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Der Gemeindebote-Beilage der Allgemeinen Zeitung des Judentums 12. Juni 1914

  1. Jahrgang Nr. 24 Berlin, 12. Juni 1914
    Der Gemeindebote
    Beilage zur Allgemeinen Zeitung des Judentums

Korrespondenzen und Nachrichten
Deutschland
Berlin, 9.Juni. Das Mitglied des Kuratoriums der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, Herr Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Hermann Cohen, wird vom 9. Juni an Dienstag abend 8 – 10 Uhr, Vorleseungen über „ Ethische Lehren nach den Quellen des Judentums“, vom 10. Juni an, Mittwoch 11 – 1 Uhr vormittags „Philosophische Übungen über Maimonides ( Fortsetzung ), ferner vom 10. Juni an, Mittwoch 1 bis 2 Uhr „ Uebungen über Psalmen“ halten. Die Vorlesungen sind öffentlich und unentgeltlich. Meldungen wegen der Zulassung können im Sekretariat, Artelleriestr. 14, vormittags 11 bis 12 Uhr erfolgen.

Berlin, 9. Juni. Der Verein Lehrlingsheim Pankow hielt gestern unter dem Vorsitz des Herrn Rudolf Mosse die diesjährige ordentliche Generalversammlung ab. Den ersten Punkt der Tagesordnung bildete die Erstattung des Verwaltungsberichts, der ein anschauliches Bild von der segensreichen Tätigkeit des Vereins zeigte. Entsprechend seiner Aufgabe, tüchtige Handwerker unter unseren Glaubensgenossen heranzubilden, hat der Verein in den 18 Jahren seines Bestehens 153 Lehrlinge nach vollendeter Gehilfenprüfung entlassen, die nun auf verschiedenen Gebieten des Handwerks sich betätigen und mit gutem Erfolg ihren Beruf ausüben. Davon entfallen auf das Berichtsjahr 11 Zöglinge, und zwar: zwei Tischler, zwei Tapezierer, ein Elektromechaniker, ein Schriftmaler, ein Schriftsetzer, ein Optiker, ein Schneider, ein Schlosser, ein Zahntechniker. In der Anstalt sind gegenwärtig 35 Zöglinge. Von diesen stammen 15 aus Groß-Berlin, einer aus Ostpreußen, acht aus der Provinz Posen, einer aus Brandenburg, fünf aus Schlesien, zwei aus Hessen-Nassau, zwei aus dem Königreich Sachsen, einer aus Palästina. Leider ist der Verein nicht in der Lage, den Ansprüchen zu genügen, die in immer größerem Maße an ihn herantreten. Es wird daher an unsere begüterten Glaubensgenossen die herzliche Bitte gerichtet, den Verein durch Zuwendung von Geldmitteln in seinen Bestrebungen zu unterstützen. An alle, die sich für die Heranbildung eines eines tüchtigen, gesunden, fleißigen, jüdischen Handwerkerstandes interessieren, ergeht zu gleich die freundliche Einladung, das in Pankow, Mühlenstr. 24 gelegene Lehrlingsheim zu besichtigen.-- Bei den hierauf vollzogenen Wahlen wurden die Herren Emanuel Appel und Jacob Pasch als Revisoren und Herr Eduard Gronwald als Stellvertreter gewählt. Durch Zuruf erfolgte die Widerwahl der turnusmäßig ausscheidenden Vorstandsmitglieder. Hierauf wurde der Etat für das Jahr 1914/15 angenommen. Einstimmig beschloß sodann die Versammlung, dem Antrage des Kuratoriums entsprechend, Herrn M.D.Feilchenfeld, der kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert hatte, in Anerkennung seiner großen Verdienste um den Verein zum Ehrenmitgliede zu ernennen. Hiermit war die Tagesordnung erschöpft, und mit Dankesworten an die Erschienenenen schloß der Vorsitzende die Versammlung. In der anschließenden Kuratoriumssitzung konstituierte sich der Vorstand wie folgt: Rudolf Mosse, Vorsitzender; Oskar Tietz, Stellvertretender Vorsitzender; Kraft, Justizrat, Schriftführer; Prof. Dr. Strelitz, Stellvertretender Schriftführer; Georg Lachmann, Schatzmeister; Dr. J. Ginsberg, Stellvertretender Schatzmeister; Dr. S. Feist, M.D. Feilchenfeld, Max Fränkel, Oskar Oliven, Professor Dr. Paul Friedrich Richter, Kuratoren.
Berlin, 9.Juni. Der Verein für Arbeitsnachweis, begründet von den Berliner Logen U. O. B. B., Monbijouplatz 10 schreibt uns: Der hauptstädtische Arbeitsnachweis für das Handelsgewerbe wurde in den Berichtsmonaten April und Mai durch Schließung und Auflösung verschiedener umfangreicher Geschäftsbetriebe in ungünstigster Weise beeinflußt. Ein Kreis von mehreren tausend Personen ging ganz plötzlich seiner Arbeitsstätte verlustig, wodurch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sich für den Arbeitssuchenden noch weit unerfreulicher , als in den Vormonaten gestaltete. Die ungünstige Witterung vor dem Pfingstfeste bedeutete für den Detailhandel verschiedener Geschäftszweige einen fühlbaren Ausfall, und hatte eine Einschränkung des Geschäftsbetriebes und eine Zurückhaltung in Neuengagements zur Folge. Unter diesen Erscheinungen hatte auch die Vermittlung des Vereins für Arbeitsnachweis derart zu leiden, daß bei weitem nicht alle Gesuche um Arbeit entsprechende Berücksichtigung finden konnten. Immerhin sind in der Berichtszeit 371 ( 26 Stellungen mit Sabbatbeteiligung) Vermittlungen zustande gekommen, und dadurch 107 Handlungsgehilfen, 136 weibliche und 128 gewerbliche Arbeitskräfte in zumeist dauernde Stellungen gebracht worden. Der Verein für Arbeitsnachweis, der rein human wirkt, und seine Dienste Arbeitgebern und – nehmern völlig kostenlos zur Verfügung stellt, würde noch erfolgreicher arbeiten können, wenn ein weit größerer Kreis von Unternehmern die im Geschäftsbetriebe vorkommenden Vakanzen zur Anmeldung bringen wollte. Eine wesentliche Förderung der Vereinszwecke wird auch durch die Erteilung von Aufträgen für Schreib- und Maschinenarbeiten aller Art, Versand von Reklamen usw. erreicht. Diese Arbeiten werden in der Abteilung Schreibstube von vorübergehend stellungslosen Kaufleuten unter sachkundiger Aufsicht schnellstens und zu billigsten Preisen ausgeführt.

a. Arnswalde, 8. Juni. Am 7. d. Mts. feierte der Vorsitzende des Vorstands der hiesigen Synagogengemeinde, Herr C. Arnholz, den 70. Geburtstag. Die Feier beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Häuslichkeit des Jubilars, auch die Gemeinde nahm lebhaften, freudigen Anteil an derselben. Galt es doch dem verdienstvollen Manne, der sein reiches Wissen und Können hingebungsvoll dem Dienste der Gemeinde widmet, dem nur allein wir ihren blühenden Fortbestand zu verdanken haben, herzliche, dankbare Anerkennung zu bezeugen. Am Vormittag des Jubeltages erschienen Vorstand und Repräsentanten mit ihren Damen im Hause des Jubilars. Der Vorsitzende des Repräsentantenkollegiums, Herr E. Abramowsky, sprach in herzlichen, tiefbewegten Worten dem Jubilar den Dank der Gemeinde aus und hob die Treue und selbstlose Hingebung hervor, mit der Herr Arnholz seit einer langen Reihe von Jahren die Gemeinde leitet und ihre Angelegenheiten verwaltet , und überreichte dem Jubilar das von der Gemeinde gestiftete Ehrengeschenk. Der Gemeindebeamte schilderte hierauf in einer längeren Ansprache das segensreiche Wirken des Jubilars, wie er es so wohl verstanden, Frieden und Eintracht in der Gemeinde zu wahren und sie auch in religiöser Richtung vorbildlich auszugestalten. Möge es dem verdienstvollen Manne vergönnt sein, noch recht viele Jahre in körperlicher Rüstigkeit und geistiger Frische so segensreich wie bisher zum Wohle der Gemeinde weiter zu wirken.

W. Posen, 5. Juni. Nach dem soeben erschienenen statistischen Jahrbuch für den preußischen Staat auf das Jahr 1913 waren in der Provinz Posen rund 806 000 Deutsche vorhanden. Unter diesen befanden sich rund 635 000 Evangelische, 140 000 Katholische , 26 000 Israeliten und rund 4000 andere oder unbekannten Bekenntnisses. Polen wurden zu demselben Zeitpunkt rund 1,27 Millionen gezählt, von denen 9000 evangelisch und 1,26 Millionen katholisch, 22 mosaisch und 332 anderen oder unbekannten Bekenntnisses waren. Keine Zunahme, sondern im Verhältnis eine überaus starke Abnahme ist sowohl bei den deutschen wie bei den polnischen Israeliten eingetreten. Die deutschen Israeliten sind von 35 000 im Jahre 1900 auf 26 000 im Jahre 1910, die polnischen Israeliten von 176 im Jahre 1900 auf 22 im Jahre 1910 zurückgegangen. Für den Rückgang der deutschen Juden ist wohl zum erheblichen Teile die Tatsache ausschlaggebend geworden, daß die Boykottierung deutscher Geschäfte in den Städten der Provinz Posen durch die Polen die Erwerbsmöglichkeiten erschwerte und verschlechterte.-- Um die Ausgestaltung und den Betrieb der Wohlfahrtseinrichtung von Krankenküchen hat sich seit dem Bestehen derselben Frau Medizinalrat Dr. Teresa Mankiewicz verdient gemacht, die in diesem Monat ihren 70. Geburtstag feiert. Aus diesem Anlaß haben ihr Sohn, Gerichtsassessor Dr. Otto Mankiewicz, Besitzer der chemischen Fabrik P. Beiersdorf & Co., Hamburg, und ihr Schwiegersohn Dr. phil. ...

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... Oskar Troplowitz eine wohltätige Stiftung gemacht. Sie wollen für die Zwecke der Krankenküche ein eigenes Heim errichten und mit vollständiger Inneneinrichtung der Stadt zur Verfügung stellen. Die Stadt soll das Gebäude dauernd instand halten. Die Baukosten in Höhe von46 700 Mark werden ebenso wie die innere Ausstattung von den Stiftern getragen. Die Vorlage des Magistrats wurde von der Stadtverordnetenversammlung mit Worten des Dankes an die hochherzigen Stifter angenommen.-- Die seit länger als Jahresfrist vakante Stelle eines Gemeinderabbiners ist im Herbste v. J. dem Rabbiner Dr. Freimann aus Hollischau ( Mähren) übertragen worden. Der gewählte hegte Bedenken, dem an ihn ergangenen Rufe Folge zu leisten, da der endgültigen Anstellung ein fünfjähriges Vertragsverhältnis vorangehen sollte. Nunmehr soll Rabbiner Dr. Freimann auf Lebenszeit angestellt und die behördliche Genehmigung hierzu sofort nachgesucht werden.

Görlitz, 5.Juni. Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften hat den Rabbiner Dr. Freund in Görlitz, der nach beinahe 60jähriger Tätigkeit als Geistlicher vor kurzem in den Ruhestand trat, zu ihrem Ehrenmitglied ernannt. Der Gesellschaftspräsident, der Landeshauptmann und königliche Zeremonienmeister v. Wiedebach und Nostiz-Jänkendorf betonte in seiner Ansprache, daß die Ehrung einstimmig beschlossen worden sei, und sagte unter anderem: „Unsere Gesellschaft als die alte Vertreterin der Gelehrsamkeit in der Oberlausitz und in Görlitz wünscht nun durch diese Ehrung zu bekunden, daß sie nicht bloß als Geistlicher, nicht bloß als Stadt- und Staatsbürger und als vornehm denkender und charaktervoller Mann, sondern auch in wissenschaftlicher Betätigung die höchste Anerkennung verdienen.“

Köln, 5. Juni. Die Abteilung „ Kirchliche Kunst“ in der Werkbundausstellung in Köln bringt neben katholischen und protestantischen Kirchenräumen auch eine Synagoge, die dieser Tage eröffnet wurde. Der von dem Architekten Friedrich Adler, Lehrer an der Kunstgewerbeschule Hamburg, geschaffene überaus weihevoll gestimmte Raum findet höchste Bewunderung aller Besucher und gewinnt für die neuzeitlichen Kunstbestrebungen sicherlich viele Freunde. Der durch zahlreiche, namentlich auf dem Gebiete der Keramik und Silberschmiedekunst liegende kunstgewerbliche Arbeiten rühmlichst bekannte Künstler hat es verstanden, bei genauester Innehaltung aller rituellen Bestimmungen nicht nur die Architektur, sondern alle Einrichtungsgegenstände des sakralen Raumes in ganz modernem Geiste zu gestalten. Der Blick wird zunächst durch einen, in edelster Keramik ( Keramik-Manufaktur, Hamburg. Gerstenkorn u. Meinertstorf ) ausgebildeten Vorhof auf das in gedämpftem Golde erstrahlende Allerheiligste mit dem blauen Vorhang des Thoraschreines gelenkt. Vor ihm hängt zwischen dem in Eichenholz reich geschnitzten Vorbeterpult und der Kanzel, die von der Firma Bruckmann-Heilbronn in edelster Silbertreibarbeit ausgeführte Ewige Lampe. Das in den beiden Nischen rechts und links vom Allerheiligsten stehende Gestühl, das sich durch schlichte strenge Formschönheit auszeichnet, ist für den Rabbiner und je zwei Vorstandsmitglieder sowie für den Vorbeter bestimmt. Die durch neuartige Form sich auszeichnenden sieben- und achtarmigen Leuchter, Hauptgegenstände des jüdischen Kultus, sind nach Entwürfen Adlers in Messingguß ausgeführt und haben ihren Platz zwischen den Säulen des linken Seitenschiffes gefunden. In Vitrinen stehen zahlreiche Kultgeräte für den häuslichen Gebrauch, die gleichfalls dartun, daß es unsere Zeit nicht mehr nötig hat, sich in der künstlerischen Formensprache anzuklammern an überlieferte Stile, sondern ihre eigene Sprache sprechen. Von hervorragender Schönheit sind die von der bekannten Glasmalerei Gottfried Heinersdorf- Berlin nach Adlers Entwürfen ausgeführten Glasfenster, die dank einer Stiftung eines künstlerisch hochgesinnten Mitgliedes der hiesigen Synagogengemeinde Köln dauernd erhalten bleiben werden. Sie tragen wesentlich zur Steigerung der Stimmung des in der Farbengebung wohl abgehobenen Raumes bei. Dem ganzen Werk wird der mit einem für das Schöne empfindsamen Auge bedachten Besucher ansehen, daß sich hier ein hochbegabter Künstler mit voller Hingabe einer hohen Aufgabe gewidmet und sie mit feinstem Empfinden gelöst hat.

y. Magdeburg, 5. Juni. Aus dem Verwaltungsbericht des Synagogengemeindeverbandes der Provinz Sachsen pro 1913/14 ersehen wir, daß der Verband auch im verflossenen Geschäftsjahre unablässig bemüht war, für einen geordneten Religionsunterricht in seinen Verbandsgemeinden und für das Zustandekommen eines würdigen Gottesdienstes besonders an den hohen Festtagen nach Möglichkeit Sorge zu tragen. So sandte der Verband in den Gemeinden Bitterfeld, Eisleben, Staßfurt und Stendal zu den Herbstfeiertagen Prediger und Hilfsvorbeter, der Gemeinde Schwarza wurde für das Engagement eines Vorbeters eine Beihilfe und ebenso der Gemeinde Genthin für die Synagogenmiete gewährt. In acht Gemeinden läßt der Verband 22 Knaben und 23 Mädchen Wanderreligionsunterricht erteilen. Des weiteren teilt der Bericht mit, daß der Verband auf der Generalversammlung des Verbandes der deutschen Juden in Hamburg, auf dem Deutsch-Israelitischen Gemeindetag und dem 6. Gemeindeverbandstag vertreten war, und daß er in der strittigen Frage der Errichtung jüdischer Volksschulen eine Entschließung einbrachte, daß die Frage nicht vor den Gemeindetag gebracht werden möge, vielmehr jeder einzelnen Gemeinde die Freiheit der Entschließung vorbehalten bleiben müsse. Dem Kassenbericht ist zu entnehmen, daß sich die Einnahmen einschließlich des Kassenbestandes am 1. April 1913 in Höhe von 2086,98 Mark auf 4970,43 Mark, die Ausgaben auf 2098,98 Mark beliefen, so daß sich der vorjährige Kassenbestand um 63,02 Mark erhöht und am 1.April d. J. Also 2150 Mark betrug. Angeschlossen sind dem Verband 23 Gemeinden, die Zahl der außerordentlichen Mitglieder beträgt 340. Vorsteher des Verbandes ist Herr C. Heynemann in Magdeburg.

Hannover, 5.Juni. Am 1. d.M. ist der frühere Direktor der Tierärztlichen Hochschule , Geheimer Oberregierungs- und Medizinalrat Dr. Damman, im Alter von 75 Jahren verschieden. Der Verstorbene hat es verdient, daß auch in jüdischen Blättern seiner ehrend gedacht werde. Das Judentum ist ihm zu großem Dank verpflichtet für die außerordentlichen Dienste, die er ihm in seinem Kampfe gegen die Angriffe auf das rituelle Schächten geleistet hat. Schon im Jahre 1886 hat er in einer besonderen Schrift, die später in dem 1894 erschienen Gutachten über das jüdisch-rituelle Schächtverfahren nochmals abgedruckt worden ist, die gegen die rituelle Schächtmethode und die ihr vorangehenden Vorbereitungen erhobenen Angriffe mit wissenschaftlicher Gründlichkeit widerlegt und nachgewiesen, daß dieselbe gerade vom Standpunkt der Humanität aus sehr zu empfehlen ist. Das Eintreten Dammans für die jüdische Schächtart war aber deshalb von besonderer Bedeutung , weil gerade seine Meinung bei den staatlichen Behörden außerordentlich ins Gewicht fiel. Es dürfte vielleicht wenig bekannt sein, daß, als in demselben Jahre die Genfer Tierschutzgesellschaft diese Angelegenheit betreffende Vorschläge dem Reichskanzleramt machte, Damman von dieser unter allen deutschen Fachmännern allein dazu ausersehen wurde, sich hierüber gutachterlich zu äußern, und daß er dadurch gerade bei den amtlichen Stellen aufklärend gewirkt hat, welche für die weitere Behandlung dieser Frage maßgebend waren. Auch späterhin ist er überall, wo es, sei es im ganzen Reiche oder in einer einzelnen Stadt, versucht wurde, das rituelle Schächten zu diskreditieren, diesen Versuchen mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit wirksam und erfolgreich entgegengetreten. Unvergessen wird es ihm bleiben, wie er, als auf dem tierärztlichen Kongreß in Bern im Jahre 1894 ein starker Vorstoß gegen das Schächten geplant worden war, lediglich aus dieser Veranlassung nach Bern reiste und durch die Macht seiner überzeugenden Worte den wohldurchdachten Plan vereitelte und einen vollständigen Umschwung der Ansichten herbeiführte. Der Name dieses warmen Verfechters von Wahrheit und Recht wird in der jüdischen Gemeinschaft stets in Dankbarkeit genannt werden.

Frankfurt a. M. , 5. Juni. In einer hiesigen tierschützlerischen Verbandssitzung wurde kürzlich vor Beginn der Sitzung von Klein-Lennep, dem bekannten Agitator der Schächtgegner, auf eigene Verantwortung und ohne Auftrag des Verbandes ein Film vorgeführt, der zeigen sollte, daß das Bewusstsein des Tieres bei dem Schächten wesentlich länger anhalte als bei anderen modernen Tötungsarten. Gegen diese Auffassung wandte sich ein von anderer Seite zur Verteilung gelangtes Flugblatt, das darauf hinweist, daß der vorgeführte Film überhaupt nicht das richtige Schächten darstelle. Die Veranstalter des Films hätten mit der Sekunde des Schächtens den Tieren die Freiheit gegeben, wobei Lauf und Austritt des Blutes gehemmt und die sonst in wenigen Sekunden eintretende Blutleere des Gehirns verlangsamt worden sei. Einzelne Tiere seien sogar, dem Religionsgesetz entgegen, stehend geschächtet worden. Ferner sei die Schächtung durch einen Metzgerburschen, nicht aber ...

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... durch einen erprobten, approbierten Schächter vollzogen worden. Auch fehle jede Kontrolle darüber, ob ein der Vorschrift entsprechendes gänzlich schartenloses Messer verwendet und ob der Schnitt mit der erforderlichen Genauigkeit und Ausgiebigkeit gemacht worden sei. Einen Juden habe man zu den Aufnahmen nicht hinzugezogen, einen zufällig zugegen gewesenen vor der Aufnahme sogar weggeschickt. Eine jüdische Korporation, die den Veranstalter schriftlich ersucht hatte, ihr den Film zur Kenntnisnahme und Beurteilung zu überlassen, wie dies auch anderen Interessenten gegenüber geschehen ist, sei abschlägig beschieden worden. Das Flugblatt wirft schließlich die Frage auf, warum man nicht bei der gelegentlich des Verbandstages vorgenommenen Besichtigung des Städtischen Schlachthofes und der Vorführung der verschiedenen Schlachtungsarten auch das Schächten sich habe vorführen lassen. Das wäre doch der einfachste und beste Weg gewesen, den Teilnehmern ein wirklich objektives Bild des jüdisch-rituellen Schlachtens zu geben.

H.U. Stuttgart, 5. Juni. Der am 14. v. M. in Gegenwart des Königs von Württemberg eröffneten Ausstellung für Gesundheitspflege in Stuttgart ist auch eine historische Abteilung angegliedert. Es ist freudigst zu begrüßen, daß auch die jüdische Hygiene in einer besonderen Abteilung vertreten ist, und zwar in durchaus würdiger und eindrucksvoller Weise, wobei kein Zweifel herrschen kann, daß hier streng wissenschaftliche Forschung und ästhetisch geläuterte Empfindung in glücklicher Vereinigung ein überaus anziehendes, klares Bild der jüdischen Hygiene aus historischer Vergangenheit, hineinragend in die moderne Gegenwart, geschaffen hat. Es galt hier, wie es auch in Dresden mit großem Erfolg geschehen ist, vor aller Welt zu zeigen, daß das Judentum auf dem Gebiet der Hygiene durchaus nicht zurücksteht, vielmehr seit der Zeit eines Mose hygienische Aufgaben kennt, sie bis zum heutigen Tage festgehalten, geehrt und gewürdigt und sie dazu benützt hat, seinen Volksgenossen zu allen Zeiten gesundheitliche Wohlfahrt zu bringen. Es will doch viel heißen, daß man nach Durchwanderung der mit allen Hilfsmitteln modernster Dekorationstechnik ausgestatteten Ausstellungsräume unwillkürlich von heiligem Schauer erfaßt wird beim Anblick der lebensgroßen, festlich geschmückten Frauengestalt, welche segnend die Hände zur Sabbatlampe ausbreitet. Diese „ Weihe der Sabbatruhe“ ist nach Motiven der Oppenheimerschen Bilder plastisch dargestellt, und es war mir ein Vergnügen, mitanzusehen, welch großes Interesse dieser stimmungsvollen Plastik auch von Nichtjuden entgegengebracht wurde, wie eingehend sie die altertümliche Sabbatlampe, den Kidduschbecher und die sonstigen Dekorationsstücke musterten und deren Bedeutung sich erklären ließen. Diesem Glanzstück der Ausstellung reiht sich sinnig die in der rituellen Küche hantierende Hausfrau an, welche anschaulich das Wässern, Salzen und Begießen des Fleisches darstellt. Die mit sinnigen Hebräischen Sprüchen bestickten Handtücher zeigen, welcher Geist in diesen Räumen herrscht, die selbstredend das kunstvolle Gießfaß nicht vermissen lassen. Minder prunkvoll repräsentiert sich eine große Wandtafel, welche die „ jüdische Kulthygiene“ durch Bibelstellen beweisen soll, inhaltlich sich als ganz hervorragendes Dokument erweist, aus welchem der aufmerksame Leser mit Stolz und Genugtuung in übersichtlicher Ordnung alles Wissenswerte verzeichnet findet. Mit kunstverständiger Hand bannte Herr David Heimann den idyllisch gelegenen Friedhof zu Aufhausen auf die Leinwand. Viel Beachtung fanden die reichverzierten Beschneidungsinstrumente aus alter Zeit wie auch die praktischen Vorrichtungen der Gegenwart. Der bekannte Mainonidesforscher Dr. Kroner ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die mit viel Mühe beschafften Photographien der Originaltexte aus den Bibliotheken zu Oxford, Wien, München, Berlin und Granada im arabischen Urtext zu bieten. Das mit hebräischem und deutschem Text umrahmte Bild des großen Arztes Maimon läßt auch den mit arabischen Lettern nicht vertrauten Besucher ahnen, daß hier ein bedeutender jüdischer Förderer der Hygiene verewigt ist. Um das Zustandekommen der Ausstellung hat sich der Rabbiner Dr. Kroner, Oberdorf-Bopfingen großes Verdienst erworben, das um so höher anzuschlagen ist, als er bei Gemeinden und Privaten nicht das willige Entgegenkommen fand, welches eine derartige kulturelle Tat erwarten ließ. Wenn er trotzdem unbeirrt mit Bienenfleiß an die Sammlung und Ordnung des ganzen sich machte, in hervorragend ästhetisch geläutertem Kunstsinn die Abteilung aufbaute und in strenger Wissenschaftlichkeit das Wesentliche aufsuchte und verwertete, so wird ihm wohl jeder ernsthafte Besucher der Ausstellung den Dank nicht versagen, der dem verdienstvollen Arrangeur der Ausstellung der jüdischen Abteilung vollauf gebührt.

Oesterreich – Ungarn

K. Wien, 5. Juni. Der „ Wiener Sonn- und Montagszeitung“ wird aus Krakau berichtet: In Pikulice, einem kleinen Ort in der Nähe von Przemysl, wurde am 30. Mai ein schändliches Verbrechen verübt. Eine Räuberbande drang nachts in die Wohnung des jüdischen Militär-Fleischlieferanten Markus Fuß ein, bei dem sie einen größeren Barmittelbetrag vermutete, da er eben eine Lieferung gemacht hatte. In dem einen Zimmer schlief der 48 jährige Markus Fuß mit einem Kinde in einem Bette, in einem zweiten Bette schlief die Frau des Fuß mit zwei anderen Kindern. Einer der Banditen erschlug den Markus Fuß im Schlafe mit einer Eisenstange. Ein anderer forderte die Frau auf, das Geld herauszugeben. Als die Frau in ihrer Todesangst keine Auskunft über den Aufbewahrungsort des Geldes zu geben vermochte, schlugen sie die Räuber nieder. Dann stürzten sich die Mörder auf die Söhne des Ehepaares und erschlugen den achtzehnjährigen Aron, den vierzehnjährigen Baruch und den achtjährigen Isaak. Auch die zufällig zu Besuch im Hause weilende vierzehnjährige Regina Fränkel wurde schwer verletzt und ist kurz darauf den Verletzungen erlegen. Zwei minderjährige Kinder hatten sich versteckt gehalten und sind mit dem Leben davongekommen. Die Banditen raubten 300 Kronen Bargeld und Pretiosen im Werte von etwa 60 Kronen. Die Polizei vermutet, daß die Täter Soldaten aus der Festungsartelleriekaserne seien, da diesen bekannt war, daß Fuß für Lieferungen zirka 3000 Kronen zu beziehen hatte. Fuß hatte aber das Geld noch nicht erhalten. Ergänzend wird aus Premysl vom 2. Juni berichtet: Im Laufe der heutigen Nacht meldete sich beim hiesigen Polizeikommissariat der Artillerist Johann Karczmann und legte freiwillig das Geständnis ab, daß er an dem Massenmorde teilgenommen habe. Er behauptet allerdings, nicht aktiv eingegriffen, sondern die Aufpasserrolle gespielt zu haben. Die Helfershelfer des Karczmann, lauter Soldaten, wurden verhaftet. Die sechs Opfer des entsetzlichen Raubmordes wurden am 2. Juni in Przemysl bestattet. Der Leichenzug erregte ungeheures Aufsehen in der ganzen Stadt.

Rußland
Z. Petersburg, 5. Juni. Die Verfolgung der Juden bildet den alleinigen Lebensinhalt der russischen Behörden, und man muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie auf diesem Gebiete wirklich Großartiges, Unerreichbares bieten. Sie entfalten dabei eine solche Virtuosität im „Interpretieren“ der Gesetze, daß man einfach ihre Kunst bewundern muß. Wie weit ihre Ingeniosität auf diesem Gebiet geht , beweist folgendes Kuriosum aus der Verwaltungspraxis des Kursker Gouverneurs Muratow. Ein jüdischer Kaufmann erster Gilde in Kursk hatte nämlich irgendeine geschäftliche Angelegenheit in einem Städtchen desselben Gouvernements. Da er Kaufmann erster Gilde, also außerhalb des Ansiedlungsrayons wohnberechtigt war, kam ihm auch nicht für einen Augenblick der Zweifel, daß dieser, sein unschuldiger Wunsch auf irgendwelche Schwierigkeiten stoßen werde. Der größeren Vorsicht wegen nahm er auf die Reise außer dem in Rußland unentbehrlichen Paß auch alle erforderlichen Dokumente und Ausweispapiere – für alle Fälle – mit, darunter auch sein Zeugnis als Kaufmann erster Gilde, so wohlgerüstet trat er die Reise an. An einer zwischenliegenden Station mußte er jedoch geschäftehalber einige Stunden anhalten. Natürlich wurde er gleich von einem Schutzmann sistiert, der ihm die Dokumente abforderte. Der jüdische Kaufmann übergab sie ihm in aller Seelenruhe, da er eben seiner Rechte sicher war. Wie groß aber sein Erstaunen, als er nach wenigen Stunden einen Ausweisungsbefehl erhielt und ein Papier, wonach er sofort nach Kurst zurückfahren mußte. Er begab sich auf das Polizeiamt, um das „ Mißverständnis“ aufzuklären. Aber es war gar kein Mißverständnis, sondern eine sehr ernste Sache. Der Gouverneur Muratow hat nämlich den ihm unterstellten Behörden den Befehl erteilt, allen durchreisendeen Juden außer den Pässen Kopien ihrer Handelszeugnisse abzufordern. Nun hatte der betreffende Kaufmann keine Kopie, sondern das Original des Zeugnisses mitgebracht, folglich entsprach er nicht den Anforderungen der Behörde und mußte ausgewiesen werden. ...

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... Alle Einwendungen des unglückseligen Kaufmanns gegen die monströse „Auslegung“ waren vergeblich. Er bot der Behörde auch an, an Ort und Stelle eine Kopie herzustellen und sie nach dem Original beglaubigen zu lassen. Nichts half. Eine Kopie muß es sein, sonst Ausweisung. Die Beamten lachten höhnisch, und der arme Kaufmann erster Gilde mußte unverrichteter Dinge abreisen und nach Kursk zurückkehren. Der pfiffige Beamte wird aber wahrscheinlich eine Belohnung erhalten. Solche Gesetzesausleger sind nur in Rußland zu finden… Die angekündigte „ Nationalisierung“ des russischen Handels hat übrigens bereits ihre Früchte getragen. Allen Protesten der russischen Industriellen und Handelshäuser zum Trotz, hält die Regierung an ihrem Projekt fest. In Bachmut mußten15 Bergwerke, deren Aktionäre überwiegend Juden sind, geschlossen werden, da die Regierung die Beteiligung von Juden an Unternehmungen, die mit Grundbesitz verbunden sind, verbietet. Man kann sich leicht denken, wie schon dadurch russische Industrie geschädigt wird. Aber was kümmert das die russische Regierung? Sie ließ sich neulich von ihrem Agenten in Berlin( einem getauften Juden) telegraphieren, die maßgebenden Kreise in Deutschland seien keineswegs durch das neue Regierungsprojekt beunruhigt und sähen darin keine Schädigung der Industrie. Diese „ maßgegebenden Kreise“ sind wahrscheinlich die Kreise um die russische Botschaft in Berlin. So läßt die russische Regierung im Auslande „Stimmung“ machen und gibt sich damit zufrieden. Die Hauptsache ist, daß Purischkewitsch und der Student Golubew in Kiew, die Führer der „ Schwarzen Hundert“, befriedigt sind. Alles übrige – Volkswohlstand, Recht und Gerechtigkeit, politisches Ansehen nach außen – ist den Maklakows und Barks ganz gleichgültig.

Aus Nah und Fern.

Herr Julius Jacoby hat aus Gesundheitsrücksichten sein Ehrenamt als Vorsitzender des Vorstandes der Berliner jüdischen Gemeinde, das er seit 1901 innehatte, niedergelegt. Herr Jacoby, der jetzt im 91. Lebensjahre steht, war seit 1869 Mitglied der Repräsentantenversammlung und seit 1879 Mitglied des Vorstandes. – Die Einweihung des neuen Krankenhauses der jüdischen Gemeinde, Exerzierstraße Ecke Schulstraße, findet am Montag, den 22. Juni, mittags 12 Uhr , statt.-- Der Geheime Sanitätsrat Dr. Wilhelm Blumenfeld, preußischer Stabsarzt d. R., ist am 9. d. M. im Alter von 75 Jahren gestorben.-- Der bekannte Berliner Rechtsanwalt Geheimer Justizrat Maximilian Kemper beging am 3. d. M. seinen sechzigsten Geburtstag. – Der frühere Mitinhaber der Seidenfirma E. und S. Bing, Simon Bing, und der ehemalige Inhaber der Baumwollwarenfirma Singer und Wahrenberg, Fritz Singer, sind, wie die „Textilwoche“ meldet, zu Handelsrichtern ernannt worden. – Herr Robert Levy, Inhaber der hiesigen bekannten Metallfirma N. Levy und Co., wurde in Anbetracht seiner Verdienste um die Schöpfung der Berliner Kupferbörse zum preußischen Kommerzienrat ernannt. – Wir haben in der vorigen Nummer an dieser Stelle über eine Stiftung von 40 000 Mark berichtet, die Professor Magnus Meyer der Berliner Armendirektion überwiesen hat. Wie uns nun von befreundeter Seite mitgeteilt wird, ist der Name des Stifters falsch wiedergegeben. Es handelt sich hier um das Vermächtnis von 40 000 Mark des am 13.v.M. verstorbenen Geheimen Regierungsrats Professor Paul Magnus zu Ehren seines Vaters, des bekannten Stadt- und Geheimen Kommerzienrats Meyer – Magnus, der am 11. Februar 1883 verschieden ist.--- Aus Züllichau wird uns geschrieben: unser Vorstandsmitglied, der Stadtverordnete Isidor Friedlaender, ist am 24.v.M. in Altheide gestorben. Seine unermüdliche Arbeitsfreudigkeit, sein schlichtes, herzgewinnendes Wesen sichern ihm für alle Zeit ein treues Gedenken, auch bei der Provinzialkasse Brandenburg-Bromberg für jüdische Wanderarmenfürsorge und dem brandenburgischen Provinzialgemeindeverband, denen er ein wackerer Mitarbeiter war.-- Ein Hauptverbreiter der unsinnigen Gerüchte von einem angeblich in Zempelburg von Juden verübten Ritualmord an dem durch Gasvergiftung verstorbenen Dienstmädchen Ida Schmidt, worüber wir seinerzeit berichteten, war der Kaufmannssohn Bernhard Stritzke von dort, der sich dieser Tage wegen öffentlicher Beleidigung vor der Strafkammer in Konitz zu verantworten hatte.

Er wurde nach mehrstündiger Verhandlung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. – In Birnbaum wurde eine Volksbadeanstalt eingeweiht und eröffnet, die mit einem Kostenaufwand von 65 000 Mark errichtet und von Herrn Oscar Tietz in Berlin, dem Ehrenbürger der Stadt Birnbaum, anläßlich seiner silbernen Hochzeit gestiftet worden ist. – Die seit 1899 bestehende und etwa 700 Seelen umfassende Synagogengemeinde Köln-Ehrenfeld ist mit Genehmigung des Regierungspräsidenten der Gemeinde Köln einverleibt worden. – Am 24. d.M. fand in Münster unter reger Beteiligung die ordentliche Generalversammlung des Vereins zur Wahrung der religiösen Interessen des Judentums in Westfalen statt. Dr. Rubens ( Gelsenkirchen) gab den Vorstandsbericht, der eine Erweiterung der bisherigen Arbeit auf religiösem und kulturellem Gebiet nachwies. Nach Erledigung verschiedener innerer Vereinsangelegenheiten hielt Rechtsanwalt Dr. J. Kahn( Köln) einen Vortrag über die Aufgaben und die Zukunft der Landgemeinden Westfalens, in dem er insbesondere vor der Landflucht und dem Zuge nach der Großstadt warnte. – Dem Geheimen Sanitätsrat Dr. Jaffe und dem Sanitätsrat Dr. Günzberg in Frankfurt a. M. ist der Rote Adlerorden vierter Klasse verliehen worden. – In Wien ist vor kurzem Herr Markus Weißmann Chajes, ein hervorragender jüdischer Gelehrter, in hohem Greisenalter verschieden. Von seinen Schriften erwähnen wir besonders seine Glossen zum Jeruschalmi ( Krotoschin 1866) und Dibre Chachamim ( Wien 1892). – Im Jahre 1912 zählte man in Ungarn 561 Muttergemeinden und 1789 Filialen, und zwar: orthodoxe 319 Haupt- und 1315 Filialgemeinden, Kongreß 182 Haupt- und 338 Filialgemeinden, Statusquo 60 Haupt- und 136 Filialgemeinden. Gegen 1911 hat die Orthodoxie 2 Hauptgemeinden mehr und 9 Filialgemeinden weniger, die Kongreßorganisation 4 Filialgemeinden weniger. Diese Statistik läßt keinen Schluß auf die Seelenzahl zu. So zählt die Pester Kongreßgemeinde allein an 180 000 jüdische Seelen, also nahezu den fünften Teil aller Juden Ungarns. In Kroatien gibt es 27 Gemeinden. – Aus Paris wird gemeldet: Madame Emilie Deutsch de la Meurthe, eine wegen ihres Wohltätigkeitssinnes hochangesehene Dame, hat dem Präsidium der jüdischen Gemeinde 100 000 Francs für die Wohltätigkeitseinrichtungen derselben gespendet. – Als ein interessanter Beweis für die leichte Assimilationsfähigkeit der Juden mag die Meldung aus London dienen, wonach unter den im Jahre 1913 in England naturalisierten 1700 Ausländern sich 600 russische Juden befanden. Aber auch unter den als Oesterreicher, Ungarn, Deutsche und Türken verzeichneten neuen englischen Staatsbürgern gibt es sehr viele Juden, so daß Eingeweihte behaupten, daß im Jahre 1913 zumindest zwei Drittel der Naturalisierten Juden waren. Das ist umso bedeutsamer, als ja bekannt ist, daß gerade in England die Bedingungen, an welche die Naturalisation geknüpft ist, sehr streng sind, und daß die Aufnahme eines Ausländers in den englischen Staatsverband von der Ablegung einer schweren Prüfung in englischer Sprache abhängig ist. – Durch große Feuersbrünste sind mehr als tausend jüdische Familien im Gouvernement Kowno brot- und obdachlos geworden. Fast in einen Trümmerhaufen verwandelt ist die Kreisstadt Keidavy, die eine jüdische Bevölkerung von etwa 10 000 Seelen zählt. Das gleiche Schicksal teilten die Städte Boboria, Skala, Dißna, Kopust und viele andre kleine Städtchen. Die Not ist dort unbeschreiblich. Schleunigste Hilfe tut not. – Anläßlich der jüngsten Graduierung der Absolventen der jüdischen landwirtschaftlichen Hochschule Woodbyne im Staate New-York sind der Institutsleitung so viele Gesuche von Gutsherren um Zuweisung von Absolventen der Anstalt zugekommen, daß viele dieser Ansuchen unberücksichtigt bleiben mußten. Die betreffenden Farmbesitzer erklärten in ihrer Zuschrift, daß die jüdischen Farmer und Agronomen allen anderen bevorzugt werden, und ganz besonders sind es die Absolventen der Baron Hirschschen landwirtschaftlichen Hochschule von Woodbyne, welche gesucht werden. Das Kuratorium der Anstalt hat nun eine Erweiterung derselben beschlossen, und mit dem beginnenden Schuljahre wird die Zahl der aufzunehmenden Schüler verdoppelt werden. Woodbyne ist bekanntlich die einzige ausschließlich jüdische Stadt in Amerika, in welcher sämtliche öffentlichen Stellen, vom Bürgermeister bis zum letzten Straßenkehrer, von Juden besetzt sind.

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