Falkenberger Bahn kommend, statt vor dem Perron in den Locomotivschuppen, dessen Eingansthor er zertrümmerte und mit einer in demselben stehenden Maschine zusammen, durchbrach die Rückwand des Schuppen und zerstörte außer den beiden Maschinen noch einen Postwagen, einen Packwagen und einen Wagen 4. Klasse. Dabei weurden sechs Beamte der Post und Eisenbahn, sowie vier polnische Arbeiterinnen verletzt und zum Theilerwerbsunfähig gemacht. In der Sitzung der Strafkammer des Görlitzer Landgerichts vom 3. Oktober leugnete der Angeklagte jede Schuld und führte eine Reihe von Vermuthungen an, welche das Unglück erklären sollten. Da eine Revision der noch neuen Weiche ergab, daß sie zur Hinfahrt nach dem Schuppen gestellt war, auch die Laterne nach dieser Reichtung hin die Stellung der Weiche signalisirte, so muß angenommen werden, daß der Angeklagte, welcher kurz vor dem Unglücksfalle aus seiner Bude kommend auf die Weiche zugehend gesehen war, im letzten Moment die Weiche herumgeworfen haben, in dem Glauben, daß sie noch nicht gestellt sei. Der Staatsanwalt beantragte ein Jahr Gefängniß, der Gerichtshof verurtheilte den Zöllner zu drei Monate Gefängniß.


Lokales

Die Kaiserin hat in Erwiderung auf die von dem Vorstande des Vaterländischen Frauenvereins zu Berlin sowie von den einzelnen Zweigvereinen zu ihrem Geburtstage dargebrachte Glückwünsche an den erstgedachten Vorstand das nachstehende Handschreiben erlassen: „Dem Vorstande des Vaterländischen Frauenvereins und seinen – jetzt 544 – Zweigvereinen gebührt Mein herzlicher Dank für die Mir zu Meinem Geburtsfest gewidmeten Glück- und Segenswünsche. Die noch im steten Wachsen begriffene Ausdehnung des Vereinsnetzes bestärkt meine freudige Zuversicht,, daß der wesentliche Zweck der uns vorgezeichneten Aufgabe immer mehr erkannt und auch in einer zukünftigen Zeit selbstloser und ausdauernder Hingebung werth erachtet werden wird. Baden-Baden, den 2. Oktober 1883. gez. Augusta.“

– Sicherem Vernehmen nach hat die Kaiserin ihren Privatsecretair, Herrn v.d. Knesebeck, beauftragt, dem Ausschusse der Hygiene-Ausstellung mitzutheilen, daß sie durch die seitens desselben veranstaltete Feier ihres Geburtstages und das ihr dargebrachte Geschenk sehr erfreut worden sei. Das Geschenk bestand in einem geschmackvoll und kostbar ausgeführten Album mit dem von Herrn Hofphotographen Günther hergestellten Hauptansichten der Ausstellung. Der Ausschuß hat die gesamte Bruttoeinnahme des letzten Sonntags im Betrage von 2871 Mk. 70 Pf. Ohne Abzug der Kosten dem vaterländischen Frauenverein zum Besten der beim Steglitzer Eisenbahnunglück Verletzten resp. Den Hinterbliebenen der Verunglückten zur Verfügung gestellt. Geh. Rath M.v. Pettenkofer ist in Berlin eingetroffen und besuchte am Freitag die Ausstellung.

– Herr Professor D. Waldeyer aus Straßburg, der neuernannte Director der königlichen Anatomie, wurde gestern hier erwartet, um morgen seine Funktionen zu übernehmen. Herr Professor Dr. Reichert, der bisherige Director, verbleibt auch fernerhin Director des Anatomischen Museums.

– Der Gemeinde-Kirchenrath und die Gemeinde-Kirchenvertretung in Rixdorf haben an Stelle des scheidenden Herrn Pastors Dr. Hoffmann einstimmig Herrn Prediger Schröder zum Ortspfarrer gewählt.

– Ueber die Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin wird jetzt vom Magistrat ein die Jahre 1877 bis einschließlich 1881 umfassender Bericht herausgegeben. Der I. Theil dieses Berichts ist soeben erschienen und wird den Behörden und Communalbeamten zugänglich gemacht werden. Für den Buchhandel ist der Kommissionsverlag der Firma Julius Sittenfeld, Mauerstraße 63.65., übertragen. Der Preis für den I. ca 19 Bogen umfassenden gebundenen Theil beträgt 5 Mark. Der frühere, die Jahre 1861 bis 1876 umfassende Bericht ist in demselben Verlage erschienen und beträgt der Preis für den I. 4 Mk., für den II. 6 Mk. Und für den III. Band 5 Mark pro Exemplar.

– Am vorigen Dienstag hielten die Freunde der positiven Union eine Versammlung. Von besonderem Interesse war, wie der „N. Evang. Gemeindebote“ schreibt, der einleitende Vortrag des eigentlichen Begründers der Partei, des Hofprediger Stoecker, der einmal wieder eine kirchenpolitische Rede hielt. Nachdem er das Bekenntnis des Kaisers beim Niederwald- und Lutherfest hervorgehoben hatte (von der Rede des Kronprinzen verlautete natürlich kein Wort) rühmte der die Verdienste des Generalsuperintendenten

Dr. Baur um das Lutherfest im Gegensatz zum Protestanten-Verein, „der bei seinem Feste in der Pfalz den Anspruch erhoben habe, daß nur er das Recht und die recht Lust habe, das Lutherfest zu feiern.“ Wir erinnern uns nicht, daß in Neustadt a. d. Hardt von irgend einem Redner dieser Anspruch erhoben worden sei und verhält es sich mit dem Ausspruch des Herrn Stöcker ähnlich wie mit unzähligen anderen Behauptungen über die liberal-kirchliche Partei, daß sie nämlich völlig aus der Luft gegriffen sind. Die alten Mythen von der Abschaffung des Aposteltums fehlten natürlich nicht und zur Abwechslung wurde einmal wieder die Rede des Dr. Schwalb über das Judenthum in der kirchlichen Volkspartei gegen den Verein ausgebeutet, obwohl zwei Organe des Protestanten-Vereins, sowohl die „Protestantische Kirchenzeitung“ in No. 35. und der „Neue Evangelische Gemeindebote“ in No. 13., die Ansichten des Bremer Predigers ausführlich zurückgewiesen haben. Die Entscheidung des Cultusministers in der Lühr’schen Angelegenheit gab St. Veranlassung wieder einmal die Fabel von der Solidarität des Liberalismus und des Ultramontanismus auszusprechen, wofür der Redner nichts weiter anzuführen wußte, als ihre Uebereinstimmung im Urtheil über die Entscheidung des Ministers!

– Das von der kirchlichen Volkspartei im Verein mit den entschieden freisinnigen kirchlichen Kreisen zur Lutherfeier für Berlin in Aussicht genommene Volksfest verspricht überaus glänzend zu werden. Die Feier wird durch eine Festpredigt des Pfarrers Zwingli Wirth aus Basel und durch Festreden der Abgeordneten Albert Träger und Munckel [?] eingeleitet. Für die historischen Darstellungen, welche durch lebende Bilder den Zustand der mittelalterlichen Kirche, sowie die bedeutendsten Momente der Reformationsgeschichte und die weltgeschichtliche Bedeutung des neuen Deutschen Kaiserreichs vor Augen führen sollen, hat Professor Grell, Lehrer an der königl. Technischen Hochschule, nach dessen Angaben auch die historischen Costüme in dem Atelier von Protze, Taubenstraße hierselbst, angefertigt werden, die künstlerische Oberleitung, der Dichter Hartwig Köhler in Altenburg die Dichtung des verbindenden Textes und das Atelier des Prtofessor Lechner hierselbst die Herstellung der Decoration übernommen. Dem Comité sind schon jetzt zahlreiche Anmeldungen auswärtiger Gesinnungsgenossen zur Theilnahme zugegangen. Bis jetzt haben außer den Vereinen der kirchlichen Volkspartei folgende Berliner Vereine ihre Theilnahme an dem Fest beschlossen: Fortschrittlicher Bürgerverein Nord-Ost, Bezirksverein Königstadt, des Oranienplatzes, der Hasenhaide, des 29. Communalwahlbezirks, des Stralauer Stadtviertels, des Bezirks Friedrich-Werder, der Hamburger Vorstadt, der Prenzlauer Vorstadt.

– Zum Besten der Hausindustrieschule in Reinickendorf für minorenne weibliche Strafentlassene beginnt im Wilhelmsgymnasium, Bellevuestr. 15., am Donnerstag den 25. Oktober, von 6-7 Uhr Abends, ein Cyclus von sechs Vorträgen. Die vortragewnden Herren sind: Prof. Dr. Cassel, Prof. Dr. Brughsch [?], Oberlehrer Dr. Rauch, Rechtsanwalt Dr. Jacoby, Oberlehrer Dr. Taubert, Oberlehrer Dr. Breslich.

– Das Stiftungshaus Friedrich-Wilhelm-Victoria-Stiftung der Kaufmannschaft zu Berlin, dessen feierliche Einweihung am 30. September wir bereits gemeldet haben, verräth in seiner reichen äußeren Ausstattung, in seiner Villenform, iun seiner bevorzugten Lage inmitten des Treptower Villenterrains in keiner Weises den Zweck, welchem es dient. Der Stamm zu der Stiftung ist bereits im Jahre 1858 gelegentlich der Verheirathung des kronprinzlichen Paares gebildet worden. Der damals angesammelte Fonds ist zur Silber-Hochzeit des hohen Paares durch Schenkungen etc. zu so stattlicher Höhe angeschwollen, daß der Bau des Asylhauses durch den Baumeister Felisch schnell vollendet werden konnte. Im Erdgeschoß liegen 11 behagliche Zimmer für einzelne Asylisten, ferner 4 Wohnungen für alte Ehepaare, bestehend aus Wohnzimmer und Schlafcabinet; dieselben Räume findet man im Obergeschoß und im Dachgeschoß liegen noch vier Wohnungen für Ehepaare und zwei einzelne Zimmer. Das ganze Stiftungshaus enthält somit außer den Wirthschafts- und Verwaltungsräumen und dem Festsaale 25 Wohnungen für einzelne Leute und 12 für Ehepaare. Die breiten und lichten Korridore sind überall mit Sitzbänken ausgestattet und über dem Vestibül liegt eine Terrasse, welche im Sommer einen herrlichen Aufenthalt mit schönster Aussicht über den Treptower Park gewährt. Die Ausstattung des ganzen Gebäudes ist solid und zeigt im Vestibül und im Festsaale sogar künstlerischen Reichthum. Der Saal ist im Holzton gehalten und an den Wänden mit acht großen gobelinartigen Bildern vom Professor Franz Arndt geschmückt. Zwei derselben beziehen sich auf die grüne und silberne Hochzeit des Kronprinzenpaares, drei fernere stellen die Geschichte der Ruth, die drei letzten die Geschichte des Tobias dar. Die drei großen Glasfenster sind mit Malereien versehen. Zahlreiche Schenkungen von Wohlthätern haben Haus und Garten mit reichem Schmuck versehen, so mit einem schönen Springbrunnen, mit den Büsten des Kronprinzenpaares, Vasen, Figuren etc. Das ganze Gebäude hat 120 000 Mk. gekostet. Die Stiftung steht unter dem Protektorat des Kronprinzenpaares, das Curatorium besteht aus den Herren Geh. Rath. Mendelssohn, Geh. Rath Dietrich und Commerzienrath Kühemann, welchem letzteren die spezielle Verwaltung des Stiftshauses obliegt.

– Am 16. Oktober wird hierselbst die constituierende Generalversammlung zur Begründung eines evangelisch-kirchlichen Chorgesangsverbandes für die Provinz Brandenburg stattfinden. Mit derselben soll sich eine gottesdienstliche Lutherfeier verbinden, zum Ehrengedächtnis der Segnungen, welche dem evangelischen Gottesdienst und namentlich dem Kirchengesang durch den großen Reformator zu Theil geworden sind. Der Eintritt zu dieser Feier, welche am 16., Abends 7 Uhr, in der Garnisonkirche stattfindet, steht Jedermann frei.

– Der Vaterländische Frauenverein wird in der Deutschen Kunstgewerbe-Halle zu Berlin, im „Rothen Schloß“ im Laufe der nächsten vierzehn Tage eine Central-Verkaufsstelle seiner Zweigvereine für die Dauer eröffnen. In einem vom Parterreraum der Deutschen Kunstgewerbehalle abgezweigten Laden, der durch einen besonderen Eingang ohne Entrichtung eines Eintrittsgeldes seitens des Publikums zu bettreten ist, werden alle jene Gegenstände wie Leinen- und Baumwollenwaaren, Teppiche und Stickereien, Korb-, Stroh- und Draht-Geflechte, fertige Wäsche u.s.w., welche auf Anregung und unter thatkräftiger Beihilfe der Zweigvereine von der arbeitslosen und in den Nothstands-Distrikten ansässigen Bevölkerung gefertigt worden sind und noch werden, veräußert. Die geschäftliche Interessenvertretung dieser Central-Verkaufsstelle ist dem Herrn Direktor Fischer übertragen worden.

– Die Eröffnung des 6. Studienjahres der Humboldt-Akademie findet morgen Abend 7 ½ Uhr im Gesangsaal des Dorotheenstädtischen Realgymnasiums, Georgenstraße 30/31., statt. Die Eröffnungs-Ansprache wird der Vorsitzende des Curatoriums, Herr General der Infanterie z. D. v. Etzel, halten. Im Anschluß hieran beginnen, ebenfallsGeorgenstrjaße 30/31., Abends 8 Uhr, die Vortragscyclen: Lic. Dr. Fr. Kirchner Geschichte der philosophie, und Doc. E. Döring, Experimental-Chemie, Einleitung in die moderne Chemie. Der erste Vortrag jedes Cyclus (von 10-12 Vorträgen) ist für Herren und Damen auch ohne Hörerkarte zugänglich. Für Lehrer und Lehrerinnen, Studenten, Subaltern- und Privatbeamte u.a. Kategorien wird Ermäßigung, für Unbemittelte Stundung oder Erlaß der Honorare gewährt.

– Die nächsten Unterrichtscurse in der Gabelsbergerschen Stenographie werden stattfinden: 1) in der königl. Gewerbe-Akademie, Klosterstraße 35., Hörsaal 9., Mittwoch und Sonnabend Abends 8-9 Uhr, von Mittwoch, den 17. Oktober ab; 2) in der königlichen Thierarzneischule, Louisenstraße 56 p., Montag und Donnerstag Abends 8-9 Uhr, von Montag, den 15. Oktober ab; 3) im Saale der Döbbelin’schen höheren Knabenschule, Schöneberger Straße 4., Dienstag und Freitag Abends 8-9 Uhr, von Dienstag den 16. Oktober ab. Der Unterricht wird durch einen Vortrag über Stenographie, zu welchem Jedermann der Zutritt freisteht, eingeleitet werden. Anmeldungen werden bei den Portiers Schulz, Klosterstraße 35., Müller, Louisenstrasse 56., und Runger [?], Schöneberger Straße 4., entgegengenommen. Der Pränumerando-Beitrag zu den Kosten inclusive der Lehrmittel beträgt pro Theilnehmer 3 Mk.

– Ein neuer Unterrichtskursus in der Arendsschen Stenographie für Damen und Herren beginnt morgen Abend 8 ½ Uhr im Restaurant Baatz, Blumenstraße 10. Das Honorar beträgt inclusive Lehrmittel nur 3 Mk. Anmeldungen bei Beginn des Unterrichts.

– Die Sammlungen für Ischia haben bis zum 2. d. M. Einen Betrag von 520 869 Vf. [?] ergeben. Hiervon sind 216 728 Mark 36 Pf. Bei 5394 Reichspostanstalten, 304 140 Mk. 93 Pf. Bei der Reichsbank eingegangen. Das Reichshallen-Theater hat jetzt fast täglich ein ausverkauftes Haus. Das reiche Programm, welches seit Kurzem wieder durch die Vorträge einer Concertsängerin erweitert wurde, übt durch seine geschickte Zusammenstellung große Anziehungskraft. In erster Linie sind hieran betheiligt die Knaben Leotard, deren Exercitien am fliegenden Trapez seit der kurzen Zeit ihres öffentlichen Auftretens (die jungen Künstler kamen direkt aus der gymnastischen Schule nach hier) eine staunenswerthe Präcision gewonnen haben. Neben ihnen behauptet sich die Japanesentruppe in der Gunst der Besucher durch die Kühnheit und Eleganz ihrer equilibristischen Productionen. Die Leistungen des Spaniers Malfini auf der à la Cello gespielten Geige erregen nicht minder Bewunderung und namentlich bildet die Nachahmung der Jagd mit den täuschend getroffenen Klangfarben der Hörner, der Thierstimmen etc. eine Glanznummer.

– Unter regster Betheiligung und Antheilnahme ist gestern Abend der Circus Renz eröffnet und damit gewissermaßen die Einweihung der Winter-Sport-Saison officiell proklamirt worden. Da Direktor Renz ein viel zu guter Feldherr ist, um sein Pulver zu früh zu verschießen, so bot der Abend mehr Gutes als gerade Neues. Der in seiner Drolerie immer wirksame Clown Delbos, dem wir jedoch Talent genug zutrauen, auch einmal etwas Neues zu erfinden; der Parforce-Reiter Wells, die Parterre-Gymnastiker Gatley und S. Warne, welche nie auf alten Lorbeern ausruhend, auf dem schon stark abgegrasten Terrain immer wieder Neues und harmonisch Wirkendes bieten; Hr. J. Hager, der auf dem Vollblut „Borax“ bewies, dajß er nach wie vor der erste Schulreiter Deutschlands ist – alle diese bewährten Kräfte waren dem Institute treu geblieben. Als neu prducirten sich die auf zwei Pferden auftretenden Athleten Wells und Gaston, von denen der eine den frei ausgestreckten Arm seines Partners benutzt, um an ihm die Armwelle zu executiren; die Reitkünstlerin Mlle. Agnimoff, die trotz ihrer stark an die Kleinrussin gemahnenden und darum nicht eben sympathisch wirkende Physiognomie durch den vollen Reiz der Jugendlichkeit, eine tadellos gebaute Figur und mit Energie gepaarte Sicherheit interessirte; ein Parforcereiter Gaston, der auf der eng begrenzten Welt seines Sattels nicht nur den Saltomortale rückwärts executirt, sondern dabei auch noch durch den überzogenen Reifen springt; und – als voraussichtliche Hauptanziehungskraft des Circus – die beiden spanischen Trapezkünstlerinnen Teresita und Emma Guillos, zwei (so unpassend der Vergleich ist, so charakteristisch ist er) in der enormen Geschmeidigkeit der Glieder dem echt südlichen Feuer und dem tollkühnen und doch das Gefühl der Gefahr nie aufkommen lassenden Darauflosstürmen geradezu an zwei – Wildkatzen erinnernde Schwestern, die sich die Gunst des Publikums „im Fluge“ eroberten. Wenn Teresita, die jüngere, dann zum Schluß, an einem Drahtseil scheinbar mit den Zähnen hängend, mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs den ganzen Circus in der Diagonale durchschneidet, so überkommt den nervösen Zuschauer jenes aus Angst und Wohlbehagen gemischte Gefühl, das nun einmal zur normalen Athmosphäre des Circus gehört. Direktor Fr. Renz, der seine 12 Schimmelhengste vorführte, und Herr Hager erhielten unter stürmischen Acclamationen die landesüblichen Lorbeerkränze.

– Im Zoologischen Garten beträgt der Eintrittspreis heute, am ersten Sonntag im Oktober, trotz der Anwesenheit der Araucaner [?] nur 25 Pf. Seitens der Direktion sind durch Errichtung von Tribünen etc. in umfassendstem Maße Vorkehrungen getroffen,um die interessanten Schaustellungen der Indianer von allen Punkten aus bequem in Augenschein nehmen zu können. Von Nachmittags 4 Uhr findet großes Militair-Concert statt.

– Eine interessante Thiersammlung, wie sie bisher nopch von keinem zoologischen Institut zur Schaustellung gebracht worden ist, beherbergt gegenwärtig das Berliner Aquarium. Die Sammlung besteht aus sämmtlichen lebenden sogenannten menschenähnlichen Affen, dem Gorilla, Chimpansen, Orang-Utang und Gibbon. Während die ersten beiden und der letzte schon seit geraumer Zeit sich hier befinden und außerordentlich munter sind, langte der dritte, der Orang, vorgestern Nachmittag aus Triest über Wien an. Das etwa mittelgroße Thier ist munter und gutmüthig, wie man es selten zu sehen gewohnt ist. Namentlich macht erstere Eigenschaft das Thier überaus interessant, denn in der Regel pflegen diese Affen „schmerzversunken“ sich in ihre Decken zu hüllen und unsichtbar zu sein. Recht behäbig kletterte er gleich im Käfig umher, um das neue Terrain genau zu recognosciren. Spaßhaft war die Begrüßung mit den älteren Genossen; während der Gorilla jede Annäherung vermied und ängstlich schrie, wenn es geschehen sollte, war der Chimpanse schon zutraulicher und ließ sich mit dem neuen Gast viel eher ein.

– Die Renovirung des Architektenhauses ist soweit vorgeschritten, daß der Architektenverein am nächsten Montag die erste Wintersitzung darin abhalten kann. Die neue Ausstattung des Lokals ist nach den Plänen des Baumeisters Gustav Knoblauch ausgeführt worden, der namentlich dem hinter der Rotunde gelegenen Theile, der von der geographischen und der militairischen Gesellschaft regelmäßig benutzt wird, ein behaglicheres Aussehen verliehen hat. Die Pfeiler und Wände sind bis zur Augenhöhe mit einer dunkel gehaltenen Holzverkleidung versehen worden, während der Abschluß nach dem Mittelgang durch Pfosten und kleine Ballustren in wirkungsvoller Schnitzerei erfolgte. In den Mittelnischen, die gewöhnlich den geselligen Vereinigungen der genannten Gesellschaften dienen, soll einerseits ein eleganter Kamin aufgestellt werden, welchem gegenüber ein hübscher Aufsatz den Luftabzug angemessen decoriren wird. Die Malerei der vorderen Räume ist ebenfalls völlig erneuert worden und ist es beabsichtigt, durch geschmackvolle Heizkörper auch hier die Gesammterscheinung des Lokals zu heben.

– Gestern wurde in dem altdeutschen Wirthshause „Zum Landsknecht“, Jägerstraße 13., dessen interessanter, stilvoller Einrichtung wir kürzlich gedachten, ein neuer Anner [?] der „Marschallsaal“ eröffnet. Die bedeutende Zugkraft, die das Lokal ausübte, hat den Wirth, Herrn Franz Hitze, veranlaßt, schon so bald diese Erweiterung vorzunehmen. Wie die älteren Räume in altdeutscher Renaissance gehalten, ist der Marschallsaal durch seine künstlerische Ausschmückung besonders bemerkenswerth. So bildet die von Wilhelm Lehmann prächtig gemalte Decke eine getreue Copie derjenigen im böhmischen Landtagssaale des Hradschin zu Prag; die Wände des Raumes zeigen drei von Striemer nach Originalen überlebensgroß ausgeführte Portraits, nämlich das des Grafen Eitel Friedrich von Zollern, des Kaiser Maximilian und des Ritters Georg von Frundsberg, weiter in Kupferstich die Helden der letzten großen Kriege. An den Fensterpfeilern haben Frauenbildnisse aus alter deutscher Zeit Platz gefunden, die auf den Panneelen aufgestellten Krüge und sonstigen Schaugefäße sind sämmtlich Originale, welche zum Theil die Spuren des Alters auch dem Laienauge ...

(6) ... nicht verbergen, den Kenner dafür selbstverständlich um so mehr befriedigen. Am Eröffnungstage debütierte der Geschäftsführer des schönen Lokals, Herr Fritz Schachowski, mit einem Festbanket vor geladenem Publikum, bei welchem die neueste Specialität der Tucher’schen Brauerei, ein helles Bier, das hier unter der Bezeichnung „Landsknecht-Bier“ verzapft werden soll, zur Prüfung gelangte.

– In Ausführung des neuerdings ergangenen Rescripts des Ministers des Innern über die Feuerversicherung der verpfändeten Gegenstände bei Pfandleihern, nach welchem die Pfandleiher und nicht, wie das Kammergericht entschieden hatte, der Verpfänder die Feuerversichungsprämie aufbringen muß, sind, wie wir hören, vor einigen Tagen die Inhaber von Pfandleihgeschäften nach ihren Polizeirevier-Bureaus beschieden worden, wo ihnen das bereits erwähnte Rescript des Ministers vorgelesen wurde. Darauf wurden die Pfandleiher aufgefordert, eine Erklärung zu unterschreibne, laut welcher sie ihre Kenntniß von der ministeriellen Bestimmung bescheinigen. Einzelne Pfandleiher haben die Unterschrift verweigert und beabsichtigen, gegen die Bestimmungen des Rescripts unter Berufung auf die Entscheidung des Kammergerichts Einspruch zu erheben. Der Verein Berliner Pfandleiher gedenkt in demselben Sinne zu verfahren.

– Die nächste Ausgabe des Reichs-Coursbuchs, welcher die Winterfahrpläne enthält, erscheint am 15. Oktober. Preis 2 Mk.

– In Folge der Legung von Pferdebahngeleisen auf dem Molkenmarkt, dem Treffpunkt der neuen durch die Spandauer und Stralauer Straße führenden Linien, erhält dieser Platz jetzt Wiener Pflaster. Zugleich wird in der Mitte des Platzes ein Inselperron geschaffen.

– Die 60 Jahre alte Wittwe S. Und ihr 40jähriger Sohn, der Kaufmann B., sind gestern wegen Verbrechens gegen die Sittlichkeit verhaftet worden.

– Noch nicht recognescirt ist ein taubstummer Knabe im Alter von 12 Jahren, den man am vorigen Sonntag Abend auf dem Bahnhof der Verbindungsbahn in Rixdorf antraf und der seitdem durch die Polizei im dortigen Gemeindehause untergebracht ist.

– In den Anstalten der Aktiengesellschaft für Wasch- und Badeanstalten, Schillingstr. 7.9. und Auguststr. 212., wurden im Monat September c. Verabreicht: 14168 Männerbäder, 4037 [?] Frauenbäder. Gewaschen wurde von 2619 Personen 8632 Stunden.

– Im verflossenen Monat September nächtigen im Männerasyle des Berliner Asyl-Vereins für Obdachlose 8991 Personen, wovon 1919 badeten; im Frauenasyle nächtigten 1686 Personen, von denen 241 badeten. Im September v.J. nächtigen im Männerasyle 7565 Personen, von denen 1592 badeten, und im Frauenasyle 1320, wovon 170 badeten.

– (Polizei-Bericht.) Am 4. d. M. Abends wurde der Arbeiter Schikora von dem Arbeiter Schulze an der Ecke der Prinzen und Wasserthorstraße nach vorangegangenen Zwistigkeiten durch einen Stoß niedergeworfen und fiel dabei so auf die Kante der Bordschwelle, daß er einen Bruch der linken Kniescheibe erlitt und nach Bethanien gebracht werden mußte. – Am 5. d. M. Morgens wurde ein Dienstmädchen in der Wohnung seiner Herrschaft in der Fehrbelliner Straße todt aufgefunden. Dasselbe hat sich, wie festgestellt, durch Zuckersäure vergiftet. – An demselben Tage Mittags sprang ein Dienstmädchen in selbstmörderischer Absicht in der Nähe der Drakestraße in den Landwehrkanal, wurde jedoch durch den Stuckateur Fröhlich gerettet und später seiner Herrschaft wieder zugeführt. – An demselben Tage Nachmittags wurde im Thiergarten in der Nähe der Lichtenstein-Allee der obdachlose Arbeiter Gründberg krank aufgefunden und zur Charité gebracht. – Der Kutscher Wilhelm Ranft fiel an demselben Tage Abends, als er vor dem Hause Spandauer Brücke 8. im trunkenen Zustande einen Pferdebahnwagen besteigen wollte, auf das Straßenpflaster und erlitt dabei eine so bedeutende Verletzung am Kopfe, daß er in das St. Hedwigskrankenhaus gebracht werden mußte.


Vermischtes.

Potsdam, 5. Oktober. (Priv.-Mitth.) Die hiesige Literarische Gesellschaft hat heute ihre Thätigkeit wieder aufgenommen. Um 7 Uhr eröffnete in Karl’s Hotel der Director, Prtofessor Buttmann, die Versammlung mit der Erinnerung an den Verlust, den die Gesellschaft durch den Tod des Garteninspectors Lanche [?] erlitten. Dann übermittelte der Schriftführer W. Riehl eine Mittheilung von dem stellvertretenden Direktor Dr. Hausmann, die am 17. v. M. an dem Niagara-Fall geschrieben worden, gab ferner Nachricht von mancherlei literarischen Eingängen und schilderte schließlich in einem freien Vortrage unter der Bezeichnung: „Von dies- und jenseits der Alpen“ vornämlich die Fülle der Eindrücke, welche die Gotthardbahn und ihre Umgebung sowie der große Tunnel derselben, eine Fahrt über den Comer-See, der Besuch der Villa Serbelloni bei Bellaggio, in der jetzt auch Prinzessin Wilhelm geweilt hat u.s.w., hervorrufen. Später gab Herr Lehrer Wagener noch einige Gedichte aus der neu erschienen Sammlung: „Schelmische Lieder“ zum Besten.

– Kleine Mittheilungen aus der Mark. Spandau, 6. Oktober. (Priv.Mitth.) Der Schifffahrtsverkehr auf den hiesigen Gewässern hat sich gegen ds Vorjahr nicht unwesentlich gehoben. Während 1882 im Ganzen etwas über 11 000 Fahrzeuge die hiesige Schleuse passirten, ist in diesem Jahre diese Zahl schon beinahe erreicht. Die Frequenz betrug im Juni rund 1800 Schiffsgefäße, im September noch etwa 1500. Viele Fahrzeuge wurden durch den Kettendampfer die Spree heraufgeschleppt, die sonst noch die hiesige Schleuse passirt hätten. Die Zahl der hier durchgeschleusten Holzflöße ist 1882 noch unter 5000 geblieben. Die Brandenburger Schleuse haben im Vorjahre etwas über 16000 Schiffsgefäße passirt. Die Ursache in dem Zahlenunterschiede zwischen der dortigen Schleuse und der hiesigen liegt darin, daß viele Schiffer auf der Fahrt nach Berlin bei günstiger Tiefe und passendem Wind die Spree herauffuhren und die hiesige Schleuse nicht berührten, was künftig in noch größerem Maße der Fall sein wird. Das Wasser ist hier in den letzten Tagen bedeutend gestiegen. Während es vor acht Tagen am Pegel der Oberhavel noch nicht die Höhe des Sommermaßes, 2 Meter 35 Centimeter hatte, steht es heute schon auf 2,10 [?] Meter. Der in Folge dessen zunehmende Strom macht den stromaufwärts fahrenden Schiffern das Passiren der hiesigen Brücken sehr schwer. Mit der oberhalb der heieisgen Charlottenburger Brücke aufgestellten Gaswinde sind in letzter Zeit an versc hiedneen Tagen ca. 70 beladene Fahrzeuge durchgebracht worden. Die Hamburger Eisenbashn hat oberhalb ihrer Nothbrücke eine Handwinde aufstellen lassen, die fast beständig in Thätigkeit ist.

– In welch’ fürsorglicher Weise das Wild in der Mark gepflegt wird, zeigen die Submissionen, welche zur Beschaffung von Futter für den Winter ausgeschrieben werden. So verlangt die Oberförsterei in Königs-Wusterhausen ca. 630 Ctr. Wiesen- und 150 Ctr. Lupinenheu, 77 Ctr. Mais und 1000 Scheffel Kartoffeln. Im Forstrevier Grunewald werden gebraucht 300 Ctr. Wiesenheu, 400 Ctr. ungedroschene reife Lupinen und 150 Hektoliter Kartoffeln, und für den Hammer’schen Wildpark 2500 Neuscheffel rother Erdäpfel. – Schönwalde (Ke. Niederbarnim), 5. Oktober. Der Weg zwischen hier und Buchhorst ist wegen Ausführung von Pflasterungsarbeiten auf 14 Tage gesperrt worden.

– Die vom Regierungspräsidenten erlassene Verordnung in Bezug auf die Benutzung der beiden Schleusen in Brandenburg a. H. seitens der den Brandenburger Havelstau passirenden Fahrzeuge und Flöße ist jetzt mit ministerieller Genehmigung dahin abgeändert worden, daß den Schiffern bis auf Weiteres die Wahl der Schleuse gestattet ist. Flöße dürfen dagegen nach wie vor nur die Vorstadtschleuse benutzen.

– Aus dem Kreise Oberbarnim, 5. Oktober. (Priv.-Mirtth.) Die Kirche in dem Dorfe Alt-Rauft bei Freienwalde a.O. war am Ernte-Dankfest ganz besonders geschmückt worden. Durch die Frau Gräfin v. Hacke, Gemahlin des Kirchenpatrons, hatten Altar und Kanzel eine neue Bekleidung erhalten von rothem Tuch mit Goldstickerei. Ein Herr hatte ein Bibelpult mit demselben Stoff bekleidet, gespendet. Die Jungfrauen der Gemeinde hatten Altar- und Kirchenteppich in stilvollen Mustern geschenkt und die Jünglinge zwei schöne zweiarmige Wandleuten von Bronce mit Glasbehang für die Seiten der Kanzel. Der Altar war für dieses Fest von dem gräflichen Gärtner mit Topfgewächsen und den verschiedensten Garten- und Feldfrüchten geschmückt worden.

– Havelberg, 6. Oktiber. Ueber einen im nahen Wittenberge vor einigen Tagen verübten Todtschlag berichtet das heutige „Wochenblatt“. Danach gerieht in einer dortigen Restauration ein Gast mit dem Vertreter des Wirthes in Streit, weil er sein Bier mit Branntwein versetzt fand. Im Verlauf des Wortwechsels soll nun der Wirth den Gast mit einem Seidelglas den Schädel zerschlagen haben.

– Guben, 6. Oktober. (Priv.-Mitth.) Besonders groß ist in diesem Jahre die Menge der hier gewonnen Aepfel und haben die Besitzer Noth, dieselben preiswerth zu verkaufen. Die Folge ist, daß in diesem Jahre ungeheure viel Apfelwein gepreßt wird. Man muß aber fürchten, daß dies stellenweise auf Kosten der Güte desselben geschieht, denn es herrscht Mangel an brauchbaren Gefäßen und an den zur Bereitung nothwendigen Geräthen; auch wird die Auswahl der Früchte und die Bereitung manches zu wünschen übrig lassen. Weniger Noth machen die Weintrauben, welche zu annehmbarem Preise als Eßwein verkauft werden. Die Trauben sind meist reif, könnten aber theilweise noch etwas dünnschaliger und saftreicher werden.

– In der Provinz Sachsen coursiren falsche Fünfmarkscheine, deren Nachahmung mittelst Abzuges oder Abklatschens so geschickt ausgeführt worden ist, daß der Unterschied der echten von den falschen Scheinen nur sehr schwer und zwar nur daran zu erkennen ist, daß über dem „ö“ im Namen Löwe die Striche fehlen, daß ferner die rechte Hand der rechts dargestellten Figuren undeutlich ausgeprägt ist und die kleine Schrift der Rückseite an vielen Stellen verwischt ist.

– Ueber den angeblichen Verkehr Schumann’s mit „kirchlichen Würdenträgern“ wird der „Germ.“ geschrieben: „Wallgreen-Schumann ist niemals empfangen worden vom Secretair des h. Vaters, bei dem er mehrere Male anfragte. Nur ein Mal wurde er vom Cardinal Jacobini empfangen, und zwar auf Grund einer Empfehlung des Gesandten. Der Substitut des Cardinal-Staatssecretairs Mocenni, der hie und da interviewt wurde, verhielt sich immer ablehnend. Schumann stand in lebhaftem Verkehr mit Herrn f. Rothenhan [?] [von der preußischen Gesandtschaft).“ Die Freiburger Morgen-Ztg.“ bemerkt: „Schumann, so ist der wirkliche Name dieses Schwindlers, ist bereits vor fünf Jahren auf Veranlassung des Redakteurs dieser Zeitung (dieselbe ist von Wilhelm Krüger gezeichnet), der damals Redacteur des „Economista“ in Florenz war, wegen gemeiner Verbrechen an Deutschland ausgeliefert und auch in Magdeburg verurtheilt worden. Der italienische Justizminister Mancini reclamirte Schumann, der sein Günstling war, auf Grund eines begangenen Formfehlers bei Gelegenheit der Auslieferung, und da die Reclamation begründet war, mußte dieser Schwindler dem italienischen Herrn Justizminister auf Kosten Preußens zweiter Klasse nach Neapel zurückgeschickt werden. Kurze Zeit darauf überwarf sich Schumann wegen seiner Frau, einer geborenen v. Normann, mit Mancini, fälschte ein päpstliches Breve, gab sich als nubischer Missionar aus und ging mit der Tochter eines Freunds des Herrn Minister Mancini durch. Uebrigens war Schumann seiner Zeit auch bezahlter Zeitungsschreiber des inzwischen verflossenen und famosen italienischen Ministers Nicolera, stahl auch dem, unseres Wissens auch noch lebenden Professor Genaralli in Florenz ein Bündel geheimer Papiere Papst Pius IX., welche Generalli in seiner Eigenschaft als pästlicher Syndicus zuvor Antonelli entwendet hatte, und bot solche mit beispielloser Frechheit der deutschen Regierung noch zum – Kauf an, natürlich erfolglos.“

Memel, 4. Oktober. In der letzten Nacht ging zwischen Proeculs [?] und Heydekrug ein Wolkenbruch nieder, welcher abgeschwächt bis über Memel und entgegengesetzt bis über Tilsit hinausreichte, in seiner verderblichen Richtung aber nach Rußland ging. Große Wasserflächen breiten sich überall über Wiesen, Wintersaaten, Kartoffeln etc. aus, und die abstürzenden Wassermassen haben die Bahn- Brücken, Dossirungen so stark weggespült und unterspült, daß heute vor jedem Durchlaß der Zug halten, untersuchen und mit großer Vorsicht die gefährdeten Stellen passiren mußt. Wo mangelnder Abzug, werden die Wintersaaten, Kartoffeln etc. verloren sein, wie auch verspätete Haferfelder, Grummet und der Flachs auf der Spreite fortgeschwemmt sind. Auch Freund Lampe mußte bluten, der triefend durch das Wasser auf Kupfe sich zu retten versuchte. Heute Mittag klärt sich das Wetter.

– Danzig, 4. Oktober. (Danz. Ztg.) Der Eigenthümer und Zimmergeselle Albrecht Friedrich Mielke zu Ohra wurde durch Erkenntniß der Strafkammer des hiesigen Landgerichts vom 13. März d. J. wegen Diebstahls zu einem Jahr Gefängnis verurtheilt, und die sofortige Inhaftnahme des Mielke beschlossen. Inzwischen wurden von der Ehefrau des Angeklagten so viel neue Thatsachen ermittelt, daß die Strafkammer unterm 21. Juli 1883 beschloß, die Verhandlung der Sache wieder aufzunehmen. Mielke war inzwischen am 1. Juli c. vorläufig aus der Haft entlassen. Die gestrige neue Beweisaufnahme lieferte nun für den Angeklagten so günstiges Resultat, daß die Strafkammer das Erkenntniß vom 13. März d. J. Aufhob und den Angeklagten von Strafe und Kosten freisprach; auch beschloß der Gerichtshof das Erkenntniß amtlich zu veröffentlichen.
– Aus Oberschlesien, 5, Oktober. Aus Chorzow wie der „Bresl.Z.“ geschrieben: Als Mittwoch Abends der hiesige Förster Schwinoch im Begriff war, seine unterhalb des hiesigen Waldes belegene Wohnung aufzusuchen, wurde er von einem vagirenden Harmonikaspieler erschlagen und vollständig beraubt, so daß bei der Leiche nicht einmal das Hemd vorgefunden wurde. Der Mörder ist in derselben Nacht noch in Königshütte verhaftet worden, wo er in einem Grundstück an der Kronprinzenstraße die geraubten Sachen verbergen wollte und hierbei von einem Nachtwächter abgefaßt wurde.

– Wie die „Schles. Ztg.“ aus Waldenburg i. Schl. erfährt, sind am 3. d. M., Abends, sämmtliche Werthpapiere, die auf der Tour von Waldenburg und Glatz nach Görlitz befördert wurden, auf bis jetzt noch nicht aufgeklärte Weise verloren gegangen.

– Ein neuer Eisenbahnunfall ist in Erfurt vorgekommen. Dort hatte in der Nacht vom 4. zum 5. der Bahnwärter Koch an der Steigerchaussee die Barrière längs des südlichen Glkeises gegen 2 Uhr geschlossen, als er auch die gegenüberliegende Barrière schließen wollte und deshalb den Bahnkörper überschritt. In diesem Augenblicke brauste aber auch, wie die „Thür. Ztg.“ meldet, in der Richtung von Eisenach der Courierzug heran, erfaßte den Unglücklichen, der etwa 50 Schritte weit geschleift und alsbald getödtet wurde; der Kopf war mitten entzwei gefahren, ein Arm und die Zehen waren abgerissen; der Verunglückte hinterläßt eine Wittwe und vier Waisen.

Frankfurt a.M., 5. Oktober. In einem „Eingesandt“ des „Frankf. Journ.“ bekennen sich folgende Personen als Genossen der Herren Meister und Spieß bei dem nächtlichen Attentat vom 27. September gegen das Sonnemann’sche Haus: L. Bernus, stud. jur., A. Brentano, stud. med., R. Winterwerb, cand. Jur.
Dresden, 5. Oktober. Bei Oelsnitz im Erzgebirge brennt der Hedwigschacht; die Flammen schlagen aus der Schachtmündung hervor; die Belegschaft hat sich durch den Friedensschacht zu retten vermocht.

– Aus Mecklenburg-Schwerin, 5. Oktober. (Priv.Mitth.) Die „Rostocker Ztg.“ enthält heute aus Warnemünde
die Meldung, daß die aus zehn Mann bestehende Besatzung der preußischen Bark „Hermann“, Capitain Rieck, von der mecklenburgischen Bark „Rosalie Ahrens“, Capitain Alberg Meutz, auf der Reise nach Archangel auf einem Boote umhertreibend gefunden und glücklich an Bord des mecklenburgischen Schiffes geborgen ist. Die Leute waren auf ihrem Boote bereits seit vier Tagen dem Hunger und der Kälte preisgegeben.

Paris, 4. Oktober. (Priv.-Mitth.. d. „Voss.Ztg.“) Der schon längst vorausgesagte und befürchtete Häuserkrach ist zwar noch nicht eingetreten, aber es mehren sich die Anzeichen der großen Verlegenheit, in welcher sich viele Hauseigenthümer befinden. Viele derselben vermögen das Gas und Wasser nicht mehr zu bezahlen, dessen ihrer Häuser bedürfen; namentlich in dem neuen prachtvollen Stadtviertel hinter dem Parc Monceau ist dies der Fall. Die Friedensrichter des siebzehnten Bezirks haben daher in jeder Sitzung eine Anzahl Hauseigenthümer zu verurtheilen, welche von ihren Miethern verklagt worden, weil die ausbedungene Beleuchtung der Hausfluge und Treppen, sowie die Speisung der Wasserleitung unterbleibt. In den meisten dieser Häuser ist nur der kleinste Theil der Wohnungen vermiethet, so daß der Ertrag derselben nicht zur Deckung der Grundschuldzinsen ausreicht. Außerdem werden alle diese Hauseigenthümer von den Bauhandwerkern auf Zahlung verklagt und die Miethen mit Arrest belegt. Ein einziger Gerichtsvollzieher hat für dieses Quartal 124 dieser Beschlagnahmen bewirkt. Da die Hauseigenthümer nichts einnehmen, können sie Wasser und Gas nicht bezahlen und wird ihnen dies abgeschnitten. Dabei handelt es sich meist um Häuser, welche zu den schönsten gehören, welche in den letzten Jahrzehnten gebaut wurden. Die Lage droht noch schlimmer zu werden, denn die Geschäftslage hat sich in den letzten Wochen, hauptsächlich in Folge der Ereignisse in Spanien und der Hetze gegen den König Alphons, bedeutend verschlechtert. Haben doch mehrere der bisher blühendsten großen Mode- und Schnittwaarengeschäfte ihr Personal vermindern müssen.

– In der Umgegend von Paris hat die Weinlese begonnen. Dieselbe übertrifft hinsichtlich der Menge und Güte weitaus die vorjährige, so daß die Winzer sich sehr befriedigt zeigen. Wie gewöhnlich strömen daher auch eine große Zahl Pariser Arbeiter nach den Weinbauorten, besonders nach Suresnes und Argenteuil, um bei der Weinlese zu helfen. Diese ist von einer Art kleiner Jahrmarkt und verschiedenen Lustbarkeiten begleitet; Abends wird in einigen Kneipen von Winzern und Winzerinnen tüchtig getanzt.

– London, 4. Oktober. Der von der Corporation von London erworbene Park von Burnham mit den berühmten alten Buchen, die eine der Sehenswürdigkeiten Englands bilden, wurde gestern von dem Herzog von Buckingham als öffentlicher Park eröffnet, „welcher für ewige Zeiten dem Volke zur Erholung und zum Vergnügen dienen soll.“

Journal- und Bücherschau

– Der im Verlage von G. Goldschmidt hier so eben erschienenen antiquarische Katalog über Musik, Theater und Verwandtes enthält u. A. auch die Bibliothek des Wolterdorff’schen Theaters, welche, wie wir seiner Zeit gemeldet, Herr Goldschmidt erworben hat.

– Die Nummer 40. der „Zeitschrift für Spiritusindustrie“ enthält: Wochenumschau. A Wirthschaftliches; b. Theoretisches und Technisches. – Correspondenzen und kleine Mittheilungen: Controle des Thermometers. Soll man die Preßhefefabrikation mit Stärkefabrikation verbinden? Ist mein Verfahren der Preßhefefabrikation fehlerfrei? Berechtigt die diesjährige Kartoffelernte den jetzigen Spirituskrach? Soda zur Lockerung des Kesselsteins u.s.w.

[Witterungsbericht ..... ]

Telegraphische Depeschen.

Paris, 6. Oktober. Einer Depesche aus Bangkok zufolge sollen chinesische Räuberbanden einen Einfall in die Nordostprovinz von Siam gemacht haben.


(Nach Schluß der Redaction eingetroffen.)
Laibach, 6. Oktober. Der Landtag hat, entsprechend dem Antrage des Ausschusses, die Mandate der verfassungstreuen Abgeordneten des Großgrundbesitzes agnescirt. Die Mehrzahl der Mitglieder der slovenischen Majorität stimmte mit den Deutschen.
Madrid, 6. Oktober. Dem Könige wurde heute eine Protesterklärung der hiesigen französischen Colonie gegen die Pariser Demonstration durch den Ministerpräsidenten Sagasta überreicht. – Die Demission des Kriegsministers Thibaudin hat hier einen günstigen Eindruck hervorgerufen.


Bremen, 6. Oktober. Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Straßburg“ ist am 5. d. In Baltimore eingetroffen.


Frankfurt a. M., 6. Oktober, Abends. Effecten-Societät, (Schluß) Creditaktien 247[?] Franzosen 270 [?], Lombarden 129[?], Galizier 246[?], Marienburg-Mlawia 106 [?], Hess Ludwigsbahn 113[?]. Still.
Hamburg, 6. Oktober. Oesterr. Abendbörse. Creditaktion 247[?], Ostpreußische Südbahn [?]34, Hess Ludwigsbahn 113[?]. Sehr still.
Paris, 6. Oktober. Bolev. Verkehr. 3 Proc. Rente 77,67[?] 41/2 proc. Anleihe 107,57[?], Italiener 91,07[?], Türkenloose 47,75, Spanier 57,40, Egypter 362, Banque ottomane 732. Leblos.

= Zahlen, v.a. Bruchzahlen schlecht lesbar

(7) Der Zweig-Verein des vaterländischen Frauen-Vereins in Ostrowo, Regbz. Posen, beabsichtigt, angesichts der hier herrschenden Noth unter unserer Armenbevölkerung für de Wintermonate eine Suppenanstalt für die Armen ohne Unterschied der Confession am hiesigen Orte einzurichten, auch armen Kindern täglich ein warmes Frühstück zu verabreichen. Da uns Mittel dazu fehlen wollen wir eine Verloosung veranstalten und wir bitten wohlwollende Menschen, uns bei diesem Werke der Mildthätigkeit durch Zusendung von Geschenken für diese Verloosung unterstützen zu wollen. Die Verloosung soll Anfang November stattfinden.
Der Vorstand des Vaterländischen Frauen-Vereins.
Amanda Schirmer, Vorsitzende. Lucie Flieck. Minna Geest. Eilie Landé. Heiodora Kainke. Emilie Gehlich. Mathilde Smietowska. Mützell, Schatzmeister.

Liberale Wählerversammlung III. Abth. (Stadtbez. 17 – 20., 22.)
Montag d. 8. October, Abends 8 Uhr in Martens Saal, Dorotheenstr. 57.
Vortrag des Stadtverordn. Dr. O. Hermes.

Gesellschaft der Freunde [hebr.]
Neue Friedrichstr. 35. f. Einlaßkarten z. Gottesdienst zu haben.
Clubhaus [hebr] Krausenstr. 10.
Billets sind daselbst zu haben. Baumann.

Der Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes versammelt sich Montag, den 8.d.Mts., Abends 6 Uhr im Gewerbehause Klosterstr. 36.

Verein Einfachheit!
Das erste Kränzchen findet am Sonnabend, den 13. October im Freising‘schen Saal statt.
Der Vorstand.

Verein der Musiklehrer u. Lehrerinnen.
Dienstag, den 9., Abends 9 Uhr, Sitzung im Stappenbeck‘schen Saale, Friedrichstr. 236.: Vortrag des Herrn Paul Seiffert: „Ueber die Lehre vom Vortrag beim Klavierunterricht, eine methodische Betrachtung.“ Balletage.

Die Unterzeichneten erstatten hierdurch sämtlichen Freundinnen, Freunden, Verbands-Collegen, Bekannten und Verwandten von Fern und Nah für die uns in so reichlichem Maße zugegangenen Ueberraschungen zu unserer Silbernen Hochzeit Geschäfts-Jubiläum und Geburtstag den innigsten und wärmsten Dank. Berlin, 2. October 1883.
Peter Joseph Link und Frau.
Humboldt-Akademie.

Montag d. 8. Okt., Ab 7 Uhr, Georgenstrasse 30/31., Gesangsaal, Eröffnung des 6. Studienjahres, Hierauf 8 Uhr Beginn der Vortragscyklen: Lic. Dr. Kirchner, Geschichte der Philosophie, v. Doc. E. Döring, Experimental Chemie. Eintritt für Herren und Damen frei. Ausführl. Lehrprogramme etc. gratis im Bureau Centralhotel, Laden 14., und Invalidendank“.

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Fritz Gurlitt. Kunstsalon. 29. Behrenstrasse. Eröffnung der Herbst-Ausstellung Montag den 8. Oktober. Werke von Boecklin, Angely, G. Richter, Lenbach, Scherres v. Klever, Max u.A.m. Gemälde der französischen Impressionisten. Eintritt incl. Katalog Mk 0,50- Geöffnet von 10-4 Uhr. Sonntags – 11-3.

National-Panorama, Herwarthstrasse. Sturm auf St. Privat. Gemalt von Prof. Emil Hünten u. W. Simmler. Geöffnet Morgens 9 Uhr bis zur Dunkelheit. Entrée 1 Mk. Soldaten und Kinder die Hälfte.

Sedan-Panorama, Rundgemälde von A. Von Werner und E. Bracht, am Bahnhof Alexanderplatz. Geöffnet von 9 Uhr Vorm. Bis 11 Uhr Nachts, von Beginn der Dunkelheit an electrische Beleuchtung. Entrée 1 Mark. Soldaten und Kinder unter 10 J. Die Hälfte.

Bau- und Kunstgewerbe-Ausstellung im Architektenhause W. Wilhelmstr. 92. Täglich Ausstellung und Verkauf von Gegenständen des Bau- und Kunstgewerbes. Geöffnet von 9-4 Uhr. Entrée 50 Pf.

Castan’s Panopticum. „Marian“, die größte Dame der Welt. 11 bis 1 Uhr und 4 bis 81/2 Uhr. Entrée 50, Kinder 25 Pf. Incl. Panopticum und Mikroskopisches Aquarium.

Berliner Aquarium. Unter den Linden 68a. Heute, Sonntag. Eintrittspreis 50 Pf. Neu ausgestellt: die vier Anthropomorphen: Gorilla, einzig lebendes Exemplar in Europa, Chimpanse, Orang Utan und Gibbon. - Skelet eines Bartenwales.

Deutsche Kunstgewerbe-Halle zu Berlin im „Rothen Schloß“.
Den verehrt. Interessenten machen wir hierdurch die Anzeige dass der Termin für die Eröffnung der
Spezial-Ausstellung für angekleidete Spielpuppen auf den 15. November d. J. festgesetzt ist. - Die Dauer der Ausstellung soll sich auf den Zeitraum von 2 Monaten erstrecken. Für die besten Leistungen kommen nach dem Urtheilsspruch der Jury drei Preise (300.200,100 Reichsmark) nebst Anerkennungsdiplomen zur Verteilung. Den zahlreichen Anfragen gegenüber bemerken wir, dass auch Privatpersonen als Aussteller zugelassen werden. Prospecte Bedingungen und Anmelde-Formulare können kostenfrei bezogen werden durch das Bureau der Deutschen Kunstgewerbe-Halle zu Berlin im „Rothen Schloß“.
Berlin, den 6. Oktober 1883 Die Direktor: Fischer.

Königliche Schauspiele.

Sonntag.
Im Opernhause. 199. Vorstellung. Die lustigen Weiber von Windsor. Komisch-phantastische Oper in 3 Akten, nach Shakespeare‘s gleichnamigem Lustspiele gedichtet von H. S. Von Mosenthal. Musik von O. Nicolai. Tanz von Hoguet. Anfang 7 Uhr.
Im Schauspielhause. 198. Vorstellung. Narziß. Trauerspiel in 5 Akten von A. E. Brachvogel. Anfang 7 Uhr.

Montag.
Im Opernhause. 200. Vorstellung. Die Afrikanerin. Oper in 5 Akten von E. Scribe, deutsch von F. Gumbert. Musik von Meyerbeer. Ballet von P. Taglioni. (Frl. Pollack, Fr. v. Voggenhuber, Hr. Niemann, Hr. Oberhauser.) Anfang 6 ½ Uhr.
Im Schauspielhause. 199. Vorstellung. Er muß auf‘s Land. Lustspiel in 3 Akten, frei nach dem Französischen des Bayard und de Bailly, von W Friedrich. Anfang 7 Uhr.

Dienstag.
Im Opernhause. 201. Vorstellung. Auf Begehren: Satanella. Phantastisches Ballet in 3 Akten und 4
Bildern von Paul Taglioni. Musik von Pugui und P. Hertel. Anfang 7 Uhr.
Im Schauspielhause. 200. Vorstellung. Manfred. Dramatische Dicchtung in 3 Akten von Lord Byron, nach der Uebersetzung von Gildemeister. Musik von Robert Schumann. Anfang 7 Uhr.

Deutsches Theater.

Sonntag, den 7. Oktober: Minna von Barnhelm.
Wochen-Repertoire:
Montag, den 8.: Minna von Barnhelm.
Dienstag, d. 9.: Kabale u. Liebe.
Mittwoch, d. 10.,
Donnerstag, d. 11. u.
Freitag d. 12.: Krisen. Lustspiel in 4 Akten von Bauernfeld.
Sonnabend, d. 13.: Minna von Barnhelm.
Sonntag d. 14.: Krisen.


Neues Friedrich-Wilhelmsst. Theater.
Sonntag: [...]: Eine Nacht in Venedig. Operette in 3 Akt. v. Zell u. Genée. Mus. v. J. Strauß.
Montag: Eine Nacht in Venedig.

Wallner-Theater.
Sonntag [...] Z 9. M:
Montag Z 10. M: Ein gemachter Mann.

Victoria-Theater.
Z. 261. Male: „Frau Venus“.

Residenz-Theater.
Gastsp. d. Frl. Kathi Frank vom Stadttheater in Hamburg.
Sonntag und Montag: Die Prinzessin von Bagdad.
Dienstag. Neu einstudirt: Odette.

Belle-Alliance-Theater.
Sonntag. Gastspiel d. Herrn Th. Lebrun, Director des Wallner-Theaters, und seiner Mitglieder. Z. 15. M.: Die Rosa Dominos. Posse in 3 Akten von Dèlacour und A. Henneguis. Vor der Vorstellung: Concert der Hauskapelle, unter Leitung des Kapellmeisters Herrn G. Loeser. Anfang derselben 51/2 Uhr. Anf. d. Vorst. 7 Uhr.
Montag und folgende Tage: Die Rosa Dominos.

Walhalla-Operetten-Theater.
Sonntag, den 7. Oktober. Zum 27. Male: Die Tochter des Tambourmajor. Kasseneröffnung 6 Uhr. Anfang 7 Uhr. Morgen: Dieselbe Vorstell.

Central-Theater. Alte Jakobstr. 30. Direction: H. Wilken. Prolog. „Ehrliche Arbeit“. Kassenöffnung 51/2 Uhr. Anfang 7 Uhr. Montag: Dieselbe Vorstellung. Anfang 71/2 Uhr.

Theater der Reichshallen. Sonntag. Große Vorstellung. Anf. 7 Uhr. Gebr. Massini, span. Trio-Instrumental-Virtuosen, Japanesen-Truppe „Torikata“, Geschw. Monti, Solotänzerinnen, Mr. Alfonso, Jongleur, Johnson Family, Akrobaten, Frl. Zimmermann, deutsche Liedersängerin, Gebr. Leotard, Luftgymnastiker, Huline Broths, musik. Clowns, Fr. Margarethe Schmidt, Conertsängerin. Morgen Anfang 71/2 Uhr.

American-Theater.
Neu!!! Der beste Bauchredner der Jetztzeit Mr. Vox mit seinen 6 komischen Puppen. Neu!! Die ungarische Instrumentalistin Mlle. Arkas Djelma. Gr. Erfolg der Soloscene: Spinnebeen des urkom. Bendix. Anhaltender Beifall der engl. Duettisten Mr. Paulon, Miß Nelly. Auftreten des Original-Schnellzeichners Mr. Francois. Auftr. Des Verwandlungskünstlers Hrn. Harry. Anf. 71/2, Sonntags 6 Uhr.

Privat-Theater-Gesellschaft „Urania“, Wilhelmstraße 118.
Sonntag, den 7. Oktober: „Der Störenfried“. Lustsp. v. Benedix. Regie: Fr. Jäger-Rosen, Markgrafenstr. 16. Meldungen neuer Mitglieder bei d. Hrn. Lt. a.D. Braun, Elisabethufer 26., Hofphotographen Th. Jamrath, Bellalliancestr. 14., Kaufmann Sauerwald, Leipziger Straße 20.

Dramatischer Unterricht 4 Aufführ. monatl. (ohne Extrakost.) in den unter meiner Regie stehenden Privattheatern „Urania“ (v. 1792) u. „Eintracht hält Macht“ (v. 1849). A. Jäger-Rosen, Markgrafenstr. 16.IV.I.

Circus Renz
Markthallen – Karlstraße. Heute Sonntag, den 7. Oktober, Abends 7 Uhr. Zweite Vorstellung. Auftreten der neu engagierten Mitglieder, der Schulreiterin Mlle. Fillis, der Reit-Künstlerinnen Sigra. Elvira, Fräulein Schreiber, der Reitkünslter Mr. A. Wels, Mr. Hernandez, Mr. Gaston, Mr. Magni, der unübertrefflichen Luftgymnastikerinnen Siugra. Emma u. Teresita Guillos, ferner Auftreten des Schulreiters Herrn J.W. Hager. 12 Schimmelhengste, in Freiheit dressirt und zu gleicher Zeit vorgeführt von Hrn Fr. Renz. Die olympischen Spiele mit 4 eigens dazu dressirten ungarischen Vollblutpferden, ausgeführt von Mr. William. E. Renz, Direktor.

  1. Friedrichstrasse 12. Broekman’s Cuircus und Affentheater.
    Heute, Sonntag, den 7. Oktober: Zwei grosse Vorstellungen. Anf. der I. 4, Einl. 3 Uhr, der II. 7, - 6 -. H. Broekman, Direktor.

Königl. Akademie der Künste. Freitag den 12.d.Mts, Abends 7 ½ Uhr, im Saale der Sing-Akademie. 1. Abonnements-Concert. Unter Leitung des Herrn Kapellmeisters Professor Joachim. 1) Haydn . . Sinfonie B-dur. 2) Mozart . . Concert für die Violine, Herr Prof. Joachim. 3) Schumann . Ouverture zuu Genoveva. 4) Beethoven . Sinfonie F-dur (No. 8.) Loge à 15 Mk., Balkon à 10 Mk., sowie Tages-Billets hierzu à 4 und 2 Mk. In der Sing-Akademie bei H. Schaeff.

Abonnements-Concerte der Sing-Akademie. 1) Haendel „Josua“. 2) Alb Becker „Messe“ (B-moll). M. Blumner „Königspsalm“. 3) Haydn „die Jahreszeiten“. Abonnements zu 9 Mk. (Balkon 5 Mk.) bei unserm Hauswart. Den vorjährigen Abonnenten werden ihre Plätze bis zum 9. Oktober, Abends 6 Uhr, reservirt. Den zuhörenden Mitliedern (Jahresbeitrag 20 Mk.) steht zu diesen Concerten und deren Proben der Eintritt frei.

Montag, den 15. Oktober. Ab 7 ½ Uhr. Im Saale der Sing-Akademie Concert von Josef Kotek, mit dem Philharm. Orchester, unter gütiger Leitung von Herrn Prof. Joseph Joachim. Ouverture „Alchemyst“ . . . Spohr. 1. Concert (G-moll) . . . M. Bruch. Concert in ungar. Weise . . Joachim. Concert (E-moll) . . . . . Mendelssohn. Billets à 4, 4 u. 2 Mark bei Ed. Bote u. G. Bock.

Quartett-Abende. Joachim, de Ahna, Wirth, Hausmann. Donnerstag, den 18. d. Mts., Abends 7 ½ Uhr. Im Saale der Sing-Akademie. 1. Abend. 1) Haydn, Quartett, G-dur, op 17. 2) Schumann, do. F-dur, 3) Beethoven, do. Es-dur, op 74. Abonnements á 5, 3 u. 1,50 Mk. In der Singakademie bei H. Schaeff.

Freitag, den 19. Oktober 1883, Abends 7 ½ Uhr, im Saale der Singakademie. Concert mit Orchester von Felix Meyer, unter gütiger Mitwirkung von: Frl. Aus der Ohe, des kgl. Preuss. Kammersängers Dr. G. Gunz und des Philharmonischen Orchesters unter Leitung des Herrn Prof. von Brenner. Biullets à 4, 3, 2 Mk. Bei Herren Ed. Bote u. G. Bock, Leipziger Str. 37. u. U.d.Linden 3.

¬Abonn.-Concerte in der Philharmonie unter Hofkap.Mstr. Fr. Wüllner. 1. Concert (22. Oktober). Eine feste Burg ……. Bach. Parsifal (Schlusscene I. Akt) .. Wagner. Neunte Sinfonie …….. Beethoven. Billets bei Ed. Borte u. G. Bock, Leipziger Strasse 37. u. U.d.Linden 3,: I. Rang Loge 8 Mk., I. Parq. u. Parq.-Loge 6 Mk., I. Rang Balkon I. Reihe 6 Mk., II. Reihe 5 Mk., Entrée 2 Mk.

Mittwoch, d. 24. Oktober, Ab 7 ½ Uhr. Im Saale der Singakademie: Concert von Xaver Scharwenka, Emile Suraut, Heinrich Grünfeld. Billets à 4, 3 und 2 Makr bei Ed. Bote u. G. Bock.

Sonntag, d. 21. Oktober, Abds. 6 Uhr. In der Garnisonkirche: Concert des Riedel’schen Vereins aus Leipzig, unter Leitung seines Dirigenten Herrn Prof. Carl Riedel, und unter gütiger Mitwirkung der Herren Hofopernsänger Otto Brucke aus Dresden, Prof. Ad. Brodsky aus Leipzig (Violine) und Paul Hommeyer aus Leipzig (Orgel). Der Reinertrag ist für den Pestalozzi-Frauen-Verein zu Berlin, unter dem Protectorat J.K.K.H. der Frau Kronprinzessin, und jfür den Pestalozzi-Verein in Leipzig bestimmt.

  1. Fr. Kiel, Orgelfantasie. 2) Josquin de Près, Stabat mater. 3) Altböhmische Chorgesänge. 4) Seb. Bach, Die Furcht und die Hoffnung. 5) Seb. Bach, Ciaconna (Violine). 6) Franz Wüllner, de profundis. 7) Carl Banck, O Domino Deus. 8) Alb. Becker, Geistl. Dialog a.d. 16. Jahrh. 9) Goldmark, Air (Violine). 10) Franz List, Die Seligpreisungen. 11) Carl Riuedel, 2 belgische Weihnachtslegenden. 12) R. Volkmann, Weihnachtsmotette aus dem 12. Jahrh. Billets à 1, 2, 3 u. 5 Mk. Bei Hrrn Ed. Bote u. G. Bock und Herrn Garnisonküster Wendt, Neue Friedrichstrasse 46.

Abonnements-Concerte Hans Hasse, Louis Lübeck, im Saale des Hotel de Rome. I. Concert am 25. Oktober, unter gefälliger Mitwirkung von Frl. Marie Schmidtlein und Herrn Dr. Hans Bischoff. Billets, Abonnement für 3 Concerte a 6 Mk., Einzeln Billets a 3 Mk. Bei Ed. Bote u. G. Bock.

Sonnabend, den 27. d. Mts, Abends 7 ½ Uhr. Im Saale der Sing-Akademie: Concert von Waldemar Meyer. Billets zu Saal à 4 Mk., Vorsaal u. Loge à 2 Mk., Balkon à 1 Mk. In der Sing-Akademie bei H. Schaeff.

Montags-Concerte. I. Concert. Montag den 29. Oktober. Abds. 7 ½ Uhr. Im Saale der Singakademie: Unter gütiger Mitwirkung der Herren Franz Rummel und königl. Kammersänger Dr. G. Gunz. Abonnemens-Billets für 3 Concerte a 4,50 zu Saal und Loge, a 3 Mk. Zu Vorsaal und Balkon, Einzelbillets zu 2 und 1,50 Mk. Bei Ed. Bote u. G. Bock. Den geehrten Abonnenten des Vorjahres bleiben die früheren Plätze bis Donnerstag, d. 11. Oktober reservirt: der Verkauf für neue Abonnements und Einzelbillets beginnt am 12. Oktober. II. Cioncert 18. November, III. Concert 10. Dezember. Hellmich. Mancke.

Cäcilie-Verein. (Dir.: kgl. Musikdir. Alexis Hollaender.) In Vorbereitung für das 1. Concert: Das verlorene Paradies“ von Anton Rubinstein. Abonnements-Billets für zwei Concerte (Saal 6 Mk. Loge 4 Mk., Balkon 3 Mk.) bei Herrn Schäff in der Singakademie. Aufnahme neuer singender Mitglieder durch den Direktor, Schöneberger Str. 16., täglich 3 – 4 Uhr, sowie Sonntags Vormittag. Prospecte in allen Musikhandlungen.
Schnöpf’scher Gesangverein. Mit Allerhöchster Genehmigung; Freitag, 9. Novbr., Abds. 7 Uhr, in der Garnison-Kirche: Meinardus’ Luther in Worms“, grosses Oratorium.

Concert-Haus. Bilse-Concert. Sonntag Anfang 6 Uhr, Montag Anfang 7 Uhr.
Vorlese-Curs. Lesen und richtig schreiben kann in Deutschland wohl Jedermann. Richtig sprechen nicht. Die Gelehrten plagen sich und Andere mit neuen Theorien recht zu schreiben, aber das Sprechen wird in der Praxis vernachlässigt und was Arndt von Mißhandlung der deutschen Sprache sagte, gilt noch heute. Richtig sprechen hört man in unsern Parlamenten, Gerichtssälen und Vereinen, ja selbst in unsern Theatern sehr selten. Mein Vorlese-Curs bietet nun Jedermann Gelegenheit, sich in der Kunst des Vortrags auszubilden – rein, deutlich, ausdrucksvoll, dialektfrei lesen und sprechen zu lernen. Derselbe währt 4 Monate. Der Unterricht findet zweimal wöchentlich statt. Das Honorar beträgt 15 Mark monatlich. Eintritt jederzeit. Anmeldungen täglich von 12 – 1 Berlin NW., Mittelstraße 3. Jene, welche bei mir außer dem Sprach-Unterricht auch dramatischen Unterricht nehmen, unterrichte ich vollständig in allen Fächern der Schauspielkunst und gebe Anfängern bei vorgeschriebener Ausbildung Gelegenheit, ihre theoretischen Kenntnisse möglichst schnell an einer Uebungsbühne, dann an größeren Theatern praktisch zu erproben. Friedrich Strampfer, einst. Mitglied d. k.k. Hofburgtheaters in Wien und d. Großherzogl. Hoftheaters in Weimar, Direktor des k.-k. Theaters in Wien und des Strampfertheaters in Wien.

(33) SonntagsBeilage No 40

Richard Wagner‘s Frauengestalten.*) Von Prof. Dr. Richard Gosche.

Durch Richard Wagner’s Leben geht ein heroischer Zug: unverrückten Blickes macht er Menschen und Dinge seinen großen Zwecken dienstbar. Eine stählerne Natur, schnellt er, wenn ihm Widerspruch und andere Hemmnisse die Verwirklichung seiner Ideale erschweren oder unmöglich machen wollen, immer wieder zu erneuter, wachsender Thatkraft empor. Aus dieser Quelle gewinnen alle seine dramatischen Gebilde ihre Macht und Hoheit, und auf männliche Charaktere sammelt er mit Vorliebe seine schöpferische Kraft.
Wenn ihnen gegenüber die Frauengestalten schon äußerlich angesehen, in seinen Musikdramen auffallend zurücktreten, so scheint es, als ob er dem Weiblichen eine geringere Aufmerksamkeit gewidmet habe: aber es scheint nur so. Dem näher betrachtenden Blick stellen auch hier sich ein Reichthum und eine Vertiefung des Seelenlebens darf, wodurch die Frauen auf eine Linie mit den Männern erhoben werden, an Feinheit der Empfindung sie noch überholend. Auch hier hat die Wirklichkeit sich als Dienerin der rechten Kunst erwiesen: das kampfreiche Leben hat dem Meister an entscheidenden Punkten lehrreiche und fördernde Gelegenheit geboten zu erfahren, daß auch ihn, der sich nicht selten in Faustischen Stimmungen fühlte, das ewig Weibliche hinanziehe, und so allein konnte es ihm gelingen, der Macht des Weiblichen auch in seinen Werken ihr volles Recht zu gewähren: die Werke eines Meisters sind die großen Schicksale seines ganzen Seelenlebens.

Die erste Jugend Richard Wagner’s empfing die Weihe einer vorwiegend mütterlichen Erziehung. Er war noch nicht ein halbes Jahr alt, als sein leiblicher Vater starb; die Lage der Familie und der Ernst der Zeit – es hatte eben die Sachsen tief erschütternde Katastrophe der Befreiungskriege begonnen – bestimmten die verwittwete Mutter, noch ehe ein ganzes Jahr verstrichen war, einem Freunde ihres verstorbenen Gatten, dem Schauspieler, Maler und Dichter Ludwig Geyer die Hand zu reichen. Zweifellos würde dieser hochbegabte Stiefvater einen tiefen Einfluß auf den Stiefsohn Richard ausgeübt haben, wenn er, den mittlerweile ein ehrenvoller Ruf von Leipzig an das Dresdner Hoftheater geführt hatte, nicht schon nach einer kaum siebenjährigen Ehe den Seinen entrissen worden wäre. Die Heranbildung des etwa achtjährigen Richard fiel jetzt wieder ganz der mütterlichen Sorge anheim.

Man würde diese Mutter falsch beurtheilen, wenn man aus ihrer raschen Wiederverheirathung einen Schluß auf die Art ihres Seelenlebens wagen wollte. Mit der zweiten Ehe erfüllte sie nur einen letzten Wunsch des ersten Gatten, welcher dem Freunde Weib und Kind sterbend empfohlen hatte. So vollzog sich in Richard Wagners Mutter jene den Männern selten ganz verständliche Wandlung eines hingebungsvollen Pflichtgefühls in treue Neigung.

So weit des Meisters Erinnerungen zurückreichten, stand seine Mutter als eine schöne Frau vor seiner Seele. Sie war nicht groß von Gestalt, und aus ihrer anmuthigen, aber kaum noch von den Nachwirkungen des früheren Residenzlebens berührten Heimath Weißenfels hatte sie weder eine tiefe noch mannigfaltige Bildung mitgebracht; aber sie besaß etwas Werthvolleres als dies: einen wohlthuenden unversiegbaren Witz, der rasch über die Situation verfügt, und ein praktisches Geschick, das sich die Dinge so gut als möglich zurecht legt – zwei Gaben, welche selbst einem begrenzten Leben Reiz und Werth zu verleihen vermochten und schon einem bewegten Knabengemüth noch mehr aber dem werdenden Manne ihre versöhnliche Macht erweisen mußten.

Hieraus erklärt sich die stätige Anhänglichkeit des Sohnes, dessen innere Wandlungen die Mutter anfangs nicht ganz begriff, aber immer mit der wohlwollendsten Sorglichkeit begleitete; so versteht man den herzlichen, tiefpoetisch empfundenen Geburtstagsbrief des Sohnes vom September 1846. Wir empfinden, wenn wir an des Meisters eigene Mutter denken, lebhafter die herzinnige Dringlichkeit, mit welcher er in der Waldeinsamkeit den unterm Baumwipfel sinnenden Siegfried nach dem Aussehen seiner Mutter fragen läßt, und in seinem letzten Werke berührt es dann um so tiefer, wenn wir Parsifal aus seiner ganzen Vergangenheit sich nur seiner Mutter Herzeleide erinnern sehen und weiterhin angesichts Kundry’s sich ganz auf sich selbst besinnend unter furchtbarem Wehruf seine Selbstanklage vernehmen, daß er jemals seiner Mutter habe vergessen können. Und zwischen dem Tode der eigenen Mutter und der Vollendung des Parsifal liegt ein Menschenalter! Wie ein treuer Geist schwebt die Gestalt der Mutter durch des Meisters Schaffen dahin.

Unter den Geschwistern Richard Wagners überwog das weibliche Element durch Zahl, Talent und Bildung, und der älteste und bedeutendste der drei Brüder, Albert, führte als Vater der Johanna Wagner seit der Tannhäuser-Epoche ein durch Großartigkeit dramatischer Auffassung hochbedeutendes weiteres weibliches Glied hinzu. Von den fünf Schwestern erster Ehe, zu denen 1815 noch Caecilie Geyer aus der zweiten kam, starb die vierte, Therese, schon 1814 in einem Alter von fünf Jahren: die Ueberlebenden haben jedoch durch Talent und hohe Bildung eine hervorragende, theils künstlerische, theils gesellschaftliche Rolle gespielt, so daß sie auf den jüngeren Bruder einen bedeutenderen Einfluß ausüben mußten, als sich jetzt noch in allen Einzelheiten nachweisen läßt.

Die älteste Schwester Rosalie zeichnete sich als eine überaus anmuthige, bei aller Frische höchst delikate Schauspielerin aus und bestimmte schon äußerlich das Schicksal Richard Wagner’s, als sie, vom Dresdener Hoftheater scheidend, durch ihren Eintritt bei der Leipziger Bühne ihre Familie veranlaßte, von Dresden nach dem musikalischeren Leipüzig zurückzukehren. Aber gerade dadurch wirkte sie auch auf die musikalisch-dramatischen Arbeiten ihres Bruders sehr entschieden ein, was er gelegentlich willig anerkannt. Hat. Für die Bedeutung ihrer Persönlichkeit würde schon der Umstand sprechen, daß kein Geringerer als der geistvolle Oswald Marbach sie als Gattin heimführte, um sie leider nur für das kurze, durch den Tod zerstörte Glück eines Jahres zu besitzen. Die drittjüngste Schwester Clara bot durch ihre fachmäßige Ausbildung als Sängerin dem heranwachsenden Knaben Gelegen-


*) Wir sind in den Stand gesetzt, den vorstehenden Aufsatz aus dem im Oktober d.J. im Verlage von Edw. Schloemp in Leipzig erscheinenden Prachtwerk; „Richard Wagner’s Frauengestalten“, dargestellt und erläutert von Prof. Dr. R. Gosche (Mit 12 Illustrationen der berühmtesten Wagnersängerinnen.), schon vor dem Erscheinen mitzutheilen. Wir lenken auf diese schöne Weihnachtsgabe im Voraus die Aufmerksamkeit unserer Leserinnen.

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... heit, frühzeitig ungewöhnlich guten Gesang zu hören und daran glücklicher seinen musikalischen Sinn zu bilden als an dem eigenen, von ihm damals fast verabscheuten Clavierspiel.

Die beiden anderen Schwestern aus erster Ehe, die zweitälteste Luise und die jüngste Ottilie, waren ganz dazu angethan, durch ihren Zug nach harmonischer Gesammtbildung die seelisch angenehmste Temperatur zu verbreiten, und wenn Luise damals auch mit dem für ihre Persönlichkeit aussichtsreichen Plane umging, sich der Bühne zu widmen, so paßten die hiermit gegebenen Anregungen sehr gut in den weiten, aber bestimmten Rahmen der Heranbildung Richard Wagners. Wer das Glück gehabt hat, noch in späteren Lebensjahren diesen beiden Schwestern zu begegnen, der einen als Gattin des einsichts- und charaktervollen Verlagsbuchhändlers Friedrich Brockhaus, der andern als Gattin des ebenso umfassend gelehrten wie feinsinnigen und hochgebildeten Professors Hermann Brockhaus, wird in Richard Wagners späteren universellen Anschauungen manches als schon im Keime durch solche Schwestern gepflegt voraussetzen.

Und seltsam! In der Kindheit und ersten Jugendzeit gehörte das Herz des Knaben Richard Wagner keiner von den hervorragenden ältern Schwestern; die zwei Jahre jüngere Schwester Caecilie Geyer oder, wie er sie kosend nannte, „Cile“ aus der zweiten Ehe seiner Mutter hielt ihn gefangen. Ein süßes, gutes, gescheidtes, treues Mädchen mit dunklem Haar und schelmisch-lebhaften, bisweilen schwärmerischen Augen, freilich verhätschelnde Bewunderin und theilnehmendste Genossin aller seiner Pläne, so daß er sich gern veranlaßt sah, den anderen Knaben und ihrem Treiben fern zu bleiben und sich lieber von ihr die Thränen gekränkten Eigensinns oder fehlgeschllagener Hoffnungen trocknen zu lassen. Sie ist daher in all seine Erinnerungen aus jener Zeit „verflochten“.

Was den heranwachsenden Knaben an Verwandten unmittelbar umgab oder ihm näher stand, konnte die Achtung vor dem Weiblichen nur fördern und im Fortschritt der Jahre je mehr und mehr das Studium desselben zu einer angenehmen Vorarbeit für künftige künstlerische Gestaltungen machen; daß der geistig angeregte Verkehr im Hause sich in verwandter Richtung bewegen mußte, bedingte sie geschickte Leitung der verehrten Mutter. Es ist daher sehr zu bezweifeln, daß die Julirevolution von 1830 und das aus ihrem Wellenschlag auftauchende junger Deutschland seine Verehrung des Weiblichen bei seinem noch so stürmischen Wesen herabgestimmt und das neue Sinnlichkeitsevangelium ihn berückt haben sollte. Der Stoff, den er Anfang des Jahres 1833 in der tragischen Oper „die Hochzeit“ zu behandeln beabsichtigte, zeigt trotz allem Barocken einen ernsten Sinn für die tiefe Leidenschft eines weiblichen Herzens, und wenn er in Würzburg bei seinem Bruder Albert, für welchen er eine leidenschaftliche Einlage zu Marschner’s „Vampyr“ componirt, im Herbst 1883 die Oper „die Feen“ vollendet, mit der charakteristischen Abweichung von seiner Gozzi’schen Vorlage, daß er die in einen Stein verwandelte Fee durch den Gesang des Liebenden von ihrem Bann erlöst werden läßt: so sprich er schon hier das große Thema von der befreienden Macht der Liebe, welche vorzugsweise des Weibes Schicksal bedeutet, mit aller Bestimmtheit aus.

Auch durch den scheinbar frivolen Charakter seines „Liebesverbotes“, dessen Textbuch vom Sommer 1834 auf Shakespeare’s „Maß für Maß“ beruht, dürfen wir uns nicht täuschen lassen; denn wenn die Novize Isabella das Kloster verläßt, so geschieht es nicht aus eitler Lust, sondern nur, um fürden gefährdeten Bruder Gnade zu erflehen. Das Motiv der Schwesterliebe, deren Werth er genugsam an sich erfahren hatte und die er später in Rienzi’s Schwester Irene verherrlicht hat, muß aus dieser nur in Magdeburg im Frühjahr des Jahres 1836 gegebenen Oper glänzend hervorgeleuchtet haben.

Dieses Magdeburg erscheint als eine wichtige Station in der Herzensgeschichte des Meisters. Als Kapellmeister an der bald nach dem „Liebesverbot“ bankerot werdenden Bühne daselbst lernt er die schöne Dresdnerin Marie Planer, Liebhaberin am Stadttheater, kennen, die er etwas später, während seiner ebenfalls nur kurzen Königsberger Stellung, im November desselben Jahres 1836 heirathet. Alle Zeitgenossen wissen von der Schönheit und dem Darstellungstalent dieses Mädchens zu reden; von ihrer anspruchslosen Liebenswürdigkeit und ihrer nie ermüdenden Geduld, mit welcher sie alle Wechselfälle in der Laufbahn ihres Gatten in Königsberg, Riga, auf der Fahrt nach London, in Paris, nach Deutschland zurück ohne Murren erträgt; wie sie nicht aufhört zu lieben, so sie hätte anfangen können zu zürnen, wenn sie noch ein klein wenig prosaischer gewesen wäre – aber es ist da jenes alte Trauerspiel von zwei Menschen, die einander gehören und lieben sollen und sich doch nicht verstehen. Was Richard Wagner vermöchte, ahnte sie nicht; was er wollte, förderte sie nicht durch Gleichgestimmtheit ihrer Wünsche und Hoffnungen, und hatte doch keinen Grund, sich schuldig zu fühlen; ihr schien es genug, Gattin zu sein und ihm als ihrem natürlichen Herrn sich zu untergeben: die steilen Stufen zu der Sonnenhöhe des Ruhms mit ihm zu erklimmen ging über ihre Kraft und darum auch, obwohl sie es nicht empfand, über ihren guten Willen. Vielleicht würde ihr als Mutter die Seele glücklich aufgegangen sein; aber ihr Schooß blieb verschlossen und damit auch die Knospen ihres eigentlichen Gemüthslebens. Nach einer fünfundzwanzigjährigen Ehe trennten sie sich, und sie starb im Januar 1866 vereinsamt in Dresden, als Richard Wagners Stern im glücklichsten Aufsteigen war. Aber auch diese Erfahrungen sind an dem Tondichter nicht spurlos vorübergegangen. Man glaubt in Lohengrins „Elsa“ Züge jener unbedingten, entsagungsvollen Marie wahrzunehmen, wenn auch das Räthsel dieses Frauenlebens von einem andern Punkte aus sich schürzt.
Lange ehe Marie Planers Schicksal auslief, in jener verhältnißmäßig kurzen Epoche des ersten Aufglanzes war Richard Wagner einem andern Weibe begegnet, von dämonischer Art, von welcher weniger sein Herz als seine Kunst die mächtigsten Anregungen erfuhr.

Schon im Frühling 1834 hatte der werdende Meister während eines Leipziger Gastspiels Wilhelmine Schröder-Devrient als dramatische Sängerin bewundert und damit vielleicht alte Dresdener Erinnerungen erneut. Einen weit unmittelbareren Eindruck empfing er jedoch von dieser außerordentlichen Persönlichkeit, als er acht Jahre später nach der schweren Episode von Paris seinen „Rienzi“ in Dresden einstudiren und aufführen sehen konnte. Die Künstlerin hatte wenige Tage vor der ersten Aufführung dieser Oper ihr siebenundreißigstes Lebensjahr vollendet; ihre Erscheinung war noch von überwältigendem Zauber und der wohlgepflegte Schatz körperlicher Schönheit verklärt durch blendende Fülle des Geistes und plastische Hoheit der Bewegung. Was dieses Weib sang und spielte, empfing den Stempel ihres gewaltigen Genius, von dem in ihrem Munde gespensterhaft erschütternden „Erlkönig“ von Franz Schubert bis zu der Gluck’schen und Wagner’schen Geist verbindenden „Euryanthe“; alles schuf sie nach ihrer Art um zu neuem Leben, und von dem Augenblicke, da sie Fidelio zu dem machte, was Beethoven vorgeschwebt hatte, gab es für den ernsten Bühnensänger keine eigentlichen Rollen mehr, sondern nur dramatische Charaktergestaltungen; denn sie übertrug die tragische Kunst ihrer Mutter Sophie Schröder auf die Oper, welche bis dahin sich wenig um das eigentliche Spiel gekümmert hatte, und erhob diese dadurch zum Musikdrama. Wenn es nun auch nicht eine weibliche Gestalt Richard Wagners war, an welche sie zunächst ihre dramatische Kraft setzte, so wurde doch der Adriano im „Rienzi“ durch sie eine so abgerundet-lebensvolle Figur, daß der Componist ein Beispiel für das Ideal seiner musikalischen Charakteristik vor sich sah, wie es in seiner Seele, nach Erweckung verlangend, schlummerte. Es war das letzte Werk der großen Künslterin, nach Adriano noch Venus und Senta als Gestalten zu belegen und des Meisters Schöpfungen damit das Zeugniß nicht allein der scenischen Lebensfähigkeit, sondern vielmehr das der absoluten künstlerischen Berechtigung auszustellen. In derselben Richtung liegt es, wenn des Meisters Nichte Johanna Wagner, weldcher er als fünfjähriges Mädchen in Würzburg bei ihrem Vater, seinem Bruder Albert, beobachtet hatte, die Elisabeth des „Tannhäuser“ darstellt: die gleiche lebensvolle Hoheit und sittliche Große der Auffassung und Darstellung!

Von da ab hat Richard Wagner für die psychologische und musikalische Technik der Darstellung des Weiblichen seine feste Methode gewonnen. Er läßt seine Gestalten hohe und stolze Wege wandeln, von denen er nur noch einmal in die durchaus geschichtliche Wirklichkeit zu den „Meistersingern von Nürnberg“ hinabsteigt; aber auch dann läßt er den Mittelpunkt jenes unbestimmte und unbestimmbare Etwas bilden, das uns an jeder großen Persönlichkeit anzieht und das wir doch nicht zu analysiren vermögen. Jeder Mensch, der nicht Dublette ist, bleibt ein Räthsel für den Psychologen, zumal das Weib mit den zarten Geheimnissen seines Seelenlebens – eine um so lockendere Aufgabe für einen musikalischen Charakteristiker, wenn er, wie Richard Wagner, zugleich die größte psychologische Einsicht und Erfahrung besitzt.

An dieser Auffassung des Weiblichen wird der Meister nicht irre, wie furchtbar auch das Schicksal nach den ersten glücklichen Dresdener Würfen über ihn einbrach. Unter der schweren Gedankenarbeit, welche das Jahr 1848 mit seinen Folgen von ihm forderte, verlor er das schöne Problem nicht aus dem Auge. Als dann das Glück wieder und verheißungsvoller für seine Art und Kunst herandämmert e, als der jugendfrische, überhaupt noch an Ideale glaubende Ludwig II: von Bayern den Tondichter mit dem König gehen hieß, weil er in ihm sein besonderes Menschheitsideal gefunden hatte: da führte eine eigenthümliche Schicksalsfügung Cosima Liszt dem Meister entgegen.

Es ist eines der wunderbarsten Weiber. In ihr pulsirt Blut und Geist des Magyaren und der Französin. Wenn man sie reden hört, glaubt man die tiefsinnigen Dialoge ihrer Mutter über Dante und Goethe zu vernehmen, und dazwischen zittert es wie leiste Nachklänge ungarischer Rhapsodien. Richard Wagner mußte in ihr das Beste von Marie Planer und von Wilhelmine Schröder-Devrient zu einer schönen großen Einheit verbunden sehen.

Als Hans v. Bülow 1857 Cosima Liszt’s Gatte ward, schien ein hohes Glück begründet zu werden; er brachte aber der Kunst ein großes, unvergoltenes und nie zu vergeltendes Opfer, als er sich 1869 mit fast unwilligem Schmerz von ihr trennte, so daß Richard Wagner, dessen erste Frau nach mehrjähriger Trennung 1866 gestorben war, Cosima heimführen konnte. Wer will untersuchen, ob die verführerischen Weisen von „Tristan und Isolde“ oder die treuherzigen in den „Meistersingern von Nürnberg“ das Herz des bedeutenden Weibes berückten? Ob Richard Wagner’s kühne Art musikalischer Schöpfung unwiderstehlich und gewaltsamer anzog als jene ehrfurchtsvolle Verdolmetschung der großen Tonmeister, in deren geistigen Theil Hans v. Bülow verklärt sein eigenes Wesen mit stolzer Bescheidenheit aufgehen läßt?
Die Thatsache war: Cosima war des Mannes Weib, den sie endlich ganz glücklich machte. Im Zusammensein mit ihr vollendete er den „Siegfried“, schuf der „die Götterdämmerung“ und den „Parsifal“; sie erlebte mit ihm die glänzendsten Triumphe seiner Werke, und wir sehen sie auf den lichtetesten Höhen der musikalischen Ideenwelt mit ihm verständnißvoll wandeln und an seiner Seite den merkwürdigsten weiblichen Charakter, den der Meister geschaffen, die Kundry, mit dem ganzen weiblichen Scharfsinn, analysirend durchleben, sogar an der Gestaltung des ganzen „Parsifal“ einen fast bestimmenden Antheil nehmen. Darum hat sie ein Recht, um den Verlornen mit der ganzen Kraft ihrer großen Seele zu trauern.
So begannen die Einwirkungen des Weiblichen bei Richard Wagner in dem engen Kreise der Familie; sie enden mit der weitblickenden, tiefempfindenden und ernstdenkenden Tochter Liszt’s. Unter diesen Eindrücken schafft er jene Fülle von innerlich reichen Gestalten, welche sich zwischen Irene, der treuen Schwester, und Kundry, der dämonischen Verwandten der „Königin der Nacht“, bewegen und an jeder Stelle unsere vollste Aufmerksamkeit herausfordern. An alle darf man den größten Maßstab legen; aber auch da, wo das Riesenhafte gewollt ist, finden wir uns siucher und rasch in dem vor uns aufgethanen Empfindungskreise zurecht. Denn mit der Kühnheit Michelangelo’s verbindet Richard Wagner Himmel und Erde, und die ewigen göttlichen und menschlichen Gesetze klingen in Einer Weise zusammen.

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Ein fast vergessener Sohn Moses Mendelssohns

Von Julius Löwenberg
Wie Wenige wissen wohl noch, daß ein Sohn des Philosophen Moses Mendelssohn Techniker gewesen, daß derselbe im Anfang unseres Jahrhunderts der erste vortreffliche Mechanikus in Berlin war, der vorzügliche mathematische, physikalische, astronomische Instrumente gefertigt, die mit den besten englischen und französischen ehrenvoll concurirten, der der Stifter der seit Jahrzehnten blühenden Polytechnischen Gesellschaft in Berlin gewesen ist!

Und doch ist dem vollständig so.

Moses Mendelssohn hinterließ bekanntlich sechs Kinder, drei Söhne, Joseph, Abraham, Nathan, und drei Töchter, Dorothea, Henriette und Recha. Dorothea, die älteste Tochter, ist durch ihre Ehe mit Veit und nochmals mit dem Romantiker Friedrich Schlegel bekannt geworden. Die jüngere Schwester Henriette, welche Rahel "das Feinste und Tiefste" nennt, "was sie je gekannt", bleib unverheirathet und war lange Jahre die Erzieherin der unglücklichen Tochter des Grafen Sebastiani in Paris, die kurz nach ihrer Vermählung mit dem Herzoge von Prasline 1847 von demselben vergiftet wurde. Dorothea und Henriette haben den katholischen Glauben angenommen, erstere convertirte sogar zweimal, erst evangelisch, dann katholisch. Die dritte Tochter Recha, war dem Glauben, in dem sie geboren, treu geblieben und an einen mecklenburgischen Hofagenten verheirathet. Von den drei Söhnen Moses Mendelssohn's waren die beiden ältesten Joseph und Abraham in Hamburg Kaufleute geworden, siedelten aber während der Drangsale des napoleonischen Krieges nach Berlin über, wo sie das noch heute blühende Bankhaus ihres Namens gründeten und auch noch anderweitig berühmt geworden sind.

Weniger bekannt, wenigstens unserer Generation, oder richtiger, fast vergessen ist dagegen der dritte Sohn des Philosophen, Nathan Mendelssohn. Derselbe, geboren am 8. Dezember 1782, gestorben den 9. Januar 1852, hatte sich der Mechanik gewidmet, aber seine Arbeiten, wie vortrefflich sie auch waren, interessirten doch nur einen kleinen Kreis von Fachmännern und Gelehrten, - und der Mann der Werkstatt wurde neben dem Glanze der Häuser der älteren Brüder bald unbeachtet und vergessen.

Poggendorf*) nennt als Nathan's äußeren Lebensmomente: Mechanikus in Berlin 1808-1813, dann Landwehroffizier bis 1821, Industrieller in Schlesien bis 1828, darauf Steuereinnehmer in Glatz und Liegnitz und seit 1836 Revisor der Hauptstempel- und Formular-Magazin-Verwaltung in Berlin.

Von Instrumenten lieferte er: Eine Kreistheilmaschine 1810, die erste in Berlin, Luftpumpen mit Glasstiefeln, große Waagen, Sextanten, Bordai'sche Kreise u. s. w. **)

Ausführlicher und öfter berichte von ihm Alexander von Humboldt. Gleich nach seiner Heimkehr von der amerikanischen Reise schreibt er aus Berlin am 22. April 1806 an den Jugendfreund Dr. Beer in Glogau, den er in frühester Jugend im Hofrath Herz'schen Hause kennen gelernt hatte: "Auch Nathan Mendelssohn ist hier und hat sich zu einem trefflichen Menschen gebildet." - Humboldt, der auf seiner Reise vollauf Gelegenheit hatte, den Werth astronomischer, geometrischer, physikalischer Instrumente zu prüfen und zu würdigen, war von der Vortrefflichkeit der Instrumente Mendelssohn's ganz besonders eingenommen und empfahl sie angelegentlichst.

"Unter den mannichfaltigen Ursachen, sagt er ausführlich ***), welche im nördlichen Deutschland den Fortschritten des ausübenden Theils mathematischer Wissenschaften entgegenstehen, ist eine der größten die Schwierigkeit, sich genaue astronomische und geometrische Instrumente zu verschaffen. Ich schmeichle mir in dieser Hinsicht, dem arbeitenden Theile des scientifischen Publikums einen nicht unangenehmen Dienst zu erweisen, wenn ich demselben anzeige, daß sich ein vortrefflicher Künstler, der in London und Paris unter vorzüglichen Meistern gebildet, Herr Nathan Mendelssohn (Sohn des berühmten Moses Mendelssohn), in Berlin niedergelassen hat. Seine Arbeiten bedürfen meiner Empfehlung nicht, und ich begnüge mich, in dieser Anzeige nur die Gegenstände zu nennen, auf welche dieser junge Künstler bereits in dem gegenwärtigen Zustande seiner Werkstatt Bestellungen annehmen kann.

Wir nennen in Kürze nur einige der empfehlenswerthen Instrumente:

Bordaische Multiplicationskreise von 4 bis 8 Zoll achromatischen Fernröhren, nach Art derer, welche zur französischen, schwedischen und thüringischen Gradmessung gedient haben. Vierzöllige Kreise, von 15-34 Friedrichsd'or.

Teodolite von 4-8 Zoll Durchmesser von 15 bis 40 Friedrichsd'or

Riveaus mit achromatischen Fernröhren, den englischen ähnlich, doch mit einigen Verbesserungen, nach Verschiedenheit der Größe und Vollkommenheit von 15 bis 40 Friedrichsd'or.

Inclinationsboussolen nach Borda's Methode, ganz denen ähnlich, die auf der Entrecasseau'schen und auf meiner Reise gebraucht worden sind, zu 25 Friedrichsd'or.

Declinations- und Variationsboussolen mit Dioptern und Fernröhren.

Der Coulomb'sche Apparat, die Intensität der magnetischen Kraft durch Schwingungen zu messen.

Der von Prony im "Journal de Physique" beschriebene Apparat, vermittelst eines an einem Faden aufgehängten und durch einen Magnetstab bewegten Fernrohrs die stündlichen Veränderungen der Magnetabweichung optisch zu messen.

Kleine Taschen- oder Grubencompasse, welche zugleich die Neigung (das Fallen) angeben, auch völlige Markscheide-Instrumente nach Freiberger Art.

Waagen, sehr empfindliche, für Physiker und Chemiker (nach neuer Angabe des Professors Tralles).

Luftpumpen mit gläsernen Cylindern und Tellern, nach Herrn Mendelssohn's eigener Angabe, die er in Richolson's englischem Journale beschrieben hat. (Siehe Gilbert's Annalen 1906, St. 1. S. 96.)

Voltaische Wasserstoffgas-Cudiometer zu 3 Friedrichsd'or u. s. w.

Seine Adresse, fährt Humboldt fort, ist: an den Mechanikus Nathan Mendelssohn zu Berlin, Behrenstraße No. 60. Auf Verfertigung ausschließlich sogenannter meteorologischer Instrumente (Barometer, Thermometer und Hygrometer) wird er sich nicht einlassen, um so weniger, als ein allgemein geschätzter hiesiger Künstler, Herr Renard, dieselben von vorzüglicher Güte liefert.

Auch Bestellungen von physikalischen Apparaten, z. B. Elektrisir-Maschinen, können nur dann angenommen werden, wenn dieselben von beträchtlicher Größe und von vorzüglicher Genauigkeit gewünscht werden." -

Soweit Humboldt's Anzeige von Mendelssohn's Instrumenten.

Auf Humboldt's Vermittelung erhielt Mendelssohn eine Staatsunterstützung zur Herstellung einer Kreistheilungsmaschine, die nach Poggendorf 1810 vollendet wurde. Auch hat er einige Hefte eine mechanischen Zeitschrift herausgegeben, die aber nicht fortging.†)

Den dürftigen Angaben Poggendorf's von den vielfachen Wandlungen in der Lebensstellung Mendelssohn's wissen wir nichts Ausführliches hinzuzufügen. Mendelssohn hat schließlich seine Werkstatt mit dem Bureau vertauscht, der Techniker wurden Beamte. Immer aber behielt er bis an sein Lebensende rege Vorliebe für die Förderung von Gewerbe und Industrie, Kunst und Wissenschaft, für gemeinsames Streben zur Hebung der Gewerbthätigkeit.

So war er auch der erste, der zur Bildung der Polytechnischen Gesellschaft die wirksamste Anregung gegeben hat. Die Bildung dieser Gesellschaft fiel in eine Zeit, die reich an Erfindungen, Entdeckungen und Fortschritten in der Technik war, deren Bekanntwerden die Hauptgelegenheit darbot zu gegenseitigen Mittheilungen und Belehrungen.

Im Januar 1839 erging daher eine von Mendelssohn unterzeichnete Aufforderung an die Berliner Techniker und Gewerbtreibende, in welcher es heißt:

"Es ist wiederholt der Wunsch ausgesprochen worden, daß zur Belebung des Verkehrs unter dem gewerblichen Publikum und zur vielseitigen Anregung für industrielle Thätigkeit eine Gesellschaft behufs gegenseitiger Mittheilung des Neuesten und Interessantesten im Gebiet der Technik überhaupt sich bilden möge. Um diesem Bedürfniß seinerseits einigen Vorschub zu leisten, erlaubt sich der Unterzeichnete diejenigen Herren zur Gründung einer Polytechnischen Gesellschaft aufzufordern, die ihre Kräfte dem gewerblichen und industriellen Leben als Praktiker und Theoretiker widmen oder überhaupt an diesen Zweigen bürgerlicher Thätigkeit warmen Antheil nehmen."

Die Gesellschaft sollte sich monatlich etwa zwei Mal um 7 Uhr Abends versammeln und vorzugsweise mündliche Mittheilungen über Erfindungen, neue Manipulationen für die verschiedenen Fabrikations- und Handelszweige u. s. w. wünschen. Eigentliche Vorlesungen dürften indeß nicht geradezu ausgeschlossen sein, falls sie den Hauptzweck der Gesellschaft, mündliche Discussion und gegenseitigen Austausch der Ideen, nicht hemmen, überhaupt der ungezwungenen Bewegung der Gesellschaft nicht hinderlich sind. In dieser freien Form wird es nichts desto weniger vielen Mitgliedern ohne Opfer von Zeit möglich werden, aus dem Schatze ihrer praktischen Erfahrungen und theoretischen Betrachtungen der Gesellschaft eine Unterhaltung zu bieten, die bei der Mannichfaltigkeit der technischen Praxis eine große Abwechselung und eine vielseitige Anregung und Belehrung gewähren muß.

Daß der so ausgesprochene Gedanke ein zeitgemäßer war, geht schon daraus hervor, daß sich sofort 69 Herren bereit erklärten, zu einer solchen Vereinigung die Hand zu bieten, und alsbald bildete sich ein Comité, welches die näheren Bestimmungen für die Organisation der zu gründenden Gesellschaft entwarf, und schon am 17. Februar 1839 konnte ein Statut vollständig berathen werden, welches am 23. März 1839 die Genehmigung des Königlichen Polizei-Präsidiums erhielt.

Das bald danach aufgestellte Mitgliederverzeichniß enthielt 87 Namen, und bis zum Schlusse des ersten Gesellschaftsjahres war die Zahl der Mitglieder auf 98 gestiegen.

Mendelssohn war auch der erste Vorsitzende der Gesellschaft, bis der königliche Oberstlieutenant a. D. Professor Dr. Turte ihm in diesem Amte folgte.

Mendelssohns Vorträge und Mittheilungen in der Gesellschaft zeigen die Vielseitigkeit seines Wissens und seines Eifers, die Gesellschaftszwecke zu fördern. Er sprach über Photogenie (Lichtmalerei), über die neueste Erfindung Daguerre's, Stecknadel-Fabrikation, Waldwolle, Galvanoplastik, Electromagnetismus, Telegraphie......, und betheiligte sich lebhaft an den häufigen Discussionen. - Sein Tod, am 9. Januar 1852, wurde um so mehr beklagt, da derselbe plötzlich am Schlagfluß erfolgt war.

Der glücklichen Ehe Mendelssohn's mit Henriette Itzig, der Tochter des reichen Bankiers Itzig, entsprossen zwei Söhne, Arnold und Wilhelm, und eine Tochte Ottilie.

Arnold Mendelssohn war praktischer Arzt, neben Dubois, Remack, Virchow, Helmholz, Schwann, Traube einer der geist- und hoffnungsreichsten Schüler Johannes Müller's. Die alte Schlange des Aesculap hatte sich wieder gehäutet und aus dem Chaos der Vorstellungen von dem Wesen der Krankheit und ihrer Heilung, wie sie Allöopathen, Homöopathen, Naturhistoriker, Specifiker und Andere gelehrt hatten, hatte sich eine neue Lehre, "die physiologische Medizin", erhoben. In diesem Geiste schrieb Mendelssohn das Werk "Der Mechanismus der Respiration und Cirkulation, oder das explicirte Wesen der Lungenhyperämie. Eine physiologisch-pathologische Untersuchung. Berlin 1845", in welchem er eine Reihe von pathologischen Prozessen physiologisch zu erklären versuchte und das seiner Zeit viel Anerkennung fand. - Mit Lasalle befreundet nahm er Theil an dessen hyperromantischem Abenteuer für die Gräfin von Hatzfeld, verließ in Folge des ungünstigen Prozesses wegen desselben die Heimath und starb als praktischer Arzt in Konstantinopel.

Während Wilhelm Mendelssohn die Tochter des um das Berliner Schulwesen hochverdienten Pädagogen Cauer heirathete, wurde Ottilie Mendelssohn die Gattin des Professors Kummer, dessen mathematischer Ruhm der Familie neuen wissenschaftlichen Glanz verlieh.

[Schließlich möge hier noch eine Stelle finden folgende, hoffentlich nicht unwillkommene Uebersicht:
Abbildung: Stammbaum der Familie Mendelssohn- Auszug]

) Biogr. literar. Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften.
) Gilbert's Annalen der Physik und Chemie, Band 23., 40.
) Gilbert's Annalen, Band 23.
†) Wir knüpfen hieran einige Notizen über die Entwickelung der mechanischen Kunst in Berlin nach dem Bericht über einen Vortrag des Regierungsrathes Dr. Loewenherz in der Polytechnischen Gesellschaft.
Die mechanische Kunst gewann in Berlin erst am Anfang unseres Jahrhunderts einige Bedeutung. Nathan Mendelssohn war der Erste, der Erwähnung verdient.
Um dieselbe Zeit, im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, beschäftigte sich auch der Postrath Pistor mit mechanischen Arbeiten. 1813 errichtete er mit dem Mechaniker Schiek zusammen eine eigene Werkstatt, in der namentlich Barometer hergestellt wurden, die früher schon Renard in guter Ausführung lieferte. 1813 findet sich zuerst die Mechanikerfamilie Greiner. J. C. Greiner, der Großvater des in der Kurstraße etablirten Mechanikers, hatte zuerst auf dem Spittelmarkte eine Bude inne, in der er unter Anderm auch Glasperlen verkaufte.
Sein Sohn J.G. Greiner jr. War besonders bekannt durch seine Thermometer und seine vorzüglichen Zeichen- und Reißfedern. Die Firma ging 1871 ein, während J.E.Greiner senior und Sohn, ein Geschäft, das sich vornämlich durch vortreffliche Aereometer und Alkoholometer einen Namen gemacht, noch heute existirt. Zu erhöhter Bedeutung gelangte inzwischen die bjerühmte Werkstatt, als nach Schieks Austritt der Mechaniker Martius in dieselbe eintrat. Mit den aus der Werkstatt hervorgegangenen astronomischen Instrumenten beherrschte die Firma in den 1860er Jahren den amerikanischen Markt. 1871 starb Martius.
Zu hohem Ruf gelangte auch der Mechaniker Baumann, einer der ersten Schüler der Gewerbeakademie,m der noch heute als Rechnungsrath und königlicher Aichmeister lebt. Nicht minder bedeutend war der 1866 verewigte August Oertling, der berühmte Constgructeur und Verfertiger der nach ihm benannten Kreistheilungsmaschine.
Im anfang der 70er Jahre trat ein merklicher Rückgang in der Berliner Mechanik ein. Das machte sich besonders stark fühlbar, als mit der Gründung des Deutschen Reiches ein erhöhter Bedarf an mechanischen Instrumenten eintrat.
Namentlich waren die Bedürfnisse der deutschen Marine ganz und gar auf England angewiesen. Es trat deshalb, um diesem Uebelstand abzuhelfen, 1873 auf Veranlassung des Centraldirektoriums für das Vermessungswesen in Preußen eine Kommission zusammen Die innerhalb derselben gemachten Vorschläge auf Gründung eines Staatsinstituts nach Art der Wiener physikalisch-mechanischen Werkstatt der technischen Hochschule wurden nicht realisirt, fanden aber auch nicht den Beifall der Praktiker, welche die Concurrenz fürchteten. An diesem Widerstand der Praktiker ist denn auch das projektirte Berliner Institut thatsächlich gescheitert.
Für Berlin erwiesen sich staatliche Maßregeln in der geplanten Art bald als nicht nöthig; es zeigte sich, daß der Nothstand nur vorübergehend gewesen. Schon 1876 gelegentlich der internationalen Ausstellung wissenschaftlicher Apparate, überragte die deutsche Abtheilung die Frankreichs vollständig und auch die Englands, wenigstens in der Ausführung der Details und in der eigentlichen Feinmechanik, und die Leistungen der Berliner Mechanik auf der Berliner Ausstellung von 1879 haben die großen Erwartungen noch übertroffen. Sämmtliche Staatsinstitute, auch die Marine, sind z.B. in der Lage, ihre Bedürfnisse durch deutsche Instrumente zu decken, und der bei Weitem größte Theil derselben wird in Berlin selbst hergestellt.
Je mehr nun aber die Arbeiten der Mechaniker an Umfang gewonnen, haben sich auch die Forderungen gesteigert und damit Fragen und Aufgaben ergeben, die nur von einer mit Hilfsmitteln der Theorie und der Praxis gleich gut ausgestatteten Centralstelle gelöst werden können. Das Ersuchen auf Errichtung einer solchen Centralstelle, die freilich keineswegs selbst Instrumente herstellen soll, ist schon 1879 an die Regierung gestellt, bleib aber bis jetzt ohne Erfolg.
11) 1813 war in London de l’Allemagne erschienen [im Text als Anm 11 und 12]
12) Vergl. „Unvergessenes“. II. p. 94

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Briefe von Helmina von Chézy an Jean Paul. Mitgetheilt von Paul Nerrlich. (Schluß) VIII.

Wenn Sie denn doch immer schweigen wollen, Jean Paul, warum schreiben Sie denn Bücher, wo Ihr Herz wie ein Himmelsthautropfen auf ewigen Blüten Hängt, den die Seele innig einsaugt? Zu diesem Herzen sprech ich und beschwöre Sie, einmal Ihr Schweigen zu brechen. Sei es, was es sei, ich muß wissen, wie Sie gegen mich gesinnt sind, ich kann an Sie ohne heißen Schmerz nicht denken.

Ich habe das Exemplar von Fibels Leben gelesen, das Sie S.K.H. dem Großherzog gesandt haben, und nun muß ich Ihnen schreiben. O ich hauche oft, wie Gotthelf den zurückgewiesenen Kuß der Liebe auf die Leiche, meine Innigkeit in Thränen auf die von Ihren Blättern aus.

Leben Sie wohl – mich hat seit meinem Brief aus Heidelberg an Sie ein ewig blutender Schmerz betroffen; mein jüngstes Kind ist mir gestorben. Jetzt bin ich hier in freundlichen Verhältnissen, aber ohne Freude.
Frau v. Wolzogen bleibt uns diesen Winter. Gott erhalte Ihnen Ihre Kinder!

Aschaffenburg, d. 10. Nov. 1811.
[Adr.] An den Legationsrath Jean Paul Friedrich Richter in Bayreuth.
IX. (Köln, Ende 1815)

Theurer Jean Paul, daß sie mir nichts über meine Zeitgedichte geschrieben, beweist mir nicht minder Ihre Freundschaft und Ihr Andenken; im Hindenken zu Allem, was uns nicht fremd ist, wähnen wir oft schon genug gethan zu haben.

Ich schicke Ihnen da ein Kind der Liebe, eine Recension des Undings der Fr. v. Stael ; lesen Sie es, die Zumuthung ist nicht zu kühn, Sie werden Freude daran haben. Der Graf von Loeben, sein Verfasser, ist mir sehr theuer , ich habe in ihm den reinsten Willen, das glühendste, edelste Herz erkannt, er ist ein Ritter und eine Blume zugleich, unbekannt hat er Ihnen bei Ihren blühendsten und edelsten Gestalten vorgeschwebt, Cesara, Horion, Gustav sind nicht zarter, edler, noch lieblicher als er …

(35) Eben komme ich aus den Niederlanden zurück. Sie würden, lieber Jean Paul, dort nur Farben zu grellen Arabesken finden; es ist schade, wenn man dahin reist und hat Ihren Genius nicht bei sich. Hier aber sollten Sie her kommen, so lange noch Boisserées Gemälde hier sind und Ihr Auge mit Entzücken tränken; die Heiligkeit der Liebe und der Himmel der Wehmuth würde sich Ihren Blicken erschließen. Kommen Sie imn Frühjahr, ich beherberge Sie, ich bin es wohl um Sie werth, daß Sie in meine Wohnung eingehen, denn ich habe Sie immer recht treu im Herzen getragen ….

[Jean Paul schreibt an den Rand:] „Ich errathe den Namen des Schreibers nicht mehr“.

X.
Verehrter Freund! Nach so langen Jahren des Schweigens kann ich Ihnen einmal wieder einen Brief senden und zwar in doppelter Gestalt, einen lebendigen und einen geschriebenen. Ersterer ist der liebenswürdige Ueberbringer, der edle Schwede Dr. Atterbom , der ein herrlicher schwedischer Dichter, auch von der deutschen Muse den Kuß der Weihe empfangen. Ihm dankt sein Vaterland eine Wiederverjüngung des dichterischen Lebens, denn er hat kräftig und feurig dafür gewirkt, daß die französische Aftermuse verbannt wurde. Sie werden sich, mein theurer Freund, unendlich über meinen nordischen Freund freuen. Lassen Sie sich von ihm auch etwas von mir erzählen. Ich sehe öfters Ihre Frau Schwägerin und habe ihr auch einen Beitrag zum Sinngrün gegeben. Der Tod hat Ihnen und mir recht viel genommen, indem er für unser Herz zu früh unsern Carl von Dalberg hinwegnahm. Ich habe über diesen Tod gelitten, als wäre er nicht in der Ordnung der Dinge. Mein Todtenopfer finden Sie bald in meinen auserlesenen Schriften zum Besten der Verwundeten, von denen ich Ihnen ein Exemplar bestimmt habe.

Recht fleißig bin ich gewesen und nun wieder hier im schönen Dresden. Da Sie, herrlicher Freund, der Erste warten, der über mich Worte der Weihe ausgesprochen, muß Ihnen auch das etwas lieb sein, das zum Theil durch Sie entstanden. Ein Strahl Ihres Lichts ist ja auf die Blumen gefallen und tief ins Herz übergegangen. Sie werden wohl bald meine Aurikeln zu sehen bekommen, in welchen ich Erinnerungen aus meinem Leben niedergelegt.

Vermuthlich begleitetr Herrn Dr. Atterbom sein gewistreicher, gemüthvoller, wackerer Freund, der Däne Dr. Hjort. Er wird Ihnen auch sehr lieb werden. Es weht ein so frischer sanft-kräftiger Nordhauch aus den beiden; sie sind uns allen hier von Herzen theuer, und ich wünschte sie mir dadurch auf immer zu verpflichten, daß sie es Ihnen würden.

Grüßen Sie Ihre liebe, liebliche Gemahlin von mir und behalten Sie mich lieb. Ich bin zeither dem Gefühl, dessen nicht ganz unwerth zu sein, ein wenig näher gekommen, denn ich habe viel gelitten, und Gott giebt gern Liebe für Leid, weil nur Liebe trösten kann. Ihre Fastenpredigt hat mich erquickt, gestärkt und gehoben.
Von ganzer Seele Ihre Helmine. Dresden, den 24. November 1817.

XI.
Ich danke Ihnen, mein unvergleichlicher Freund, für die liebevolle Aufnahme meiner Abgesandten aus dem hohen Norden.

Ich sende Ihnen meinen Schmerzenreich, eins meiner neuesten Bücher, und bitte Sie, sich des Kindes anzunehmen, soweit Ihr Gewissen es zuläßt, mein theurer Jean Paul. Denn wenn auf Ihren Wink die Lesewelt zugreift, so kann ich ein wenig mich von dem entsetzlichen Verlust erholen, den ichg gelitten und sehr herb empfinden muß.

Lassen Sie sich doch ja meine Aurikeln geben, sobald sie aufgeblüht sind (Duncker u. Humblot, Berlin); es ist darin Ihrer mit schüchterner Liebe erwähnt. (Erinnerungen aus meinem Leben bis 1811.) Ich bin heut so tief wehmüthig von Neuem durch das Angedenken an meinen lieben Dalberg , daß ich nicht recht weiß, was ich Ihnen schreibe. Nur noch so viel: Dalberg, Schenkendorf und wenn ich nicht irre , Shakespeare und Raffael sind am Geburtstage gestorben.

Ihr Empfang in meinem Heidelberg, wohin mein Herz mich immer zieht, hat mich innig gerührt. Warum war ich nicht da? Das süße wundersame Land! Ich wünsche einst meinen Himmel so zu finden. Meine Seele ist verstrickt in diesem Blüthenzauber wie Merlin in Vivianens Labyrinth. (Sie haben’ nicht im Apriul gesehen; Sie wissen noch nicht, wie süßt die Erde blühen kann) und so wie nach dem Winter der erste Frühlingshauch wieder mit seinem schmerzlich-lieblichen Sehnsuchtsduft wehet, so werd’ ich eine Zeitlang vor Heimweh dahin krank.

Ihre Fr. Schwägerin habe ich besucht. Ihr Mann scheint mir sehr sanft und liebevollen Herzens, sie selbst durchdrungen vom Glück, ihn gefunden zu haben. Sie ist nicht mehr so rothbackig, nicht mehr so fett, ernster, mehr von innen heraus verklärt, schweigsame, in summa liebenswürdiger. Es giebt kein besseres Heilmittel für Leibund Seele als einen guten Mann. NB. Wenn ein Herz die Liebe hat, wie die gute Wilhelmine. Nun guten Morgen, mein treuer, lieber, herrlicher Freund! Geben Sie mir bald ein Zeichen der Freundschaft. Empfehlen Sie mich auf das Innigste Ihrer Karoline. Ich küsse Ihre Kinder, die meinigen entzücken täglich mein Herz durch den Reichtthum von Oben, der ihrem Gemüth zu Theil geworden ist; ich bin schon jetzt eine glückliche Mutter. Ahlefeld, den ich in Berlin wiedersah ist der Alte nicht mehr, aber alt geworden.
Heut wie immer Ihre Helmine

18 15/1 18 Im schönen Dresden.

Wilhelm Scherer’s Geschichte der deutschen Literatur. *)

Das vorletzte Heft von Scherer’s Literaturgeschichte, das achte des ganzen Werkes, fängt zwar mitten in einem abgebrochenen Satze an, beginnt indessen doch mit einem gar wichtigen Zeitabschnitte. Es ist nicht gerade die Scheide es achtzehnten und neunzehnten Jahrhunders, sondern die noch bedeutendere Zeit um einige Jahre früher. Es ist die Balladenzeit, in welcher Kaiser Wilhelm geboren wurde und Schiller sang:

Denn geendet nach langem verderblichen Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit.
Und ein Richter war wieder auf Erden.

Man möchte „ist“ für „war“ setzen, wenn nicht noch über siebenzig Jahre hätten vergehen müssen, bis der verderbliche Streit wirklich geendigt war, das alte deutsche Scheinkaiserthum sich ausgelebt und die guten neuen Dinge Weile gehabt und sich erfüllt hatten. Seit Friedrich Wilhelm der Dritte und die Königin Luise den Thron besteigen, hören die moralischen Eroberungen Preußens und Deutschlands nicth auf. Solche Eroberungen werden seitdem auch durch die deutsche Literatur gemacht. Nicht umsonst schreibt damals Goethe Hermann und Dorothea. Die Gleim’schen Papiere in Halberstadt liefern den Beweis, daß die deutschen Dichter sich dem preußischen Thron sogleich auf einer Weise zu nähern suchen, wie es bei dem vorigen Regierungswechsel kaum von Seiten der preußischen Dichter geschehen war. Wieland schrieb sogar ein Gespräch unter vier Augen mit einem Fremden, worunter Friedrich Wilhelm III. Zu verstehen war. In den norddeutschen Klöstern durften sich Mönche und Nonnen während der letzten Zeit vor der Auflösung ihrer Convente behaglicher einrichten, wenn ein alter Mönch unter ihnen noch Mitglied der k. Literarsichen Gesellschaft zu Halberstadt war oder wenn die kluge Domina zur Vermehrung der Bevölkerung vor dreißig Jahren friedericianische Colonisten aus Böhmen in’s Land berufen und ihnen kleine Häuschen gebaut hatte.

Das sind nur einige Beispiele von den socialen Zuständen, wie sie sich zur Zeit der Königin Luise durch die literarischen Wechselwirkungen gebildet hatten. Doch wir begnügen uns nach dieser Vorbemerkung auch diesmal bloß damit, den Leser mit dem Inhalte von Scherers Buche bekannt zu machen. Wie vollständig und einsichtsvoll seine Darstellung ist, haben wir daraus ersehen, daß er auch unseren liebsten Jugendschriftsteller aus der Zeit Friedrich Wilhelms III. – den Augsburger Christoph Schmid – nicht ungenannt gelassen hat.

Im Sommer und Herbst des Jahres 1797 kam Goethe auf einer neuen italienischen Reise nur bis in die Schweiz. Dort traf er mit Meyer zusammen. Scherer findet in den Aufzeichnungen, die uns aus diesen Monaten überliefert sind, einen bemerkenswerthen Fortschritt gegenüber der „italienischen Reise“. Früher hatte Goethe so zu sagen naturalistisch dreingegriffen. Jetzt wird Alles methodisch betrieben und wie für eine wissenschaftliche Reisebeschreibung zurechtgelegt. Er bedient sich gewisser Schemata der Beschreibung, um Land und Leute, Orte und Personen, Zustände und Kunstwerke sicher zu erfassen. Großartig war in diesem Sinne 18095 die Schilderung Winckelmann’s von Goethe. Sein Verhältnis zum Alterthume zeigten auch die römischen Elegien. In seiner Jugend hatte Goethe, Herder folgend, die mythologischen Figuren verworfen. Sie hatten nun erst ein Recht darauf, sich bei Goethe mit dem elegischen Versmaße der Alten wieder einzufinden. Nirgends aber stört nach Scherers Ansicht gelehrte Trockenheit und zu häufige Anspielung wie bei den römischen Elegikern. Selbst Properz ist für Scherer durch Goethe übertroffen an belebter Scene und Handlung.

– Während Goethe’s Abwesenheit in Italien war Schiller nach Weimar gekommen. Elf Jahre hindurch, bis zu Schillers frühzeitigem Tode, trübt nicht der leiseste Schatten eines Zerwürfnisses das Verhältniß der beiden Heroen. Kein Klatsch drängte sich zwischen sie und keine entgegengesetzten Interessen konnten sie von einander entfernen. Von 1794 bis 1805 stand keiner Goethe so nahe als Schiller. Wie Goethe übrigens die künstlerischen Angelegenheiten mit Heinrich Meyer verhandelte, so die literarischen mit Schiller. Nun erst ward die Vorherrrschaft Weimars in der Literatur, zu der Wieland den Grund gelegt und Herder mitgeholfen hatte, eine vollendete Thatsache. Kein Wagniß war nun für Schiller und Goethe zu groß. Eigentlich interessierten damals nur Staats-und Religionsmaterien. Namentlich war die politische Discussion auch in Deutschland an der Tagesordnung. Aber Schillers Horen wollten gerade Politik und Religion ausschließen. Auch die leichte Unterhaltungsliteratur sollte aus ihnen verbannt sein. Für die Lyrik jener Zeit gab aber Schiller neben und nach den Horen von 1796 bis 1800 einen eigenen Musenalmanach heraus. Im Musenalmanach für 1797 erschienen die Xenien. 2000 Exemplare waren rasch vergriffen.

Von 1791 bis 1817 leitete Goethe das neue gegründete weimarische Hoftheater. In dieser Zeit, schon um 1801, mußten sich nun selbst die Berliner Schauspieler an den Jambus gewöhnen, wenn sie ihn auch lässiger behandelten als in Weimar gestattet war. Der natürlichen Betonung wegen ließen sie sich ihre Rollen gern in Prosa ausschreiben. Am 2. April 1803 wurde in Weimar Goethe’s „Natürliche Tochter“ zuerst gegeben. Ein französischen Memoirenwerk lag der Arbeit zu Grunde. Goethe aber nannte Frankreich nirgends, vereinfachte die französische Revolution bis zum Typischen und führte sie auf ihre Gründe zurück. Im ganzen genommen, stockte Goethe’s dramatische Produktion gerade in seinen Theaterjahren. Dafür entstanden jetzt aber fachgemäß Wilhelm Meisters Lehrjahre. Dieser kennt das Leben mehr aus den Poeten als durch Erfahrung oder Beobachtung. Als Wilhelm’s Beruf für die Bühne entschieden scheint, soll er auf einmal ein Talent gehabt haben, damit nicht geradezu das ganze Comödienspiel schon an und jfür sich als ein Irrthum erscheint. Wir lernen jetzt in Lothario, der an Carl August erinnert, den edelsten Typus eines vornehmen deutschen Mannes kennen. Wilhelm schätzt sich glücklich, diesem zu dienen. Ein handelndes Leben zu führen scheint ihm jetzt allein der Mühe werth zu sein. Das Verhältniß ist ganz wie Goethe’s Verhältniß am Weimarischen Hofe.

In’s fünfte Buch hat Goethe auch die Bekenntnisse einer schönen Seele eingeschaltet. Diese sind im Wesentlichen eine Biographie des Fräuleins von Klettenberg, die ihn für eine herrnhutische Religiosität gewonnen hatte, und die er jetzt zu Lothario’s Tante machte. Scherer meint, Goethe müsse das Gefühl gehabt haben, als sei der Umgang mit ihr für ihn eine Läuterung und eine Vorstufe zu Weimar wie ein Roman zu der Gesellschaft Lothario’s. Aber tiefer hat Goethe nichts aus den Abgründen der menschlichen Seele heraufgeholt nach Scherer’s Ansicht als Mignon und den Harfner sowie die Gesänge, die er ihnen in den Mund legt. Das Menschliche allein fesselt den Dichter. Die leblose Natur, die ihm Werther einen so breiten Raum einnahm, tritt ganz zurück. In geordneter Buntheit stellt er eine lange und reiche Scala von Charakteren vor uns hin. Und so machen denn auch weder die sich nur langsam entwickelnden Begebenheiten noch die theoretischen Gespräche noch die vielen „rein zuständlichen Episoden“ den Leser unwillig. Die Fortsetzung in Wilhelm Meisters Wanderjahren bezeichnet jedoch Scherer hier als mangelhaft.

Aber Goethe trug einen vaterländischen Stoff in seiner Seele, welchen er unmittelbar nach der Vollendung von Wilhelm Meisters Lehrjahren im September 1796 zu bearbeiten anfing und der schon im Juni 1797 fertig ausgeführt vorlag. Es war Hermann und Dorothea, die Krone seiner Epik, das Meisterstück seines stilvollen Realismus und zugleich die edelste Frucht jener Richtung, welche er in Italien eingeschlagen hatte. Während Voß in der Luise nach Scherer’s Ansicht das Alltägliche ohne Verklärung trocken abschrieben, ließ Goethe in Wilhelm Meister die Figuren ihren tiefsten Lebensgehalt aussprechen. In dem Singspiele Jery und Bätely, das „in Scribe’scher Bearbeitung und mit Adam’s Musik noch heut’ auf französischen und deutschen Bühnen lebt“, hatte er statt der Weiße’schen Operettenbauern die Schweizerbauern seiner Schweizerreise von 1779 geschildert. In Hermann und Dorothea leitet er noch überdies die Schicksale deutscher Männer und Jungfrauen auf eine nicht gemeine Weise aus den Weltbegebenheiten ab. So stellte er gegenüber die befestigte Existenz eines kleinen Städtchens auf der einen und das entwurzelte Dasein der Vertriebenen auf der andern Seite. Aus den Salzburgischen Emigranten machte er solche, die um der Revolution willen die Ufer des Rheines verlassen. Haben. Wir erlauben uns hier, darauf aufmerksam zu machen, daß Goethe, obgleich er keine Begebenheit aus der Geschichte der von Friedrich Wilhelm I. Berufenen salzburgischen Emigranten zu erzählen vorgiebt, doch die preußische Zucht des genannten Königs in Hermann und Dorothea immer vor Augen hat. Mann kann sich hiervon leicht durch einen Blick in die aktenmäßige Geschichte der salzburgischen Emigranten bei Droysen Geschichte der preußischen Politik) überzeugen. Goethe setzte dabei ohnehin nur König Friedrich Wilhelm I. gewissermaßen an die Stelle Friedrich Wilhelm II., der ja in der That als der geschichtliche Repräsentant des der französischen Revolution gegenüberstehenden monarchischen deutschen Geistes erscheint und mit dem Goethe selbst in die Champagne gezogen war. Hermann’s „Gesinnung“ ist die deutsche Gesinnung Friedrich Wilhelms II., weshalb auch das Staatsideal Friedrichs des Großen in dem Gedichte weniger vertreten ist. Dies war auch insofern nicht nöthig, als dem Dichter, wie schon gesagt, dessen Vater Fiedrich [sic] Wilhelm I. Selbst noch vorgeschwebt hat. Ein Friedrich Wilhelm III. Und eine Königin Luise hatten noch nicht auf den Thron des schon damals für ganz Deutschland vorbildlichen preußischen Staates gesessen. Deshalb that Goethe von seinem Eiugenen hinzu, was sich in dem Gedichte auf die Empfehlung des Familienlebens bezieht. Wenigstens macht Scherer darauf aufmerksam, wie bedeutungsvoll er in der Elegie „Hermann und Dorothea“ die Freunde an den häuslichen Herd lade, dessen Feuer die Gattin schüre, während der spielende Knabe das Reis dazu werfe.

Werther und Wilhelm Meister, Egmont und Tasso (sagt Scherer) waren einzelne von der Familie abgelöste Menschen. Hermann bleibt mitten darin, und in der Art, wie ihm der Vater vorkommt, wie ihm die Mutter vorsteht, werden wir an Goethe’s eigene Jugend erinnert; Hermann’s Mutter rückt nahe an die thätige Elisabeth von Berlichingen heran; für beide mag Goethe’s Mutter Modell gestanden haben. 1802 erinnern in dem Vorspiel „Was wir bringen“ mehrere Figuren an die Personen in Hermann und Dorothea, besonders er alte Wirth und die für das Alte eintretende Wirthin. Um diese Zeit,im Dezember 1803, starb Herder, der schließlich durch seine Parteinahme für die französische Revolution Goethe entfremdet war. Scherer sagt, daß er mit Kälte angesehen hätte, was Schiller und Goethe gemeinsam erstrebten. Auch habe er die Produkte des 18. Jahrhunderts über Gebühr erhoben, um das herabzudrücken, was Goethe und Schiller zusammenwirkten. Dieser selbst starb am 10. Mai 1805. Auf ihn, hinter dem in wesenlosem Scheine das Gemeine lag, wendet Scherer auch Goethe’s Wort auf Achill’s Tod an: „Ach, daß schon so frühe das schöne Bildniß der Erde fehlen soll, die weit und breit am Gemeinen sich freuet!“

Schillers Jugendstücke waren satirisch gewesen. Unter seinen Vorbildern waren Gleim und Bürger. Wie fein und geistreich wurde aber später seine Erfindung! Im Don Carlos, wie das Publikum ihn fertig kennen lernte, warnt ein Freund in bester Absicht vor dem Freunde, Carlos schöpft Verdacht gegen den Marquis und deshalb gehen beide unter. In dem Marquis hatte Schiller zwei Jahr vor dem Ausbruche der französischen Revolution einen Schwärmer hingestellt, wie sie bald darauf die Geschicke Europas bestimmten. Ueber den Dichter hat Schiller gesagt: „An Tugenden der Vorgeschlechter entzündet er die Folgezeit; er sitzt, ein unbestochener Wächter, im Vorhof der Unsterblichkeit.“ Schiller selbst war auch als Dichter spekulirend in der Welt der Begriffe heimisch, während Goethe in jeder Hinsicht nur schauend seine Kenntnisse erweiterte. Keine Literatur der Erde besitzt nach Scherer eine Gedankendichtung, welche über die Schiller’sche hinausreiche an geistvollem Tiefsinn, Kraft der Gestaltung und Mannichfaltigkeit der Erfindung. Es handelt sich dabei um wenige Grundanschauungen, aber um Motive von ungemeiner Fruchtbarkeit. Referent erinnert hierbei an den Alvenjäger [?], halb Ballade, halb Lehrgedicht, worin Schiller die ersten Culturstufen der Menschheit sehr geschickt nebeneinander auftreten und den Stand des Hirten oder Ackerbauers vor dem des Jägers empfehlen läßt, dern er auf die Spitze der Alpen verlegt, um noch heute seinen Zusammenhang mit den dämonischen Mächten zu zeigen.

Wo Schiller sich des Reimes bedient, neigt er asich nach Scherers Ansicht zur Schönrednerei. Seine Distichen setzt Scherer denjenigen von Goethe gleich und zieht ihn an epigrammatischer Schärfe und an Fähigkeit, Sentenzen auszuprägen, diesem vor. Unter den Charakteristiken Schiller’scher Dramen, die Scherer in dieser Lieferung giebt, hat uns die der Maria Stuart besonders angesprochen. Schiller verwendet darin nach Scherer den Katholicismus rein künstlerisch. Seine eigenen religiösen Meinungen ordnet er den künstlerischen Absichten unter. Schiller verschweigt nicht, daß die Ligue und die Jesuiten hinter Maria stehen. Aber diese Thatsache wird der Phantasie nicht eindringlich vorgestellt. Man kann nichts Rührenderes sehen als die Hingebung ihres Getreuen im fünften Akt. Maria zeigtr sich kühn und dabei doch maßvoll. Elisabeth vorsichtig und dabei doch vernichtend. Jene steigt zur Läuterung auf und entbehrt keine irdischen Güter mehr. Diese sinkt in den Augen ihrer treuesten Diener und verliert die irdischen Güter, an denen sie hängt. Schiller hat nach Scherer zwar die Charaktere weder reich ausgestattet, noch erschöpft, aber er hat die dramatischen [sic] Situation vortrefflich festgestellt und benutzt. Ausgezeichnet ist die Exposition. Der Dialog fließt aus der Handlung, charakterisiert die Personen und theilt doch zugleich dem Zuhörer mit, was ihm zu wissen nöthig ist.

Noch vor Schiller’s Tode trat eine Gegenströmung gegen die Antike ein, die sich vor allen anderen ästhetischen Interessen hervorgedrängt hatte. Erst zur Zeit der Romantik,und zum Theil in Verbindung mit ihr, verlangten außer den älteren Sprachen noch andere Wissenschaften ihre Rechte. Schon Georg Forster hatte in seinen Ansichten vom Niederrheine die Kunst der Beschreibung von der Natur auch auf Bauten und Gemälde, ja, auf die Physiognomie der Städte und des öffentlichen Lebens übertragen. Die vergleichende Erdkunde mit ihrer physikalischen Generalisation, ihrer Erforschung des Zusammenhanges zwischen Erde und Menschen einerseits und Geographie und Geschichte andererseits ist eine deutsche Schöpfung.
Kaum hatten sich die Wissenschaften in solcher Weise gestaltet, als die Königin Luise im Namen ihres Gemahls sprach: Friedrich der Zweite hat für Preußen Provinzen erobert, der König wird im geistigen Gebiet Eroberungen für Preußen machen. In diesem Sinne setzte Wilhelm von Humboldt die Gründung der Universität Berlin durch. Dabei wurde die Abkehr von der Aufklärung, die von den Theologen Herder 1774 und Schleiermacher ... ausgegangen war, immer entschiedener.

In Schleiermacher’s Reden über die Religion berührten sich aber wie im jungen Goethe herrnhutische und pantheistische Elemente. Mit gewohnter Umsicht schildert Scherer hier wieder insbesondere die Heranbildung der Mythologie und der germanischen Wissenschaften. Zugleich aber fügt er auch hier wieder, nicht scharf in der Form, wie sich von selbst versteht, aber treffend in Bezug auf den Inhalt die Kritik hinzu: Niebuhr irrte, wenn er die überlieferte Urgeschichte Roms aus verlorenen epischen Liedern ableitete; die Brüder Grimm und andere irrten, wenn sie die Entstehung volksthümlicher Poesie in ein geheimnisvolles Dunkel rückten und ihr die Kunstpoesie allzuschroff entgegensetzten; Savigny vollends irrtge, wenn er dasselbe geheimißvolle Dunkel über die Entstehung des Rechtes breitete, die Kindheitsepochen der Völker als produktiv gelten ließ und späteren Zeiten die Fähigkeit schöpferischer Rechtsbildung absprach.
Von den Brüdern Grimm sagt Scherer noch: „Die Wissenschaft der Nationalität, wie sie Wilhelm von Humboldt vorschwebte, hat niemand so energisch und vielseitig auf das heimliche Wesen angewendet, wie dieses prunklose Gelehrtenpaar; und zwei verschiedene, gleichberechtigte, gleichnothwendige Arten im Betriebe der Wissenschaften erscheinen durch sie gleichsam symbolisch ausgeprägt: das großartige Finden in dem älteren, das ruhige Ausbilden in dem jüngeren …...

Wilhelm Grimm erforschte besonders die Geschichte der deutschen Heldensage, übersetzte altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen, gab viele Denkmäler deutscher Poesie und Sprache vom achten bis dreizehnten Jahrhundert heraus und brachte die von ihm und Jacob unternommene Sammlung deutscher Kindermärchen in ihre klassische Gestalt. Er wußte, was Kinder gern hören. Er schuf den einheitlichen Stil dieser Märchen, ohne ihn doch zu erfinden. Er lernte, den mündlichen Erzählungen, wie sie im Volke umlaufen, die besten, naivsten, liebenswürdigsten Züge ab und verfügte darüber nach dem freien Ermessen seines eigenen feinen Geschmackes. Er leistete mit dem Märchen, was Arnim, Brentano, Tieck und Andere mit den Volksliedern und Volksromanen nur ...

(36) ... versuchten. Es gar die unschuldigen Kindergeschichten, die sich in die unteren Stände zurückgezogen hatten, der ganzen Nation wieder und lieferte ein in seiner Art vollkommenes Kunstwerk, das auch außerhalb Deutschlands Beifall und Nachahmungen fand.“

Die „romantische Wissenschaft“ war historisch gestimmt. Sie konnte nicht mehr ganze Epochen verachten. Das früher so geringschätzig angesehene Mittelalter suchte sie mit Vorliebe auf. In dieser Vorliebe ging sie sogar zu weit. „In der Musik kam zwar nicht das Mittelalter, aber die strengere kirchliche Kunst zu neuen Ehren. Und die theoretische wie die praktische Politik schmiegte sich allen diesen historisch-conservativ-romantischen Neigungen verständnißvoll an, um den Abscheu vor der Revolution gegen die parlamentarischen Verfassungen und zum Vortheil der privilegirten Stände zu benutzen. Die kirchliche und weltliche Geschichtsschreibung selbst ging den gleichen Weg.“

Die Historiker des achtzehnten Jahrhunderts waren nach Scherer subjectiv gewesen. Die des neunzehnten strebten nach Objectivität. Jene urtheilten auf Grund vorgefaßter Meinungen. Diese drängten ihr persönliches Urtheil zurück. Jene forschten zwar nach den Ursachen der Ereignisse, fanden sie aber nur in den handelnden Individuen. Absichten und Pläne schrieben sie ihnen aus ihren eigenen kleinen Vorstellungskreisen zu. Die Geschichtsschreiber des neunzehnten Jahrhunderts wollten den verschiedenartigsten Personen und Zeiten gerecht werden und deren eigenthümliches Seelenleben verstehen. An der Universität Göttingen wirkten die bedeutendsten Kirchen- und Profanhistoriker der älteren Richtung. Sie hießen Mosheim, Pütter, Gatterer, Schlözer, Spittler, Meiners, Heeren und Planck. Scherer sagt, daß ihnen gegenüber Justus Möster die gerechtere Auffassung des neunzehnten Jahrhunderts vorbereitet habe. Zugleich habe er den historischen Vortrag unter die Gesetze einer epischen Kunst gestellt. Aehnlich war dann der Gegensatz zwischen den Schweizern Iselin und Johannes Müller. Dem letzteren, wie hoch er auch schon stand, war doch nach Scherer’s Ansicht sogar Archenholz überlegen. Er schrieb den siebenjährigen Krieg als unbedingter Bewunderer Friedrichs des Großen lebendig und populär. An dem Historiker Schiller war weder die Kraft der Darstellung, noch der sichere Blick in den inneren Zusammenhang der Begebenheiten noch die eindringende Auffassung bei geringer Gelehrsamkeit auffallend. Indessen blühte vor Allem die Literaturgeschichte auf. Die Darstellungen der deutschen politischen Geschichte können sich bis heute nicht messen mit der Geschichte der deutschen Dichtung von Gervinus.

1808 sammelte sich um die Zeitung für Einsiedler, ein kleines journal von kurzem Bestande, eine neue jüngere Generation romantischer Dichter und Gelehrten. Sie hatten ihr Augenmerk von vornherein auf die ältere und volksthümliche deutsche Literatur gerichtet. Diese Männer waren die Brüder Grimm, Achim von Arnim, Clemens Brentano, Ludwig Uhland und Joseph Görres. Der letztere sagte, Heidelberg sei ja selbst eine prächtige Romantik; da umschlinge der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Blumen und mit Leben, da erzähle Burg und Wald ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeineres auf der Welt. Goethe nahm die Widmung des Wunderhorns mit Wohlwollen entgegen. Er hatte nicht vergessen, daß er in der Jugend selbst Volkslieder sammelte. „Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter in Fülle“, hätte er auch der Romantik gegenüber sagen können. H.P.

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Die Sabbathianer.
Von Dr. J. Morgenstern.

„Stultorum deus eventus est!“
Der Gott der Thoren ist der Erfolg.

Keiner der falschen Messiase hat eine solche hochwichtige und epochemachende Rolle während seines Erdenwaltens gespielt, als der in Smyrna 1625 geborene Sabbathai Zewi, nach dessen Namen eine Anhänger sich nannten und noch bis auf heutigen Tages, wenn auch nur zerstreut und keine festgegliederte Sekte bildend – in allen Weltgegenden existiren. Alle die falschen Messiase, welche im Laufe der achtzehn Jahrhunderte auftragen, selbst der berühmte Bar-Cochba im Jahre 132 n. Chr. Unter den Regierung Hadrian’s nicht ausgenommen, sind spurlos verschwunden. Wohin sie mit ihrem Jammer gewandert, und welche Scholle ihre Grabesstätte umschließt, wird nicht berichtet, das weiß nur die Nemesis, die unerbitztliche Buchführerin, welche die Schulden eintreibt von den Schuldigen. Nur der einzige Sabbathai hat sich ein Denkmal – der Narrheit errichtet in Denen, die ihm noch heute treu anhängen und auf seine Messianität schwören. So groß war die Begeisterung für Sabbathai Zewi, daß der Wahnglaube sich an ihn heftete und allerlei Fabeln über ihn erdichtete.

Sabbathai Zewi soll Wunder bewirkt haben, wie sie zur Zeit der Propheten nicht geschehen und vorgekommen sind. Ein Ochse soll ihn sogar als Messias erklärt haben. Gleich einem Jusua, der die Sonne in Gibeon und den Mond im Thale Asalon stille stehen hieß, gebot auch er dem Himmel, Zeugenschaft für seine Messianität abzulegen, und sofort erschien am Firmamente in flammender Schrift sein Name: „Sabbathi Zewi, der Messias der Juden!“ War der Ochse sicherlich nichts anderes als ein in Menschengestalt verdummtes Wesen, so war auch die am Himmelsfirmament erschienene Flammenschrift nur eine Sinnestäuschung, die der Gaukler von Smyrna in einer Entfernung anbringen ließ, welche die vom Geistestaumel Berauschten als ein Himmelszeichen ansahen. Auch gab er vor, die Kraft zu besitzen, sich in die Wolken zu erheben, um sich zeitweilig zur geheimen Unterredung zu Gott zu begeben und berief sich dabei auf die Weissagung des Propheten Jesaias. Als jedoch einer seiner Schüler einen leisen Zweifel darüber auszusprechen wagte, stieß er ihn als unwürdig aus der Gemeinschaft aus, weil er noch nicht den höheren Grad von Erkenntniß erlangt habe, ihn in seinem Fluge zu schauen. Die übrigen Schüler fanden sich geehrt und geschmeichelt durch die Anerkennung ihres Meisters und verkündeten allenthalben seine Himmelfahrt. Coelum ipsum petimus stultitia! –

Dulciano, das auf dem orientalischen Congreß zu Berlin eine so wichtige Rolle gespielt und die großen Diplomaten so sehr beschäftigt, war schon früher dazu berufen, aller Orten von sich reden zu machen. Hunderttausende blickten damals in Asien und Europa gläubigen Sinnes nach dem kleinen albanesischen Städtchen, wo ein Mann seine letzten Tage dahin brachte, der dreißig Jahre hindurch die Bewohner der alten Welt in Athem hielt, und von dem das französische Sprüchwort gilt: „On commence par être dupe, et on finit par être fripon,“ der möglicherweise nur als Betrogener begonnen, aber sicherlich als Betrüger geendet. Und als er starb, pilgerten sie noch Jahrzehnte lang in Schaaren nach Dulciano, um an seinem Grabe zu beten und die Erde zu küssen, welche die modernde Ueberreste dieses Heiligen deckte.
Es existiren manche wunderliche Bücher über ihn, über sein Leben und Ende. Dunkel, wie die engen und dumpfen Häuser der alten Ghettogasse, dahin kein Sonnenstrahl gedrungen, ist auch Sinn und Inhalt dieser Büchlein. Trotz des lächerlichen Fiasko’s, mit dem Sabbathai Zewi nach mehr denn dreißigjähriger Wirksamkeitn von der Bühne der Oeffentlichkeit zurücktrat und als Gefangener sein Leben vertrauerte, glaubten doch Viele dieser Gottesgelehrten noch an die Sendung des armseligen Schwärmers, glauben, daß er es vermöge der Kabbala zu einer gewissen Gottesähnlichkeit gebracht habe, und nur darum von der stolzen Höhe eines Messias hinabgestürzt sei, weil er im blinden Wahne selber an dem traditionellen Gottesgesetz gerüttelt habe. Obgleich Sabbathai Zewi später, als Betrüger entlarvt, zum Islam übergetreten war, um nur sein jämmerliches Leben zu retten, sagt doch einer dieser Kabbalisten von ihm: „Das Gottesgericht hat ihn ereilt, nachdem er sich seiner göttlichen Mission unwürdig gezeigt, und doch starb er wie ein Auserkorener: Am Abend des Versöhnungstages, nachdem er wieder geläutert und verklärt dastand, holte ihn der Todesengel plötzlich ab – “

Im Jahre 1625 wurde zu Smyrna, als der Sohn eines reichen Kaufmanns, ein Knabe geboren, über dessen Wiege sich alsbald der Genius der – Narrheit beugte und auf die Stirn des ahnungslos schlummernden Kleinen das Zeichen irdischer Unsterblichkeit schrieb – Sabbathai Zewi nannte man jenes Kind – später „Den Narren von Smyrna“. Ueber seine Jugendjahre sind wir vollständig im Unklaren; nur so viel ist gewiß, daß er schon frühzeitig in das Studium des Talmuds eingeführt wurde, worin er eine solche Fertigkeit erlangte, daß selbst berühmte Männer und Rabbiner als Schüler zu den Füßen dieses Jünglings saßen. Mit einem lebhaften Geiste ausgestattet, entsagte er bald den Ideen des Talmuds, um sich der Schwärmerei in die Arme zu werfen. Sonst ist weiter nichts von dem Jünglinge bekannt, dessen Name bald in Europa und Asien einen so hellen Klang erlangen sollte. Das Wort, daß, sowie jeder Mann seine Zeit auch jede Zeit ihren Mann hat, paßt auf keinen Menschen in der Geschichte besser und treffender, als auf Sabbathai Zewi. Er sah sich in eine Zeit hineingeschnellt [sic], in welcher alle Welt vom kabbalistischen Schwindel ergriffen war.
Die Kabbala, ursprünglich ein jüdisches Produkt, war ein Jahrhundert zuvor von zwei christlichen Männern von klangvollem Namen, von Reuchlin in Deutschland, und von Graf Pico de Mirandola, dem „Wunderkind Italiens“, in Italien auf das Piedestal des Ruhmes und der Wissenschaft erhoben worden, wodurch die bis dahin nur auf dunklen Wegen einherschleichenden Kabbalisten nunmehr un so kecker und freister in die Oeffentlichkeit sich drängten. Jeder, nur einigermaßen von der Kultur beleckt, studirte – die Kabbala. Diese günstige Zeit für Schwärmerei und Geistesgaukelei benützte der Schwärmer von Smyrna, die Messiasidee wieder einmal „aufzufrischen,“ mußte aber den Rausch, die Messiaskrone auf kurze Zeit getragen zu haben, scher büßen. Menschenbeglücker, Freiheitsverkünder und Hoffnungsapostel hat es zu allen Zeiten gegeben; jedoch nicht, die Hoffnung ihres Volkes zu beleben, sondern nur ihrem eigenen verspielten Leben, sowie ihrer dunklen Existenz einen neuen Hoffnungsstrahl zu geben.

Sabbathai Zewi war unter allen Umständen eine hochinteressante Erscheinung, welche weit über jene Dutzendschwindler emporragt, die im Laufe der letzten Jahrhunderte als Auserwählte und Messiase auftragen. Es schien einen Augenblick, als ob er die Welt aus den Angeln heben wollte. Ein Geschichtsschreiber berichtet, daß im Jahre 1661 in Folge der Nachrichten, welche aus Smyrna über den Messias kamen, an der Hamburger Börse eine Deroute ausbrach und die Course procenteweise gedrückt wurden. Die jüdischen Patrizier von Hamburg und Amsterdam glaubten an diesen Messias und geriethen in dieselbe verzückte Raserei, in welcher dessen Anhänger in Smyrna schwelgten. Ein Zufall, der sich am Tage der Börsen-Deroute in Hamburg abspielte, trug nicht wenig dazu bei, die Heiligkeit dieses Messias in den Augen der Bethörten zu erhöhen. Ein Besucher der Börse sprach leise Zweifel an der Wahrheit dieses Messias aus. Als der Zweifler die Börse verließ, stürzte er plötzlich Angesichts der Menge todt zusammen. „Ein Wunder, ein Wunder!“ jauchzten die Verblendeten, trotzdem die Aerzte einen Schlagfluß constatirten. Wie sich aber später herausgestellt, hatten sich auch die Aerzte geirrt, weil der à la hausse Speculirende vor Schreck starb, als er die Papiere procentweise fallen und sein Vermögen verloren sah.

Ein ähnlicher Zufall ereignete sich auch in Amsterdam, wo Spinoza das Licht der Vernunft angezündet hat. Die Amsterdamer Judenschaft und insbesondere der portugiesische Jude Isaac Senior Teireira [?], der Resident der schwedischen Königin Christiana zu Hamburg, welcher in Geschäftsangelegenheit daselbst verweilte, erkundigten sich über Sabbathai bei ihren Handlungscorrespondenten in der Levante und erhielten die lakonische Antwort: „Hu welo acher , „Er ist’s und kein Anderer!“ Eben waren die Kaufleute auf der Börse versammelt, als dieser Brief eintraf und Alles der erfreulichen Nachricht wegen jubelte, als ein Börsenbesucher, Namens Anatia, auftrat und die ganze Geschichte für ein Märchen erklärte, indem er ihnen bewies, daß die Vorzeichen, welche bei der Ankunft des Messias eintreffen sollen, sich bis jetzt noch nicht erfüllt haben, und verlachte Jene, welche diese Nachricht glaubten. Aber scher wurde sein Vorwitz bestraft, denn als er Mittags von der Börse nach Hause kaum und sich zu Tische setzte, sank er plötzlich vom Stuhle und – verschied. Diesen Zufall sahen die Amsterdamer Juden als eine Strafe Gottes an, weil Anatia den Messias verhöhnt und verspottet, und wurden dadurch in ihrem Wahne nur um so mehr bestärkt.

Der menschliche Wahn hat zu allen Zeiten eine mächtige Rolle gespielt, zu den Zeiten Sabbathai’s jedoch haben blöder Witz und fanatischer Aberglaube geradezu Orgien gefeiert. Der Narrengott hatte sich auf den Thron der Welt emporgeschwungen, allüberall umtanzte man das Götzenbild – den neuen Messias. In Ungarn wickelten die jüdischen Kaufleute ihre Geschäfte ab, entäußerten sich ihrer sämmtlichen Habe und unbeweglicher Güter und rüsteten sich zur Auswanderung nach Palästina. La Croix, der ihn selbst geserhen und gesprochen hat, mithin als Augenzeuge von ihm spricht, berichtet, daß auch alle Juden Persiens ihre Geschäfte und Gewerbe verließen, um sich dem herannahenden Messias anzuschließen. Der Gouverneur ließ ihnen sagen – dies sind die Worte des La Croix – : „Que faites Vous, pauvres gens, d’abandonner ninsi le travail, au lieu de souger à payer Votre tribut?“ Sie aber antworteten ihm: „Le tribut, Seigneur, nous n’en payerons pas, car notre liberateur est venu.“ Während eines Sonnabend-Gottesdientes im Jahre 1666 erlaubte sich ein Jude in der Ofner Synagoge an Sabbathai und seiner Wunderkraft zu zweifeln. Jakob Aschkenasi, ein aus Wilna eingewandter Jude, beantragte in seiner schwärmerischen Verzückung, daß der Zweifler sofort getödtet werde, welchem Antrage jedoch nicht entsprochen, sondern bis zur Constituierung des jüdischen Reiches verschoben wurde. In Hamburg wurde am 9. Oktober desselben Jahres – es war an einem Versöhnungstage – ein Greis in der Synagoge tödtlich mißhandelt, weil er es wagte, seinem Zweifel an den Messias lauten Ausdruck zu geben. Ein angesehener und berühmter Mannin Smyrna, Namens Vechina [?], war verständig genug, Sabbathai für einen Schwärmer zu haltenm, und forderte ihn auf, in der Synagoge zu erscheinen und Angesichts Gottes und der Menschen seine Lügen zu widerrufen, welchem Ansinnen Sabbathai sich mit Hohn und Verachtung widersetzte. Vechina ging alsdann mit einer kleinen Anzahl von Gesinnungsgenossen, ihn aufzusuchen und zu züchtigen. Nur der schnellen Flucht hatte es Vechina zu verdanken, daß er dem sichern Tode entrann; die eigenen Kinder verfolgten den Vater und beschimpften ihn. Vom Bosporus bis zur Elbe segelte das Narrenschiff, das die lustigen Abenteurer ihren geträumten Utopien entgegenführen sollte!

Wer will es den damaligen Juden verdenken, daß sie sich von Sabbathai so sehr zum Besten halten ließen? In der mystischen Geheimlehre, diesem krausen Gemengsel, großgezogen, gon jedem Fortschritt unberührt, seit Jahrtausenden im Finstern umhertappend, in ihren Ansichten von der großen Welt kindlich naiv, mußten sie einem Abenteurer, der über so viele glänzende Eigenschaften verfüge, als es bei Sabbathai der Fall war, in blindem Glauben ergeben sein. Wie eine ansteckende Pest griff der Messias-Taumel immer rascher, immer furchtbarer um sich; er riß Alles mit sich fort. Da nun der Ruf Sabbathai’s sich weit verbreitet hatte, so wurden aus allen Weltgegenden Gesandtschaften mit kostbaren Geschenken an ihn abgeschickt, um sich seiner Gnade zu empfehlen, und Deren waren so viele, daß Manche oft drei bis vier Wochen waren mußten, ehe sie zur Audienz gelangen konnten. Die ärgsten Zweifler wurden mürbe, die Regierungen begannen ernstlich über die Sache nachzudenken, Sabbathai wurde ein Faktor, mit dem Europa und Asien zu rechnen hatte.

Bald waren es nicht mehr die Juden allein, welche sich vor dem neuen Messias in den Staub warfen, auch Moslem’s schlossen sich zu Tausenden ihm an, und wie Schudt erzählt, begab sich Ende August 1666 eine große Deputation der Hamburger Portestanten zum Prediger Esdras Edzardi, und der Sprecher der Deputation sagte: „wir haben von unsern christlichen Correspondenten aus Smyrna, Konstantinopel und an den Orten der Türkei ganz zuverlässige Nachrichten, daß der neue Judenmessias so viele Wunder thue, und die Juden der ganzen Welt sich um ihn schaaren. Wo bleibt denn nun die christliche Lehre und der Glaube an unsern Heiland?“ In Mähren artete die Schwärmerei sowohl bei Juden als auch bei Christen so heftig aus, daß der Statthalter Graf Dietrichstein einschreiten und die erregten Gemüther beruhigen mußte.

Sehen wir uns den Mann näher an, der eine so mächtige Bewegung hevorzurufen im Stande war, der, wenn auch nur für kurze Zeit, zwei Welttheile so gründlich durcheiander rüttelte und schüttelte und die Bewohner derselben in ihrer Fieberhitze von einer Extase in die andere warf. Wie sehr auch die Anzahl von Schriftstellern, welche sich mit Sabbathai befassen, in ihrer Ansicht über sein Thun und Lassen, über sein Denken und Fühlen, divergiren mag, darin stimmen sie doch alle überein, daß er das Ideal eines schönen Mannes in des Wortes vollster Bedeutung war. Man glaubt irgend ein Romankapitel zu lesen, in welchem ein schönes Weib von sinnbestrickendem Reize geschildert wird, wenn man in den Beschreibungen blättert, welche die Zeitgenossen von der Person Sabbathai’s liefern. Er war eine titanenhafte, imposante Erscheinung, nicht fett und nicht mager, sondern von einem gewissen plastischen Ebenmaße. Seine Augen waren groß, dunkel und glühend; die Frauen mutheten diesem Auge eine überirdische Gewalt zu, und sie wurden seine ersten und beredtesten Apostel. Sein bleiches Antlitz umrahmte ein schwarzer Vollbart, der sorgsam gepflegt war und wie Seide glänzte. Sein frauenhaft kleiner Mund barg die schönsten Zähne, und sein Organ war weich und bestechend, und wenn sich die wohlgeformten Lippen öffneten, entquoll ihnen ein Strom melodiöser, prophetischer Beredsamkeit. Sabbathei sang auch gerne, und in der That soll seine Stimme einen zauberhaften Schmelz und süßen melodischen Klang besessen haben. Wenn er die alten jüdischen Psalmen sang, drängte sich die Menge herbei und lauschte ihm mit Entzücken.

Die reichen Gaben, welche die Natur ihm verliehen hatte: Schönheit, glühende Einbildungskraft, Fassungsgabe, Begeisterungsfähigkeit, die für eine minder phantastische Persönlichkeit Staffeln zum Glücke gewesen wären, gereichten ihm nur zum Verderben, weil er, in den Wirbel der Kabbala hineingerissen, damit das Erlösungswerk vollbringen zu können vermeinte. Mit solchen glänzenden Eigenschaften begabt, gewann er bald die Herzen der Frauen, die er in sinnenbestrickender Weise an sich zu fesseln verstand. Er war sich seiner bestechenden Eigenschaften bewußt und wandte tausende kleine Mittel an, um die guten Eindrücke, die er allenthalben hervorrief, noch mehr zu erhöhen. Seinem Körper entdufteten die herlichsten [sic] Wohlgerüche. Ein sicheres Merkmal des Messias, das auf eine falsche Interpretation der Jesaianischen Weissagungen beruht. Als ein Arzt und Hausfreund seines Vaters ihm aber ans Herz legte, daß es für einen so frommen und gottesfürchtigen Mann nicht schicklich sei, sich zu parfümiren, zog er sich ganz nackt aus, und der Arzt überzeuge sich augenscheinlich, daß dieser Duft weder von einer Salbe, noch sonst von einer Spezerei herrühre. Auf die Frage, woher dennoch dieser Wohlgeruch seines Körpers käme, erwiderte Sabbathai, nachdem er in schlauer Berechnung dem Arzte den Eid abgenommen, ohne seine Erlaubniß es Niemandem mitzutheilen, daß er einst in einer Nacht von den Patriarchen, Abraham, Isaac und Jakob, gesalbt wurde, und seit dieser Zeit Wohlgeruch seinem Körper entströme. Seine Kleidung war, der Site des Landes entsprechend, vornehm; der glänzende, schwarze Kaftan, mit dem roth-weißen Turban verlieh ihm etwas Majestätisches, und da sein Vater ein enorm reicher Kaufmann zu Smyrna war, konnte er auch mit vollen Händen Geld ausstreuen und sich durch dieses Zaubermittel Freunde und Anhänger verschaffen.

Er verheirathete sich zwei Mal mit zwei sehr hübschen Mädchen, trennte sich aber schon am Hochzeitstage von ihnen, um den Schein der Heiligkeit zu wahren, wodurch er zugleich den Reiz der Frauen für sich um so mehr erhöhte. Als er darüber von seinen Freunden zur Rede gestellt wurde, entschuldigte er sich damit, daß ihm durch Inspiration kundgethan worden, daß von diesen Gattinnen keine wäre, die für ihn im Himmel bestimmt wurde. Andere aber halten dafür, Sabbathai habe deswegen schöne Frauen zur Ehe gewählt und sich ihrer dennoch enthalten, um die Kraft seines Stoicismus auf die härteste Probe von Besiegung seiner Leidenschaft zu stellen, seine fleischlichen Begierden selbst bei dem Erlaubten zu bekämpfen und sich an die strenge Enthaltsamkeit zu gewöhnen. Er ahmte hierin vielleicht Sokrates nach, von dem seine Schüler sagten, er habe deshalb die zanksüchtige Xantippe zur Ehe gewählt, um sich an die Tugend der Geduld zu gewöhnen. Das allgemeine Interesse verstand Sabbathai meisterlich für sich zu erregen und wach zu halten. Er lebte sehr asketisch, mied den Verkehr mit Weibern, fastete viel, oft sechs Tage hintereinander, und nahm nur am Sabbath Nahrung zu sich, liebte es, in der rauhesten Jahreszeit um Mitternacht bei Lebewnsgefahr im Meere zu baden, und studirte die Kabbala, die übermenschliche Kraft verleihen soll, mit krankhafter Sucht. Hier fand er nachahmende Vorbilder frommer Karikaturgesichter, von denen das Sprüchlein gilt:
Mit ernstem Blick der stets nach oben schielt Und mit dem Himmel Comödie spielt.

Sein ohnedies von Natur excentrischer Sinn wurd eim Studium dieser Lehre überreizt, er sah phantastische Bilder und wunderbare Erscheinungen; ssein Geist war in einem beständigen Taumel. Er rang nach Klarheit, gerieth aber immer tiefer in Wirrnisse und Phantasmagorien. Seine Phantasie sah bald die verzerrten Gebilde der Kabbala Fleisch und Blut annehmen, bis plötzlich der eigentliche Wahn bei ihm ausbrach. Im Jahre 1646, zwanzig Jahre alt, tauchte die fixe Idee zum ersten Male iun ihm auf, daß er zum Messias berufen sei. Die Zeit war günstig dazu, weil schon frühere Kabbalisten aus einer Stelle in Daniel die Erscheinung des Messias auf dieses Jahr angezeigt. Tausende von balalen Zufälligkeiten wurden zu seinem Gunsten gedeutet, und bald fanden sich auch ein paar abgefeimte Schurken, die ihn in seiner Narrethei unterstützten, sich an seine Ferse hefteten und als seine Apostel in die Welt hinauszogen und seine Messianität verkündeten. Sabbathai scheint nicht ohne Nutzen die Schilderungen von dem großen Messias der Menschheit gelesen zu haben, denn er versuchte es, in allen Stücken dem bleichen Nazarener nachzumachen. Wie Christus ließ auch er die Kleinen zu sich kommen und beschenkte sie stets reichlich, und wie Christus des neuen Testaments wollte auch er Wunder üben. Sabbathai Zewi war aber nicht von dem Holze, aus dem man Religionsstifter schnitzt. Wer eine neue Religion gründen will, der müsse nach den Worten eines französischen Staatsmannes Wunder thun, sich kreuzigen lassen und – – nach drei Tagen wieder auferstehen. (Schluß folgt.)

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

– Die interessante Sammlung deutscher Literaturdenkmale des 18. und19. Jahrhunderts, die unter Leitung des Dr. Bernhard Seuffert zu Heilbronn im Verlage der Gebrüder Henninger erscheint, ist neuerdings durch drei werthvolle Hefte bereichert worden: Ephemerides und Volkslieder ovn Goethe. Satiren und poetische Spiele von Maria: (C. Brentano) Gustav Wasa. Die Kindermörderin. Ein Trauerspiel von H. L. Wagner. Nebst Scenen aus den Bearbeitungen K.G. Lessing’s und Wagner’s.