Fanny Hensel

Die Komponistin
1805
1847

Vater: Abraham Mendelssohn (Bartholdy)

Mutter: Lea Mendelssohn (Bartholdy)

Geschwister: Rebecka Dirichlet, Felix und Paul


Mit ihr, der geborenen Hamburgerin, die als Siebenjährige zur waschechten Berlinerin geworden ist, zeigt sich musikalisch herausragende Begabung erstmals in der Mendelssohn-Familie. Fannys Vater Abraham erkennt an seiner Erstgeborenen sofort „Bachsche Fugenfinger“. So intensiv übt das kleine Mädchen Klavier, daß die Verwandtschaft sich Sorgen um ihr kindliches Wohlergehen macht. Beste Musikerausbildung erhält sie, nach dem Umzug der Familie von der Elbe an die Spree, auf demselben Niveau wie ihr vier Jahre jüngerer Bruder. Für ihn, der ihr als Autorität den Spitznamen Kantor gibt, stellt sie über lange Zeit die künstlerische Vertrauensperson dar. Dennoch scheint der Vater Abraham davon überzeugt, daß Musik nicht zu Fannys Berufsausübung werden darf.

Auch Felix bremst seine Schwester: Um Profikomponist zu sein, müsse man mehr als nur ab und an, sondern regelmäßig Werke edieren und sich der Kritik aussetzen. So entfaltet die Pianistin, Dirigentin, Impresaria und bedeutendste Komponstin des 19. Jahrhunderts ihre Schaffenskraft zunächst nur im halböffentlichen Raum: als spiritus rector jener Sonntagsmusiken, deren Anfänge bis ins Haus der Großmutter Bella Salomon am Hackeschen Markt um 1820 zurückgehen. Daraus haben sich regelmäßige Veranstaltungen für Verwandte, Freunde, Bekannte, Berlins Gesellschaft und durchreisende Künstler entwickelt. Die hochkarätigen Konzerte werden mit Unterbrechungen fast ein Vierteljahrhundert im glaskuppelgekrönten Gartensaal des Reckschen Palais an der Leipziger Straße fortgesetzt.

Wilhelm Hensel, Fanny Hensel, 1847, © bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Foto: Jörg P. Anders
Wilhelm Hensel, Fanny Hensel, 1847, © bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Foto: Jörg P. Anders

Wilhelm Hensel, der fesche ehemalige Befreiungskrieger, steht in dem Konflikt um die weibliche Rollenfindung seiner Frau auf ihrer Seite. Er hatte schon zur Verlobungszeit seine Braut darin bestärkt, ihre musikalische Produktivität keinesfalls zur privaten Streitvermeidung einfach aufzugeben. Getroffen hatten sich die Siebzehnjährige und der Maler im Umfeld des Hoffestes Lalla Rukh, bei dem Hensel Preußens verkleidete High Society portraitiert. Die ironische Bankierstochter und der märkische Predigersohn mit den katholischen Ambitionen verlieben sich, entstammen aber sehr verschiedenen Milieus. Damit Fanny nicht von dem frommen „Aberglauben“ des brotlosen Künstlers angesteckt werde, bestehen ihre kurz zuvor erst selbst getauften Eltern auf einer fünfjährigen Kontaktsperre: Während dieser Zeit wird ihr Schwiegersohn in spe als römischer Stipendiat des preußischen Königs den sehr katholisch orientierten Nazarener-Künstlern in der Stadt des Papstes nahekommen. Mit der Heirat von Fanny und Wilhelm am 3. Oktober 1829 in der Berliner Parochialkirche verbinden sich dann erstmals (getaufte) Mendelssohns und eine Familie nichtjüdischer Herkunft: ohne dass die Vermählten in der Folge Berlin verlassen.

Ehemann Wilhelm Hensel vor italienischer Landschaft. August Theodor Kaselowsky, Wilhelm Hensel in der Campagna, 1841, Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Foto: Jörg P. Anders
Ehemann Wilhelm Hensel vor italienischer Landschaft. August Theodor Kaselowsky, Wilhelm Hensel in der Campagna, 1841, Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Foto: Jörg P. Anders
»Nun leb wohl, und bleibe der Alte, hier findest Du Alles beim Alten, auch das Neue. Zum Letztenmal – Fanny Mendelssohn Bartholdy.«
Brief Fanny Hensels, geschrieben an ihrem Hochzeitstag in Berlin 3. Oktober 1829 an ihren abwesenden Bruder Felix
Das „Türkische Kreuz“, ein Souvenir der zweiten Italienreise Fanny Hensels. SBB / Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv / Foto: Manfred Claudi
Das „Türkische Kreuz“, ein Souvenir der zweiten Italienreise Fanny Hensels. SBB / Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv / Foto: Manfred Claudi

Von Fanny Hensel, geb. Mendelssohn, die von der Konversion ihrer Eltern 1822 bis zur eigenen Hochzeit 1829 Mendelssohn Bartholdy hieß, sind über 450 Werke erhalten, mehr als die Hälfte Lieder für Solostimme, außerdem Stücke für Klavier und Orgel, Chor, Orchester, instrumentale Kammermusik, Kantaten, ein Oratorium. Einige ihrer frühen Lieder ediert noch der Bruder; Fannys erste namentliche Publikation „Ave Maria“ wird in England gedruckt. Sechs Hefte mit Liedern und Klavierstücken erscheinen 1846/47. Kompositions- und Aufführungs-Erfahrungen sammelt sie mit der kleinen Form, ihr Forum sind die anspruchsvollen Sonntagsmusiken. Da führt sie zwischen 1825 und 1847, mit Profis und Amateuren aus Familie und Bekanntschaft, neben eigenen Werken, denen des Bruders und weiterer Zeitgenossen vor allem Bach-Kantaten auf. Als schönste Zeit erlebt sie ihre erste große Italienreise mit ihrem Mann und dem zehnjährigen Sohn Sebastian, die Gemeinschaft mit Künstlerkollegen und deren professionelle Anerkennung in der römischen Villa Medici.

Musikzimmer der Fanny mit Flügel, Nähtisch und den Gemälden ihres Mannes. Julius Helfft, Fanny Hensels Musikzimmer neben dem Gartensaal, 1849, Cooper-Hewitt, National Design Museum, New York
Musikzimmer der Fanny mit Flügel, Nähtisch und den Gemälden ihres Mannes. Julius Helfft, Fanny Hensels Musikzimmer neben dem Gartensaal, 1849, Cooper-Hewitt, National Design Museum, New York

Daheim, für das Gartensaal-Publikum aus bis zu 250, ja manchmal 300 Freunden, Gelehrten und anderen Berlinern, kann die kluge, witzige, warmherzige, kritische und politisch wache Fanny all ihre Talente als gastgebende Veranstalterin, Dirigentin, Pianistin und Komponistin zeigen; öffentlich ist sie jedoch in Berlin nur dreimal am Flügel zu hören. Als starke Beethoven-Interpretin war sie dem Bruder zunächst voraus gewesen. Er vergleicht die musikalische Energie seine Schwester mit der Erscheinung einer faszinierenden Klaviervirtuosin in Mailand: „Wenn sie zuweilen gar nicht mehr den Ton herausdrücken kann u. nun dazu zu singen anfängt, mit einer Stimme, die so recht aus dem tiefsten Inneren heraufkommt, so hat sie mich oft an Dich, o Fanny, erinnert, obwohl Du ihr freilich weit überlegen bist“ (1831).

Der Eingang zum glaskuppelgekrönten Gartensaal in der Leipziger Straße 3. Sebastian Hensel, Gartensaal, o. J., © bpk / SBB
Der Eingang zum glaskuppelgekrönten Gartensaal in der Leipziger Straße 3. Sebastian Hensel, Gartensaal, o. J., © bpk / SBB

Fanny, die extrem Selbstkritische, erfüllt als Ehefrau und Mutter ihres Sohnes Sebastian sowie als back office ihres Künstlergatten und als Tonsetzerin mehrere strapaziöse Rollen zugleich. Neben dem Gartensaal, in dem sie Berlins bestes privates Konzertprogramm realisiert, befindet sich das Atelier ihres Mannes. Da gehen Gäste schon mal im Anschluss hinüber zu Wilhelm Hensel als Modell für ein Konterfei. Das Recksche Palais der Mendelssohn Bartholdys an der Leipziger Straße ist als Domizil der Musikerin und ihres Maler-Gatten zum Musentempel geworden. „Sie war nie so wohl wie in der letzten Zeit und den letzten Tag ihres Lebens,“ schreibt der vom Schicksalsschlag zerstörte Bruder Felix am 3. Juni 1847. „Während sie den Chor, es lacht der Mai singen ließ und begleitete, fühlte sie sich unwohl, ging aus dem Zimmer [...] 4 Stunden später lebte sie nicht mehr. Am letzten Morgen hatte sie noch ein Lied von Eichendorff componiert, dessen Worte schließen, Gedanken gehn und Lieder bis in das Himmelreich.“ Ihr plötzlicher Tod bei der Probe zur Sonntagsmusik ist der Auftakt für weitere einschneidende familiäre Todesfälle; Haus und Garten Leipziger Straße 3 werden verkauft. Abschied von einer Epoche.

Wilhelm Hensel, Fanny Hensel und ihr Sohn Sebastian am Klavier, 1840, SBB / Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv © bpk / Staatsbibliothek zu Berlin
Wilhelm Hensel, Fanny Hensel und ihr Sohn Sebastian am Klavier, 1840, SBB / Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv © bpk / Staatsbibliothek zu Berlin
1729
1786
Moses Mendelssohn
Der Jude von Berlin
1764
1839
Dorothea Schlegel
Die Romantikerin
1737
1812
Fromet Mendelssohn
Die Chefin aus Altona