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Berlinische Monatsschrift März 1786 Seite 193 bis 288

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Berlinische Monatsschrift.
1786.
Drittes Stük. März.


I.
Giebt es natürliche Anlagen zum Laster?

Die Fähigkeiten der Menschen sind entweder angeboren oder erworben; natürlich oder künstlich. Man ist sehr oft in Gefahr, diese verschiedenen Eintheilungen mit einander zu verwechseln. Gesetzt, die Amme des Mark Aurel hätte ihr Kind, gleich nach der Geburt, dem Prinzen untergeschoben; das Bürgerkind würde also dieselbe Erziehung genossenhaben, die jetzt Mark Aurel gehabt: dieselbe in aller Betrachtung, physisch sowohl als moralisch dieselbe. Und gleichwohl gestehet man, daß er nicht vollkommen derselbe Kaiser gewesen sein würde: besser oder schlechter; genug, er würde zwar dem wahren ähnlich, aber nicht vollkommen derselbe geworden sein.

In so weit die Fähigkeiten erworben sind, mußten sie bei beiden gleich sein; denn dieselben Ursachen haben dieselben Wirkungen; in so weit ...

... sie aber angeboren sind, konnten sie einige Verschiedenheiten haben, mußten sie sich unähnlich sein. Es kann also die Frage entstehn: ob der untergeschobene Mark Aurel auch würde ein tugendhafter Mann geworden sein; oder ob er eine angeborene Anlage gehabt haben konnte, vermöge welcher er, der Erziehung ungeachtet, dennoch hätte ein Kasus Kaligula, oder so was Schändliches, werden können?

Das Erworbene selbst aber kann natürlich oder künstlich erworben sein. – Ein Produkt ist dem Boden natürlich, wenn es ohne Zuthun des Menschen hervorkömmt; wozu aber menschlicher Fleiß und Anbau gehört, das heißt künstlich, ist ein Produkt des Kunstfleißes. Wenn vom Menschen selbst die Rede ist,; so ist ihm jede Fertigkeit natürlich, die er ohne vorsetzliche Uebung und Erlernung erwirbt, die er tamquam aliud agendo erlangt und besitzt, ohne vorsetzlich darauf bedacht gewesen zu sein. In so weit aber zwekmäßige Anstalten, Uebung und Erlernung mit Vorsatz, in der Absicht vorgenommen werden müssen, um diesen oder jenen Grad der Fertigkeit zur Wirklichkeit zu bringen, in so weit wird die Fertigkeit künstlich genannt. Je mehr vorsetzliche Uebungen zu einer gewissen Fertigkeit gehören, je zwek- und regelmäßiger diese Uebungen angestellt werden müssen, desto künstlicher ist sie; je weniger, desto natürlicher. ...

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Ob es Naturalisten in der Tugend gebe; das heißt: ob man ohne vorsetzliches Studium der Tugend, ohne vorsetzliche, nach Vorschrift und Regeln eingerichtete, Erlernung Uebung, ein tugendhafter Mann werden könne? ist wohl die Frage nicht. Wohl aber läßt sich untersuchen: ob die Tugend erlernt werden könne? und wenn dieses ist: ob sie mit einer Wissenschaft, oder mit einer Kunst zu vergleichen? Mit anderen Worten: wie viel ist in Absicht der Sittlichkeit auf Rechnung der Erkenntnißkräfte zu setzen; und wenn diese nicht alles können, was trägt außer denselben noch dazu bei, daß man sich bemühe, Fertigkeit in der Tugend zu erlangen?
Daß der Verstand allein nicht hinreiche, beweisen die auffallenden Beispiele heroischer Bösewichter, die mit Engelsverstande teuflische Neigungen verbanden. Was stand ihren Erkenntniskräften im Wege, daß sie sich mehr im Laster als in der Tugend übten?
Gleichwohl waren diese heroischen Bösewichter am Ende doch Thoren; Dummköpfe zwar nicht, aber doch elende Unkluge, die sich selbst ins Verderben stürzten. Sie suchten Glükseligkeit, erkannten sie auch wohl theoretisch; und handelten praktisch, als wenn sie sie nicht suchten oder nicht kannten. Sie hatten also Einsicht, und hatten keine. Wie ist dieses Räthsel aufzulösen?

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Wenn Verstandesschwäche bei heftigen Begierden die Anlage zum Laster ausmachen sollte: so müßte ein großer Verstand nebst schwacher Begierde Anlage zur Tugend sein; und gleichwohl ist keine große Tugend ohne starke Begierde.
Etwas näher kömmt man dem Ziele, wenn man die Anlage zum Laster in das Übermaaß der Begierde über den Verstand setzet. Mangel des Verhältnisses zwischen Einsicht und Begierde bringet, bei Übermaaß der Einsicht stoischen Kaltsinn; bei Übermaß der Begierde, Lasterhaftigkeit hervor.
Indessen scheinen doch auch die psychologischen Eintheilungen der Seelenkräfte überhaupt noch nicht hinreichend, diese moralische Erscheinung zu erklären. Das Wort Verstand ist zu allgemein. Es giebt der Arten des Verstandes mancherlei, wovon einer diese, ein anderer eine andre Art besitzen kann; so wie es eine andere Einbildungskraft für den Dichter, eine andre für den Maler, Bildhauer und Baumeister geben muß. Der gutmüthige Dummkopf muß eine Art von Einsicht besitzen, die dem verschlagensten Schurken fehlt. Jener erkennet, daß der Mensch nicht glükselig sein kann, ohne Glükseligkeit zu befördern. Er weiß vielleicht nicht, wie er es anfangen muß, anderer Glükseligkeit zu befördern, und wählt vielleicht die unschiklichsten Mittel. Indessen empfindet er doch, daß der Mensch nicht genießen könne,

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wenn andere leiden; ja daß er selbst genieße, je mehr er genießen läßt. Kann Cäsar Borghia mit all seiner teuflischen Klugheit, diese Einsicht, diese sittliche Art von Verstand gehabt haben? – Gebet dem Musiker alle Einbildungskraft des Dichters; und er wird ein mittelmäßiger Tonkünstler bleiben, wenn er nicht die Art von Einbildungskraft besitzet, welche seinem Gegenstande und dem Bedürfnisse seiner Kunst angemessen ist. Der Name Einbildungskraft ist allgemein; aber jeder Virtuose bedarf der seinigen. – So auch mit der Erkenntniß.
Der Sprachgebrauch unterscheidet Verstand und Herz; Klugheit und Gutmüthigkeit. Die Philosophie kann zwar mehr Scharfsinn haben, aber selten hat sie mehr Witz, als der gemeine Sprachgebrauch. Sie sollte das nicht wieder durch einander werden, was jener auseinander gesetzt hat. Läuft gleich am Ende alles auf Erkenntnis hinaus, wie sich der Determinist gestehn muß; so ist doch nicht alle Erkenntnis von einerlei Art und Beschaffenheit. Zu jeder sittlichen Handlung gehört zweierlei: Erkenntnis des Endzweks und Erkenntniß der Mittel. Jene ist Wohlwollen, und, wenn sie nicht deutlich erkannt, sondern blos empfunden wird, gutes Herz; diese heißt Klugheit. Beides zusammen ist Weisheit. Der Weise verbindet Klugheit mit Wohlwollen. Er hat den festen Vorsatz, so viel Glükseligkeit zu wir-

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ken, als er wirken kann; und weiß die Mittel zu wählen, wie solches zu erhalten. Ich würde mich aber wohl hüten, der gutmüthigen Einfalt alle Tugend abzusprechen. Selbst wenn sie aus guter Meinung schadet, hat sie noch mehr Antheil an der wahren Tugend, hat sie größeres Verdienst. als der nützliche Bösewicht. Man erlaube mir diese Gedanken zu verfolgen, ob sie gleich nicht unmittelbar zu der vorliegenden Frage gehören.
Unsere eigene Glükseligkeit ist das letzte Ziel aller unserer Wünsche. Wir erhalten sie zum Theil unmittelbar: indem wir unsere eigene körperliche und geistige Vollkommenheit zu vermehren suchen; zum Theil mittelbar: indem wir Glükseligkeit befördern, andere vollkommen glükselig machen, und uns dadurch glüklich fühlen. Wer selbst sind entweder Zwek und Gegenstand zugleich; – oder wir sind bloß Endzwek, der Gegenstand aber ist ein Wesen außer uns, dessen Glükseligkeit uns interessirt. Jenes giebt uns die Selbstliebe; dieses die Liebe zu andern ein. Ohne Selbstliebe kann Liebe zu andern nicht bestehn, denn sie wäre Gegenstand ohne Endzwek; ohne Liebe zu andern kann der Selbstliebe keine Genüge geschehen: denn sie erfordert unumgänglich auch Gegenstände außer uns.
In Absicht auf Selbstliebe fällt Klugheit und Weisheit zusammen, ist Thor und Schurke nicht zu unterscheiden. Den guten Willen unser

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Wohl zu befördern haben wir alle, müßen wir haben, und wir irrenbloß in der Wahl der besten Mittel. Wie geht dieses zu? – Mich dünkt auf folgende Weise.
Wir sündigen wider die Selbstliebe, oder übertreten die Pflichten gegen uns selbst, mehrentheils durch eine Art von Rechnungsfehler. Das Gegenwärtige wirkt heftig; der Wollüstige opfert ihm das Zukünftige auf, und wird es sicher bereuen, wenn das Gegenwärtige vergangen sein, und die Zukunft herannahen wird.— Auf eine ähnliche Weise erhält das Sinnliche vor dem Uebersinnlichen den Vorzug. Der Eindruk des Sinnlichen ist heftig; so lange das Bedürfniß nicht befriedigt ist. Der Grobsinnliche folgt ihm wider Besserwissen, und vernachläßiget die Vollkommenheiten des Geistes. – Der Filzige macht falsche Rechnung. Seine Einbildungskraft stellt ihm seine Bedürfnisse größer, und seine Kräfte geringer vor, als sie sind, und er glaubt in jeder Ausgabe seinen künftigen Mangel vorauszusehen. Alle diese Rechnungsfehler schreibe man, wenn man will, einer gewissen Schwäche des Verstandes zu; aber sicherlich ist es nur ein gewisser Verstand, eine gewisse Art desselben, die diesen Elenden fehlt.
Die Tugenden der Selbstliebe bestehn hauptsächlich in der Fertigkeit: den Eindruk des Gegenwärtigen, des Sinnlichen, nach Vorschrift der

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Vernunft, zu schwächen, und den Eindruk des Abwesenden, des Uebersinnlichen zu verstärken; damit der Zauber verschwinde, und die Vernunft nicht verhindert werde, das Gegenwärtige mit dem Abwesenden, das Sinnliche mit dem Uebersinnlichen in Vergleichung zu bringen, und gegen einander zu berechnen. Die Gewalt über die Empfindung, und das Vermögen ihren Eindruk durch die Vernunft zu schwächen: ist Stoicismus. Die Fertigkeit, das Abwesende mit der Lebhaftigkeit des Gegenwärtigen, das Uebersinnliche mit der Lebhaftigkeit des Sinnlichen zu empfinden: – Enthusiasmus. Man sieht hieraus, warum auch zu den Tugenden der Selbstliebe ein gewisser Grad des Enthusiasmus gehört; damit auf der andern Seite der Stoicismus nicht übertrieben werde.
Die geselligen Tugenden gründen sich auf ähnliche Fertigkeit: die kalte Vernunft des stoischen Weltweisen mit dem Feuer des Enthusiasten zu begeistern, um das Entfernte mit dem Nahen, das Mittelbare mit dem Unmittelbaren, in Vergleichung zu bringen, und gehörig zu berechnen. Der geringste Grad derselben ist die Liebe zu den Nachkommen, zu den Seinigen überhaupt. die derMensch als sein erweitertes Ich betrachtet; und die Bereitwilligkeit, dieser Liebe zu Zeiten den Eigennutz selbst aufzuopfern. Die Thiere besitzen einen Theil derselben durch eine Art von Na-

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turtrieb, dem wir so lange diesen Namen geben, bis wir ihn besser begreifen gelernt; und der gemeinste gedankenloseste Mensch ist derselben fähig. Ja sie ist sehr oft die Quelle der größten Verbrechen geworden.
So wie es ein niedriges Laster ist, in Kollisionsfällen sein eingeschränktes Ich über alles zu setzen, und die grobe Eigensucht allzeit der Liebe zu den Seinigen vorzuziehen; so kann auch die Vorliebe zu den Seinigen vor der Gerechtigkeit, vor der Liebe zu dem Vaterlande, und diese hinwiederum vor der allgemeinen Menschenliebe einen ungerechten Vorzug erhalten, und die Fertigkeit, diesen Vorzug einzuräumen, zum Laster werden. Selten werde grobe Verbrechen begangen, um bloße eigensüchtige Bedürfnisse zu befriedigen, dem Triebe zur sinnlichen Wollust allein Genüge zu leisten. Mehrentheils ist es Liebe zu den Seinigen, welche die Stimme der Menschlichkeit überschreiet, und den Menschen zum Betrüger, Dieb und Straßenräuber macht. So spricht zuweilen Ehrsucht lauter, als Vaterland und Menschheit; ja zuweilen ist es Liebe zum Vaterlande selbst, welche alle Hinsicht auf Gerechtigkeit und Menschenliebe aus den Augen rükt. Abermals eine Art von Rechnungsfehler, welche man Verstandesschwäche nennen mag, die aber mit vieler Klugheit, mit vielem Verstande von einergewissen Art, sehr wohl bestehen kann. Daher ist auch

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hier das Gegenmittel nichts anders als Stoicismus und Enthusiasmus: Stoicismus, oder die Gewalt über die nähern Verhältnisse, das Vermögen ihren Eindruk herabzustimmen, und ihm nicht mehr Interesse einzuräumen, als ihm nach Vorschrift der Vernunft und der Wahrheit zukommt; und Enthusiasmus, oder das Vermögen den entfernten Verhältnissen des sittlichen Lebens nachdruk und Stärke zu geben, die Stimme des Vaterlandes und der Gesetze, wie Sokrates zu hören, wenn Liebe zum Leben, Bitten der Freunde und Thränen der Seinigen die Sinne benehmen; die Stimme der strengsten Gerechtigkeit, wie Regulus, zu hören, wenn die Stimme der Kinder, Verwandten, Freunde und des gesammten Vaterlandes, sich mit der Liebe zum Leben vereinigen, und so laut für die Erhaltung sprechen. Aus eben den Ursachen wird der Weise gerecht, ja zuweilen unerbittlich streng sein, wo der gemeine gutmüthige Mensch mitleidig sein wird, ja wo ein sonst nichtswürdiger Mensch vielleicht sich leichter bewegen lassen wird. Jener liebt nicht nur, was er sieht, wird nicht nur vom Nahen, Gegenwärtigen, Sinnlichen gerührt; er umfaßt in seiner Liebe die spätesten Nachkommen, so wie diejenigen, die wir auf den Armen tragen, die entferntesten Mitbürger, so wie die Anwesenden, die Menschen in den entferntesten Weltgegenden und Zeiten, so wie seine Nachbarn und

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Bekannte; siehet mit den Augen des Geistes; und theilet mit weiser Mäßigung jedem Verhältniße des geselligen Lebens so viel Interesse, so viel Antheil an seiner Liebe zu, als ihm in der Uebereinstimmung zum Ganzen zukömmt.
Mit einem Worte: das Vermögen Empfindungen in Vernunftschlüsse aufzulösen, und Begriffe der Vernunft zu versinnlichen, – dieses ist, meines Erachtens, das große Geheimniß, das derjenige besitzen muß, der zu der Höhe heroischer Tugenden zu gelangen die Ehrbegierde hat.
Alles dieses kann man, wenn man sich mit allgemeinen Notionen begnüget, auf Rechnung der erkenntniß setzen, und sagen: Tugend und Laster laufen am Ende auf lebendige thätige und wirksame Erkenntnis des Guten und Bösen hinaus; aber sicherlich ist es eine Art von Erkenntnis, die man mit und ohne merkliche Klugheit im gemeinen Leben, mit und ohne großen Verstand in Wissenschaften und Künsten besitzen kann. Ja, wer die Eingeschränktheit der menschlichen Kräfte in Erwägung zieht, wird sie sicherlich eher ohne, als mit einem außerordentlichen Talente von irgend einer andern Art zugleich, erwarten.
Vielleicht hat es nicht wenig zu Hervorbringung heroischer Tugenden beigetragen, daß die alten Verfassungen beides so sehr begünstigten, den Stoicismus von der einen, und den En-

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thusiasmus von der andern Seite. In ihren Schulen und öffentlichen Lehren, herrschte größtentheils der Stoicismus; und ihre schönen Künste versinnlichten die übersinnlichen Gegenstände, brachten abgesonderte allgemeine Begriffe zur unmittelbaren Darstellung, beflügelten die Einbildungskraft, und beförderten den Enthusiasmus für Freundschaft, Nachruhm, Vaterland, die hohe Empfindung für das, was man ohne Begeisterung bloß in Worten denken kann.
Berlin den 15. Aug. 1784 Moses Mendelssohn.


  1. Zum Andenken Moses Mendelssohns.
    Und dieser edle Mann, von dem wir diesen ältern lange für uns bestimmten Aufsatz den Lesern jetzt mitzutheilen das wehmüthige Vergnügen haben; – dieser Mann, der in seinem vortreflichen Leben nicht minder als in seinen vollendeten schriften die im vorstehenden Aufsatze so reizend beschriebene Kraftund Kunst besaß: den Eindruk der lebhaften Empfindungen durch die Vernunft zu beherrschen, und zugleich den richtig durchdachten Vernunftbegriffen die Lebhaftigkeit

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der Empfindungen mitzutheilen; – dieser edle Mann ist nicht mehr. Im Anfang dieses Jahres, am4ten Januar entriß ihn der Tod seinen Freunden, unserer Statdt, den Wissenschaften, der Menschheit. Der Verlust ist groß, und – fast unersetzlich. Niemand hat ihn gekannt, der ihn nicht geliebt und geehrt hätte. Dies thaten (zu ihrer und zu Mendelssohns Ehre sei es gesagt!) Personen von allen Ständen und Nationen: Fürsten, Staatsminister, Krieger, Geistliche; Männer und Frauen; Fremde und Einheimische; Christen und Naturalisten; Gelehrte und Geschäftsmänner. Ach! er war so gut, so bescheiden, so liebenswürdig! Sein Gespräch so lehrreich, seine Gefälligkeit so erquikkend, sein Leben und Wamndel so erbaulich. Und, gegen wen er Freund war, gegen wen er sich ganz aufschloß; was genoß der nicht an ihm, was hat der nicht an ihm verloren! – Er war der Stolz und die Zierde unsrer Stadt.Jedem aufgeklärten und edlen Fremden ward sein Name genannt, und seine Bekanntschaft zu suchen anempfohlen. Wer patriotisch dachte, freute sich, diesen wahren Weisen unsern Mitbürger nennen zu können, ihn, der durch Lehren und Beispiel so viel zur Beförderung der Religion, der Tugend, und der sanftern Menschlichkeit, so viel zur Verbreitung wichtiger Kenntniße beitrug. – Wie viel der besten Köpfe gestehen nicht gern, ihre Ideen durch Unterhaltungen

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mit ihm bestimmt, ergänzt, bereichert zu haben! Die außerordentliche Gabe der Genauigkeit womit er gleich den rechten Punkt einer ihn vorgetranen Sache traf, und alles was dabei zu erörtern war, vollständig und richtig auseinandersetzte; und dann seine Gabe der Deutlichkeit im Ausdruk, womit er die abstraktesten Begriffe seinen Lesern oder Zuhörern faßlich zu machen wußte, waren in der That bewundernswehrt. Allerdings waren ihm manche positive Kenntnisse fremd; aber, – wie Engel den wahren philosophischen Kopf schildert ), – seine Uebersicht des Ganzen, sein richtiger Blik auf Ursache und Wirkung, seine lebendige Einsicht in allen psychologischen Materien, sein außerordentlicher Scharfsinn und Tiefsinn setzten ihn in Stand, die treffendsten Bemerkungen und lehrreichsten Winke über jeden Gegenstand des menschlichen Erkennens und Empfindens selbst denen zu geben, welche aus einem solchen Gegenstande immer ihre Hauptbeschäftigung gemacht hatten. Daher war er von allen befragt; Dichter, Aerzte, Aesthetiker, Maler, Tonkünstler, Staatsmänner, Geistliche, Kaufleute, alle hörten gern seinen Rath, und befanden sich wohl bei dessen Befolgung. Es war ganz ungemein, wie richtig und zwekmäßig er über jeden ihm vorgetragenen Gegenstand redete. Er
) In der Vorrede zu seiner Poetik.

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sprach (wie einer seiner Freunde sich ausdrükte) so leicht und so deutlich über das Dasein Gottes, wie über ein neues Muster zum Seidenstoff; und so genau und richtig über den Seidenstoff wie über das Dasein Gottes. Nichts war einseitig, nichts einzeln in seinem großen Verstande, dem die Grundsätze und das Resultat jeder Wahrheit wichtig waren, und der seinen Untersuchungstrieb frei und uneingeschränkt überall verbreitete.
Die Welt kennt seine Werke, und wird sie, so lange gründliches und feines Denken geachtet wird, verehren. ) Eins der edelsten Kleinode dieser vortreflichen Schriften ist, daß er immer mit der tiefsten Gründlichkeit und dabei mit der höchsten Anmuth der Darstellung die großen Wahrheiten in helles Licht stellte, welche allein den Verstand des Menschen befriedigen und
) Wenn man die drükkenden Umstände, unter denen er Anfangs war, hernach seine Geschäfte und seine Kränklichkeit bedenkt; so muß man erstaunen, daß er so viel und mit solcher Vollendung schrieb. Aber, wo er glaubte nützen zu können, arbeitete er gern. Daher gab er auch der Monatsschrift so willig seine vortrefflichen Beiträge (1783, Jul. S.1; 1784, Januar, S.24; August, S. 130; Septemb. S. 193; Pktob. S. 295; 1785, Febr. S. 133), weil er der Herausgeber Bemühungen zur Verbreitung der Aufklärung für nützlich und unterstützenswerth hielt: ein ehrenvolles Zeugniß, das sie gegen manche unglimpfliche Urtheile beruhigen kann!

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seinHerz beglükken können. Den wichtigen Lehren vom Dasein Gottes, von der Unsterblichkeit der Seele, von der Evidenz tiefsinniger menschlicher Kenntnisse, von der Beschaffenheit unserer Empfindungen, von der Rettung der Vernunft gegen Aberglauben, des Menschenrechtes gegen Kirchengewalt, u.s.w. diesen Lehren hat er eigene Schriften gewidmet, welche in allen noch nicht ganz verdorbnen Gemüthern tausendfältige Frucht tragen müssen. Aber auch nebenher, nur in Anführung von Beispielen und Erläuterungen, stellt er allenthalben Tugend und durchdachtes Wohlwollen, als das edelste Bestreben der Menschen, und Nachsinnen über den wodurch wir sind, und über den Zwek wozu wir da sind, als den höchsten und würdigsten Schwung unserer Denkkraft vor. Nie hat er durch ein unvorsichtiges Wort, durch zu freien Ausdruk des Zweifels, diesen Wahrheiten Abbruch gethan; so kräftig er doch auch immer eigenes Nachdenken, wahrheitsuchendes Zweifeln, und das Recht einer völlig freien Untersuchung vertheidigte. Aber jene Wahrheiten waren ihm nicht bloß zu heilig, sondern auch zu lebendig, zu innig mit seinem ganzen Denken verwebt, als daß ihm auch nur ein Zug entwischen konnte, der sie in nachtheiliges Licht gestellt hätte. – Daß er und Lessing so vertraute Freunde wurden, war in mehrerm Betracht eine gütige Veranstaltung der Vorsicht; aber auch, wie mich dünkt, vor=

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züglich in folgender Rüksicht. Lessing – die denkende Menschheit wird immer seinen Namen mit Ehrfurcht nennen – scheint fast in einigem Betracht zu früh für sein Zeitalter gekommen zu sein. Sensation mußten die mächtigen Schritte, die dieses große Genie in so vielen Fächern that, allemal hervorbringen; aber, daß diese Sensation bei so vielen, und selbst sonst gut denkenden Menschen, bald ängstliche Furcht für Religion und Tugend, bald verfolgender Haß gegen den großen Mann ward, zeigt offenbar, wie ungewohnt und wie unvorbereitet zu dem von ihm angekündigten Lichte man noch war. Sein ungemeines Talent, eine Sache von den verschiedensten Seiten anzusehn; seine reine Liebe zur Wahrheit, ohne Rüksicht auf das etwa dadurch fallende System oder die davon zu erwartenden gefährlichen Folgen; die Thätigkeit, seine Denkkraft an allem zu üben, und Allen zu gleicher heilsamenUebung den freien Weg zu bahnen; seine Ueberzeugung, daß nur im Bestreben, im Anstrengen unserer Kräfte, im Forschen nach Wahrheit, das Wesen, und folglich auch das Glük, unserer Seele beruhe; sein daraus entspringender Eifer, das Recht der eignen Untersuchung in allen Dingen ungestört zu erhalten: alles das hat die wohlthätigsten Folgen für seine Zeitgenossen gehabt; hat gemacht, viele Dinge ihnen jetzt in einem ganz andern Lichte erscheinen, als ehemals, daß ihnen Wahrheit an und

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für sich lieb, und Denkfreiheit als das wichtigste Gut der Menschen wichtig geworden ist. Hingegen mußte es natürlich auch manche erschrekken; und das um desto mehr, da Lessing, seiner guten Sache und seiner Kräfte gewiß, oft stürmend und ohne Schonung zu Werke ging; und da sein unerreichbares Genie zuweilen bei den ernsthaftesten Betrachtungen die feurigsten Schwünge der Phantasie und des Witzes blikken ließ, so wie er hingegen in den muthwilligsten Ergießungen seiner Laune die hellsten Funken des reinen Verstandes aussprühte, welche dem ernsthaften Denker zu wichtigen Betrachtungen leuchten können. – Sein Gegenbild, ihm in so vielem gleich, und in vielem doch ungleich, war sein philosophischer Zeitgenoß, sein Mitforscher nach Wahrheit, sein Freund Mendelssohn. Ich mögte sagen, er machte manches unschädlich, was sonst für einige Leser Lessings hätte schädlich werden können. Er zeigte, daß, was Lessing that, im Grunde jeder denkende Mann thue, jeder zu thun das Recht habe, ja jeder thun müsse – obgleich jeder anders, nach Maaßgabe seines Geistes und Temperaments. Er zeigte dies auch durch sein eigenes Beispiel, indem er selbst freimüthig untersuchte, und freimüthig das Resultat seiner Untersuchungen bekannt machte, sollte es auch gegen lange gehegte Meinungen verstoßen; – freimüthig zwar, aber zugleich so liebenswürdig bescheiden, so ruhig be=

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lehrend, daß man seiner sanften Weisheit nicht widerstehn konnte, und also am Ende es auch recht finden mußte, daß Lessing dasselbe, nur auf seine Weise, gethan habe. Mendelssohn zeigte, wie sehr Verstand und Wahrheit auch durch dadurch gewonnen, daß Lessing geneigt war, sich jeder verfolgten Lehre anzunehmen, jeden schlecht bestrittenen Irrthum zu vertheidigen, jede mit seichten Gründen behauptete Wahrheit anzugreifen, um die Trägheit im Geiste nicht aufkommen zu lassen, die am Ende allen Untersuchungsgeiost tödtet. Er zeigte, daß eine irrige spekulative Meinung, wie ungeheuer und abentheuerlich sie auch Anfangs scheinen mag, doch Seiten haben kann, wodurch sie sich dem Denker empfiehlt, und leicht einer Verfeinerung fähig ist, wodurch ihr aller nachtheilige Einfluß auf das Praktische der Religion und Sittenlehre benommen wird. *) – So belehrte er uns, indem er seinen Freund Lessimng vertheidigte; so vertheidigte er ihn, indem er zeigte, wie unschädlich nicht nur, sondern wie gerecht auch, und zugleich wie wohlthätig dessen Verfahren für wahre Religion und Tugend gewesen.
Um Mendelssohn Beiograph zu werden, muß man sein vieljähriger Freund gewesen sein *)
) Man s. Morgenstunden, S. 258 – 285.
**) Nicolai, der älteste seiner noch lebenden Freunde, hat bereits eine, freilich nur kurze, aber gewiß höchst interessante Nachricht von seinem Leben bekannt gemacht (Allg. d. Bibl. LXV. 2 S. 624. ff) Wer wird nicht wünschen , daß er oder Engel bald dem Publikum eine vollständige Biographie des verewigten Wesen schenken möge!

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Um seinen Charakter zu zeichnen, muß man ihn in vielen Situationen gesehen haben, und im Stande sein, alle seine mannigfaltigen Verdienste in so verschiedenen Fächern zu übersehn und zu beurtheilen. – Uns sei nur erlaubt, hier kurz die Antworten auf eine Frage anzugeben, welche sein Ehrendenkmal ausmacht, auf die Frage: was verdankt Deutschland ihm vorzüglich? Folgende wichtige Punkte drängen sich hier jedem sogleich auf.
Erstlich: sein vortreflicher deutscher Stil in philosophischen Sachen. Was Luther so meisterhaft gethan hatte, dem Volke in dessen Sprache die ihm wichtigsten Gegenstände vorzutragen, geschah nach des großen Mannes Zeiten nur von den wenigsten Schriftstellern. Wolf lehrte die ernstere Weisheit wieder in deutscher Sprache, und gab dieser Sprache eine Menge der bestimmtesten Ausdrükke für die Philosophie. Aber er lehrte sie zu ernst; und die Klagen über Trokkenheit und Mangel an Anmuth wurden allgemein. Es war einem Manne aufbehalten, der, eigentlich ein Fremdling in unserm Lande und in unsrer Sprache, in keiner deutschen Schule unterrichtet, sich selbst eine mühsame Bahn brechen mußte, unserm Mendelssohn war es aufbehalten, ein Mu=

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ster zu geben, wie man die abstraktesten Begriffe mit dem schönsten Ausdruk bekleiden, die tiefsinnigsten Lehren mit einer Lebhaftigkeit und einer Anmuth vortragen könne, die ihnen unendlich mehr Eingang ins Herz verschafft, ohne ihrer Würde und Wichtigkeit das geringste zu benehmen. Durch seine und seiner Nachfolger glükliche Bemühung ist das ernstere Wissen bei unserm Volke ungemein befördert worden. Seine Schriften sind in der Hand mancher, denen es unmöglich fallen würde, ein bloß systematisches Lehrbuch der natürlichen Theologie oder der Moral durchzulesen. Wer nur die Treflichkeit und den Nutzen seiner Morgenstunden bedenkt, zumal jetzt, da der Atheismus (bald verkleidet, selbst hinter der Maske des Glaubens oder scheinbarer Orthodoxie, bald offenbar) so laut wird, wer den wichtigen Inhalt des zweiten Theils, um den uns sein früher Tod gebracht hat (von Naturrecht und Moral) bedenkt; der wird seinen Verlust in der That fast unersetzlich nennen. – Zugleich aber zeigen alle seine Schriften, daß, so sehr es ihm auch um Reiz der Einkleidung zu thun war, doch nie bei ihm die Deutlichkeit und Richtigkeit der Begriffe durch Wortgepränge litt. Allenthalben drang er auf Gründlichkeit, wahrlich ein wesentliches Verdienst in unsern Tagen! Denn offfenbar, wenn die Sache so fortgeht, wie sie jetzt anfängt, werden wir es noch erleben, daß gepriesene philoso=

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phische, wenigstens so genannte philosophische, Schriftsteller unter uns den Satz des Widerspruchs mit Füßen treten; mit dem Satz des zureichenden Grundes ist man ja so schon fertig. Wer öffentlich den Weg der Demonstration verachtet, wer ihn als die grade Straße zum Atheismus verschreit, der muß ja wohl auch den ersten Grundsatz aller Demonstration, den Satz des zureichenden Grundes, verachten. Eben so ungereimt muß er ja auch den wundersüchtigen Schwärmern vorkommen, , da sie so leicht Verbindung zwischen Ursache und Wirkung aufheben, und Folgen erwarten, zu denen die wirkende Ursache nicht da ist. Nicht so Mendelssohn; der dennoch auch seiner gründlichsten Demonstration nicht alles überließ. Er hatte auch ein Herz, und wußte fürs Herz zu reden. *)
Zweitens: Nur ihm, in Verbindung mit Lessing und Nicolai, verdankt Deutschland den Anfang einer freimüthigen unparteiischen Kritik; die, ohne Rüksicht auf die Person, nur die Sachen; ohne Rüksicht auf Namen und Anhang, nur den Schriftsteller beurtheilte. Wie kühn dieser Schritt damals war, bewies zur Genüge das freilich jetzt vergeßne Geschrei so vieler Menschen von allen Ständen dagegen.

*) Man sehe die vortreflichen Stellen in seiner letzten Schrift: an Lessings Freunde, S. 31, f. und S. 85. f.

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Drittens: Ihm dankt DEutschland auch die theoretische Kritik, ihm vortrefliche Entwikklungen in der Lehre von den Empfindungen und der schönen Wissenschaften; da sonst die moralisch=psychologischen Beobachtungen, vorzüglich in Anwendung auf Aesthetik, nur das Eigenthum der Britten zu sein schienen.

Viertens: Ihm verdankt vorzüglich seine Nation, und dadurch auch ganz Deutschland und die gesammte Menschheit, einen großen Theil ihrer moralischen und intellektuellen Bildung. Ein höchst wichtiger Punkt, der aber, eben weil er zu reichhaltig ist, hier nur kann angedeutet werden. – Seine Liebe zu seiner Nation und zu allem was ihr wichtig ist, hatte auch die unmittelbar nützliche Wirkung für uns, daß sie ihn zu der treflichen Uebersetzung zwei biblischer Bücher veranlaßte.

Endlich stehe auch hier das Verdienst: daß er durch seinen untadelhaften Wandel, durch seine hohe Rechtschaffenheit, und durch sein eifriges Lehren wichtiger Wahrheiten, es dahon brachte, daß man erkannte: auch ein Jude, auch ein Unchrist, könne ein guter Mensch sein, könne Religion haben, könne unter uns Christen Religion und Tugend befördern. Wie lange ist es, daß viele selbst unsrer angesehenen Mitbürger dies für unmöglich hielten! Leben nicht noch manche der Gelehrten und Geistlichen, die Anfangs, als Mendelssohn

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aufstand, diese Unmöglichkeit in öffentlichen Schriften behaupteten, und sogar bewiesen? Aber er zwang durch sein unbescholtenes Leben bald allen die Ueberzeugung b, daß jene Behauptungen unwahr, jene Beweise lächerlich seien. Der enge hartherzige Sektengeist, der um seine Intoleranz zu beschönigen, selbst Sokrate und Antonine gelästert hat, mußte doch vor einem lebenden so einleuchtenden Beispiele verstummen. Wie viel aber war dadurch nicht gewonnen, daß man so überzeugend belehrt ward: ein Mensch aus jedem Volk, könne Recht thun, und müsse Gott gefallen! Der Menschenfreund und der Wahrheitsforscher konnte seiner Liebe und seiner Wißbegierde nun wieder ruhig nachgehn; konnte seinen Bruder und seinen Lehrer, wes Glaubens sie auch seien, umarmen, und noch jenseits des Grabes zu umarmen hoffen; konnte sich an allen guten Menschen freuen, ohne den schreklichen Gedanken: Schade um die schöne Seele! konnte endlich Gottes Gaben, Verstand und Wohlwollen, verehren wo er sie fand, und war nicht mehr verlegen die Wege der Vorlesung dabei zu rechtfertigen. *)

*) Wir wollen bei dieser Gelegenheit unsern Lesern die Nachricht geben, daß auf der Pyramide, die auf dem Opernplatze in Berlin soll errichtet werden, und wozu Unterzeichnung angenommen wird, neben Leibniz, Lambert und Sulzer, auch Moses Mendelssohns Bildniß kommen wird.

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  1. Ueber den politischen Geist Englands.
    (Fortsetzung; s. Februar S. 10 ff.)

In dem vorhergehenden Abschnitt sind die Mißdeutungen des Wortes Freiheit entwikkelt worden. Ich setze nun meine eigne Erklärung dieses Begrifs hinzu, nebst den Gründen warum ich glaube, daß sie auf England paßt. Der freieste Staat ist der, wo jeder nur denjenigen Theil seiner freien Handlungen aufopfert, den durchaus die Aufrechthaltung des gemeinen Wesens erfordert; wo solcheEinschränkungen nicht auf eine parteiische sondern auf eine bestimmte allgemeine Weise geschehen, nur um damit die Summe der allgemeinen Glükseligkeit zu vermehren; wo in den Vortheilen, die Personen und Ständen ertheilt werden, nur Rüksicht auf feste Regierungsform und muthmaßliche Verdienste aufgenommen wird; mit einem Worte, wo die meisten Kräfte sich neben einander entwikkeln können.

Daß alles dieses in England mehr als irgendwo geschieht, werden folgende Aphorismen beweisen:

  1. Die ganze exekutive Macht ist in den Händen des Königs, dessen Person so sehr über die aller übrigen Bürger erhaben ist, daß es keinem seines Verstandes mächtigen Menschen jemals bei=

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fallen kann, diese Vorzüge mit ihm theilen zu wollen. Die exekutive Macht ist also unzertrennet in den Händen eines Einzigen; und diejenigen, welche Fürsprecher des Volkes sind und dessen Vertrauen haben – seine Repräsentanten – sind ganz davon abgeschnitten, jemals nur einen Theil dieser Macht an sich reißen zu können, und auf diese Weise sich unabhängig von ihren Kommittenten zu machen.

  1. Um den Mißbräuchen der exekutiven Macht vorzubeugen, hängt der König, in Absicht des Unterhalts der Leute, die er als Unterdrükker der Freiheitseiner Unterthanen gebrauchen könnte, der Armee, und alles was dazu gehört, von den jährlichen Bewilligungen des Unterhauses ab.

  2. Die Gesetzgebende Macht besteht in den beiden Häusern, und dem König, den seine Negative gegen alle Eingriffe dieser Theile schützet.

  3. Das Unterhaus muß immer Rüksicht auf das Volk nehmen, weil seine Mitglieder in sieben Jahren wieder gemeine Bürger werden, und es doch größtentheils von den letztern abhängt, sie wieder zu wählen.

  4. Das Oberhaus ist eine Belohnung für auszeichnende Verdienste, und das beste Mittel der Krone, der etwa zu sehr einreißenden Macht desUnterhauses Schranken zu lenken.

  5. Die Gesetze sind, um aller Parteilichkeit vorzubeugen, fast nur einer buchstäblichen Erklärung unterworfen.

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  1. Sowohl in Criminal- als Civilfällen sprechen Geschworene Recht, weil man befürchtet hat, ein stehendes Korps der Richter könnte NebenabsichtenRaum geben. Diese sind nur da, um den Prozeß zu instruiren, um das Faktum und Punktum Juris den Geschworenen genau auseinander zu setzen.

  2. Jeder hat die freieste Disposition über seine Person und Vermögen; so gar bis zum Verschwenden (denn kein kann pro predigo erklärt werden), und selbst noch nach dem Tode. Die in andern Rechten verordnete Legitima ist hier so gut wie nichts.

  3. Die Auflagen sind allgemein; und kein Stand hat je daran gedacht, die Bürde von sich ab – und auf andere zu wälzen.

  4. Durch die Freiheit der Presse wird aufs eifersüchtigste über die Aufrechterhaltung aller dieser Gerechtsame gewacht. Jeder kann, ohne vorhergehende drükkende Einschränkungen, seine Gedanken und Stimmen ins Publikum bringen und seine Mitbürger aufrufen.

  5. Dies ist nicht allein Theorie der Verfassung; sondern nach diesen, durch genaue Gesetze bestimmten, Punkten wird im Ganzen beständig verfahren. In der That ist das schon ein großer Vorzug, daß diese Rechte so klar ausgedrükt, und durch die Anwendung auf so viele Fälle immer gestärkt worden sind, um, wenn je auf ei=

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nige Zeit etwas davon verloren gehen sollte, diese Rechte bei der ersten besten Gelegenheit wieder herzustellen. Es kann sein, daß zu gewissen Zeiten der Einfluß der Krone, nicht durch heftige Mittel wie ehemals, sondern wahrscheinlich durch gelindere Wege, zunimmt, und daß durch diese, entweder das Parlament sich zu sehr auf die Seite der Krone neigt, oder, das Volk, durch panischen Schrekken bewegt, die Partei seiner Repräsentanten verläßt, und der exekutiven Macht beitritt. Das alles wird in jedem Staate eintreten, wo Menschen regieren. Die Leidenschaften derer, die, unter welchem Namen es auch sei, am Ruder sitzen, müssen immer merklich werden. Denn, Platonische Republiken abgerechnet, böeibt doch immer bei jeder Verfassung diesen Menschen raum, gut oder übel zu wirken. Aber alles diese geht in England nur bis auf einen gewissen Punkt, über den es nicht kömmt. Alles tritt alsdann zusammen, und die Konstitution ist stark genug dem Uebel neue Schranken zusetzen. Noch in neueren Zeiten, wo man glaubte das Uebergewicht neige sich zu sehr auf die Seite der Krone, beweisen das was ich sage, die bekannte Resolution des Unterhauses vom Jahre 1779: es sein nothwendig zu erklären, daß der Einfluß der Krone zugenommen habe, im Zunehmen sei, und vermindert werden müsse; und die hierauf im Jahre 1782 verfertigten Gesetze, wegen der Ausschließung der Zollbe=

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dienten bei den Parlamentswahlen; Mr. Grewes Bill, die Ausschließung derjenigen die Kontakte vom Hofe haben, aus dem Unterhause; Sir Philip Jennings Clerkes Bill, und die berühmte Burkesche Oeconomy Bill, nebst der Tilgung des Parlamentsbeschlußes wegen der Wahl zu Middleser 1769, auffallend. Ebenso verwarf man kurz darauf, 1783, die bekannte India-Bill, weil man glaubet, die exekutive Macht würde dadurch zu sehr eingeschränkt werden. Die Hauptursache der Aufrechterhaltung der Englischen Verfaßung, die zugleich Ursache und Folge ist, scheint mir darin zu liegen, daß über alle Vergleichung ungleich mehrere Menschen hier, als anderswo ihre Kräfte nebeneinander entwikkeln können – der beste Beweis ihrer Vortreflichkeit. –

Die Erziehung in großen Schulen hat schon das Gute, daß hier die Kinder früh lernen mit Menschen umgehen *),; vorzüglich aber, daß sie hier, unter sich, nach dem Maaße ihrer geistigen oder körperlichen Kraft geschätzt werden, und nur wenige Rüksicht auf den zufälligen Unterschied, den Stand oder Reichthum geben, genommen

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wird *). Die größere Anzahl hat also Zeit sich zu entwikkeln, ehe sie durch diesen Unterschied unterdrükt wird. Hier sehen die Geringsten die Größten des Landes als ihre gemeine Mitschüler an. So schlecht auch der Unterricht, außer was alte Sprachen betrifft, allenthalben ist, und so scharf auch Fehler, die sie in den Schulstunden begehen, allenthalben geahndet werden, so läßt man ihnen doch sonst außerordentlich viel Freiheit ++), wovon man das Gegentheil bei uns irrig glaubt; und es geschieht nichts, um ihren eigenthümlichen Geist zu unterdrükken. Durch den beständigen Umgang mit ihres gleichen, gewöhnen sie sich – woran man sich in diesen Jahren so leicht gewöhnt, wenn keine politische Betrachtungen unnatürlicherweise ins Spiel kommen, – an eine gewisse Gutmüthigkeit (Goodnature), Offenherzigkeit, und Festigkeit. Man debattirt über alles, und ein jeder sagt seine Meinung frei.

Diese Art mit Gründen und Gegengründen, für und wider eine Sache zu sprechen, verläßt den Engländer nicht durch sein ganzes übriges Le=

*) Ich weiß zwar wohl, daß einige Schüler, ja selbst Lehrer, um zukünftiger Verbindungen willen, sehr vornehmen Jünglingen schon hier den Hof machen; aber das sind doch nur Ausnahmen.
**) Damit ist denn auch, auf der andern Seite, die wenige Aufmerksamkeit auf ihre Sitten verbunden.

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ben; und ist eine Hauptstütze der Entwikklung aller Fähigkeiten, und der liberalen Art zu denken. Der Engländer hat über den Punkt nicht die Empfindlichkeit, die bei uns in der Konversation so sehr herrscht; weil er wohl weiß, daß er doch außerordentliche Achtung für einen Mann haben kann, mit dem er über verschiedene Gegenstände anderer Meinung ist, wenn er auch glaubt, daß er in diesem unrichtig räsonniret. Aus einer oder ein paar Thatsachen, wenn sie nicht von außerordentlicher Bedeutung sind, schließt man nicht aufs Ganze, und sagt nicht gleich von dem Mann, dessen Art einige Sachen anzusehen von der unsrigen abweicht, daß er ein Narr sei. Ungeachtet die Debatten zuweilen mit Hitze getrieben werden, und man sich auch wohl beißende Sachen sagt, so entsteht doch kein Duell daraus, so lange ich den Charakter meines Gegners nicht angreife. Der Degen ist hier nicht die Antwort auf Gründe oder Witz, und trägt hier nichts dazu bei, eine anständige Freiheit im Sprechen einzuschränken.

Die Anzahl derer, die ohne eine Bedienung zu bedürfen, unabhängig auf dem Lande leben können, ist in England ungleich größer als anderswo. Freilich haben in neueren Zeiten Verschwendung und Sucht nach der Hauptstadt zu ziehen, außerordentlich zugenommen, und damit Verderbniß der Sitten, und Dependenz. Aber die klasse der unabhängigen Leute bleibt doch immer ver=

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gleichungsweise groß, und die Ehre des Königlichen Dienstes hat noch nicht den begüterten Landbewohner verächtlich gemacht. Hier sind also ungleich mehrere, die der Neigung ihres eignen Geistes folgen können, ohne ihm, des Brods wegen, eine unpassende Form geben zu müssen. Es ist wahr, daß dadurch, auf der anderen Seite, ein mächtiger Sporn wegfällt; und es ist dies gewiß die Ursache der Trägheit und Indolenz, die bei so vielen merklich wird; aber die Vortheile sind doch auffallend überwiegend. Die verschiedenen Gegenstände die sich den verschiedenen Fähigkeiten darbieten, öfnen alle einen auszeichnenden Weg zu Ehre und Reichthum.

Die Flotte, der Handel, das Studium der Rechte, der Theologie und Medicin, bieten vorzüglich die größten und reizendsten Belohnungen dar. Den höchsten Gipfel kann, der Natur und der Sache nach, nur eine kleinere Anzahl erreichen; aber selbst diese Anzahl ist, durch das außerordentliche Gewerbe, durch die beständige Kommunikation von Menschen zu Menschen, nicht allein hier größer wie anderswo, sondern, was das vorzüglichste ist, diese Schranken sind allen offen. Der unbedeutendste kleinste Bürger kann, den Thron ausgenommen, alles ersteigen. Hier sind keine Familien, denen nach Kastenweise gewisse Vorrechte ankleben. Die Stände haben hier zwar, wie ich schon oben gesagt habe, gewisse, genau bestimmte

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Rechte; aber die Aussicht, in diese Stände aufgenommen zu werden, steht jedem offen. Der erste Anblik ergiebt gleich, welchen Sporn und Ausbreitung diese Möglichkeit der Entwikkelung aller verschiedenen Kräfte geben muß. Glükliche Umstände gehören allenthalöben in der welt dazu; aber auch in keinem Lande finden sich diese häufiger, als hier. Ich habe schon der Konnexionen erwähnt, die durch die Schulen unter den Großen und Geringen entstehen. Allein es giebt auch häufige Gelegenheit, daß Talente von früherer Kindheit an erkannt und begünstigt werden. Die Großen leben nemlich, theils aus Mode, theils aus Oekonomie, vorzüglich aber um ihren Kredit in Bezug auf die Parlamentswahlen unter ihren Nachbarn zu erhalten, einen Theil des Jahres auf dem Lande. Hier haben sie häufig Gelegenheit sich um die Familien des Farmers, oder der Bürger in den Städten, die nahe an ihren Güter liegen, zu bekümmern. Finden sich unter diesen Kinder, die große Spuren von Geist bliken lassen, so ist es nichts ungewöhnliches, daß die Großen die Schulkosten für die Unvermögenden bezahlen, und meistens hernach weiter für ihre Beförderung sorgen. Einme wohlverstandene Politik treibt sie hierzu an. Dies sind Mittel, ihren Kredit und Einfluß unter ihremn Tenants oder in den Boroughs zu erhalten und zu erweitern. Diese Klientel , im Vorbeigehen sei es gesagt, ist

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eine Hauptursache, daß die unermeßlichen Reichthümer der Familien geschwinder sich im Lande und unter den untern Klassen verbreiten, und diese REichthümer daher, zwar immer groß, aber doch ungleich scheinbarer als würklich sind. *)

Diese Möglichkeit, sich zu dem größten, was die Nation geben kann, durch eigne Kräfte emporzuschwingen, ist nicht bloß theoretisch, was am Ende wenig wirken würde; sondern so viele täglich erneuerte Beispiele tragen alles dazu bei, die Belohnung von angewandten Kräften, dem Menschen der sich fühlet, praktisch darzustellen. Keine Laufbahnn bietet mehrere Beispiele dar, als die der Rechte, und das schon von den ältesten Zeiten. Um nur bei neueren Fällen stehen zu bleiben, so ist der Großkanzler Lord thurlow das redendste Beispiel hiervon, auch die Familien Yorke,

*) Die Konversation ist bei erwachsenen hier auch oft ein Mittel, Talente zu entdecken, und zu entwikkeln; weil, so sehr auch jeder die Vorrechte kennt, die seinem Stande ankleben, doch diese nur selten im persönlichen Umgange der Großen solche fesseln anlegen, wodurch die Freiheit zu denken und zu reden erstikt wird. Man bringt seine Größe in England nur selten mit in Gesellschaft; und jeder der ein Gentleman ist (ein Wort für das wir kein gleichbedeutendes haben) merkt, zumal in der kleinen Societät, nicht diesen Unterschied der Stände. Reichthum entscheidet hier ungleich mehr. Wer mitmachen kann, ist allenthalben gelitten.

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Pratt, Ryder, Wedderburne, de Grey, Dunning und Norton haben ihre Titel und Reichthümer ihrer, oder ihrer Väter, Geschiklichkeit in diesem Fache zu verdanken. Doch sind, wie man leicht denken kann, der durch eine Pairswürde Belohnten immer nur wenige, in Vergleich gegen die Menge derer, die auf andre Weise ihr Glük machten. Es ist unglaublich, wie hoch sich die Anzahl derer beläuft, die auf diesem Wehe Reichthum und Ansehn erworben. Aber es gehören große Talente und auch ein fester Körper dazu.

Unter der höchsten Würde der Geistlichen, den Bischöfen, wird man diese Beispiele, eben so wie bei der Flotte und Armee, nicht weniger finden. Der jetzige Erzbischof von Canterbury, Dr. Moore, war Hofmeister beim Herzog von Marlborrough; der von York, Dr. Markham, Rektor der Westminsterschule; und es ist allgemein bekannt, daß der Bischof von Peterbororough, Dr. Hinchliffe, der Sohn eines Kutschers bei Mr. Crew war, der seine Talente entdekte, sie entwikkeln half, und dessen Tochter jener hernach heirathete.

Ich habe noch nichts von dem größten Gegenstand des Ehrgeizes eines Britten gesagt: –
Sitz und Stimme in einem der beiden Häuser des Oarlaments zu erhalten. Es ist unmöglich, daß etwas mehr den Ehrgeiz reizen kann, als: fest zu wissen, daß die Augen aller meiner Mitbürger,

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meiner ganzen Nation, auf mich geheftet sind, wenn ich auszeichnende Verdienste in dieser Bahn zeige, und daß ich durch meine Kräfte so vieles dazu beitragen kann, das Schiksal von Millionen Menschen zu verbessern und zu erleichtern. Ja es sind nicht die Augen Englands allein, die auf das, was in Parlamente vorgeht, sehen. Der große Redner weiß, wie Lingner in einem neuen stükke seiner Annalen sehr wohl bemerkt, daß das ganze lesende Europa ihn eben so, miteinem hohen Grade von Aufmerksamkeit, betrachtet. Die Publicität mit der hier alles getrieben wird, macht, daß die meisten Bürger auswärts besser vom Zustande Englands als ihres eignen Vaterlandes unterrichtet sein können. Sie erfahren von diesem Lande am meisten, können sich daher auch am meisten dafür interessieren. Der große Mann im Parlamente, ohne Bedienung, vielleicht auch ohne Rang, ohne Vermögen, steht daher in einer Situation, in der nur die wenigsten der größten Minister der größten Mächte je standen. – Er sieht die Augen der ganzen kultivirten Welt auf sich gerichtet.

Eine stärkere Aufforderung seine Kräfte zu nutzen, kann es nicht geben. Ins Parlament kann ein jeder geborner Engländer kommen. Freilich gehören Konnexionen hier, wie allenthalben in der Welt, dazu; aber hier in weit geringerm Maaße. Der Mann von außerordentlich großen politischen Talenten, der reden kann, (denn außerdem

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Ich habe jetzt, wie mich dünkt, hinlänglich gezeigt, daß England mehr als jedesandre Land der größern Ausbildung verschiedener Kräfte Raum giebt; daß hier jeder die Aussicht hat, durch sich, durch seine Bemühungen, die höchste Stuffe in seinem Fache zu erlangen; daß er dazu nicht so viele günstigen Umstände gebraucht, und daß sich diese leichter hier als anderswo finden.

Die Mißdeutungen des Wortes Freiheit sind nicht die einzigen Ursachen der unrichtigen Beurtheilungen Englands. Bei andern wirkt die Abneigung gegen alle Staaten republikanischerForm nicht minder. Es ist eine Bemerkung, die jeder, der sich um die Urtheile über Staatsverfassungen bekümmert, leicht machen wird, daß der Strom von Gesinnungen und Urtheilen gegen alle Staaten dieser Verfassung läuft. Es ist nicht allein Mode, auf die Schweiz, die doch die verschiedensten Regierungsformen enthält, und auf Holland, zu schimpfen; sondern man ist bei uns sogar so weit gegangen, wenigstens dem ersten Volke, förmlich Rebellion zu predigen, ohne zu bedenken was das heißt, in welchem Staat es auch sei, Rebellion predigen zu wollen, deren Ausgang doch keiner vorher sehen kann, und die, wenn sie unglüklich ist, fast immer das Volk noch in größere Sklaverei stürzt. Man hat den Schweizern gerathen, unter Wien und Wetzlar, wo die Gerechtigkeit so rein gehandhabt werde, zurükzu=

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kehren. Es scheint der menschlichen Natur eigen zu sein, immer nur mit neidischem Auge diejenigen am Ruder des Staats zu sehen, die nicht durch Kronen, oder dieser Würde anklebende Zeichen, zu sehr über alles erhaben sind, um einer Vergleichung Platz zu geben. Nichts ist, was der Mensch im Ganzen so leicht duldet und liebet, als den langen Besitz einer auf diese Weise über alles erhabenen Familie. Er will nicht nur von seines gleichen beherrscht sein. So viel von der bei uns vorzüglich herrschenden Abneigung gegen alle republikanischen Verfassungen überhaupt. Aber von jeher haßten sich auch Staaten dieser Form am meisten untereinander selbst, entweder weil sie sich am meisten vor einander fürchteten; oder weil sie sich untereinander näher glaubten, und daher die Vorzüge ihres Vaterlandes recht gegen die von ähnlichen Verfassungen geltend machen wollten.

So enthusiastisch auch an den wenigen Orten, wo man die Republikanische Form vorgezogen hat, alle, die für sich nur die entfernteste Möglichkeit sehen, Antheil am Regimente zu bekommen, für ihre Regierungsform zu sein pflegen; so wenig werden doch, so wohl Aristokratische als Demokratische Regierungen in eroberten Provinzen geliebt, –
vielleicht das Landvolk abgerechnet, das im Ganzen ziemlich gerecht urtheilt, wenn es nichtvorher eine Demokratie ausmachte. In den Municipialstädten, und dem adel der Sujets, wird

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dieses am auffallendsten. Ich berufe mich vorzüglich auf das pays de Vaud, die kleineren Städte im deutschen Berner Gebiete, und auf die an die Vereinigten niederlande abgetretenen größern Oerter. Unter einer Monarchischen Form wären sie so wohl vom unmittelbaren Antheilan der Regierung ausgeschlossen,; aber sie trügen eine härtere Sclaverei dieser Art zuversichtlich lieber, weil sie doch alsdann nicht das Unglück hätten, von ihres gleichen beherrscht zu werden. *)

Diese Abneigung gegen alle Staaten Republikanischer Form, wirkt erstaunlich auf das Urtheil der Deutschen über England. Man ist gewohnt, das Parlament als eine Versammlung von Rebellen anzusehen, die, wenn sie nicht bestochen werden, alles thun, um die Gesetzmäßige Gewalt der Krone zu schmälern, ja gar die regierende Familie vom Throne zu bringen, und die Königliche Würde im Staate zu vertilgen. Von der Nation denkt man im Ganzen nicht günstiger. Man glaubt, daß sie die Monarchische Regierungsform nur mit Wi=

*) Daher hat man so vieles zum Nachtheil der Berner Regierung gesagt, die doch einengleichförmigen Geist von Weisheit und Gerechtigkeit seit so langen Jahren gezeigt hat, dessen sich vielleicht in gleichem Maaße keine andre Regierung rühmen kann. Es ist mir, um der Wahrheit willen, außerordentlich lieb, daß sie kürzlich einen so geschikten Vertheidiger an dem Herrn Professor Meiners gefunden hat.

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Der willen und gezwungener Weise dulde. Hier wird der Einfluß der englischen Zeitungen auf unsre Urtheile recht sichtbar. Diese in London ums Brod geschriebene Blätter, die aus Neugier desto mehr Käufer finden, je unverschämter sie sprechen, werden als Stimme der nation angesehen. Es ist bekannt, wie wenig überall Hauptstädte in diesem Gesichtspunkt taugen. Selbst in den sklavischsten Ländern herrscht in dem großen Ort eine bis ins ausschweifende gehende Freiheit im sprechen. Die Achtung fürs Gouvernement nimmt gemeiniglich ab, je näher man dem Sitze der Regierung ist. Aber davon ist die Denkungsart des größten Theils der Nation in den Landstädten und auf dem Lande Himmelweit unterschieden. Ich rufe dreist jeden auf, England zu durchreisen, und zu untersuchen, ob nicht das Land mit ganzer Seele an der aufrechthaltung der Königlichen Würde hängt? Ob es nicht Geld und Leben zu deren erhaltung, so balsd sie in gesetzmäßigen Schranken bleibt, aufopfer würde? *) Der Landedelmann, und der Kaufmann in den

*) Um den besten Beweis wieder aus den neuesten Zeiten zu nehmen, so werfe nur jeder einen Blik auf die Folgen der India Bill von 1783. Die größten Familien des Reichs, weil sie fast alle auf Seiten der Bill waren, verloren dadurch ihren Einfluß, nachdem die Krone gesagt hatte, daß ihre (der Krone) Prärogative durch die Bill geschmälert würde.

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Handelstädten, hängen sehr auf Seiten der Prärogative. Es ist bekannt, wie wenig im Ganzen handelnde Nationen lange an der Republikanischen Form kleben bleiben. Ohne zu bedenken, daß er seinen Reichthum der größeren Freiheit mit seinem Eigenthume schalten, und den wenigen und genau bestimmten Handelseinschränkungen zu danken hat, liebt der Kaufmann diejenige Verfassung am meisten, die ihm im Genuße seines Erworbenen die größte Ruhe verspricht. Die herrschende Denkungsart ist daher ganz auf Seiten der Monarchie, gegen die Republikanische Partei. Auch würde, allem Anschein nach, wenn ja eine große Veränderung in der Verfassung vorgehen sollte, eher eine uneingeschränkte Monarchie, als ein Freistaat ohne Oberhaupt entstehen. *) Nur erhitzte Köpfe ohne passende Plane und Kenntniß der Menschen, können daran denken, das Gegentheil hervorbringen zu wollen. Jeder gute Beobachter wird hier nie von einer Republik träumen. Er wird bald einsehen, daß das Volk eine solche Regierungsform nicht nur nicht vertragen könnte, sondern auch nicht will; und daß am Ende doch hierin immer des Volks Stimme Gottes Stimme sei: daß es die Form des Gouvernements

*) So dachte schon Hume; man s. dessen Abhandlung Wether the British Governement inclines more to absolute Monarchy or to a Republic.

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haben muß mit der es zufrieden ist. Diese Denkungsart offenbarte sich nicht stärker, als in den Folgen des Lord George Gordonschen Auflaufs von 1780, und der Dissolution des Parlaments von 1784. Die deutlichsten Proben einer Vorliebe für die exekutive Gestalt entdekten sich allenthalben. *) Hievon läßt sich auch auf den Geist des Unterhauses schließen, wo doch immer die Majorität in Absicht auf Hauptpunkte, über kurz oder lang die Denkungsart ihrer Kommittenten annimmt. Ja, es würde die Wagschale sich noch immer mehr auf die Seite hinneigen, wenn nicht die Bemühungen und Anstrengungen einzelner Männer, das, zur Aufrechterhaltung der Verfassung, nöthige Gleichgewicht hervorbrächten. Daher sind oft dem Anschein nach unbedeutende Deklamationen von großer Wichtigkeit. Le peuple est toujours peuple, sagt der Mann der es am besten kannte **), und das trift auch in England ein. Es will durch gewisse Thöne, durch gewisse Topiks, vor dem jeder freien Konstitution so gefährlichen Schlummer bewahrt werden. Diejenigen die auf das

*) Ein großer Staatsmann, der 30 Jahre in einem der wichtigsten auswärtigen Posten als Botschafter seinem Vaterlande gedient hat, und jetzt frei von Parteikonnexionen dort lebt, sagte mir: er hätte die Partei der Prärogative zwar immer groß geglaubt, aber sie doch nie so überwiegend denken können als er sie damals gesehen hätte.
**) Der Kardinal Retz.

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Volk wirken wollen, müssen die Mittel, die herzu passen, gebrauchen. Aber im Herzen hängt gewißbei weitem der größte Theil derer, die im Parlamente sitzen, und jemals darin saßen, an der festgesetzten Verfassung. *)

Die Hauptabneigung gegen die Parteien in England, so wohl der Hof- als auch der Oppositionspartei, rührt bei uns vorzüglich daher, daß man ihnen vorwirft, sie stritten um Plätze. Ich weiß nicht, woher auf einmal, wenn hievon die Rede ist, in dem Dienerreichen Deutschlande wo alles nach Bedienungen und Pensionen, wie in Rom nach Beneficien strebt, ein so heiliger Abscheu entsteht; und was uns berechtigt, 558 uninteressierte Vommoners, und gegen 230 eben so uninteressierte Lords, zu verlangen. Etwa die Reichthümer einer großen Anzahl, die nicht nöthig haben ums Brod zu dienen?

Feilich ist diese Klasse, wie ich schon oben gesagt habe, in diesem Lande ungleich größer als ir=

*) Daß die Licenz im Schreiben, und in einigen unzusammenhängenden Handlungen, vielleicht nie so weit gegangen ist, als in den letzten Zeiten, streitet hiegen nicht. Denn das traf nicht die Krone allein; die Oppositionspartei litt eben so sehr; davon sind die Menge satyrischer Kupfer Zeugen. Die Ursachen liegen gar nicht in zwekmäßigen Planen. Es waren die durch den Luxus zunehmende Schwelgerei und der Mangel an Ausbildung der Polizeianstalten, die das hervorbrachten.

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gend anderswo.. Aber in einem Lande, wo der Luxus, den der Handel nothwendig nach sich zieht, so erstaunlich herrscht, wo man so viele Bedürfnisse erfunden hat, die durchaus dazu gehören, um standesmäßig zu leben, wo Spiel und die übrigen Modethorheiten, so leicht die ersten Familien herunter bringen, – sind vorzüglich diejenigen, die wegen der Parlamentsgeschäfte den größten Theil des Jahres in der theuren Stadt zubringen müssen, oft genöthigt, Bedienungen, auch ums Geld, zu wünschen. Und hat nicht fast immer die Erfahrung bewiesen, daß nur selten die reichsten Menschen die indepedentesten waren? Daß man hingegen unter denen, die, wenig gewohnt, viel entbehren konnten, diese am meisten fand? Die fakticen Bedürfnisse überschreiten beständig unsre Kräfte sie zu befriedigen.

Könnte man sonst nicht auch zu unsern Begüterten sagen: viele unter euch bedürfen der Bedienungen zu ihrem Unterhalte nicht. Bringt, wie eure Vorfahren, einen großen Theil eurer Zeit auf dem Lande zu. Warum müßt ihr so leben? Aber man hat nun einmal so hohe Ideen von den Engländern. Sie sollen mehr als Menschen sein. Viele unter ihnen sollen das nicht thun, was die meisten unter uns thun würden. Noch einmal: von einer Platonischen Republik kann bei keiner wirklichen Verfassung die Rede sein. Wer kann in unsern Zeiten, in einem großen Reiche, von

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einem Heere von Cincinnatus und Curius dentatus träumen? Darin aber besteht das vorzügliche der Englischen Verfassung, daß es noch immer einige Heldenseelengegeben hat, und daß diese fähig gewesen sind, durch ihre Bemühungen den verschiedenen einreißenden Uebeln neue Schranken zu setzen. Freilich nicht gleich, wenn diese Uebel eintreten, aber noch immer, wenn sie auf einen gewissen Punkt gekommen sind, über den so wenig exekutive als gesetzgebende Macht auf lange hinausgehen mag.

Unter den Seelen die fähig gewesen sind, mit Aufopferung ihres eigenen erlaubten Interesse, die ungeheuren Besoldungen herunter zu setzen, habe ich schon gleich anfangs Burke genannt,; und die Zahl derer war nicht gering, die gegen ihren Privatnutzen, so wohl die Burkische Oeconomy Bill, als die Regulationen, die dieAccidencien einträglicher Aemter sehr verminderten, unterstützten.

Fast jeder Minister wird es erfahren haben, daß noch immer eine Anzahl da ist, die sich nicht durch Pensionen zu allen Maaßregeln bringen lassen. Zwei Beispiele, aus den neuesten Zeiten, von Männern, die ohne Besoldung zu nehmen dem Staate ihre Kräfte widmeten, verdienen auch hier genannt zu werden. Das erste war der verstorbene Markis von Rockingham, der zweimal die Premierministerstelle bekleidete, und nie den da=

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mit verknüpften ansehnlichen Gehalt hob. Das andre Lord Strange, *) der beinahe zehn Jahre die Kanzlerstelle des Herzogthums Lancastar, die wenigstens 3000 Pfund einträgt, umsonst verwaltete. **)

Der Vorwurf, daß man die Bedienungen, als Pensionen betrachtet, stritte, würde also die Engländer nicht zu schlechtern Menschen, als wir sind, machen, aber es ist hier mehr, es ist auch zugleich der Streit um die Macht.

Die Maaßregeln die der Minister dem Hause vorträgt, müssen im Ganzen des Beifall erhalten. Wenn er in mehreren Fällen überstimmt wird, so hat er das Vertrauen des Hauses verloren. Er ist unbrauchbar. Er kann seine Pläne nicht durchsetzen. Die exekutive Macht wird durch ihn inihren Operationen gehemmt. Er muß aufhören Minister zu sein.

Maaßregeln auszuführen, die man gegen seine Ueberzeugung angenommen, ist hier aus manchen Ursachen sehr gefährlich. Zudem ist der König nur durch den Minister, der die Majorität des Hauses auf seiner Seite hat, vor Eingriffen auf seine Prärogative sicher. Ein Minister ohne Mehrheit der Stimmen würde die exe=

*) Vater des jetzigen Grafen von Derby.
**) Der letzte konnte es nunvollends nicht aus Liebe zur Volkspartei thun. Er machte sich sehr wenig daraus, und war von Grundsätzen und Person ein sehr unpopulärer Mann.

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kutive Macht verächtlich machen. Er muß aufhören, Minister zu sein, oder das Parlament, das ihm sein Zutrauen verweigert, muss dissolviret werden *); aber wehe ihm, wenn ihm das zukünftige nicht günstiger sein sollte! So wie der Kredit und das Ansehen eines Ministers bei jeder Sache, die er verliert, zu sinken anfängt; eben so würde die Opposition steigen, wenn sie viele von ihren Ideen durchsetzen könnte. Man würde ungleich größeres Vertrauen zu dieser ihrer Geschiklichkeit bekommen, und der Minister würde seine Freunde und Anhänger täglich vermindert sehen. Zudem könnte kein zusammenhängendes System, und keine Responsabilität der Minister, statt finden, wenn heute diese und morgen jene Partei, die durch politischen Charakter und wenigstens angenommene Differenz von Grundsätzen sich auszeichnen, Maaßregeln, derenGeist sich oft wiedersprechen müßte, durchsetzte. Oft kann es sein, daß sich diese Ideen vertragen, daß keine Partei glaubt der andern zu viel nachzugeben; und dann gehen Maaßregeln mit allgemeiner Bewilligung durch. **)
(Der Beschluß folgt im nächsten Stük. )

*) Dies war der Fall 1784.

**) Im Jahre 1784 war das der Fall mit der Zurükgabe der nach der Rebellion von 1745 konfiscirten Schottischen Güter. Bei Gelegenheit der Mutionen von Veränderung der Repräsentation im Parlamente, hat man von jeher des gleichen ohne Ansehen von Parteien votirt. Die Sache selbst ist immer von allen Speculativen Staatsgrüblern

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gewünscht, aber von den meisten, die je praktisch mit dem Staate zu thun gehabt haben, verworfen worden. Mir scheint es ein äußerst verderblicher Schritt zu sein; denn (ohne bei dem Grunde stehen zu bleiben, daß man inkeinem Staate, zumal jemehr er sich einer republikanischen Vefassung nähert, Veränderungen in der Konstitution ohne die äußerste Noth und mit dem Anschein des äußersten Nutzens vornehmen müsse: ein Grund der doch immer viel für sich hat) besteht die englische Verfassung in einem künstlichen Gewebe der drei regierungsformen, deren Verhältnis sich nicht durch arithmetische Zahlen ausdrücken und bestimmen läßt. Der demokratische Antheil gründet sich auf den public spirit , der so allgemein verbreitet ist, und den freilich die Repräsentation zeugt, aber zu dessen Erhaltung durchaus keine gleichere Repräsentation erfordert wird, weil er sich von den repräsentirten Orten an die unrepräsentirten vollkommen gleich mittheilt. Manchester z.B. hat keine Mitglieder im Unterhause, und wie viel Städte giebt es, die größern Einfluß dort gehabt haben? Alle Ideen von einer Reform der Repräsentation laufen dahinaus, die Macht der Aristokratie zu schwächen, das heißt, diejeniger herunter zu bringen, die nach einem festen System in der Verfassung handeln, von denen man, wenn Eingriffe von irgend einer Seite geschehen, rechten Widerstand erwarten kann, um die Partei zu vermehren, die vom Winde hin und her getrieben wird. Dies würde sicherlich der Fall sein, wenn man die Rotten Boroughs den Grafschaften beilegte. Auffallend ist es schon, daß die Rotten Boroughs fast immer die grßten Staatsmänner geliefert, unter den Landjunkern hingegen wenige sich hervor gethan haben. Ich weiß wohl, daß auch diese Sätze in Deutschland nicht vielen Beifall erhalten werden, wo Queen Mob sehr herrscht, die näher mit dem Despotismus zusammenhängt, als viele ihrer Anhänger vielleicht selbst glauben.

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  1. Authentische Anekdoten von dem sel. Superintendent Ziehen.

Ich weiß nicht, wie meine Anekdoten, die ich ehemals von dem guten irrenden Ziehen (in der B. Monatsschr. 1783, Dec. S. 517. f.) mittheilte, aufgenommen worden: aber das weiß ich nun gewiß, daß sie sehr unvollkommen sind. Wem daran gelegen ist, kann das, was mich bei jedem Billigdenkenden entschuldigt, dort finden. Eins muß ich noch hinzusetzen, das vielleicht selbst bei strengern Freunden der Wahrheit Entschuldigung verdient. Ich hatte nemlich die Absicht: wo möglich, über ihn (wie über einen am Wege gefundenen Leichnam) einihm angemeßenes Gewand zu werfen, um die Augen der Neugierigen von ihm zu wenden, und selbst die Fehler Andrer zu bedekken, die Schuld daran waren, daß viele Tausende nun erst erfuhren, Ziehen habe gelebt, und sei gestorben. Also schrieb ich von ihm – zwar sehr schonend, aber nicht billigend. Meine Gründe waren folgende:

Erstlich: Unvollkommenheiten des Körpers verschont jeder Vernünftige.Eben diese Schonung glaube ich auch dem Mehr oder Weniger mensch=

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licher Kräfte schuldig zu sein *). Zweitens: ich wußte wirklich zu wenig von dem Ganzen, um über einen Theil dreist genug urtheilen zu können. Er hatte keinem Lebendigen den eigentlichen grund seiner dreisten Weissagung gesagt; und meine geringe Kenntniß von der Astronomie reichte nicht hin, geradezu zu sagen, ohnerachtet ich es befürchtete: er habe erstaunlich geirret. Drittens: nie würde er es gewagt haben, mit einer Zeile so viele Schwache zu beunruhigen, wenn er nicht durch mehr als eine hinreißende Veranlaßung gereitzt wäre. Davon bin ich jetzt noch mehr, als damals, versicher; obgleich ich auch damals schon mich in allgemeinen Auisdrükken darüber erklärt habe. Ich wenigstens würde, wenn jemand im hitzigen Fieber Feuer riefe, ihn nicht ermuntern, es auf der Straße auszurufen, sondern zum Arzte schikken, um ihn selbst zu retten, und meine Mitbürger nicht vergebens zu beunruhigen.

Andere dachten hierin anders. Man eilte die Ziehenschen Weissagungen bekannt zu machen. Sie erhielten Leser und Bewunderer genug; und einige

*) Freilich, die Menschlichkeit,: daß ein Prophet Unwahrheiten sagt, ist sehr verzeihlich; aber die Anmaßung: daß er ein Prophet sein will, und öffentlich mit seinen Prophezeiungenhervortritt, verdient desto nachdrüklichere Rügung, je geneigter das Zeitalter zum Wunder – und Prophetenglauben ist. B.

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von diesen erlitten nun eben die Spannung der Einbildungskraft, vielleicht auch noch wohl mehr, als womit er diesen Traum aufgesetzt hatte. Ein französischer Gelehrter P. *) schrieb gar an ihn, nachdem er schon todt war, und bezeugte ihm, daß er ihn wenigstens für einen Konfidenten Gottes halte. Einer meiner freunde hat davon schon in den gelehrten Beiträgen zu den Braunschweigischen Anzeigen hinreichende Nachricht gegeben, und ich beziehe mich auf ihn. Alles dies erregte Aufmerksamkeit unter einigen, denen Ziehen wegen seines guten Herzens werth war, und sein mußte. Man fing nun an, zu glauben, unter seinen schriften müsse das Buch Chebilah sein, das bis jetzt kein Sterblicher, wenigstens nicht unter diesem Namen, kennt; ferner Aufsc hlüsse über Dinge, an die, nach sehr hoher Wahrscheinlichkeit, selbst der Verfasser der Apokalypse nicht im Traume gedacht hat; und vielleicht wohl gart die Vorschrift, den Stein der Weisen zu machen.

Man fing nun an, Geld für seine hinterlassenen Handschriften zu bieten; und Geld gehört, um mich eines Ziehenschen Ausdruks zu bedienen, mit zu denen Dingen, die den Instinkt einiger Menschen am meisten reizen.

  • Der Abbe Pernetty.

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Also war meine Absicht verfehlt. Vermuthlich auch deswegen, weil es nicht möglich war, der Wahrheit treu zu bleiben, und zugleich die Neugierde zu beruhigen. Gewiß aber auch, weil meine Anekdoten nicht so allgemein bekannt gemacht werden konnten, als jene unglükliche Anzeige. Wären sie aber auch mit eben der Geschäftigkeit verbreitet, so wären sie nicht verstanden, oder nicht geglaubt; weil dem größten Theile der Menschen eine Prophezeiung deutlicher und glaubwürdiger ist, als alles, was die übrigen Erdensöhne mit aller Ueberlegung schreiben.

Dennoch versuchte ich es noch einmal, alle üblen Folgen für seinen guten Namen, und noch mehr fürs Publikum zu verhüten, so viel mir möglich war. Ich wiederrieth den Verkauf der Handschriften, und erbot mich, sie vorher durchzusehen. Man erlaubte das letztere, und ich rieth, wenigstens das, was ich gesehenhatte, zu verbrennen. Ob mein Rath grausam gewesen sei, urtheile man aus dem folgenden. Aber er wurde nicht befolgt. Das ganze caput mortuum (man verzeihe mir den Ausdruk; wirklich seine Handschriften größtentheils nur das caput mortuum seiner Gedanken), wenige Stükke ausgenommen, wurde verkauft, zum Drukke verkauft. *) Ich

*) Das Avertissement ist bekannt, wodurch der Ziehensche Nachlaß auf Pränumeration angekündigt ward. Das Werk soll etwa ein Alphabet in gr. 8 betragen, und im März dieses Jahres erscheinen. Es wird sich also bald zeigen, ob genug Prophetenliebhaber in Deutschland waren, um dem Buche seine Existenz zu verschaffen. B.

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habe nicht alles, was von ihm in Handschrift da ist, gelesen; aber einen großen Theil, und diesen mehr als einmal. Also bleibt für Neugierige noch immer ein beträchtlicher Theil zurük, zumal da ich auch nicht alles, was mir bekannt ist, liefere. Ich schreibe jetzo nur für wenige, die mich verstehen.

Meine erste Absicht war, zu wissen: woher mag er die Kenntniß der Hieroglyphen haben, und wie hat er sie auf die Bibel angewandt? Ich fand über den erstenTheil meiner Frage folgenden Aufschluß in einer Schrift, die den Titel hat: Vorgängiger Abriß hieroglyphischer Enthüllungen, an die Aeltesten unter den protestantischen Häuptern. (5 gebrochne Bogen, unvollständig).

„Ich bin ein Freund der geheimen Scheidekunst. Von meinem 14ten Jahre an habe ich die Schriften der memphitischen Weltweisen gelesen. Sie sind größtentheils in Hieroglyphen eingehüllt, und ich hatte demnach Gelegenheit, mit dieser Sprache bekannt zu werden. Ueber dreißig Jahre verstrichen, ehe ich sie nur einigermaßen verstand, und vielleicht

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würde ich sie nie verstanden haben, wenn ich nicht den Rath des Pontants befolgt, die Bücher aus den Händen gelegt, und durch eigne Betrachtung geleitet, nach einem deuutlichen und gewissen Grundsatze meiner Untersuchungen geforscht hätte. Ohne denselben war alle Auslegungskunst vergeblich. Der Entschluß, den Rath des Pontants zu befolgen, führte mich endlich zum Zwek. Ich fand den gesuchten Grundsatz; und diese Erfindung war zugleich der Aufschluß aller bisher mir verborgenen Hieroglyphen. Den Stein der Weisen habe ich freilich nicht gemacht. Indessen war ich versichert, daß ich die Schriften der memphitischen weisen richtig erkläret und verstanden. Die Analysirung und Verfeinerung der Körper, welche durch keine gemeine Auflösungsmittel erhalten werden kann; die Kunst, das elektrische Feuer mit dem Wasser zu vereinigen, und die Zuströmungen des Lichts zu binden; nebst andern Versuchen, nach welchen es mir gelang, verschiedene Formen der Steine, und, weil ich eben den Punkt der Saturation getroffen hatte, sogar die Formen der Erze auf dem hiesigen Hauptzuge in Salzesgestalt, und im gemeinen Wasser auflösbar darzustellen, – waren die Stützen meiner Ueberzeugung. So schön diese Versuche auch waren; so verließ ich sie doch gar bald, um zu einer wichtigern Untersuchung fortzugehen. Es fiel mir ein, daß ein nicht geringer Theil der heil. Schrift in hieroglyphischer Sprache geschrieben sei u.s.w.

Ich erinnere nur noch, daß niemand in dieser Schrift einen Schlüssel erwarte; es wäre denn,

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daß ich, als ein Laye (denn der bin ich), mit sehenden Augen nicht sähe. Ohnedies ist sie, wie gesagt, unvollständig: nicht, daß etwas davon verloren gegangen, aber er selbst hat gut gefunden, abzubrechen. Ich bitte dies immer zu gedenken, wenn ich mich des Ausdruks unvollständig bediene.

Der zweite Theil meiner Frage ist nirgends so deutlich ausgedrükt. Ich mußte ihn aus seinen ungemein weitläufigen und unvollständigenTheorien, und einigen Beispielen abstrahieren. Es giebt, wie er sagt, eine Originalsprache, die allen Sprachen zum Grunde liegt. Dioese besteht in der Kenntniß der wesentlichen und zufälligen Bedeutungen, welche eine jede Sache in der Welt hat. (Sie wird also wohl mit seiner Hieroglyphie eins, oder ihr doch nahe verwandt sein). Und alle Sprachen sind unter sich verwandt. Ein Paar Proben davon, in aller mir möglichen Kürze. Die ersten nehme ich aus dem Anfange eines hebräischen Lexikon, das aber nur aus etwa 2 und einen halben gebrochnen Bogen besteht.

nach Anleitung und Befehl Gottes. der Wesen bestimmte die Benennung Adam אדם"
– Daher ist auch ohne Zweifel der Name des ersten Menschen entstanden. Dieses Wort faßet drei Tempo`s (vermutlich die tres morae) in sich, die den Anfang, Fortgang und Ausgang der menschlichen Stimme bei jedem werte aufs genaueste bezeichnen. א bezeich=

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net den Hauch, oder das Geräusch, welches der Ein- und Durchgang der aus der Lunge emporsteigenden Luft durch die Luftröhre verursacht. ד charakterisiert die Artikulation, oder den Aufstoß dieses Hauchs auf die Werkzeuge der Sprache, z.E. den Gaumen, die Zähne u.s.w. מ den Ausgang des artikulierten Hauchs aus dem Munde, welcher vermittelst Eröfnung der Lippen geschieht. u.s.w. – אנשים Έθνος , gens, Adel, Stand, (Landstände), Adonis, Esel, Asinus.“

Und nun auch eine Uebersetzung von Jes. XVIII. 1.2. nach dieser mir erst seit wenigen Tagen bekannt gewordenen Originalsprache:
„1) O Land, welches von von Städten ist, jenseits den Flüßen Ungarns, i.e. der Donau „(Am Rande Polen von πολύς viel, oder πόλις die Stadt.) 2) Welches die Gipfel der Berge erstrekt bis in das Meer und bis in die Gegenden, welche das Mittelmeer einschließen, i.e. wo das mittelländische Meer angeht, oder, quod idem, bis an die Gränzen des Mittelmeers über die Fläche des Meeres hin, wo sie nemlich als Inseln hervorragen.“ )
) Zur bequemen Gegeneinanderhaltung ist hier die Stelle nach Luthers Uebersetzung, womit in der Hauptsache Michaelis übereinstimmt: „Wehe dem Lande, das unter den Segeln im Schatten fährt, diesseits der Wasser des Mohrenlandes, das Botschaften auf dem Meer sendet, und in Rohrschiffen auf dem Wasser fährt.“

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So sind noch über einige Stellen der Propheten und über die Apokalypse Zettel in Menge da.
Ueber die Hieroglyphen ist eine ansehnliche Menge Bruchstükke da; lauter Theorien und fast gar keine Enthüllungen. Einige der vornehmsten, in welchen doch noch hin und wieder manches Gute, aber auch unbekannte ? vorkömmt, will ich hier anführen.

  1. Anzeige von einer herauszugebenden Sprachkunst. (2 gebrochene Bogen) ist vollständig. 2) Von der hieroglyphischen Sprache. Er selbst hat sie mit M.S. gezeichnet. (14 gebr. Bogen, unvollständig). Der Inhalt ist folgender:
    „Alles ist bedeutend. – Entweder ist diese Bedeutung wesentlich oder zufällig. Dabei beiläufig der Gedanke: der Wille Gottes habe sich bei der Schöpfung nicht bloß nach Ursachen in gott, sondern auch außer Gott, d.i. die in den Geschöpfen selbst, in ihrer möglichen Einrichtung, Mängeln, Fähigkeiten u.s.w. bestimmt sind, gerichtet. – Die Quellen aller, den Dingen zukommenden, Bedeutungen sind entweder sittlich oder natürlich. – Auf den verschiedenen Einfluß, welchen Gott, und die von Gott abgewichenen endlichen Wesen in die Welt haben, und die daher entspringenden disharmonischen Wirkungen, gründet sich der Unterschied zwischen dem, was Gott will, und was Gott zuläßt. – Die Dinge in der Welt sind nicht nur Wirkungen des göttl. Willens, sondern auch Mittel zu den göttlichen Absichten. Diese letztern sind entweder nahe, oder ent =

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fernte, oder die letzten. – Aus der Beschaffenheit der Dinge können wir also auf die Wichtigkeit und den werth der göttlichen Absichten schließen. – Der Mensch verdient unter allen dingen eime besondere Aufmerksamkeit, sowohl in Absicht auf seinen natürlichen als sittlichen Zustand. Ueber jenen weiset er uns an die Zergliederer und Physiologen. Bei diesem hält er sich am längsten auf. Was er sagt, dünkt mir größtentheils gut; aber der Zwek, weswegen er dies alles sagt, ist, weil er abbricht, vor mir wenigstens verborgen.“
3) Von der Sprache überhaupt. Zellerfeld den 7. April 1779. (10 gebrochene Bogen). Der Inhalt ist folgender.
„Es giebt auch eine Sprache der Thiere, die aber von der Sprache der Menschen verschieden ist – und worin? – Was Originalsprache sei? – Der Grund, warum ein gewisses Zeichen diesen und keinen andern Gedanken darstellt, liegt entweder in dem Zeichen selbst, oder außer demselben. – Der Philosoph kann ein schlechter Originaliste sein, und ein schlechter Philosoph in gewissem Betrachte ein guter Originaliste. – Die Hieroglyphen der heil. Schrift sind göttliche Ideale, welche uns vermittelst der Sprache mitgetheilt werden. So sah Mose das Bild der Stiftshütte, 2 Mos. XXV. 9 – Der Originaliste kann die bildenden Künsten allenfalls entbehren: aber muß ein Philosoph sein. Eben so auch der, welcher wohlgerathene Produkte in der Originalsprache verstehen und beurtheilen will. – Daher ist nichts schwerer, als die Auslegung von

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Werken, die in der Originalsprache geschrieben sind. – Einiges in der heil. Schrift kann mit der äußersten Anstrengung unsrer Denkungskraft nicht erreicht weerden. – Daniel verstand selbst einige göttliche Hieroglyphen nicht. – Es sind besonders in unserm Jahrhunderte viele vortreffliche Genies gewesen: aber entweder würdigten sie die göttlich topographische Charte keiner genauern Untersuchung, oder verzweifelten an einer genugthuenden Erklärung derselben, oder es fehlte ihnen an Geduld. – Denen, die sich mit der Auslegung derselben abgaben, fehlte es an philosophischem Genie. – Selbst Luther kommentirte über die Hieroglyphen; aber lebte zu einer Zeit, da die Direktionslinie unsrer topographischen Charte sich noch nicht bis zu dem Punkte, wo die charakteristischen Gegenstände am meisten in die Augen fallen, entwikkelt hatte. – Dergleichen Apologie verdienen gewisse neuere Philosophen nicht – noch weniger einige neuere Theologen, welche gern Philosophen wären, und es durch kein eigenthümliches Verdienst werden können. –
Dabei bekömmt unsre schreibselige Welt ihre Abfertigung, die Monatsschriften ausgenommen, wofern er nicht auch diese in den letzten – – – mit gemeint hat. Zuletzt kömmt nun eine gedrungene Vorstellung von dem, was alles zur Originalsprache gehört; daß Homer vor allen Profanskribenten sie am besten verstanden; und nun wird mit der Bemerkung abermals abgebrochen, daß seit Jahrtausenden der Wörterkram gedauret, und noch nichts entschieden sei.

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  1. Vorläufige Erinnerung von der Hierogl. Sprachkunst. (6 gebrochne Bogen unvollständig). Erst die älteste Geschichte der Hieroglyphie, bis sie nach Memphis kam. Darauf folgt der Anfang einer Abhandlung über die Memphitische Kunst. Da mir dieser Gegenstand ganz fremd ist, so wage ich es nicht, auch nur ein Wort weiter davon zu sagen.
  2. Die hiergl. Sprachkunst, ist ein unvollständiger Entwurf seines ganzen hierogl. Systems. Es läßt sich nur dataus schließen, daß er leicht einige Folianten damit würde gngefüllt haben.
  3. Gesichtspunkt. I) Des Menschen Sohn (erste Korporation des Menschengeschlechts). 2) Von dem Zeichen des Menschensohns. 3) Der männliche Sohn nach Dan. VII. 13. vergl. Apok. XII. 5,13. 4) Andromeda. 5) Der Mann (1 Mos. IV. 1.). Hier kömmt unerwartet etwas vom Buche Chevilah und noch von einem andern mit Namen Sepher vor, worüber sich die Philologen vergnügen werden. Auch von Zelem und Schalom – was Freiheit – was Unabhängigkeit sei? Hier wird abgebrochen.
    Ueber die Apokalypse ist das merkwürdigste, was mir wenigstens in die Hände gefallen ist:
  4. Auszug aus der Einleitung in die biblischen Hieroglyphen, und in die Offenbarung Johannis insonderheit. (26 gebrochne Bogen, unvollständig). Der Inhalt ist folgender:

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Weissagungen sind Geschichte der Zukunft. Um sie zu verstehen, müssen wir sie mit dem Plane der göttlichen Regierung zusammensetzen. – Die Apokalypse ist ein Drama, das sich von allen übrigen außer der heil. Schrift vorhandenen dramaturgischen Meisterstükken unterscheidet. – Alle einzelnen Theile desselben haben eine Beziehung auf die Zukunft des Sohns Gottes. Diese ist die Haupthandlung. – Unser göttliches Drama hat alle Pracht der Epopoe, ohne die Unvollkommenheiten derselben zu haben. – Ueber den Ausdruk Johannis; ich sah. – Von Abstraktion und Zusammensetzung – die letztere ist entweder Verkörperung der Ideen, oder Verbindung der verkörperten Ideen. Beides ist das Werk der hieroglyphischen Dichtkunst. – Vertheidigung der Hieroglyphen, daß sie Ungeheuer mahle, 3 B. Apok. X 1. wobei auch: o tribus Anticyris infanabile caput! angebracht wird. – Ein anderer möglicher Einwurf: die Dinge wären in der Apokalypse nicht bloß verkörpert, sondern umgekörpert. z.B in den 7 goldenen Leuchtern, und den 4 Thieren. – Diese letztere bringen ihn auif die Beschaffenheit der ältesten Geographie, aus der er den Segen Jakobs zu erklären anfängt.
Ich glaube bemerkt zu haben, daß man von dem das mehreste schreibt, wovon man am wenigsten wissen kann. So geht es auch hier. Es beträgt dieser exkursus gerade 5/13 der ganzen Schrift. Aber erwarte hier niemand etwas vom Schiloh.
2) Ein unvollständiger Konvolut mit der Ueberschrift: Apoc. X. 3, [....]

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Hier verdient eine Stelle im Anfange über die Propheten gelesen zu werden. Er bestreitet diejenigen, welche, wie er sich ausdrükt, zu glauben scheinen: ein Prophet sei allwissend, allmächtig, und in allem Betracht ohnfehlbar. Er ist so billig, davon die Anwendung auch auf sich zu machen.
Fast in keinem Stükke weicht er mehr ab von allem, was je ein Mensch gedacht haben mag, als in der Geographie. Nur ein Paar Proben davon. Deutschland heißt in der Bibel: ἐρῆμος, dies letztere Wort ist mit Germanien einerlei. Der Harz ist hebräisch Haarez auch Harzijon, Hercinia. Er war der Schauplatz der Schöpfung u.s.w. Hier wird auch einst wieder das neue Jerusalem sein. Und so mußten nun die 7 Gemeinden in der Apokalypse, die 7 Bergstädte vorstellen: Pergamus wurde Klausthal, und Thyatira Zellerfeld, u.s.w.
Ich komme nun zu dem, was wahrscheinlich am befremdensten sein wird; es mir wenigstens war. Einmal nannte er sich auf dem Titel einer Schrift: Zion, der Brachmane, Stimme des rufenden in der Wüste. Aus dem vorhergehenden wird das verständlich. Ein andermal nannte er sich: Moses. endlich entdekte mir ein halber vollgeschriebener Bogen folgendes, was ich im Auszuge mit seinen eigenen Worten hersetzen will:

„Der heutige Tag (21 Hun. 1777.) ist mir merkwürdig – – – er ist eben der, an welchem Mose

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mit den Tafeln des Bundes in der Hand vom Sinai herabkam. Unter andern von Gott empfangenen Instruktionen befand sich auch diese: 5 Mos. XVIII. 18. 19. Die Erfüllung dieser göttlichen Weissagung steht Apok. X. u. XI. Der daselbst gezeichnete Engel hat eine vollkommene Aehnlichkeit mit Mose. Dieser ist demnach der Ptophet der da kommen soll, Mal. IV. 5.f. Matth. XVII. III. der Bote des Bundes, Mal. III. I. I Thess. IV.16. der Engel, welcher an dem herrlichen Tage der Zukunft des Sohnes Gottes auf Sinai vor Gott war. Daß ich dieser von Gott verheißene Bote sei, davon bin ich weit mehr versichert, als kein von weltlichen Königen verordneter Gesandte seiner Gesandtschaft versichert sein kann, der das über seine Bestimmung ausgestellte mit dem Siegel und Namen seines Fürsten beprägte Diplom in den Händen hat. Zum Beweise, daß diese Versicherung nicht erst jetzt in mir entsteht, daß ich sie bereits vor 4 Jahrengehabt habe, will ich ein kleines nach Ostern 1773 verfertigtes, und mit diesem Charakter beprägte Lied hieher setzen:
„Ueber 5 Mos. XVIII. und Offenb. X. u. XI.
Jahrtausenden, nicht Dir, nicht Dir verborgen,
Im feinsten Staub gehüllt,
Sahst Du mich Gott! Du winkest meinem Morgen,
Dein Finger zeichnete mein Bild.

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Den Heiligen vor dreimal tausend Jahren
Hast du mich schon genennt,
Und prangend steht, so lange Christen waren,
Dies göttlich schöne Monument.

Du sandtest mich vom Fuße deines Thrones
Zum Volk, das du erlöst,
Zu predigen die Zukunft deines sohnes,
Der Sionisten ewig Fest.

Laß meinen Dienst in Jesu dir gefallen,
Gott aller Herren Herr!
Aus Zion brüllt dein Donner. Laß erschallen
Mit Kraft dein Wort, Allmächtiger.“

Eben dies Gepräge hat noch ein anderes sehr hinreißendes Gedicht: an meinen sterbenden Freund; und: ein prophetischer Gesang, Zellerfeld den 10. Jan. 1777. (10 gebrochene Bogen, unvollständig). Das Thema ist: der Herr kömmt. Er besteht aus mehreren Strophen, wenn ich es so nennen darf, deren jede anfängt:

„Klingt fröhlich ihr Lieder! Fliegt, vom Geist des Allmächtigen beflügelt, von den Gipfeln Herziniens! Bringt göttliche Botschaft den Elenden. Spielt heilige Jubel in die Herzen der Traurigen. Tönt laut, daß es die Himmel hören. Tönt festlich die Botschaft: der Herr kömmt.

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Er ist größtentheils hinreißend für jeden, der Gefühl für das Wohl der Menschen, und für dessen Quellen, Wahrheit, Tugend, und wohlgeordnete Freiheit hat. Der Schluß ist eine enthieroglyphierte Geschichte des Falls der Stammeltern des menschlichen Geschlechts nach Mose.

Ich eile zum Ende meiner Bemerkungen, und lasse daher vieles weg. Einem Paar theosophischer Abhandlungen über Gott und die Menschwerdung des Sohnes Gottes wünschte ich wohl einen anständigen Verwahrungsort.

Eine kurze Abhandlung über das Naturrecht und eine Befreiung der Leibnizischen vorher bestimmten Harmonie, wovon ich nur den Anfang gelesen, findet sich in einer weitläuftigen Schrift (wovon der Anfang fehlt, und vermuthlich auch das Ende) die den damaligen Streit gegen die Brittischen kolonien zum Gegenstande hat.
Angenehm war mir die Lekture von folgenden:

  1. Ad Apoc. II, 20. über Toleranz und Intoleranz. (4 gebrochene Bogen – – – ) vom Jahre 1776.
  2. An die Priester des N. Bundes. Ueber den herrschenden Instinkt, nebst daher begreiflichen besondern Meinungen und Religionskriegen der jetzigen Zeiten. Von Mose dem Jüngern. (2 gebrochne Bogen – – ) Beide

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sind aber im Ganzen genommen des Druks unwerth.

  1. Ein Quartblatt, das den Entwurf einer Vorrede zu einer Sammlung von Gedichten zu enthalten scheint, und die Ueberschrift hat: Zellerfeld den 7. Jan. 1780. Vakanzen. Hier ist ganz:

„In einem geschriebenen oder gedrukten Buche bleibt oft eine Seite leer. Dergleichen leere Seiten nenne ich Vakanzen. – Der Verfasser nimmt sich zu Zeiten die Freiheit, zur Ausfüllung einer solchen leeren Seite etwas hinzusetzen, das sonst in das Buch nicht gehört, z.B. Vignetten, zufällige Gedanken etc. Ein solches etwas ist eine Vakanze. Oft sind die Seiten mit Lettern angefüllt: aber der Verfasser giebt mir nichts zu denken. Was sind diese Seiten? Vakanzen. – In solchen Fällen, da mir der Verfasser nichts zu denken giebt, habe ich indessen das Recht zu denken, was ich will. Was ich hier denke, sind Vakanzen. – In Gesellschaften wird oft viel gesprochen, und wenig gedacht. Unterdessen beschäftigen mich meine Einfälle. Solche Einfälle sind Vakanzen. Oft friert das Gespräch, und es entsteht ein Interim. Dies Interim ist eine Vakanze. Zu Ausfüllung des Interims entsteht ein Kompliment, einGähnen, eine Anmerkung überGesundheit, Wetter, Krieg, oder sonst ein müßiges Wort. Dergleichen müßige Worte oder Hauche sind Vakanzen. Alles Leere, und alle Arten des Etwas, welche durch das Leere der Zeit, des Orts, und andrer Umstände veranlaßt werden, sind Vakanzen.

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Es giebt also viele Vakanzen. Jedes menschliche Buch hat Vakanzen. Der Verfasser hat das nächste Recht zur Besetzung seiner Vakanzen. Daher die Vakanzen in einem Buche. So werden demnach Vakanzen mit Vakanzen besetzt. Sind denn wohl alle Vakanzen besetzt? oder sind sie nicht vielleicht durch die Besetzung entstanden? Die Frage bleibt unentschieden. – Der Titel zu meinen Gedichten verspricht Vakanzen. Was bedeutet das? Die Leser haben das Recht von den hieher gesetzten Bedeutungen zu wählen, welche sie wollen.“

Ich schließe hier. Jeder wird nun, mit desto mehr Sicherheit seine Partei nehmen können. Glauben einige, daß ich auch diesmal nicht ganz meine erste Absicht verlassen habe, über ihn ein bedekkendes Gewand zu werfen? Ja, ich gestehe es gern. Ich wollte das Publikum schonen. Ihm selbst konnte meine Vorsicht nicht mehr nützen, da sein guter Namen nun einmal verkauft ist. Könnte mein Wunsch etwas wirken, (so habe ich oft gedacht) so hätten die Guten die Gabe der Untrüglichkeit. Aber Der, von dem wir alle abhängen, hat sie nicht zuihrem Eigenthume gemacht, um jeden zu ermuntern, den Verstand mit eben dem Fleiße zu bauen, womit wir über unser Herz wachen müßen, und keine von unsern Kräften zum Schaden der übrigen zu überspannen. Gern verschone ich meine Leser mit den Gefühlen des Erstaunens, des Mitleids, des Unwillens, die

(261)

sich meiner so oft bemächtigt haben. Die Selbstgenügsamkeit, mit der er ein Paarmal von Kritik, und den Bemühungen neuerer Philologen um die Erklärrung der Bibel *), selbst von der Naturgeschichte redet,; die Grille, sich a priori eine Sprache neu zu schaffen, und darnach alle Sprachen willkührlich zu behandeln; die oft so unglüklich gerathene Nachahmung des edelsten Produktes der menschlichen Vernunft, einer Demonstration; dies so tiefe Hineinträumen in einen erhabenen Charakter, der mit nichts als einem abgestumpften Probierkolben und der willkührlichen Erklärung seiner seiner Originalsprache autorisirt wird: – was für Gesinnungen zwingen sie, nebst allem übrigen, wovon ich schweige, auch dem Billigsten ab? Einige Bände der witzigsten Schriften gegen die Religion schaden nicht so viel, als ein Paar Bogen einiger seiner Träumereien schaden müssen: da er doch selbst diese Religion oft mit so viel Wärme empfahl, und sie selbst ausübte. Er war der lebendige Kommentar über Paulus Ausdruk: Die Gnosis blähet auf, die Liebe bessert.
Klausthal, Januar 1786 R.H.G. Rettberg

*) Wie alle Schwärmer und schwärmerische Theologen, auf den Gebirgen Herciniens und andern Gebirgen. B.

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  1. Gleim und Luchesini.

Luchesini.

Was wollt er, wenn er König wäre?

Gleim.

Zehn Heldenthaten wollt`ich thun
Zu meiner, und des Landes Ehre.
Bei Gott! nicht eher wollt ich ruhn!

Ich wollte täglich mich befragen:
Was hat denn heut der Herr gethan?
Ich wollte meine Feinde schlagen,
Rasch gehn wollt ich auf meiner Bahn!

Die Leidenschaften meiner Feinde
Schlug ich, wär ihr geschworner Feind!
Ich bitte, werdet meine Freunde!
Spräch ich, und wäre dann ihr Freund!

Die dritte That, die wär: ich wollte
Des edlen Friedens Stifter sein!
Der Kaiser und der König sollte
Mit keinem schwachen sich entzwein!

(263)

Die Vierte: Meistens wollt ich wachen,
Wenn andre schliefen, und die Zeit
Der Ruhe mir zu Nutze machen,
Zum Besten meiner Ewigkeit!

Kann denn ein Fürst wohl selig werden,
Wenn er auf seinem Polster liegt,
Und denkt: darum sei er auf Erden,
Indeß sein armer Bauer pflügt!

Die fünfte: Lieben woltt` ich Musen,
Und Musensöhne! Wissenschaft
Legt ich an meinen Königsbusen
Zu stärken meine Seelenkraft!

Und alle Künste sollten wimmeln
Um meinen Thron, zu seiner Zier!
Sie suchen unter allen Himmeln
Wolt ich, und sagen: kommt zu mir!

Die sechste: Bauen wollt`ich Tempel
Den Göttern, und der Ehrlichkeit,
Hinein zu stellen die Exempel
Der alten, und der neuen Zeit!

(264)

Auch baut` ich viele schöne Städte,
Nur eine große, baut ich nicht!
Die siebente: Geheime Räthe
Fürs peinliche Hochnothgericht

Wählt ich mit Angst! ich schätzte Leben
Für alles, für den höchsten Preis!
Weils wohl kein Richter leicht zu geben,
Wie leider leicht zu nehmen weiß!

Die achte: Wenige Gesetze
Gäb ich, und allen Lebenskraft,
Durch meine Tugend, und die Schätze
Der Weisheit meiner Ritterschaft!

Die neunte: Freunde macht` ich lachen
Bei meinem besten Tafelwein.
Und, alle Menschen froh zu machen,
Die sollte meine letzte sein!

Lucchesini.
Sorg` er, Herr König! daß im Prater
Der Kaiser über ihn nicht lacht! –
Die letzte hat der Landesvater
Zu seiner Ersten sich gemacht!

                                                   Gleim.

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  1. Gegenbild der lutherischen Gefälligkeit in Einräumung der Kirchen.
    (S. den 13. Febr. 1786.)

Als in einigen Städten des preußischen Landes protestantische Prediger ihre Kirchen (von denen sie doch nicht Herren, sondern nur die ersten Diener sind) zum katholischen Gottesdienst einräumten , –
und das (zum Theil) ohne Einwilligung der Gemeinden, welchen diese Kirchen gehören *), und ohne Anfrage beim obern Geistlichen Gericht **) – : so wurden darüber in der B. Monatsschrift Bedenklichkeiten geäußert, die den Beifall aller derer verdienen, welche die Denk- und Handöungsart der Katholiken aus Geschichte und Erfahrung kennen.

Herr Prof. Garve zu Breslau suchte diese Bedenklichkeiten durch einige Gründe zu heben; und fügte am Ende hinzu (B. Monatsschr. 1785, Jul. S. 64): „Auch in meinem Vaterlande sind Fälle vorhanden, wo katholische Kirchen zur Aus =

*) Die Bürgerschaft zu Garz und zu Greifenhagen erklärte sich, als sie hernach darum befragt ward, öffentlich dagegen. S. Weimarsche acta hist. eccles. nostri temporis, Th. 83, S. 225.
**) Man s. die aktenmäßige Erzählung davon B. Monatsschr. 1784, Jul. S. 91.

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übung protestantischer Religionshandlungen eingeräumt worden.“ Herr Garve hat aber keine solche Fälle genauer angegeben; und es ist, so viel ich weiß, auch sonst nichts davon *) bekannt geworden. Um aber über fakta urtheilen zu können, müssen sie wahrlich ganz genau, und mit allen Umständen vorgelegt werden.

Ich will hingegen itzt zwei dokumentirte Fälle vom Gegentheil erzählen; welche erstlich auch aus Herrn Garves Vaterland, und zweitens gerade so beschaffen sind, wie sie H. Garve öfter, und wie mich dünkt, mit Recht, verlangt. Sie betreffen nicht einen oder den andern noch höchst bigotten Mönch, nicht (nach seinen Ausdrükken) „den weniger erleuchtheten Theil der katholischen Kirche,“ nicht einzelne Personen dieser Partei, welche an dem allgemeinen Fortgange der Aufklärung theologischer und politischer Begriffe Antheil zu nehmen verhindert worden;“ sondern sie zeigen „den Geist der Zeit, die herrschende Disposition der Gemüther, den Hang, und so zu sagen, die Direktion der Bahn, welche der menschliche Geist itzt eingeschlagen ist.“ Denn beide Fälle betreffen ein gesammtes, und zwar das
*) Außer einer einmal von einem katholischen Geistlichen erlaubten lutherischen Leichenrede in einer katholischen Kirche. Schlesische Provinzialblätter, 1785, Febr. S. 138.

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höchste, katholische, geistliche Gericht in Schlesien, nemlich das apostolische Vikariatamt zu Breslau. Von diesem angesehenen Kollegium, das aus so vornehmen, so fein kultivirten, und selbst der freundschaft eines Garve so würdigen Mitgliedern besteht, läßt sich, ohne unanständige Beleidigung, nicht denken: daß es nach den unaufgeklärten Begriffen eines blinden und mönchischen Parteigeistes handle. Das Verfahren dieser achtungswürdigen Männer ist gewiß bloß, wie auf einer Seite nach Klugheit, so auf der andern nach den Vorschriften der Gesetze abgemessen. Sie erkennen, was edel, billig, und menschenfreundlich ist; sie wünschen sicherlich auch, es auszuüben, zumal wenn sie von einem andern ansehnlichen Landeskollegium darum ersucht werden; sie thun hierin gewiß gerne, so viel sie thun dürfen, und schlagen nur ab, was sie abschlagen müssen. – Mit dieser Betrachtung lese man folgende Fakta.

  1. Zu Thomaswaldau bei Bunzlau kam am 19. Februar 1785 in der evangelischen Kantorswohnung Feuer aus, wodurch nicht nur diese, sondern auch das Pfarrhaus und die evangelische Lirche in die Asche gelegt wurden. Zwei in diese Kirche eingepfarrete Herren von Adel besprachen sich hierauf mit dem römisch-katholischen Pfarrer dieses Orts, und ersuchten ihn, daß er ihnen gestatten möchte, sich einstweilen bis zur Wiedererbauung der evangelischen Kirche,

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zur Haltung ihres Gottesdienstes, seiner Kirche mitzubedienen. Der katholische Pfarrer war auch, wofern es das bischöfliche Vikariat zu Breslau erlauben würde, willig dazu. Die beiden Herren von von Adel meldeten dieses dem Oberkonsistorium zu Breslau, und baten dasselbe, bei dem Vikariatsamt zu vermitteln, daß ihnen die gesuchte Erlaubniß: einstweilen in der katholischen Kirche Gottesdienst zu halten, zugestanden werden möchte. Das kön. Oberkonsistorium schrieb deshalb an das bischöfliche Vikariat; aber dieses schlug das Gesuch der Evangelischen zu Thomaswaldau gänzlich ab *).

  1. Zu Kakau im Schwibusser Kreise ist eine katholische kirche; die Einwohner des Dorfs aber sind insgesamt, bis auf einen nur zur Miethe

*) Diese Geschichte steht mit denselben Worten schon in den angeführten acta hist. eccles. nostri temporis, Th. 83, S. 232: eine Sammlung, welche H. Garve wohl schwerlich liest. Sonst mögte ich ihn ersuchen, das im selbigen Stük S. 215 befindliche Dokument über die itzige schon lange dauernde Religionsbedrükkung der Evangelischen zu Landstuhl „im Westrich“ (mitten in Deutschland) anzusehen und zu beherzigen. Die oben stehende schlesische Geschichte ward aus dieser Sammlung in die Schlesischen Provinzialblätter, 1785, Novemb. S. 445 abgedrukt; ist aber gewiß noch vielen Lesern Ihrer Monatsschrift unbekannt.

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wohnenden beurlaubten Soldaten, lutherischer Religion, und halten sich nach dem angränzenden brandenburgischen Dorf Bukow zur lutherischen Kirche. Nach den königl. Verordnungen sollte die katholische Kirche, weil nicht vier zu dieser Konfession sich haltende angesessene Wirthe im Dorfe sind, geschlossen gehalten werden. Indessen hat der protestantische Grandherr des Dorfs, nicht nur zur Unterhaltung und Reparatur dieser Kirche, sondern noch ganz neulich auch zurReparatur des, wegen Mangels an katholischen Einwohner ganz unnöthigen Schulhauses, Geld aus seinen Mitteln hergegeben. – So denkt man protestantischer Seits; und nun sehen Sie, wie es erwiedert wird. Die Todten der evangelischen Kakauischen Bauern werden von jeher auf dem um die dortige katholische Kirche belegenen Kirchhofe begraben; die Leichenreden, welche aber nur selten sind, werden eben daselbst unter freiem himmel gehalten. Im August 1784 schrieb der lutherische Prediger Macharius zu Bukow, an den katholischen Probst zu Schwibus, Herrn von Paczynski, der den Ruf eines edlen und rechtschaffenen Mannes von toleranten Gesinnungen hat; und trug dahin an, ihm zu verstatten: die Leichenreden bei den Begräbnissen zu Kakau nur bei schlimmen wetter künftig unter dem Obdach der katholischen(von Kakau unterhaltenen) Kirche zu halten. Dies unschuldige Gesuch ward aber von dem bischöflichen Vika=

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riatsamt zu Breslau abgeschlagen. *) Herr von Paczynski hatte dahin den Brief des Predigers geschikt, umnd dessen Gesuch mit einer Vorstellung unterstützt; bekam aber Anfangs keine Antwort. Er meldete dies dem Prediger **), mit dem Zusatz, daß eran einer günstigen Resolution aus Breslau zweifle, indessen dem Prediger überlasse, sich selbst dahinzu wenden. Nachher wiederholte der Edelmann das Gesuch des evangelischen Geistlichen mündlich dem probste; und erhielt von demselben die Nachricht: das bischöfliche Vikariatamt habe es abgeschlagen.

*) Dasselbe Gesuch gestattete wie oben S. 226 Note gezeigt worden, ein kath. Geistlicher. Wenn aber von der Denkungsart einer Partei die Rede ist; so muß man ( wie H. Garve oft und richtig erwähnt) nicht auf einzelne Handlungen einzelner Menschen, sondern auf die Repräsentanten der ganzen Partei sehen.

**) Der Herr Einsender hat mir, zu größerer Beglaubigung der sache, diese Antwort des Propstes an den Prediger im Original zugesandt; auch mir erlaubt, falls man dieses Faktum ableugnen oder bezweifeln sollte, ihn, der gewiß als gültiger Zeuge in dieser sache gelten kann, öffentlich zu nennen.
Biester.

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  1. Ueber eine Stelle in Moses Mendelssohns Schrift an die Freunde Lessings.

Moses Mendelssohn schreibt in seinem letzten Briefe an Jacobi (s. 51): „ich lasse den ehrlichen Rükzug unter die Fahne des Glaubens, den Sie auf Ihrer Seite in Vorschlag bringen,“ (es ist die Rede von der Untersuchung über das Dasein Gottes) „an seinen Ort gestellt sein. Er ist völlig in dem Geiste Ihrer Religion, die Ihnen die Pflicht auferlegt, die Zweifel durch den Glauben niederzuschlagen. Der christliche Philosoph darf sich den Zeitvertreib machen, den Naturalisten zu nekken; ihm Zweifelsknoten vorzuschlagen, die ihn, wie die Irrlichter, aus einem Winkel in den andern lokken, und seinen sichersten Griffen immer entschlüpfen.“

Diese Stelle macht, wie ich sehe, viele und eben so mannigfaltige Sensation. Von der einen Seite ist es ernsthaften Freunden der Wahrheit leid, daß sich ein großer und liebenswürdiger Philosoph, der von wirklichen Christen so aufrichtigverehrt worden, konnte hinreißen lassen, einen so abgenutzten Einfall auf Kosten des Christenthums niederzuschreiben. Vonder anderen höre ich diesen Gedankenhin und wieder als Autorität wiederholen, wo man sich eigenes Nachdenken ersparen, und gern

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durch Spöttelei über das Christenthum das Ansehen eines Vernünftelnden an sich reißen möchte. Und eine dritte Partei, die wirklich einen solchen Rükzug, wie Lavater und Jacobi ihn vorschlagen, mit ihrem Christenthume vereinigen zu können meint, findet darin einen Grund mehr, um sich gegen vernünftige Untersuchungen zu verwahren.

Wer die christliche Religion kennt, weiß gewiß auch, daß es nicht in dem Geiste derselben liege, der Vernunft zum Trotze, den Glauben auch über Gegenstände auszudehnen, über welche man sich eigentlich nicht auf die christliche Religion berufen kann, weil diese die Ueberzeugung davon bei ihren Bekennern voraus setzt. Und so hat Moses Mendelssohn es auch unstreitig nicht gemeint, so hat er es nicht meinen können! Er, der unter protestantischen Christen lebte, mit ihrer Litteratur, auch der theologischen, wenigstens von mehreren Seiten, so gut bekannt war, kam wohl nicht auf den Gedanken, daß er den Geist der christlichen Religion besser kenne, als die aufgeklärtesten und aufrichtigsten Vertheidiger derselben; und konnte unmöglich behaupten wollen, daß, nebst hundert andern, Clarke, Jerusalem, und selbst Paulus den Geist ihrer Religion verleugnet, und aufgehört hätten, wirkliche Christen zu sein, weil sie die ersten Grundwahrheiten aller Religion nicht auf den Glauben an eine Offenbarung, sondern auf Vernunftbeweise bauen. Und hätte er nie

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ein Wort von unserer Litteratur gehört, so konnte er, als gründlicher Philosoph, am allerwenigsten bei Gelegenheit der Frage vom Dasein Gottes, sagen: „es sei in dem Geiste der christlichen REligion, sich mit Vernunftbeweisen einen Zeitvertreib zu machen, den Naturalisten zu nekken, und sich hinter der Fahne des Glaubenszurük zu ziehn“; weil es ünerall indem Geiste keiner Religion sein kann. Wer darf es einem Denker, wie sich Moses Mendelssohn gezeigt hat, zutrauen, daß er allen ernstes in den Köpfen der Christen das Unmögliche sucht, daß er von ihnen, und zwar so ohne Einschräkung, geglaubt habe: sie könnten, aller ihrer sonstigen Aufklärung zum trotze, muthwillig das Licht auslöschen, um heller zu sehen; mit der großen Ueberzeugung vom Dasein Gottes ihren Zeitvertreib haben, oder gar die Offenbarung eines Gottes annehmen, dessen Existenz sie dahin gestellt sein ließen?

„Aber Moses Mendelssohn sagt doch mit dürren worten, was er nicht soll gesagt haben können!“ Da es nicht mehr möglich ist, ihn selbst darum zu befragen, so müssen wir uns mit der erklärung behelfen, die aus der Natur der sache, aus seiner ganzen Korrespondenz mit Jacobi, undsonderlich aus dem Tone seines letzten aufsatzes an die freunde Lessing`s fließt: eine Erklärung, die mir desto authentischer dünkt, da sie sich am

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wenigsten einer ungerechtigkeit schuldig macht. Ich stelle mir die Sache so vor.
Es schien dem Philosophen sonderbar, daß H. Jacobi eine Untersuchung, die vor aller Religion voraus geht, und aller Religion zum Grunde liegt, durch Religion abschneiden wollte. Diese Sonderbarkeit wollte er ihm bemerkbar machen, und er thut es an mehrern Stellen seines Briefes durch einen Spott, dem er vielleicht von der einen seite desto mehr Schärfe geben, und von der andern ein wenig Bitterkeit benehmen wollte, indem er ihm zu verstehen gab, wie sehr die christliche Religion mit sich selbst und mit der gesunden Vernunf im Widerspruch stehen würde, wenn Jacobis Verfahren ihrem Geiste angemessen wäre. Daß er Jacobis spottete, ergiebt sich deutlich genug, sogar aus dem Anfange der angeführten Stelle: „ich lasse den ehrlichen RüRükzug dahingestellt sein“, und aus den Redensarten: sich den Zeitvertreib machen dürfen, den Naturlisten nekken, u.s.w. Und diesen Spott, der eigentlich den Mann treffen sollte, so einzukleiden, als wenn er der Sache gälte, trug er vielleicht desto weniger Bedenken, da er es in einem Privatbriefe that, wo er es Herrn Jacobi überlassen konnte, was ihm von dem christlichen Philosophen im allgemeinen gesagt wurde, auf sich selbst einzuschränken. Daß diese Privatkorrespondenz, ohne sein Vorwissen, dem Publikum würde vorgelegt werden, sah

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Moses Mendelssohn wohl nicht voraus; wenigstens hat er seinen Unwillen darüber, daß es geschehen, hinlänglich geäußert. Vielleicht hätte er auch diese Stelle noch bei dem von ihm selbst besorgten Abdrukke seines Briefes mit irgend einer Einschränkung, oder Milderung begleitet, wenn ihm dabei nicht ganz andere Dinge zu lebhaft vor den Augen geschwebt hätten.

Ob diese Erklärung der wahren Lage der Sachen angemessen sei, überlasse ich denen zu beurtheilen, die sich die Mühe geben wollen, die Korrespondenz aufmerksam zu lesen; und ob sie in die Denkungsart Mendelssohns passe, denen, die ihn nach seinen Privatmeinungen über Religion und Wahrheit kannten. Auf alle Fälle haben wir denn hier abermal ein warnendes Beispiel, daß die unschuldige christliche Religion immer am meisten von denen bloß gestellt wird, die vielleicht in der ehrlichsten Meinung sie in Dinge mischen, mit denen sie eigentlich nichts zu schaffen hat, noch haben kann.

                                                  J.F. Zöllner

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Zieten.

Zwar fehlen uns oft die genauern Data um biographische Nachrichten von unsern großen Männern zu liefern; aber unsre Monatsschrift soll doch wenigstens auch ein Berlinischer Nekrolog sein, soll eine Anzeige des Todes solcher Männer, die für Welt – und Nachwelt interessant waren, geben. Beide, deren Verlust wir in diesem Monatsstük anzeigen, waren unbestritten solche Männer; – beide groß, beide von ausgezeichnetem Geiste, obgleich so ganz verschieden in der Art ihrer Größe, in der Ausbildung ihrer Geisteskräfte; beide von Pallas Minerva geliebt, der Göttin der Weisheit und der Schlacht. Sie goß dem sanften Weltweisen Muth ein in seinem Streite wider Unglauben und Aberglauben; und sie erhielt den kühnen Sieger der Höhen bei Siptitz stets menschenliebend und mäßig.

Hans Joachim von Zieten, General der Kavallerie, Befehlshaber des Leibregiments Husaren, und Ritter des schwarzen Adlerordens, starb am frühen Morgen des 27 Jänners 1786 in Berlin, den sanften Tod des Alters. Fünf Tage vorher hatte der Prinz von Preußen, ehe Er wieder nach Potsdam reiste, ihn noch besucht. Ehrenvoll warsein ganzes Leben gewesen, ruhig und ehrenvoll

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war sein Alter; und so schied er aus der Welt; die so lange seine Thaten gesehn, und bewundert hatte. – Noch im vorigen Jahrhunderte geboren, in höchst mittelmäßigen Umständen erzogen, ohne sonderliche Anleitung zu Kenntnissen, zweimal wieder aus seiner militärischen Laufbahn zurükgesetzt, *) – arbeitete er sich so hoch empor, daß die zärtlichste Liebe und Achtung seines Königs, und die Bewunderung von ganz Europa ihm zu Theil ward.

So lange das ewige Denkmal der preußischen Tapferkeit, die Geschichte des siebenjährigen Krieges, so lange das Andenken von König Friedrichs Thaten dauren wird; muß auch Zietens Heldenruhm unvergänglich bleiben. In dem blutigen Siege bei Prag, wo Schwerin sank; in der Schlacht bei Kollin, wo Friedrich zum erstenmal weichen mußte; in der Schlacht bei Breslau; in dem glänzenden Siege bei Leuthen; in dem großen Siege bei Lignitz; und vorzüglich bei Torgau! in so vielen andern Gefechten, in so manchen wichtigen und gefahrvollen Unternehmungen, überall findet man Zieten, und bewundert bald seine gute Anordnungen, bald seine kühne Tapferkeit, immer aber seine Gegenwart des Geistes, seine feste Treue

*) Die von ihm angegebnen Hauptnachrichten seines Lebens stehen im Berlinischen militärischen Kalender von 1784 (No. 3.); und sind daraus bei Gelegenheit seines Todes in den Zeitungen abgedrukt worden.

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gegen den König, seinen unerschütterlichen Eifer in Besiegung aller Beschwerlichkeiten. – Und dieser rasche tapfre Held war dabei sanftmüthig, fromm, menschenfreundlich, schonend! Er war uneigennützig und edel! Sein so glänzendes Beispiel muß ohnstreitig viele Jünglinge erwekken, deren erster Pfad weniger rauh ist als der seine. Der lebendige Gedanke an ihn muß noch in den entferntesten Zeiten dem Kriegsheere Helden wie ihn, und dem Staate treue Diener wie ihn geben. Sein sie auich immer menschlich und gut, wie er es war!

Die großen rührenden Züge von unsers Königs Freundschaft gegen Zieten sind zum Theil allgemein bekannt. *) Wir wollenmit einem Briefe svhließen, der noch nicht öffentlich bekannt gemacht worden ist. worin der größte aller Könige mit seinem treuen Feldherrn freundschaftlich scherzt.

„Mein lieber General von der Kavallerie von Zieten. Ich akkordire Euch hierdurch mit vielem Vergnügen den von Euch in Eurem Schreiben vom 4ten dieses gebetenen Konsens zu Eurer vorhabenden Verbindung mit einer Fräulein von Platen, und wünsche Euch zu dieser Verbindung alles Glük und Vergnügen, so ihr nur dazu verlangen nöget. Wie ich denn auch, wenn ich wüßte

*) Einen der schönsten Züge davon verewigt jetzt Chodowiecki`s Grabstichel.

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wo Ihr Eure Hochzeitsfete celebriren werdet, selbst dahin kommen würde, um auf solcher zu tanzen.
Ich bin Euer wohlaffektionierte König Friedrich etc.
Potsdam, den 7ten April 1764“


  1. Nöthige Erklärung über eine Zudringlichkeit.

Im 18. Stük (vom 1 Febr.) der Hamburger politischen Zeitungen von d.J. steht ein Aufsatz des Herrn Kapellmeister Reichardt über Mendelssohn und Jakobi, wogegen bekanntlich schon öffentliche Erinnerungen erschienen sind, und von dem auch wir, in so weit er die B. Monatsschrift betrift, etwas sagen müssen.

  1. Claudius in Wandsbek wird darin redend eingeführt. daß er uns Herausgebern sagen läßt: „er lese die Monatsschrift recht gern, wenn gleich neuerlich einigemale darin gestanden: er hielte es mit den Katholiken, und hälfe den Katholicismus verbreiten.“ Wenn Claudius dies genau so gesagt hat, so muß er doch in der That die Monatsschrift nicht recht gern lesen; weil er

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sonst wissen würde, was in Betref seiner, darin steht. Aber er traute wohl mit seiner gewohnten Gutmüthigkeit den geschäftigen Freunden, welche schriftlich und mündlich die Bestreiter der geheimen Proselytenmacherei zu verunglimpfen suchen, und sich erlauben, ihnen geradezu Unwahrheiten aufzubürden, um nur Mißtrauen gegen die von ihnen erzählten Fakta zu erwekken. Es ist nemlich völlig unwahr, daß in der B. Monatsschrift je dem guten Claudius ein Zusammenhang mit den Katholiken, eine Neigung oder gar eine Beförderungslust zum Katholicismus beigemessen worden. Wer dies behaupten will, muß genau die Stelle angeben, wo es geschehen sein soll; welches aber unmöglich ist. – In der Monatsschrift sagte ein Ungenannter (1785, Fan. S. 79): „Es giebt manche wirklich fromme Männer unter uns (nemlich unter uns Protestanten, im Gegensatz der vorhin genannten Katholiken) welche aus bester Meinung die Religion durch alle Mittel befördern wollen. Ich ehre und liebe solche Männer, auch wenn sie solche Mittel und solche Art des Vortrags wählen, die meinen Einsichten nicht gemäß sind. Lavater und Claudius sind unter dieserZahl. Aber es kann doch wohl nöthig sein, sie zu erinnern, daß dunkle mystische Worte, deren rechte Bedeutung niemals erforscht worden, auf Wege leiten können, die sie gewiß nicht haben gehen wollen.“ Es sagte

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einer von uns (April, S. 385): „er bedaure, daß Claudius das schädliche und verächtliche Buch des Erreurs übersetzt und gelobt habe, weil nun sein Namen den Unfug, den dies Buch mache, noch vergrößere.“ Beide Behauptungen sind, nach unsrer Ueberzeugung, wahr, und, nach unserm Gefühle, zwar freimüthig, aber zugleich gemäßigt ausgedrükt. – Vorher war gesagt worden: daß die Proselytenjägerder herrschsüchtigen Jesuiten alles zu nutzen suchen, um unbefangene Menschen in ihr Garn zu lokken; und daß sie die auf dunkle Gefühle und Mystik gebaute Theologie mancher Menschen und das Buch des Erreurs wirklich dazu nutzen. Beides empfiehlt Claudius; und kann also, um jenen Ausdruk zu wiederholen, kann durch ein unbedachtes Verfahren auf Wege leiten, die er gewiß selbst nicht hat gehen wollen. Dies ist alles, was man vernünftigerweise daraus folgern kann. Nur die abentheuerlichste Konsequenzenmacherei kann aus diesen Stellen die Monatsschrift beschuldigen, als sei darin gesagt: daß Claudius etwas von den Absichten der Jesuiten wisse, oder wohl gar mit ihnen zusammenhänge, oder endlich gar selbst katholisch sei. So plump und zugleich so verunglimpfend suchte freilich der heftige T – Y die Sache vorzustellen (April, S. 330). Allein, da hierauf diese Beschuldigung, jene Stelle im Januar wieder abgedrukt war (April, S.330, Note, und August S. 192);

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so hielten wir diese augenscheinliche Widerlegung für hinlänglich; und hätten nicht geglaubt, daß es noch Leute gebe, welche dieselben wiederholen, ja sie sogar dem guten Claudius selbst hinterbringen würden. Es thut uns leid, daß er diese unwahre Beschuldigung gegen uns geglaubt hat; noch mehr aber, daß sein auf diesen Glauben gegründetetes falsches Privaturtheil von uns nun öffentlich bekannt geworden ist.

  1. Es heißt ferner in dem Aufsatze: „Jacobi schloß darum, u.s.w. mit einer Stelle aus Lavater seine Schrift, die er an einen Mann richtete. der ihm der wichtigste in Berlin war, in Berlin, wo der edle liebe Lacvater in öffentlichen Schriften so oft, so höchst niederträchtig behandelt wird.“ – Man wird sich erinnern, daß in der B. Monatsschr. verschiedene seltsame Dinge von Lavatern, theils aus seinen Schriften, theils aus seinen öffentlichen Handlungen, bekannt gemacht sind: um sie als warnende Beispiele aufzustellen, wie weit selbst bei sonst gescheidten Leuten der traurige Hang zu Schwärmerei und Wunderglauben gehen kann. Diese Fakta zeigen, wohin ungemäßigte und stolze Phantasie führt, wenn sie den Zügel der gesunden Vernunft und die Anstrengung einer gründlichen Philosophie verschmäht. Sie zeigen zugleich, daß ein Mann, der einen unglaublich weit verbreiteteten Einfluß hat, dessen Schriften von vielen Tausenden begierig verschlungen, dessen unbedeutendste

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Aeußerungen als Orakelsprüche bewundert werden, der eine zahlllose Menge sklavischer und fast abgöttisch ihn verehrender Anhänger hat, – daß dieser Mann oft bis zu einer unglaublichen Verirrung der Vernunft *) sinkt, wohin ihm leider seine Anhänger nur zu willig folgen. Alles dies ist mit unleugbaren Thatsachen belegt; wovon man unter andern eine Menge im Jänner der Monatsschr. von 1786 S. 42 und 43 zusammengedrängt finden kann. Kein auch noch so enthusiastischer Anhänger Lavaters wird eines der dort angeführten Fakta für falsch ausgeben können; und wir dürfen also kühnlich jeden unbefangenen rechtschaffenen Mann fragen: ob diese Fakta nicht als höchst merkwürdige Beispiele von der Verirrung des menschlichen Verstandes bekannt gemacht zu werden verdienten? – Auch die Allgemeine deutsche Bibliothek hat oft Auszüge aus den abenteuerlichen Behauptungen Lavaters, und Nachrichten von seinen höchst übereilten Handlungen gegeben, und freimüthig, wie sie pflegt, ihr Urtheil beigefügt. Das haben auch wohl andere Schriftsteller in Berlin

*) Denn es ist, um nur ein einziges Faktum zu nennen doch wohl nicht vernünftig, seine Frau so lange zu streichen, bis sie Visionen und Divination bekömmt? doch wohl nicht vernünftig, irgend einen Brief den man schreibt, für so wahrhaft als Gottes Wort auszugeben? Berl. Monatsschr. 1785, Novemb. S. 437 f.

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gethan, weil sie ohne Zweifel glaubten, die Unfehlbarkeit keines Menschen annehmen zu müssen, und über jeden Vorfall, ohne Rüksicht auf die Person, urtheilen zu dürfen. Man sollte glauben, daß Bernunft und Wahrheit hiebei gewinnen müßten, und daß jeder, dem diese beiden lieb sind, auf dies Verfahren wenigstens nicht schimpfen würde. Freilich kann mancher durch besondere Ursachen Lavatern persönlich verbunden sein; aber dies kann nie entschuldigen, daß Jemand sich erlaubt, gegen Schriftsteller, die nicht minder rechtschaffene Menschen, als angesehene Gelehrte sind, ein Schimpfwort zu gebrauchen, welches wir uns schämen, noch einmal nachzuschreiben. Was diese Männer gegen Lavater sagten, ward alles Schritt vor Schritt mit Thatsachen belegt; jenes niedrige Schimpfwort wird herausgestoßen, ohne einen Beweis, einen Beleg dazu zu geben. *)
3. Endlich läßt in jenem Aufsatz Jacobi dem sel. Moses sagen: „Er hätte ihn, Moses, sonst“

*) Der gute Asmns (?) hat wohl nicht seine und Lavaters Freunde gemeint, als er schrieb (Zwey Rezensionen in Sachen Lessing, Mendelssohn, und Jacobi, Hamb. 1786. S. 21): „Ueberhaupt ist der Muthwillen und die unholde Begegnung, die sich die Schriftsteller in diesen Jahren öffentlich gegen einander erlauben, keine große Erfindung, und macht ihnen nicht gar viel Ehre. Wenigstens sollten Gelehrte sich doch als Leute von guten Sitten betragen; die schiefen und krummen Urtheile sind nicht immer in ihrer Macht, weil sie auch urtheilen, was sie nicht verstehen. Man sollte freilich fast sagen, es wäre auch besser, wenn sie mit solchen Urtheilen zu Hause blieben; aber sie haben nicht immer die Zeit, sich vorher an fait zu setzen, u.s.w. „ – Es paßt ganz vortreflich zum vorliegenden Falle.

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(bis dieser die Morgenstunden herausgegeben) „ganz von dem frommen Betruge frei geglaubt, dessen sich die Berlinischen sogenannten Aufklärer und Verfechter der gesunden Vernunft so gerne und oft zur Verbreitung ihrer Meinungen und Lehren bedienten, so sehr die Herren auch sonst Metier davon machten, derentgegengesetzten Partei über alles, was sie frommen Betrug nennen, heftig zu Leibe gehen.“ – Man muß in der That nicht wenig erstaunen, daß ein so feiner Mann, wie H. Jacobi, eine so baare Unhöflichkeit dem guten und wahrlich ränkelosen Moses durch einen Botschafter ins Angesicht sagen läßt. Indeß ist freilich nicht ganz klar, was frommer Betrug hier eigentlich heißen soll; und die Stelle wird noch dadurch undeutlicher, daß Moses, wie mit einem aus der Rede aufgefangenen Worte: Maske? fragend antwortet, welches Wort er nachher noch einmal wiederholt, obgleich es sich in dem Auftrage selbst nicht findet. – Uns geht die Stelle nur in so weit an, als die armen Berliner schon wieder darin vorkommen. Soge=

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nannte Aufklärer und Verfechter der gesunden Vernunft sind wir Herausgeber der Monatsschrift schon öfter von Leuten genannt worden, deren Ton dem angeführten Aufsatze ähnlich ist; und da wir bald nachher gerade heraus genannt werden, so werden wir hier wohl sicherlich mit gemeint sein. – Frommer Betrug heißt hier sonst, wenn Jemand zu einem gut gemeinten Endzwek sich unredlicher Mittel bediente, vorzüglich wenn er zur Bestätigung der vom Gegenteil abgeleugneten Behauptungen falsche Fakta erdichtete. Es war frommer Betrug, daß in der katholischen Kirche Legenden und Mirakel erdichtet, ja selbst Urkunden und Schriften untergeschoben wurden, um gewisse für wichtig gehaltene Sätze zu begründen. Es würde frommer Betrug sein, wenn jemand in Zürch, um Lavaters Desorganisationsgeschichte nicht fallen zu lassen, durch eine Menge Erzählungen vorgeben wollte, die wahre Methode gefunden zu haben, sich oder andern die Weißagungskraft anzustreichen. Soll diese Bedeutung auch hier gelten? Fast scheint es so. Denn die Berliner sollen sich des frommen Betruges, und noch dazu „so gern und oft“ bedienen: „zur Verbreitung ihrer Meinungen und Lehren“. Wer aber hat bis itzt davon gehört, daß ein Berlinscher sogenannter Aufklärer je beschuldigt worden, zur Vorbereitung einer von ihm ersonnenen wundersamen und unglaublichen Lehre ein Faktum erdichtet zu haben? Nein!

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so etwas wäre ja noch zu verzeihen. Aber, daß diese Berliner nicht alle – alte oder neue oder allerneueste – Meinungen und Lehren annehmen wollen, daß sie erst untersuchen, ehe sie überzeugt werden, daß sie das Unglaubliche nicht sofort glauben, daß sie bei einem erzählten Faktum zuweilen die Mitwirkung der Phantasie, zuweilen wohl gar frommen Betrug ahnden: das ist ja eben ihr unverzeihliches Verbrechen. Wer immer auf Untersuchungen dringt, wer forscht, wer zweifelt, wer was ihm unmöglich scheint (gesetzt auch, etwas zu rasch) leugnet; wozu braucht denn der Fakta zu erdichten? – Die Verschweigung eines Faktums könnte aber auch, etwas uneigentlich, frommer Betrug genannt werden. Wenn z.B. ein Mitarbeiter der B. Monatsschrift oder der allg. D. Bibliothek wirklich durch Bestreichen die Weissagungsgabe bekommen hätte, und nun, statt zur Steuer der Wahrheit, als ein Prophet aufzutreten, diese herrliche Gabe berleugnete, und sich wie ein anderer unbestrichener Mensch stellte; so wäre dies freilich nicht ehrlich gehandelt. Indeß, der Beweis hierüber würde sehr schwer zu führen sein, und es ist nicht zu vermuthen, daß dieser Sinn hier gemeint sei. – Man muß also in der That erst abwarten, daß H. Jacobi selbst sich hierüber deutlicher erkläre. Nur das könnte man noch sagen: Wenn Jemand sich verbunden hielte, die Berlinischen Gelehrten bei der übrigen Welt verdächtig machen zu müssen, etwa damit

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nicht so viel mehr an Lavaters Wunderkraft gezweifelt werde; wenn er zu diesem Zwek, obgleich er selbst diese Gelehrten kennte, dennoch öffentlich von von ihnen verbreitete: sie hätten ganz sonderbare geheime Meinungen und Lehren, sie machten zu deren Ausbreitung unter sich den engsten Bund, so daß nie ein Widerspruch zwischen zwei derselben erfunden würde, sie erlaubten sich Lug und Trug und allerlei unanständige Mittel, ja sie erdichteten Thatsachen, um ihre Grillen nur etwas glaublich zu machen; – voneinem solchen Menschen, dünkt uns, könnte man wohl sagen: er er laube sich selbst – frommen? – Betrug.

Berlin, den 28. Februar 1786. Die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift


  1. Fortgesetzte vorläufige Nachricht von der Sammlung zur jährlichen Gedächtnisfeier des Herzogs Leopold.

Noch sind eingekommen aus Brandenburg 10 Rthör. Bükkeburg 20 Rthlr. Deffau 42 Rthlr. Dortmund 5 Rthlr. Helmstadt 2 Rthlr. Jena 6 Rthlr. Nürnberg 9 Rthlr. 18gr. Ruppin 50 Rthlr. Stettin von der dortigen Freimaurerloge 50 Rthlr. Würtenberg noch 10 Rthlr. Zerbst 15 Rthlr. Züllichau noch 4 Rthlr.
Zusammen 223 Rtlr 18 gr.
Hiezu die im Febr. S. 191 berechneten 5682 Rtl. 13 gr.
Ist also bis itzt eingekommen 5906 Rtl. 7 gr.