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Berlinische Monatsschrift Juni 1786 Seite 481 bis 576

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Berlinische Monatsschrift.
1786
Sechstes Stük. Junius


  1. Sulamith und Eusebia,
    eine Trauerkantate
    auf den Tod Moses Mendelssohns.

Sulamith.
Ergreife deiner Väter Harfe,
Beweine dieses werthe Haupt!

Strömt fort, ihr Quellen meiner Augen!
Versieget nie!
Brecht auf, ihr Wunden meiner Seele,
Und heilet nie!
Die Weisheit, Redlichkeit, und Güte,
Bedeckt ein Grab.

Theilt meine Schmerzen, ihr Gespielen!
Geliebte Töchter Israels,
Stimmt ein in meinen Jammer!

(482)

„Ach! Unsres Volkes Ehre,
„Die Krone seines Hauptes fällt.“

Wer pflanzt auf seines Grabes Hügel
Die Trauerweide Babylons,
Die mit zerstreuten Haaren zeige,
Wen dieser Rasen deckt?
Wer sagt es an vom Tajo,
Bis an den Wolgastrand, *)
Von unsrer Väter altem Sitze
Bis über Kores Reich: **)
Wen unser Stamm verloren?

Ihr Söhne Jakobs, klaget!
Wohin euch euer Schicksal warf,
In jeder fremden Zunge klaget:
„Ach! Unser Stern verlosch!“

Mein tief gebeugtes Volk!

Dein Mendelssohn vernichtete
Den grauen Wahn der Völker um dich her:
Daß unter dir nicht Weisheit wohne,
Daß dir die Tugend fremde sey, --

*) Von einem Ende Europens bis an das andere

**) Von Aegypten in Afrika bis an das entlegenste Asien, über dessen größesten Theil Cyrus geherrschet hat. Kores ist der Hebräische Name des Cyrus. Esra, I.

(483)

Getäuschte Völker, die durch dich allein
Den einzigen Jehova kannten,
Die deiner Patriarchen heiligstes Gesetz
Verehrten, - dich verwarfen!

Ach! Nicht mehr facht der Weisen Bester
Das Licht der Wahrheit heller an;
Er leuchtet nicht mehr seinem Volke
Mit jeder Tugend vor.

Du wirst in deine Nacht versinken,

Mein aufgeklärtes Volk!
Du wirst in deine Schmach verfallen,
Aus der mein Freund dich zog.

Ach! nicht mehr facht der Weisen Bester

Das Licht der Wahrheit heller an;
Er leuchtet nicht mehr seinem Volke
Mit jeder Tugend vor.

Eusebia.
Oh Sulamith! und ihr, Freundinnen!
Ich kam, als Trösterinn,
Und leide gleichen Schmerz.
Ein Schauer drang durch meine Seele,
Als ich die tiefe Trauer eures Volkes sah.
Von Sonnenaufgang bis zu Sonnenuntergang
Sah ich der Wechsler Tische leer,

(484)

Der Krämer Haus verschlossen,
Des Handels Lauf gehemmt. )
Man trauret um den Redlichsten in Israel,
als um den Obersten im Volk,
Als um den Aeltesten des Landes.
Auch meines Volks Fürstinnen traurten
Um euren edeln Freund. )
Begrabt ihn spät, damit er noch erwache!
)
So rief man durch die Stadt.
Oh gebt uns, gebt uns eine Locke
Von seinem weisen Haupt,
Für uns ein bittersüßes Angedenken!****)

Erhabner Geist!

Nicht Reichthum, Ehrenamt,

*) Man hatte allen Handel in Berlin einen Tag lang eingestellt.

**) Dieses bezieht sich insonderheit auf die Prinzessinn Ferdinand, Gemahlinn des jüngsten königlichen Bruders, und auf die Herzoginn von Kurland, welche damals mit dem Herzoge, ihrem Herrn Gemahl, in Berlin lebte, und auf derselben Schwester, die Frau von der Recke, geborene Reichsgräfinn von Medem, welche sich unter dem Namen Elisa durch ihre Gedichte berühmt gemacht hat.

***) Dieses ist, wider die Gewohnheit der Glaubensgenossen des Seligen, wirklich geschehen.

****) Auch dieses erlaubte man sich, wider die Ritualgesetze des jüdischen Volks.

(485)

Und stolzer Väter Name;
Dir gab die Weisheit Adel,
Die Tugend Fürstenrang.

Der beste Freund der Besten

Stand auf der höchsten Stufe
Des ganzen Israels,
Steht in der ersten Reihe
Des menschlichen Geschlechts.

Erhabner Geist! 

Dir gab die Weisheit Adel
Die Tugend Fürstenrang.

Sulamith.
Ach! Unser Freund, Eusebia,
Genoß auch noch im Leben,
Was andern nur das stille Grab gewährt:
Und nie kam Stolz in seine große Seele.

Eusebia.
Dein Freund und mein Freund, Sulamith,
Und unsers Volks Orakel,
War größrer Ehre werth, als er empfing:
Wie konnte Stolz in seine Seele kommen?

Sulamith.
Mein Volk! wer soll nun dein Orakel seyn?
Wer soll dich seine Weisheit lehren?
Dein bester Lehrer ist nicht mehr.

(486)

Eusebia.
O Stadt! Wer soll dein Tugendmuster seyn?
Wer euer Freund, ihr wahren Weisen?
Ach! Euer Liebling ist nicht mehr.

Sulamith und Eusebia.
Weisheit, Tugend, Menschenliebe
Klagen alle:
Mendelssohn, du bist nicht mehr!

Sulamith.
Er war des Blinden Auge,
Er war des Lahmen Fuß;
Der Wittwen Herz erfreuete sein Trost*)

Eusebia.
Er rettete den Armen,
Er half dem Waisen auf;
Er öffnete dem Wanderer sein Thor. **)

Sulamith und Eusebia.
Arme, weint um euren Retter!
Waisen, klagt um euren Helfer!
Wittwen, traurt um euren Trost!

Eusebia.
Du starbst wie du gelebt:
So heiter, wie dein Sokrates. –

*) Hiob, XXIX. 13, 15.
**) Hiob, XXIX. 12. XXXI. 32

(487)

Du starbst? O nein! du warfst die Hülle von dir,
Die mit der Körperwelt dich höhern Geist verband.
Nun unterhalte dich mit deinem Freunde.
Er, welcher deinen Gott erkannte,
Und doch, sein schwaches Volk zu schonen,
Den Götterbildern Opfer brachte,
Ja selbst Göttinnen bildete; *) –
Er, der Gesetze heilig hielt,
Und ihren Strafen nicht entrann,
Auch wenn die Strafen ungerecht,
Und der Gesetze Richter seine Mörder waren; -
Er, dir an Menschenliebe gleich, verdammt dich nicht,
Daß du, dem angestammten Glaube treu,
Gebräuche, welche die Natur beschweren,
aus Liebe für dein Volk befolget hast.
Und nun geneuß mit deinem Freunde
Der Seeligen Unsterblichkeit,
Die du mit ihm zugleich die Welt gelehret!**)

Überschaut nun, weise Lehrer, 

alle Sphären um euch her!
Seht der Wesen lange Kette!
H h 4

*) Sokrates hatte von seinem Vater die Bildhauerkunst erlernet, und in seiner Jugend die Grazien, und zwar bekleidet, in Stein ausgehauen.

**) Mendelssohns Phädon, über die Unsterblichkeit der Seele, ist der gelehrten Welt zur Genüge bekannt.

(488)

Forscht das Labyrinth des Schicksals!
Betet an den großen Ordner
Einer gränzenlosen Welt!

Sulamith.
Nun unterhalte dich mit deinem David;
Erichte mit dem Busenfreunde Jonathans
Den engsten Freundschaftsbund.
Er, dessen feurige Gesänge
Du hier in kältrer Sprache nachsangst,
Stimmt nun mit dir im höhern Ton
Das Lob der Gottheit an;
Erhebt mit dir den Ewigen,
Den er und du geliebt;
Den er auf Sions Berge lobte,
Den du die Welt gelehrt,
Zur Zeit als neue Weisheitslehrer ihn verkannten.*)

Ihr, Jehovens fromme Lehrer, 

Nun genießet eures Gottes!
Hört, es mischt in euren Jubel
Sich der Himmelssöhne Chor.
Alle singen euch die Wunder
Seiner erschöpften Güte,
Seiner unbeschränkten Macht.

*) Bezieht sich auf die atheistischen Grundsätze, die damals von einigen Philosophen Frankreichs ausgestreuet wurden.

(489)

Und nun, Gespielen, traurt nicht mehr um unsern Freund;

Singt mit mir, was er jetzo singt,
Und was der König unsers Volks ihm vorgesungen.

„Ich wallete im Todesschattenthale,
„Und wallete dort ohne Furcht:
„Mein Gott begleitete mich.-
„Mir folgten Heil und Seligkeit
„Im ersten Leben nach.-
„Nun ruh‘ ich ewige Zeit
„Im Hause des Ewigen aus. *)
Ramler

*) Ps. XXIII. 5, 7. Nach der Mendelssohnschen Uebersetzung.

  1. Schreiben an den P.J.K. in W. ... über die künftige Vereinigung der evangelischen und katholischen Kirche. **)

Würdiger lieber Herr!
Ihr erster Schritt zur Vereinigung der katholischen und der protestantischen Kirche zeugt von einer

*)Ps. XXIII. 5,7. Nach der Mendelssohnschen Uebersetzung.
**) Es erschien 1779 eine Schrift: „der erste Schritt zur Vereinigung u.s.w. von P.J.K in W.

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solchen Einsicht und Mäßigung, daß ich ihn mit der dankbarsten Rührung vernommen und bewundert habe. Allein, edler Menschenfreund, es ist meiner Meinung nach die Verschiedenheit nicht so wohl unsrer Glaubenslehren, als des politischen Interesse, was unsre Trennung unterhält und eine Vereinigung schwer macht.
Leicht, denke ich als ein frommer Laie, würden wir uns über die sieben Sakramente vereinigen. Wir Protestanten rechnen die Sakramente unter die nothwendigen Mittel zur Seligkeit; und dafür halten wir bloß die Taufe und das Abend-
auf 2 Bogen. Eine Materie, welche die Katholiken immer gern, und itzt auch wieder, auf die Bahn gebracht haben; weshalb der itzige Abdruk der obenstehenden Abhandlung desto nützlicher und angenehmer sein wird. Gegen diesen ersten Schritt schrieb unter andern der Prof. Hr. Kern zu Ulm: „Beurtheilung der Vorschläge des Mönchs P.J.K. in W. in seinem Ersten Schritt us.w. (Ulm, 1779 8.)“ Auch ließ dagegen der vortreffliche Möser als Antwort drukken: „Schreiben an den P.J.K. in W. den ersten Schritt zur künftigen Vereinigung u.s.w. betreffend (Frkf. u. Leipz. bei Perrenon. 1780, I Bog. 8.).“ Diese letzte Antwort liefern wir hier: indem theils jener einzelne Bogen nicht so bekannt geworden ist, als er verdient; theils der Verfasser für diesen unsern Abdruk eine Nachschrift hinzugefügt hat. Der feine humoristische Ton bei dem theologischen Theile der Streitfrage, wird den Lesern ebenso angenehm, als die treffende Stärke der Gründe bei dem politischen Theile, wichtig sein. Die Herausg.

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mahl. Ihr Katholiken hingegen haltet dieselben für heilige mit Gott eingegangene, und daher unverbrüchliche Verbindungen; und unter dieser Erklärung können alle sieben beisammen stehen. Wir brauchten also zu unsrer Vereinigung weiter nichts zu thun, als uns einander zu verstehen.
In Ansehung der Taufe sind wir im Wesentlichen nicht verschieden. Im Abendmahl glauben wir alle den wahren Leib Christi zu empfangen; es ist bloß das Wie? worüber wir streiten. Und hierüber könnte die Kirche, ohne dem einen oder andern Theile zu nahe zu thun, gar wohl das Stille schweigen gebieten; der Streit ist ohnehin nicht sehr erbaulich, und im Grunde die Sache vielleicht zu hoch für die menschlichen Begriffe. Dann bliebe noch der Unterschied wegen des Kelches übrig, den aber die Katholiken aus Liebe zum Frieden gar wohl mit uns trinken könnten. Christus wollte sich mit seiner künftigen Gemeine nicht bloß dem Leibe, sondern auch der Seele nach vereinigen; und darum gab er uns sein Blut, worunter man sich bei den Juden die Seele gedachte.
Eben so könnten wir aus Liebe zum Frieden sowohl die Ohrenbeichte als das Fegefeuer annehmen. Dies letztere kann die katholische Kirche gar nicht entbehren, da viele und nothwendige Ausgaben, wozu gar kein andrer Fond vorhanden ist, daraus bestreiten muß. Wir aber könnten es als das vortrefflichste Band der Menschheit verehren. Denn,

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indem es die Seligkeit des Monarchen von der Fürbitte seiner Unterthanen mit abhängen macht: so liegt darin ein starker Bewegungsgrund für ihn, diese in seinem Leben zu schonen und zu lieben; ein Bewegungsgrund für jeden Menschen, seinen Mitbürgern wohl zu thun, um sich ihre Fürbitte zu erwerben. Und warum sollte Gott oder die Kirche nicht, um Liebe und Wohlthun unter seinen Geschöpfen zu befördern, so etwas weislich und gnädig bestimmt, und damit die Ewigkeit der Höllenstrafen, die einige unter uns doch bezweifeln, weislich ermäßigt haben?
Die erstere aber hätten wir billig allzeit beibehalten, und jeden Pfarrer oder Beichtiger anweisen sollen, der Obrigkeit jährlich eine Sündentabelle einzusenden, um daraus den sittlichen Wohlstand oder das sittliche Verderben ihrer Unterthanen zu beurtheilen, und sich mit Gesetzen und Strafen danach richten zu können. Auf diese Art kann dieselbe den größten Nutzen haben, wie die ehemalige Geschichte der Vergiftungen in Frankreich lehret; sie ist dann die Konduitenliste der Menschheit, und was könnte für einen menschenliebenden Regenten unterrichtender sein, als diese? Mehrmals haben mich die Jesuiten versichert, daß gewisse Arten von Sünden, die zu Rom herrschten, in Westphalen gar nicht bekannt, und die gemeinen Leute dahier zehnmal frömmer als anderwärts wären. Dieses wußten sie aus der Ohrenbeichte;

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und ich glaube, daß man aus den Sündenlisten noch bessere Schlüsse als aus den Todtenlisten machen könnte. Rousseau würde gewiß den Einfluß der Wissenschaften auf das menschliche Geschlecht daraus berechnet haben.
Den ehelosen Stand der Priester nehme ich in meinem sechzigsten Jahre gern an. Wie manches Bischofsthum würde längst, wie die Herzogthümer und Grafschaften, vererbt und verschlungen sein, wenn jeder Bischof eines Weibes Mann geworden wäre? Wie manches geistliche Lehen würde jetzt gleich den weltlichen verdunkelt, und mit den Erbgütern einer Familie vermischt sein, wenn den Pfründnern das Heirathen wäre erlaubt worden? Wie manche Pfarre mögte jetzt ohne alle Einkünfte bestehn, nachdem die Zehnten verschwunden, und die Geldeinkünfte mit dem Verfall der Münze in Nichts verwandelt sind, wenn nicht hie und da ein eheloser Priester das Seinige daran vermacht hätte? Und womit wollte man endlich Vedienste belohnt haben, wenn die Präbenden solchergestalt Lehngüter gewisser Familien geworden wären; oder was würde die Welt bei einer Bevölkerung, die sich weder dem Akkerbau noch den Künsten gewidmet hätte, gewonnen haben? Sicher würde ein Kind aus der Klasse, die alle übrigen unterhält, und die denn auch noch wohl einmal mit unter eine Aufmunterung und Belohnung verdient, nie zu Ehren und Würden gelangt sein.

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Gegen die Klöster würden wir Protestanten mit Grunde nichts erinnern können, so bald die Kirche um der menschlichen Schwachheit willen festsetzte, daß ein Klostergelübde nicht länger als sechs Jahre binden, und im siebenten ein Freijahr sein sollte; in diesem müßte jeder Bischof die Klöster seiner Dioces persönlich visitiren, und entweder die erneuerung des Gelübdes auf andere sechs Jahre annehmen, oder denjenigen, die solches nicht zu erneuern wünschten, die Freiheit ertheilen. Auf diese Art würden wir die Klöster als heilige Ruhestätten und sichere Zufluchtsörter betrachten, worin die Kinder der Männer, die dem Staate gedient und nicht viel erübrigt hätten, gleichsam auf öffentliche kosten versorgt würden; und wodurch der Fürst dem Lande eine Pension, sich selbst aber die Bekümmerniß ersparte, seinen Bedienten wie den Soldaten das Heirathen untersagen oder ihnen auf chinesische Art begegnen zu müssen: denn eines von beiden müßte doch geschehn, um die Zahl der Drohnen, welche keinen Honig eintragen, zu vermindern. Wahrscheinlich würden sehr wenige in dem Freijahre ihre Entlassung verlangen, sehr viele aber mit dem Gedanken, daß sie ihre Freiheit erhalten könnten, ruhiger beten und und schlafen.
Ueber die guten Werke würden wir uns leicht dahin vergleichen, daß nur die Werke des natürlichen

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Verdienst seines Erlösers zugerechnet wird, nach dem Verhältnis dieser Zurechnung, verdienstlich heißen sollten. Der Gedanke reizet immer mehr und mehr zum Wohlthun.
Auch, dächte ich, würden wir uns wegen der Messe, wenn wir nur das unblutige Opfer in dem rechten Verstande annähmen, und Ihr Euch nur ein wenig schlichter darüber ausdrüktet, noch wohl vereinigen; und die Unfehlbarkeit der Kirche dürfte dem wenigsten Zweifel unterworfen sein. Denn auch bei uns ist die Stimme des Volks die Stimme Gottes, und die Stimme einer ordentlich berufenen Kirchenversammlung die Stimme des heiligen geistes, der sich ein jeder unterwerfen muß, weil es keine Engelversammlung giebt; woran man von dem Ausspruche der Kirche appeliren könnte. Und wenn wir auch einmal eine Reformation vornehmen, und die Sonne, welche in der ersten Kirche um die Erde ging, in der jetzigen stille stehen lassen: so beweiset dieses nichts gegen ihre Unfehlbarkeit; sondern der heilige Geist oder die Kirche redet mit Kindern anders als mit Männern, und so wie sich die Begriffe mehr entwikkeln, kann uns auch der heilige Geist, der uns auf jeder Stufe folgt, mehr erleuchten. Die Empfänglichkeit eines Leibnitz verträgt höhere Ideen als die von dem gemeinen Mann; und die Kirche fehlet nicht, wenn sie bis dahin, daß alle Bauern Mathematiker sind, die Sonne am Zeiger Ahas sich verweilen läßt.

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Auf solche oder auf eine andere gute Art, sage ich, würden sich die Spitzen mancher schönen Streitfrage abründen lassen, so daß man nicht mehr davon behielte, als zur Schärfung des menschlichen Verstandes, und zur Erwekkung nützlicher Leidenschaften nöthig wäre; denn etwas Wetteifer, dann und wann ein Triumpf oder Niederlage unsrer Urtheilskräfte, wird doch beibehalten werden müssen, um die religiösen Empfindungen nicht einschlafen, und den Forschungsgeist ganz ungereizt zu lassen. Vielleicht würden auch einige Heiligen dem itzigen Bedürfnisse unsrer Empfindsamkeit gerade recht kommen. – – Allein wie wir die Verschiedenheit unsers politischen Interesse vereinigen werden, das sehe ich nicht.
Es war eine Zeit, wo nur ein geistliches und ein weltliches Primat in der christlichen Kirche war: der Papst und der Kaiser. ber, so wie sich das weltliche Primat in der abendländischen Christenheit nicht wieder herstellen lassen wird; und so wie es auch in in unserm lieben Deutschlande nicht wieder zu dem Ansehen gelangen mögte, worin es zu der Zeit war, als Hadrian und Karl der Große zu gleichen Zwekken arbeiteten; so wird sich schwerlich das Primat der Kirchen in seine alten Besitzungen wieder einführen lassen. Der Kaiser macht noch hie und da einen Pflazgrafen, und der Pfalzgraf einen Notarius, welchen der eine Fürst mit, und der andere ohne Immatrikulation, sein

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Amt verrichten läßt; aber mehrere Freiheiten in den Ländern der Reichsstände zu ertheilen, ist ihm durch die Kapitulation abgeschnitten. Auf gleiche Art würden es auch die protestantischen Fürsten dem Papste zur Noth erlauben, in ihren Ländern einem Superintendenten oder Bischofe das geistliche Amt zu geben, vorausgesetzt, daß die Bischofsmütze nicht höher als ein Doktorhut käme; aber schwerlich werden sie demselben etwas zum Nachtheil ihrer Gerichtsbarkeit, ihres Dispensationsrechts, ihrer Landeshoheit, und insbesondere ihrer Steuer und Stempelkassen einräumen wollen. Sie werden allgemeine Kirchenversammlungen in der Christenheit, der jetzigen Verfassung unangemessen, und in Deutschland für ihre Unterthanen zu kostbar und zu beschwerlich finden. Sie werden die große Kette der Hierarchie fürchten, und sich von vereinzelten Pfarrern mehrern Gehorsam als von den unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte konföderierten versprechen. Der Fels Petri wird ihnen ebenso verhaßt wie ein Reichsgericht sein, da sich beide der mindermächtigen geistigen und weltlichen Orden und Stände gegen die Großen annehmen. Die glükliche Lage dieses Felsen in einem eignen unabhängigen Staate wird ihnen zwar angenehm, aber doch immer auch bedenklich scheinen, da sich die Donnerwolken aus den zunächst gelegenen Staaten nicht daran brechen. Sie werden daher fürchten, daß

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der südliche Enfluß zum Nachtheil des Nordens würken werde; und wenn sie auch nichts dabei zu erinnern haben, daß ihren Unterthanen die Fasten von Rom aus vorgeschrieben werden: so werden sie doch die Freiheit der Presse, wodurch die Buchhandlung in ihren Ländern blühet, nicht einschränken lassen; sie werden die päpstlichen Monate und andere Reservate bei den Kapiteln nicht verlieren wollen, da sie so manchen treuen Diener damit ohne ihren Schaden bezahlen können. Es wird die Immunität sowohl der Personen als der Oerter ihren Beifall nicht erhalten, und der kostbare Unterhalt besondrer geistlicher Richter bei der jetzigen Militarverfassung, ihnen überflüssig vorkommen. Sie werden ihre Geistlichkeit zur Zeit der Noth auch ohne päpstliche Einwilligung besteuren, und mit einem worte dem heiligen Vater von allem dem nichts geben wollen, was sie selbst gebrauchen können.
Dieses ist der wahre Knoten, der die Vereinigung unter uns hindert, und worin die Kirche ihren jüngsten Kindern nichts nachgeben kann, ohne den ältern eben so viel nachzugeben, und somit auf beiden Seiten zu verlieren. Das kann und wird aber aber nach nach dem gewöhnlichen Laufe der Sachen in unsrer sublunarischen Welt nie geschehen; und man wird in den Kabinetten unsrer Fürsten eher das heilige Oel, das unentgeltlich gegeben wird, als die Taxe der römischen Kanzlei zulassen.

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Wir Protestanten glauben: das Reich Christi sei nicht von dieser welt, und die Religion müsse dem Staate so wenig als möglich zur Last fallen. Ihr Katholiken hingegen glaubt: die christliche Kirche unter ihrem sichtbaren Oberhaupte müsse auch in weltlichem Ansehen stehen, und zur Zeit der Trübsale mit diesem ihrem Ansehen der weltlichen Macht entgegen treten können. Daher muß der römische Hof, um sich und die Geistlichkeit dabei zu erhalten, immer viel Politik gebrauchen, auf alle Begebenheiten in der Welt ein wachsames Auge haben, und sich in die Staatssachen mischen; welches aber unsern protestantischen Fürsten ebenso ungelegen ist, als manchem katholischen. Das läßt sich aber nach Eurer hierarchischen Verfassung unmöglich ändern, ohne deren ganzen Würkungskreis aufzuheben, und somit die Monarchie der Kirche in eine Aristokratie zu verwandeln.
Der Plan zu unsrer Vereinigung, edler Menschenfreund, ist demnach also anzulegen: daß zuerst die politischen, und hernach die theologischen Schwierigkeiten geebnet werden; und wie hiezu der erste Schritt zu machen sei, das wünschte ich von Ihnen zu vernehmen. Jetzt wird die protestantische Kirche allein von der Bibel beherrscht, einem Frsten der ruhig auf dem Thron sitzt, nicht den geringsten Aufwand erfordert, sich von jedem Menschen sprechen und keinen ohne Trost von sich läßt; man findet bei ihm alles was man

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sucht. So bequem und wohlfeil hat es die katholische Kirche nicht; sie hat ein Oberhaupt mit dem repräsentirenden Charakter der Gottheit. Dieses erfordert allein zwey und siebenzig Kardinäle, und eine Suite – – O lieber Pater! ich fürchte, ich fürchte, es wird nichts daraus; wir sind zu sehr an unsern guten Herrn und an die Freiheit gewöhnt. Indessen erwarte ich doch noch Ihre Vorschläge, und eine kline ntwort auf folgende Fragen: Sollte es für Oestreich rathsam sein, Preußen zur katholischen Religion zu bringen, und sich damit einserseits aller Vortheile zu begeben, welche ihm auf der jetzigen Trennung zuwachsen, und andrerseits sich zu der ihm unter den jetzigen Umständen ewig bestimmten Kaiserkrone, einen mächtigen Mitwerber zu erwekken? Sollte den mindermächtigen so wohl katholischen als evangelischen Ständen so sehr damit gedienet sein, daß ein künftiger Friederich und eine künftige Maria Theresia für sich und ihre Staaten sich am Altare vereinigten? Sollte der Papst bei der jetzigen Einigkeit der Bourbonen sich besser stehn, wenn die Religionstrennung, und mit dieser die Eifersucht aufhörte, welche Karls V. Nachfolger abhält, Rom noch einmal heimzusuchen? Sollten die Stifter in Deutschland noch lange unabhängig und unzertheilt bleiben, wenn es der Unfriede in der Kirche nicht hinderte? Und hat sich nicht das jetzige politische System dergestalt auf die Religionstren-

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nung gelehnt, daß eins mit dem andern stehen oder fallen muß?
Diese Antwort erwarte ich von Ihnen, und bin u.s.w.
N.S.
Noch eins. Gesetzt, verständige und billige Männer von beiden Seiten kämen endlich in allen Punkten überein; auf welche Weise sollte die förmliche Vereinigung geschehen, in dem Fall, da man katholischer Seits etwas nachgeben wollte? Der Papst für sich hat in Ansehung der Glaubenslehren seiner Kirche gar keine Gewalt; er kann nicht das mindeste davon ab- oder dazuthun; dieses gehört für die allgemeine Kirche. Sollte nun der Papst eine allgemeine Kirchenversammlung anstellen, und diese aufs Ungewisse? Das würde in der That ein sehr unpolitischer Streich sein; und wie würden die Kätzer lachen, wenn etwa die spanischen Bischöfe dasjenige nicht billigten, was einige gutmüthige Theologen in Deutschland aus Liebe zur Vereinigung nachzugeben gedächten? In welche einheimische Widersprüche würde die Kirche verfallen, wenn der Papst diesen oder jenen Zusatz erheblich genug fände, um darüber die ganze Kirche zu hören, und diese sich theilte? Nie kann der Papst sich dieser Gefahr aussetzen; und so wenig in England ein Minister es wagen wird, auf eine Veränderung der bekannten 33 Punkte im Par-

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lamente anzutragen (ungeachtet fast ein jeder von der Nothwendigkeit einer solchen Veränderung überzeugt ist), weil zuverläßig Schottland sich darüber von England trennen würde; eben so wenig wird das Kardinalskollegium zu einem solchen Schritte rathen. Und so bleibt nur der einzige Weg zur Vereinigung übrig: daß katholischer Seits in Ansehung der Glaubenslehren nichts nachgegeben werde.*)
Protestantischer Seits scheint man dieses gar nicht zu bedenken, wie ich aus manchen Vorwürfen schließe, die hie und da den Katholischen darüber gemacht werden, warum sie ihre Kirche die alleinseligmachende nennen? oder warum sie dieses oder jenes, was den Protestanten ganz unvernünftig dünket, nicht vorläufig abstellen? Allein steht dieses in des Kaisers, oder des Papstes oder eines Bischofes Macht? und kann man mit Billigkeit von ihnen fordern, daß sie etwas abstellen sollen, was von ihnen nicht abhängt, und worüber sie sich nicht erklären können, ohne in fremde Rechte zu greifen? *)
) Also müssen die Protestanten allein und alles nachgeben! ... Eine schöne Vereinigung, wozu itzt wohl gar (o der Schande!) protestantische Geistliche die Hand bieten! B.
**) Vortrefflich! Aber, was soll man denn von den katholischen Schriftstellern denken, welche itzt sagen: die Kirche habe sich geändert? der Papst habe manches abgestellt, manchem entsagt? (Vergl. B. Monasstschr. Mai 1785, S. 445.) Sollten sie bei solchen Behauptungen nicht Absichten haben? Sollten diese Absichten wohl das Beste der protestantischen Welt bezwekken? B.

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Mit einem Worte: ohne Kirchenversammlung ist die förmliche Vereinigung unmöglich; und an jene ist gar nicht zu denken.
Osnabrük. J. Möser


  1. Hebräische Buchhandlung der hiesigen jüdischen Freischule.
    Es ist der jüdischen freischule in Berlin einmal in der Monatsschrift (1784, Decemb. S. 556,565) erwähnt, aber ohne daß sie genauer beschrieben worden, welches sie in der That verdiente. ) Ihre Existenz ist zehen, ihre vorzügliche bessere Einrichtung aber erst einige Jahre alt. Sie hat noch wenig Fonds: teils milde Beiträgr, teils das Schulgeld, welches bemittelte Eltern freiwillig für ihre diese Schule besuchenden Kinder zahlen. Vor 2 Jahren legten die Direktoren, Hr.J.D.Itzig und Hr. D. Friedländer, unter königl. Bestätigung, auf Rechnung und zum Nutzen dieser Freischule, eine orientalische Buchdrukkerei und
    ) Einige Nachricht von ihr ist in Nicolais Beschreib. von Berlin, Neue Ausgabe, Bd. II S. 699

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Buchhandlung an. Die darüber geführten Akten sind es werth, der Welt bekannt gemacht zu werden, um die Bereitwilligkeit und die edle Art, mit welcher die ersten Staatsbediente unsers Landes sich dieser Sache annahmen, in das verdiente Licht zu stellen. Noch hat kein Staat den Juden völlig gleiche Rechte mit den andern Bürgern ertheilt; desto mehr muß es jeden Menschenfreund erfreuen, wenn er die Sorgfalt sieht, mit der man bei der itzigen Lage der Sache ihnen zu helfen bemüht ist, und vorzüglich alle zu ihrer Aufklärung und Veredlung bestimmte Anstalten zu unterstützen sucht. Es ward einst bemerkt (Monatsschr. 1785, Febr. S. 158); daß in einem hiesigen mit königlicher Autorität versehenen gedrukten Reskript „die Kenntnisse und die rechtschaffene Denkungsart eines jüdischen Gelehrten“ mit Ruhm erwähnt wurden. Jeder Patriot wird sich freuen, hier einen neuen Beweis von der Milde des Königs, und von der edlen, toleranten und aufgeklärten Gesinnung unserer Staatsminister, zu finden. Auch die Sprache in den Anschreiben der beiden hohen Departemente an einander kann, wie die darin herrschende Denkungsart, zum Muster dienen.

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I. Vom Staatsminister von Münchhausen ) an das Generaldirektorium.
Ein Königl. Hochl. General-Ober-Direktorium wird aus den abschriftlichen Anlagen zu ersehen belieben, was die Direktoren der jüdischen Freischule allhier, Isaak Daniel Itzig und David Friedländer, wegen Koncession einer Buchdrukkerei und Buchhandlung zu Besten gedachter Schule nachgesucht, und Se. K.M. hierauf mittelst Kabinetsorder vom 9. dieses zu verfügen geruhet haben.
Die gedachten unter der Bittschrift unterzeichneten Vorsteher, haben sich schon mündlich gegen mich erklärt: daß sie die von des Königs M. ihnen gethane Anleitung befolgen, und also ihren Plan auf die orientalischen Sprachen einschränken wollen. Damit thue sie den hier bestehenden Buchdrukkereien und Buchhandlungen keinen Abbruch; denn keine davon ist auf diesen Zweig der Litteratur eingerichtet. Die Absicht aber, in des Königs Landen die Kultur dieser Sprachen, durch erleichterung des erwerbes der darin geschriebenen Bü-
) Der verewigte Münchhausen war auch Chef des Lehndepartements (s. Monatsschr. 1785, Januar S. 25); welches Departement auch die Privilegien über den Druk der Bücher ertheilt.

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cher zu befördern, verdient Lob, und in mehr denn einer Absicht Aufmunterung. Die Supplikanten erklären sich schon in der Bittschrift, daß sie wollen eine Schriftgießerei damit verbinden, auch geschikte Schriftgießer und Setzer aus fremden Orten dazu kommen lassen; und man kann, wenn ihnen nicht Hindernisse in den Weg geleget werden, von ihrem löblichen Ehrgeize etwas vollständiges erwarten.
So unterstützungswerth ihr Vorhaben an sich selbst ist, so gewinnt es doch dafurch noch mehr Gunst, daß es dienen soll, der für ihre Nation von ihnen errichteten Schule ein besseres Bestehen zu verschaffen. Diese Anstalt hat allgemeinen Beifall; und es wäre ein öffentlicher Verlust, wenn sie rükgängig würde. Aus diesen Gründen scheint mir, daß dem Gesuch der Supplikanten zu willfahren ist; und da die Ausfertigung der Buchdrukkerei – und Buchhandlungsprivilegien in Ew. Excell. Kanzlei zu geschehen pflegt, so überlasse ich Denenselben die Veranlassung dazu zu machen. Berlin d. 12. Januar 1784
II. Vom Generaldirektorium an den Staatsminister von Münchhausen.
Das Generaldirektorium pflichtet der von Ew. Exc. in Dero geehrtesten Anschreiben vom 12. d.

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geäußerten menschenfreundlichen Gesinnung, daß die Aufklärung und Besserung der jüdischen Nation, zu ihrem eigenen und selbst zum allgemeinen Vortheile, und also das Aufnehmen und Bestehen der zu solchem guten Endzwek allhier errichteten Freischule, die möglichste Beförderung verdiene, vollkommen bei. Da nun hierzu die von den Direktoren dieser Freischule erbetene Anlegung einer Buchdrukkerei und Handlung hoffentlich mit beitragen wird; so hat das Generaldirektorium auf Ew. Exc. Verlangen die Koncession dazu, in aller Ausdehnung, welche die von Sr. K. M. an Ew. Exc. darüber geschehene Eröffnung, und die jetzige Verfassung des Judenwesens verstatten, entworfen; und nimmt dasselbe keinen Anstand, solche Ew. Exc. hiebei in Koncept ergebenst zu übersenden. Sollten Ew. Exc. damit einverstanden sein, so wird das Generaldirektorium, in Betracht daß Denenselben der Auftrag in dieser Sache geschehen, Ew. Exc. die Ausfertigung gedachter Koncession in mundo zur gemeinschaftlichen Kontrasignatur zuschikken; und dagegen den Bericht, womit solche Sr. K. M. zur Vollziehung vorzulegen, (dafern Ew. Exc. nicht selbigen, mit Bemerkung, daß Dieselbe die Koncession mit dem Generakdirektorium koncertirz haben, allein abzustatten gut finden möchten) zur Mitunterschrift erwarten. Berlin, d. 20. Januar 1784

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III. Von dem Staatsminister von Gaudi
Order an die Chargenkasse

Se. K. M. von Preußen lassen der Chargenkasse hiermit anbefehlen, von der hiesigen jüdischen Freischule, wegen der erhaltenen Koncession zu Anlegung einer orientalischen Buchdrukkerei und Buchhandlung, da solche eine nützliche milde Stiftung betrifft, keine Gebühren zu fordern und sich hiernach allerunterth. zu achten. Berlin, d. 6. April 1784
IV. Vom Generaldirektorium an die Direktoren der jüdischen Freischule.
Es ist unter heutigem Datum der Chargenkasse die Erlassung der an dieselbe für die Koncession zu bezahlenden Gebühren angezeiget worden. In Ansehung der Kanzleigebühren aber kann keine weitere Moderation Statt haben, da solche schon nach der geringsten Taxe (zu 3 Rthalr.) angesetzet worden, und sonst diese Gebühren 50 Rthlr. betragen würden.


Die Koncession selbst, welche der König d. 3. Febr. 1784 unterschrieben, und die beiden Staatsmini-

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ster von Münchhausen und von Werder kontrasigniert haben, ertheilt der Freischule das Recht: „Bücher in der hebräischen und andern orientalischen Sprachen zu drukken, und in- und außerhalb der öffentlichen Jahrmärkte zu verkaufen. Ferner, zu solchen orientalischen Büchern und Schriften in jeder andern Sprache, und mit den Buchstaben, womit solche geschrieben und gedrukt wird, Uebersetzungen, Anmerkungen und Erläuterungen hinzuzufügen. Auch zu ihrer Drukkerei eine Schriftgießerei von Buchstaben und Typen der orientalischen Sprachen anzulegen; und dazu sowohl, als zum Setzen und Drukken, die benöthigten Leute aus der Fremde kommen zu lassen, welche zu dem Ende, wenn es Juden sind, mit ihren Weibern und Kindern, (doch dergestalt, daß sie sich alles andern Handels und Gewerbes enthalten müssen) tolerirt und geschützt werden sollen.“
Diese Buchdrukkerei hat schon verschiedene orientalische Schriften gedrukt; zum eignen Handel für die Schule aber bis itzt nur Gebetbücher. So eben ist bei ihr die deutsche, mit hebräischen Lettern gedrukte, Uebersetzung des jüdischen Gebetbuchs fertig geworden, unter dem Titel: Gebete der Juden auf das ganze Jahr. Das Werk hat einen der genannten Direktoren, Hrn. Friedländer zum Verfasser, von dem auch das Lesebuch für die jüdischen Schulen, 1780, 8. ist.

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Diese Uebersetzung ist in der That ein wichtiger Schritt zur Beförderung der Aufklärung unter den Juden. Die Gebete, welche zum Theil aus vortreflichen Stellen des Alten Testamentes, und sehr schönen und erhabnen Gedanken ihrer neuern Weisen bestehn, waren im Original, wie sie hergesagt zu werden pflegen, doch den meisten Juden nicht verständlich. Hier sind sie richtig und in sehr gutem Deutsch übersetzt. Der Mangel des Zusammenhangs in manchen willkührlich zusammengereiheten Sentenzen ist durch dazwischen gesetzte Sternchen angedeutet; u.s.w. Dazu kömmt eine sehr gut geschriebene Vorerinnerung, die, außer einigen allgemeinen Betrachtungen, historische Nachrichten von den gesammelten Gebeten enthält. So daß auf alle Weise Verstand und Nachdenken in einer so wichtigen Sache, als die Religion ist, befördert wird.

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  1. Einräumung einer katholischen Kirche zum Gottesdienste der Protestanten.
    An Hrn. D. Biester.
    In der Monatsschrift (März dies. J. S. 265) wird gegen die von Hrn. Prof. Garve (Jul. vor. J. S. 64) vorgetragene Behauptung: „Auch in meinem Vaterland sind Fälle vorhanden, wo katholische Kirchen zur Ausübung protestantischer Religionshandlungen eingeräumt werden,“ die an sich ganz billige Einwendung gemacht, daß Hr. Garve keinen dieser Fälle genau oder bestimmt angegeben habe; und es wird dabei mit Recht bemerkt: „Um über Fakta zu ertheilen, müssen dieselbe wahrlich ganz genau, und mit allen Umständen vorgelegt werden.“ Zugleich werden dabei zwei dokumentirte Fälle vom Gegentheil erzählt, woraus hervorgeht, daß das apostolische Vikariatamt zu Breslau bei zwei verschiedenen Gelegenheiten die gebetene Einräumung einer katholischen Kirche zur Abwartung des protestantischen Gottesdienstes geradezu abgeschlagen hat. Aus der sonst bekannten, vortrefflichen, und hier ganz rühmlich geschilderten Denkungsart der Glieder dieses ansehnlichen Kollegiums wird nun der nicht undeutliche Schluß gezogen: als sei jene

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Weigerung wohl nicht ganz so freiwillig, nicht die Folge der eigenen inneren Ueberzeugung dieser Männer gewesen. Denn, heißt es ausdrüklich: „das Verfahren dieser Männer ist gewuß bloß, wie auf der einen Seite nach Klugheit, so auf der andern nach den Vorschriften der Gesetze abgemessen. Sie erkennen, was edel, billig und menschenfreundlich ist; – Sie thun hierin gewiß gern, so viel sie thun dürfen, und schlagen nur ab, was sie abschlagen müssen.“
Bey dieser Aeußerung wird also nothwendig vorausgesetzt: daß entweder die allgemeinen Grundsätze der katholischen Kirche eine solche den Protestanten zu erweisende Gefälligkeit schlechterdings nicht erlauben; oder, daß besondere Verordnungen des Papstes (denn eine andere geistliche Obrigkeit wird doch das apostol. Vikariatamt nicht anerkennen) so was ausdrüklich verbieten. Eine dritte Ursache, warum das genannte Kollegium die gebetene Gefälligkeit hätte verweigern müssen, – sie nicht bewilligen dürfen: läßt sich in dem gebetenen Fall nicht gedenken; es sei denn diese, daß zwischen diesem und andern ähnlichen Kollegen, Bischöfen, u.s.w. gewisse geheime Verabredungen über diesen Punkt zum Grunde liegen, welches sich aber gleichfalls mit der so gerühmten, aufgeklärten, edlen Denkungsart der Glieder des ap. Vikariatsants nicht

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wohl reimen läßt. Daß aber überhaupt keine von allen diesen Ursachen Platz haben könnte, ist wohl offenbar, so bald es ausgemacht ist, daß obige Behauptung des Hrn. Garve ihre völlige richtigkeit habe. ) Erlauben Sie mir also, Hochgeehrtester Herr Doktor, Ihnen in dieser Absicht gleichfalls ein ganz eigentlich hieher gehöriges, mit allen Dokumenten belegtes, auch noch immerfort bestehendes Faktum vorzulegen: ein Faktum, welches nicht nur jener Behauptung des Hrn. Garve zum vollständigen Belag dienet, ) sondern auch unwidersprechlich beweiset: daß weder allgemeine Grundsätze der katholischen Kirche, noch besondere päpstliche Verordnungen, noch auch geheime Verabredungen der Bischöfe, die Einräumung einer katholischen Kirche an Protestanten zur Abwartung ihres Gottesdienstes verbieten. )
) Um jenen offenbaren Satz folgern zu können, wäre es also wünschenswerth, diese streitige Behauptung ausgemacht zu sehen. Wenn doch also Hr. Garve so dokumentirt wie von Schlesien (wie hier der Herr Einsender von Westphalen) ein Faktum beibringen wollte, woraus die von der obern katholischen Geistlichkeit geschehene Einräumung einer Kirche erhellte! B.
) Aber Hrn. Garves Behauptung geht ja ausdrüklich nur auf Schlesien. B.
) Dieses höchst gegründet scheinende Räsonnement macht um so neugieriger: zu erfahren, welche Ursachen das angesehene apostol. Vikariatamt zu Breslau vermocht haben, jene zwei so äußerst mäßige, und nach den Umständen so billige Bitten geradezu abzuschlagen. B.

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Das Faktum, von dem ich rede, ist zwar nicht aus dem Vaterland des Hrn. Garve, sondern aus hiesiger Gegend, und also aus – dem, hin und wieder wenigstens, noch sehr verkannten – Westphalen. Allein das ändert in der Hauptsache nichts; und übrigens wird die Begebenheit selbst dadurch um so viel merkwürdiger, so daß, wenn sie auch nicht eine so genaue Beziehung auf einen der Hauptgegenstände Ihres mit Hrn Garve geführten Briefwechsels hätte, sie doch schon um ihrer selbst willen eine nähere Bekanntmachung verdient, da sie zugleich einen Beweis enthält, wie man in hiesigen Gegenden über Religionsverträglichkeit denkt, und auch handelt. Auch in dieser Rüksicht glaube ich mir schmeicheln zu dürfen, Ihnen hiemit einen nicht ganz unwichtigen Beitrag zu liefern. – Jedoch zur Sache!
Schon seit dem Julius ds vorigen Jahrs habe ich selbst in einer, meiner (reformirten) Gemeine freiwillig eingeräumten, katholischen Kirche unausgesetzt gepredigt, und alle gottesdienstlichen Handlungen, so wie wir es in unsrer eigenen Kirche gewohnt sind, ohne die mindeste Einschränkung vor-

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genommen. Die Vergünstigung dazu ist uns von einem gleichfals angesehenen geistlichen katholischen Kollegium ertheilt, und von einem katholischen Erzbischof, der gewiß ebenso unabhängig ist als das apostolische Vikariatsamt zu Breslau, bestätigt, ja selbst nachdrüklichst empfohlen worden. Dies ist das Faktum; doch es ist nicht genug, dasselbe bloß zu nennen; es muß auch, nach der oben angeführten ganz billigen orderung, ganz genau, und mit allen Umständen vorgelegt werden. Auch hiezu sehe ich mich im Stande; und hier sind die pünktlichsten Abschriften der vornehmsten hierher gehörigen Urkunden, wovon Sie nach Ihrem eigenen Gutbefinden, ausführlich oder abgekürzt, den beliebigsten Gebrauch machen können. )
) Der Herr Prediger Triesch vermehrt, durch diese seine genaue Pünktlichkeit, noch unsere Verpflichtung zum Dank, der ihm wegen der Einsendung seiner wichtigen Geschichtserzählung gebühret, welche wir hier, zu unserm eigenen großen Vergnügen und gewiß zum Vergnügen aller Leser, liefern. Nur habe ich, seiner verstatteten Erlaubnis zufolge, bloß die wichtigsten Urkunden über die Sache aufgenommen. B.

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I. An das Hochwürdige Archidiakonat-Stift zu St. Viktor hieselbst.
Xanten, d. 15. Juni 1785.
T.T.
Durch eine vorzüglich Gade unseres Königs ) sehen wir uns in den Stand gesetzt, die längst beschlossene Reparation unsrer äußerst verfallenen Kirche anzufangen. Nur finden wir uns noch dabei durch den einen Umstand gehindert, daß uns ein schiklicher Ort fehlet, wo wir die Zeit über, die jener Bau währen möchte, unsern Gottesdienst halten können.
Wir haben, wie bekannt, nur die eine Kirche. Da nun für die katholischen Glaubensgenossen hieselbst, außer der Hauptkirche, noch so viele andere dergleichen Gebäude vorhanden sind, wovon verschiedene nur wenig, und mache des Sonntags gar nicht gebraucht werden; so wenden wir uns in unsrer dermaligen Verlegenheit an Ew. Hochwürden und Hochehrwürden, mit der gehor-
) Auf eine unmittelbar an Se. Königl. Maj. von dem hiesigen reformirten Konsistorium am 7. Mai vorigen Jahrs erlassene Bittschrift, hat der König, laut einer Kabinetsorder vom 13. desselben, der hiesigen Gemeine zur Reparatur ihrer Kirche eine bei dem Kapitel hieselbst erledigt gewordene Kanonikatpräbende allergnädigst konferirt. T.

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samst ergebensten Bitte: uns zu jenem Zwek, bloß die kurze Zeit über, die zu seinem Bau erfordert wird, eines von jenen kirchlichen Gebäuden, wozu wir namentlich die St. Michaelis- oder die Gast-haus-Kapelle in Vorschlag bringen, gütigst einzuräumen.
Wir schmeicheln uns u.
Prediger und Konsistoriales der evangel. reformirten Gemeine hieselbst

II. An ein Wohlehrwürdiges reformirtes Konsistorium hieselbst.
(Antwort vom selbigen Datum)

T.T.
Ein Hochwürdiges Kapitel hieselbst ist nicht abgeneigt, der hiesigen reformirten Gemeine zu vergönnen, daß sie, so lange die Reparation ihrer verfallenen Kirche währet, ihren Gottesdienst in der Gasthaus-Kapelle verrichte. Da aber über die Zulässigkeit einer solchen Sache verschiedentlich ) geurtheilt wird, wenigstens in den kanoni-
) Das hiesige ansehnliche Kapitel besteht, außer dem Dechant, Scholaster, Portarius und Official, aus 40 Kauvnicis. Es war also ganz natürlich, daß unter so vielen Köpfen die Meinungen über eine solche Sache sehr getheilt sein mussten. Desto mehr gereicht es aber diesem Kollegium zur Ehre, daß das Gesuch des Konsistoriums nicht gleich und geradezu abgeschlagen wurde.

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schen echten darüber nichts entschieden ist; so wird das Kapitel, um allem Anstoß vorzubeugen, vorher, jedoch ohne Verzug, hierüber ein Erzbischöfliches Gutachten ) einhohlen, und es zweifelt nicht, daß die Sache werde genehmigt werden.daß der Herzog von Kleve,
III. An das Kapitel zu Xanten.
Bonn, d. 23 Jun. 1785.
Maximilian Franz, von Gottes Gnaden Erzbischof zu Kölln, u.s.w.
Ehrbare, Liebe, Andächtige! Aus Eurem Schreiben vom 16ten dieses haben Wir gnädigst
) In zweifelhaften Fällen, zumal wenn dieselbe, wie auch hier der Fall war, als Gewissenssache angesehen werden, pflegt das Kapitel, wie auch jetzt geschah, an den benachbarten Erzbischof von Kölln, jedoch mit vorausgesetzter Bewilligung der Klevischen Landesregierung, sich zu wenden. T. – Der Herr Einsender wird mir folgenden Zusatz erlauben. Es ist Rechtens: daß der Herzog von Kleve, schon seit den Zeiten vor der Reformation, keine fremde geistliche Gerichtsbarkeit (also auch die des Erzbischofs von Kölln nicht) in seinem Lande erkennt; aber in bloß geistlichen Sachen (die keine Jurisdiktion betreffen) ist der kathol. Geistlichkeit verstattet, Konsilia und Responsa von fremden Geistlichen einzuholen. B.

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wohlgefällig ersehen, daß Ihr nach den wahren Grundsätzen der christlichen duldung bereit seid, eine Eurer Kapellen den dortigen Reformirten so lange zu überlassen, bis diese ihre zusammengefallene Kirche wieder hergestellt haben. Die wechselseitige Liebe und Verträglichkeit ist dem Geist des Christenthums vollkommen angemessen; Wir erlaubens Euch daher mit Vergnügen, daß Ihr den dortigen reformirten den nachgesuchten Gebrauch der St. Michaelis- oder Gasthaus-Kapelle auf 3 bis 5 Monate freundschaftlich gestattet. Wir verbleiben Euch übrigens mit Gnaden gewogen.
Max. Franz, Kurfürst. mpp. Vt Frhl. von Gymnich.


Auf diesen in aller Absicht so merkwürdigen Erzbischöflichen Bescheid, wurde von dem Kapitel dem Konsistorium so gleich die hiesige Gasthaus-Kapelle zum Gebrauch angewiesen. Allein bei näherer Besichtigung ward sie, in Ansehunung ihres engen inneren Raumes, viel zu klein, mithin ganz unbrauchbar befunden. Das konsistorium hielt nun um die Einräumung der weit größeren und bequemeren Michaeliskapelle an. *) Hier thaten sich aber große Schwürigkeiten hervor. Diese Kapelle liegt auf der so genannten Immunität des Kapitels, und ziemlich nahe bei der großen oder Kapitular-

*) Um welche man schon in dem ersten Gesuche (s. Nr. 1) alternative gebeten hatte. B.

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kirche. Wegen dieser Nähe fürchtete man also die Möglichkeit einer gegenseitigen Stöhrung im Gottesdienst. Noch mehr: Nach der Fundation dieser Kapelle soll vor dem Altar derselben bei Strafe einer Todsünde wöchentlich eine Messe gelesen werden; diese Messe mußte also für die Zeit verlegt werden; u.s.w.

Das Konsistorium schrieb itzt an den Hrn Burgermeister Ueberhorst, und bat: den zur Königl. Renthel hieselbst gehörigen Kornboden auf 4 Monate zur Haltung des Gottesdienstes, wenn er dazu geschikt wäre, einzuräumen. Auch dankte es, in einem Schreiben an den Kurfürsten von Kölln, Demselben für seine Erzbischöfliche Erlaubniß in Absicht der Einräumung der Gasthauskapelle; welche jedoch, unter den itzigen Umständen, der Gemeine nicht zu Statten kommen könne. Der Herr Burgermeister erklärte in seinem Antwortsschreiben zwar jenen Kornboden für schlechterdings unbrauchbar; allein er bot aus freien Stücken der Gemeine, im Namen des Magistrats, eine Stube auf dem Rathause zur Haltung des Gottesdienstes an.

Doch ehe wir noch von diesem Anerbieten Gebrauch machen konnten, wurde unsre Verlegenheit nun auf einmal durch die (d. 21. Jul.) von dem hiesigen Kapitel von selbst ertheilte, vorher mit so vielen Schwürigkeiten verbunden gewesene, gänzliche Einwilligung zum Gebrauch der Michaeliskapelle glüklich geendigt. Mit welcher ge-

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neigten und selbst freudigen Willfährigkeit dieselbe ertheilt ward, davon zeugen zwei Handbillette, die der förmlichen Bekanntmachung voran gingen, und mir noch während der Kapitularversammlung eingehändigt wurden. Die unter dem genanten Datum im Namen des Kapitels ausgefertigte förmliche Bekantmachung an das Konsistorium enthält zugleich eine nähere Bestimmung: über die zum reformirten Gottesdienst am füglichsten festzusetzenden Stunden, zur Vermeidung aller möglichen wegen der Nachbarschaft der Michaelis Kapelle mit der großen Kirche etwa zu besorgenden gegenseitigen Störung im Gottesdienst.

An de gleich folgenden Sonntag den 24 Jul. hielt ich nun in mehrbesagter katholischen apelle die erste Predigt, und zwar über die Pflicht der gegenseitigen Vertragsamkeit, wozu ich zum Text die Worte I Mose XIII,8 gewählt hatte. Auf meine dem Hrn. Dechanten und den übrigen Vorstehern des Kapitels zugefertigte förmliche Einladung wohnten auch zwei der leztgenannten dieser Predigt bei; und ausserdem, wie es in dergleichen Fällen gewöhnlich geschieht, eine außerordentliche Menge so wohl katholischer als auch protestantischer zuhörer, wobei aber – welches in dergleichen Fällen nicht gewöhnlich ist – von anfang bis Ende des Gottesdienstes die größte und feierlichste Stille beobachtet wurde.

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Zum Beschluß merke ich noch an: daß, obgleich die anfänglich zu unserm Kirchenbau hinreichend geglaubten 4 Monate längst verflossen sind, die Vollendung des Baues, der uns selbst aber durch schlimme Witterung und andere nicht vorher zu sehende Umstände verzögert worden ist, dennoch, auf eine abermalige Vorstellung des Konsistoriums vom 8ten März dieses Jahres, der uns zugestandene Gebrauch der Michaeliskapelle noch bis nächste Pfingsten verlängert worden ist.
Xanten im Herzogthum Kleve d.5. April 1786. Triesch, evangelisch-reformirter Prediger


Nachtrag über H.D. Semlers Empfehlung des Hirschenschen Lustsalzwassers.
(S. April, S. 339, f.)
Herr D. Semler schrieb ein Buch zur Empfehlung des Luftsalzwassers; ich machte dagegen im April einige Zweifel und Bedenklichkeiten bekannt. Nun, glaubte ich, könne das Publikum, da es

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Schrift und Gegenschrift vor sich habe, selbst urtheilen. Allein, H. Semler hat geglaubt, er müsse sofort, da kaum meine Einwendungen konnten gelesen sein, repliviren. *) Ich folge seinen Schritten, und liefere hiermit meine Duplik.

Zugleich hat es Hrn Semler gefallen, in den Hallischen gelehrten Zeitungen folgendes bekannt zu machen: „Auf eine patriotisch gemeinte Anzeige meiner Schrift (von hermetischer Arznei an B. v. Hirschen), die im April der B. Monatsschrift S. 337 eingerükt und von Thomas Akatholikus abgefaßt worden, werde ich nächstens in einem Anhange zu meiner Antwort auf Herrn Hofapotheker Meyers in Stettin Anzeige, noch etwas antworten – ohne mich der Achtung und Freundschaft im geringsten unwürdig zu machen, welche der patriotische (aber manchen Sachen doch nicht wissende) Akatholikus für mich so öffentlich bewiesen. Man irret sich mit allen äußerlichen chymischen Auflösungen. D. Semler – – Was ich, in jenem Aufsatz im April,

*) „Ueber ächte hermetische Arznei, zweites Stük. „Zur Vertheidigung des Luftwassersalzes wider die Anzeige in der stettinischen Zeitung und in der Berlinischen Monatsschrift, April. Von dr. Joh. Sal Semler. Leipzig, bei Beer, 1786.“ 13 Bögen, 8. Die letzten 60 Seiten dieser Schrift (von 135 – 195) sind gegen den Thomas Akatholikus gerichtet.

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über H. Semlers große und von jedem aufgeklärten Deutschen nie zu verkennenden Verdienste im Gebiete der theologischen Gelehrsamkeit gesagt habe, sollte weder das Publikum noch Hrn. S. selbst für mich bestechen. Es ist die volle Ueberzeugung meines Verstandes und die dankbare Empfindung meines Herzens; und es gehörte hieher, theils um zu zeigen, daß ich nicht unfähig sei, über den Mann zu urtheilen, theils um Ihn mit sich selbst zu vergleichen und aus sich selbst zu widerlegen. Wo ich aber von ihm abgehe, habe ich mich so freimütig ausgedrükt, wie es Gelehrte, die die Wahrheit ohne andre Rüksicht suchen, thun dürfen; und ich habe mich dadurch freiwillig auch seiner stärksten und freimüthigsten Widerlegung bloßgestellt. Auf meine Achtung und Freundschaft kömmt es hiebei nur wenig an; und ich verdenke es weder Hrn. Semlern noch sonst Jemanden, der meine Behauptungen ungegründet und unvernünftig, oder wie es ihm sonst belieben mag, nennen will. Die moralische freiheit und Verschiedenheit der Denkungsart bei den Menschen, worauf H. Semler so sehr dringt, ist auch meiner Ueberzeugung nach höchst wichtig, und mehr wehrt als – Komplimente oder Persiflage. Nur über einen Punkt muß ich mich bei diesem Streite beschweren, den man von H. Semler nie, und am wenigsten nach einer solchen Erklärung wie die in der Hallischen Zeitung, hätte erwarten lassen sollen: über den

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gehässigen Schein, welchen er der moralischen Gesinnung und den Absichten seines Gegners zu geben suchet. Ich führe diese Beschwerde gegen den sonst vortrefflichen Mann darum hier laut und öffentlich, um, soviel an mir ist, diesem Uebel steuren zu helfen.
Hr. Semler redet gleich im Anfang (S. 87/88) von der Beobachter (Prüfer, Untersucher des Universalmittels) eigener besonderer Absicht, eigennütziger Absicht; und durch die ganze Schrift kömmt es bis zum Ueberdruß oft vor, daß „freilich dies Universalmittel die Einnahmen der Apotheken verringen werde, aber darum doch die Apotheker gegen dasselbe tolerant sein müßten. Es könnte ja kein Bürger gezwungen werden, jährlich für eine bestimmte Summe Arzenei aus den Apotheken zu nehmen, u.s.w.“ Wenn also die Chemiker Klaproth und Meier das Luftsalzwasser prüfen, so soll, darum weil sie zugleich Apotheker sind, des Resultat ihrer Untersuchungen verdächtig sein. Sie sollen nicht mehr für ganz ehrliche unparteiische Männe gelten; sie sollen nach gewinnsüchtigen Absichten handeln.

) Diese Art zu wi-
) Aber Hofrath Karsten ist doch kein Apotheker! Dieser gelehrte und treffliche Mann hat ganz neulich nit einer sehr gründlichen Aufdekkung der seltsamen Verirrungen des Hrn. D. Semlers und der Charlatanerie des Luftwassersalzes, „das erste Heft seiner physisch-Chymischen Abhandlungen“ (Halle, 1786, gr. 8) eröfnet. Gott schenke dem unermüdet fleißigen Manne die Gesundheit, welche ihm itzt (nach seiner Vorrede) fehlt!

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derlegen treibet Hr. S. so weit, daß, da er mich nicht kenne und nichts persönliches von mir wissen kann, er doch auch meiner Absichten mit einem Gedankenstriche erwähnt, den nun jeder nach Belieben deuten kann. Ich sagte und sage es noch einmal: Wenn allgemeine Arzenei ein Mittel heißen soll, das in allen Krankheiten sicher gebraucht werden kann; so verdient eine Drachma guten reinen Wassers oder eine Pille von wohl ausgebakkenem Brote auch eine Universalmedizin zu heißen. Hierüber sagt nun Herr S. (S. 149): „Lieber Akatholikus, hier scheint doch eine – – – Absicht gar zu hell, gar zu kenntlich durch; und Sie hätten doch alle Blößen recht sorgfältig vermeiden und verhüten sollen; Ihre ganze Sache hat ohne hin eine sehr unbequeme Lage“ (ohne Zweifel), weil alle Leser sogleich meine parteiischen Absichten errathen). Ferner S. 161: „Wer ist denn bei meinem Loben des Luftsalzwassers in Gefahr oder Verlegenheit? Gar niemand, als – – ; denn alle Zeitgenossen können ja selbst prüfen, , u.s.w.“ Ich bitte Hr. S. aufrichtig, diese Gedankenstriche auszufüllen, und geradezu der Welt und mir zu sagen, was ich für Absichten bei meiner Schrift gehabt habe. Eine andere Stelle scheint mir hin –

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gegen deutlicher. Ich hatte gesagt: Hr. S. habe sich gutmüthigerweise durch seinen Hang zu litterarischen Untersuchungen verleiten lassen u.s.w. Dies erwidert Hr. S. so (S.159): „Sie reden nicht gutmüthigerweise, sondern von –– – verleitet; Sie setzen mit vielen andern Aerzten und Chemikern nach Belieben fest, es gäbe keine andre Chemie als die pharmakeutische oder äußre.“ Hier können die drei Striche wohl schwerlich etwas anders heißen, als: ich sei von den Berlinischen Apothekern mit wohlschmekkender Waare, oder war es mit baarem Gelde? bestochen worden. Freilich, wenn Hr. S. das genau weiß, so hat er Recht zu sagen: ich rede nicht gutmüthigerweise. – Eine eigennützige Absicht meiner Schrift leuchtet ihm so ein, daß er bis zum Ueberdruß oftfragt: was es mich denn angehe? was ich für Vortheil oder Verlust dabei habe? Sogar S. 139: „Haben denn Siie selbst Schaden davon, wenn freie Menschen durch Mesmers magnetische Kraft sich kurirt finden oder glauben? Und wenn es noch immer ehrliche oder unehrliche Liebhaber einer so genannten Magie giebt; haben Sie denn Schaden davon?“ – Wie! Wenn eine Menge Menschen an falsche Arzenei glauben und darüber wahre Heilmittel versäumen; wenn unredliche Magi ganze Gesellschaften dem Willen, und der Herrschaft unbekannter Obern Preis geben: so sollen Patrioten und Men-

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schenfreunde still sitzen? sollen die greulichen Verirrungen ihrer Brüdernicht für eignen Schaden halten? ... Was hatte denn Hr. Semler für Schaden von all den Thorheiten, denen er sich bis itzt so männlich widersetzt hat? war er nicht unparteiisch? und darf das Niemand außer ihm sein?

Anfangs dachte ich, jene öftern Gedankenstriche bei meinen Absichten sollten heißen: feindelich gegen das Christenthum, oder wenigstens naturalistisch gesinnt. Ich erschrak zwar, wie ein Semler sich solche Konsequenzenmacherei erlauben könne; sich erlauben könne, durch solche Winke seinen Gegner dem allgemeinen Hasse Preis zu geben, welcher bekantlich in ganz Deutschland jedem erklärten Unchristen folgt. Indes schienen einige Stellen seiner Schrift mich deutlich auf diese Erklärung zu leiten. Er nennt sich und die Freunde des Luftsalzwassers ein paarmal im Gegensatze von mir, Christen; er setzt ein paarmal meinen Aufsatz im April in Parallel mit der mir nicht bekannten, aber von ihm als plump und boshaft angegebenen Widerlegung der Vertrauten Briefe über die Religion von einem Ungenannten, von welcher ich noch die erste Zeile in meinem Leben sehen soll. (Z.B. S. 131; vorzüglich auch S. 176). Am Ende fand ich aber doch, daß ich geirrt hatte. Allein worin geirrt? Nur darin: daß Hr. S. durch bloße Winke, durch Gedankenstriche mich eines Angriffs auf das Christentum beschuldige; er thut

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es nemlich ganz unverholen undgeradezu. Man s.S. 184, 185, und folgende. Z.B. Ich hatte mich gegen alle Arkana erklärt. Hierauf sagte Hr. S. (S. 185): „Es soll und muß gar kein Arkanum in der Physik geben.“ (nemlich, nach meiner Behauptung), „damit“ (so sicher erräth er meine Gedanken!) „damit es auch in der Religion geradehin kein Geheimnis für gute zufriedene Christen mehr geben dürfe!“ Nur in dieser Rüksicht konnte er auch meinen ganz simplen Angrif auf das Luftsalzwalzer (S. 139) einen so studirten, wohl präparirten Angrif nennen. – Glükliches, ja heiliges Luftsalzwasser! Also hängst auch du mit den Geheimnissen der christlichen Religion zusammen! Also stehn deine Flaschen auf dem Altareder Mysterien des Christenthums, und Niemand kann jene herabnehmen, ohne diesen zu entweihn! ... Und das sagt ein – Semler! Freilich mag erwohl hiedurch viel tausend Christen gegen mich empören. Aber, ist er denn auch jenen frommen Christen keine Rüksicht schuldig, welche gern alle von Gott ehemals durch Apostel und Propheten offenbarte Geheimnisse annehmen, deren Verstand sich aber ein wenig gegen die itzigen Offenbarungen durch Barone und Grafen sträubt? Ist er mir Unbekanntem keine Rüksicht schuldig, der ich bloß gegen den itzigen Aberglauben streite, ohne auch nur von weitem des altenm ehrwürdigen Glaubens zu erwähnen?

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Herr S. entdeckt nicht nur meine gorttlosen Absichten, sondern auch all derer, mit denen er mich nur einigermaßen in Verbindung glaubt,. Nicht nur ich selbst, sondern auch die ganze Berlinische Monatsschrift soll herschsüchtig sein. S. 137: „Akatholikus wird so intolerant, so despotisch, als wir es sonst den Jesuiten und unmoralischen Pfaffen Schuld geben.“ S. 138: „Heißt dies nicht ex tripode allen Menschen befehlen?“ S. 142: „Mir ist es unerwartet, daß in dieser Monatsschrift, die zu gemeinnütziger Aufklärung bestimmt ist, zuweilen ein Conqueranten-mäßiger Ton eingeführt wird.“ S. 162: „Unsre ganz artige, seltsame, stolze, gebieterische Meister der Aufklärung leiden es gar nicht gern, daß man frei und ehrlich hier handle.“ S. 182: „Die gewöhnliche Ordnung des menschlichen Wissens und Handelns wird durch solche Mandate gestört. „ Und an vielen andern Stellen mehr, von Mandaten und Befehlen ... Und so redet ein – Semler! Die Sache ist diese. Herr S. sagt, ohne zu beweisen: Das Lustsalzwasser ist vortreflich. Ich sage und beweise: 1) es taugt nichts, und 2) Herr S. kennt es nicht. Warum heißt meine Behauptung ein Mandat, und die seinige nicht? So hat, so viel ich weiß, noch immer die Monatsschrift geredet; hat Gründe und Beweise gebraucht, hat die ihr schiklichst dünkende Art des Vortrags gewählt: aber nie einen

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Menschen weder physisch noch moralisch gezwungen, der vorgetragenen Meinung zu sein. Hr. S. sagt mit S. 141: „Unsre Gedanken und Urtheile sind doch ganz frei. Lachen Sie, keifen Sie, rügen Sie; nur weiter gehen Sie nicht!“ Wer es also nicht besser weiß, kann, auf diesen Ausdruk des Hern. S. immerhin, glauben: ich sei wirklich weiter gegangen, ich hätte es bei Polizei und Gerichten gemeldet, ich hätte obrigkeitliche Hilfe gesucht. Wozu dieser gehässige Wink? – Eine vorzügliche Intoleranz findet Hr. S. in meiner Behauptung: Daß das Unkraut (geheime Dinge zu glauben) ganz müsse ausgerottet werden; denn wolle man sich durch Ein Arkanum täuschen lassen, so öfne man allem Wunderglauben unddem Heere der tollsten Magie Thor und Thüre. Diese Stelle läßt er S. 188 mit einer Deklamation, und wiederum S. 133 mit einer höchst seltsamen Frage abdrukken. Ich begreife noch izt nicht, wie ein konsequenter Mensch, der an eine Geistererscheinung, eine Desorganisationsgeschichte, eine geheimnisvolle Universalarzenei aus der sogenanten höheren Chymie, eine Legende von Metallverwandlung u.s.w. glaubt, sich entbrechen könne, jedem andern Mährchen solcher Art gläubig nachzulaufen. (Begreift Hr. Semler das, so mache eres mirdeutlich!) Daher sage ich: um sich vor dem ganzen Heere der Magie und vorallem dem Wunderglauben zu retten, muß man sich von

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keinem einzigen Arkanum täuschen lassen, muß das Unkraut des Wunderglaubens ganz ausgerottet werden. Hiebei thut Hr. S. die unerhört seltsame Frage: „Aus waser Macht wohl?“ Ich antworte: aus der Macht des Syllogismus! Ich sage ja nicht absolute: Dieser einzelne Wunderglauben muß aus der Welt; ich sage nur: er muß bei demjenigen fort, der vor allem andern Wunderglauben sicher sein will! Antwortet mir Jemand: ich befinde mich aber bei dem weit ausgebreitetesten Wunderglauben recht wohl, ich will (wie jener Geistliche in Frankreich) um das Maaß meines Verdienstes recht voll zu machen, auch noch alle Feenmährchen dazu glauben; so sage ich: Immerhin! meinetwegen! wenn du so denkst, dann geht dich meine Regel nicht an! Aber diese Regel scheint mir noch immer richtig; und jenes Räsonnement dagegen kömmt mir vor, als wenn Semler sagte: Um ein gründlicher Theologe zu sein, mußt du Philologie und Kirchengeschichte lernen; ind Jemand erwiderte: „Ei was müssen? was hast du uns zu befehlen?“

Nicht bloß dieBerl. Monatsschrift, auch ganz Berlin muß es entgelten, daß ich die Wunderkräfte des Luftsalzwassers bezweifle. Freilich hat Her. S. es richtig errathen, daß ich ein Berliner bin; aber was kann die übrige ganze Stadt dafür? Hat doch Hr. Meierin Stettin, und Hr. Karsten in Halle mit mir hierin gleich gedacht! Nun

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aber heißt es bei Hr. Semler ´, S. 140: „Welche Vergewaltigung und Berrschung wollen Sie einführen, um die Ehre zu haben, daß Ihre Berlinische Sentenz in der Menschenwelt allein auf dem Throne sitze, gehe es unserer Gesundheit, ja unserm eigenen Verstande wies will. S. 142: „In der Monatsschrift wird ein konquerantenmäßiger Ton eingeführet, also müsse wirklich aus der Residenz, die freilich über alle Königl. Provinzen die Befehle des Königs ausbreitet, ebenfalls das Normale und Universale über alle Königl. Provinzen, ja noch weiter, in Absicht aller Grundsätze aller menschlichen Kenntnisse sich an abhängige gehorsame Leser abgeben lassen. S. 183: „Ich habe mir nicht aus Berlin das Maaß geben lassen, wie weit ich nich fortarbeiten müsse.“ S. 195: Das muß wirklich nur die Vernunft in Berlin sein“ (über die Stelle aus Markards Briefe, der doch bekanntlich ein Hannoveraner und folglich kein Berliner ist) .... Zu solcher Art des Argumentirens bei einem gelehrten Streite läßt sich ein – Semler herab! Was soll man dazu sagen!Ist denn wirklich schon je ein Berlinischer Gelehrter so unvernünftig gewesen zu verstehen zu geben, er sei, als Berliner, im chemischen, historischen, theologischen Fache, weiter als andere Menschen? Hat die B. Monatsschrift nicht, offenbar, sehr gern Beiträge von Preußischen Gelehrten außer Berlin, und unter andern

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vornehmlich auch aus Halle, bekant gemacht ? Hat manhier durch irgend einen Angrif auf andre Städte sich etwa so geschändet, wie Paris sich durch seine Verachtung der Provinzen schändet? Noch mehr! Hat man hier nicht immer manche Anstößigkeiten von Berlin, und zwar viel mehr als von irgend einem andern Orte, öffentlich und freimüthig gerügt? Hat man nicht selbst mit Berliner Gelehrten Streit geführt? Kurz, wo ist ein Anschein, daß man hier diese elende verächtliche Denkungsart habe: als vergöttere man alles Berlinische, und als würde ein Kant, ein Karsten, ein Eberhard, ein Semler, einGarve, ein Pauw, ein Rochow, ein Resewitz, ein Sprengel, ein Gökingk, ein Funk, ein Schneider, – und alle übrige verdienten Männer des gelehrten Standes inallen Gegenden und Theilen des Preußischen Staats, um nicht von den höhern Ständen zu reden, darum hier nicht nach Würden geschätzt, weil sie nicht in Berlin wohnen? – Die Rede war ja nur vom Luftsalzwasser, das weder in der Provinz fabriziert noch verkauft wird; und man wunderte sich nur hier, wie in Stettin, und wie in Halle selbst, daß ein Hallischer Theolog es empfehlen konnte!

Damit aber dies aus einem Mittelsalz und Urinmagma bestehende Luftsalzwasser bei Ehren bleibe, muß die Berlinische Denkungsart lieber als eitel und eigensüchtig, muß die Monatsschrift, welche gegen Hr. Semlers Behauptungen meine

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Zweifel vorträgt, als despotisch und intolerant, muß ich, wegen meines Aufsatzes im April, als ein Bestreiter der Geheimnisse des Christenthums. ja als ein bestochener parteiischer Schriftsteller, erscheinen! Solche harte gehässige Verunglimpfungen erlaubt man sich; so sucht man, um des Gegners Gründe zu entkräften, dessen moralischen Wert zu verkleinern! Und das thut einer der ersten Gelehrten Deutschlandes, eine Theologe, ein Semler, – um eine spagyrische und alchymische Grille nicht fallen zu lassen! Wahrlich „das Unkraut muß wohl ganz ausgerottet werden; die zurückbleibende Faser einer einzigen Wurzel wuchert sonst unbemerkt fort, und verdirbt dann plötzlich den besten Akker.“ Selbst ein Semler konnte dahin kommen, so zu verunglimpfen! konnte durch sein Beispiel diese Pest der gelehrten Streitigkeiten verbreiten helfen! Nur, weil er es that, habe ich dies Verfahren der gerechten Mißbilligung der Zeitgenossen darstellen wollen. Wollte Gott, daß diese Darstellung, wenigstens auf eine Zeitlang, abschrekkend sei! – Ich konnte übrigens bei diesen Animositäten des Hr. Semlers auch darum um so weitläufiger sein, weil er in der Widerlegung meiner Gründe eigentlich – gar nichts sagt. Das Nichts will ich noch mit kurzem dem Leser vortragen.

Ich schrieb (April S. 344), und ich denke, jeder Vernünftige wird mir beipflichten: Ein Heil-

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mittel kann nur auf zwei Arten untersucht und geprüft werden; entweder durch die oft wiederholte Erfahrung seiner Wirkungen auf kranke Körper; oder durch chemische Untersuchung des Mittels selbst. – Die letzte Untersuchungsart verwirft H.S. itzt durchaus, und dringt bloß auf die erste. *) Ich glaube, mit Unrecht,; da die Resultate der Chemie viel gewisser, als bei der Medizin sind. Was aber noch schlimmer ist: er spricht sehr verächtlich von der von ihm sogenannten gemeinen oder äußern Chemie, im Gegensat der geheimen oder höhern. Wenn doch H.S. sich nurerst legitimirt hätte, überhaupt von Chemie reden zu können! wenn er doch nur nicht Fehltritte machte, worüber der äußerste Anfänger der gemeinsten Chemie lachen muß! – **) Es sei den; also zur medizi-

*) S. 140. „Den Aerzten, Apothekern steht frei, noch mehr zu schreiben, und Experimente (vergebliche, ganz und gar unnütze) zu machen; wir machen lieber Experimente damit in einem lebenden animalischen Körper, wozu die Fraft, von der die Rede ist, natürlicher weise in physischer und allgemeiner Ordnung gehört.“ S. 156. „Die Natur, die innere Bewegung der unsichtbaren Substanz wird verändert durch die chemische Zerlegung; im animalischen Körper aber ist sie alles was sie sein konnte. Ich lasse es recht gern auf diese Probe der Menschen ankommen; jene chemischen Anweisungen aber, u.s.w.“ Und an vielen andern Orten mehr.

**) Herr S. behauptet: „die Blüten aller Metalle seien im Antimonium, und daher kämen die bunten Farben auf den Silberblättchen, die mit der gepulverten Miner des heiligen, des wundervollen Antimoniums bestreut sein. Von diesem Experiment habe kein Gelehrter was gewußt; es gehöre wohl unter die Prämissen der hermetischen Arbeuten.“ Karsten (a.a.O. S.24) antwortet ihm: in der Miner des Antimoniums ist Schwefel, die entwikkelten feinen brennbaren Theile bewirken daher den Erfolg; wie bekanntlich Silber von Dünsten anläuft. – Herr S. behauptet: er habe aus diesem Urinluftsalzwasser, ja aus Zukkerkant und Austerschalen, lebendiges Gold hervorgehn sehen, das zusehends zu dem hellsten, reinsten Golde war und Gold blieb! (Das ist doch noch ärger, als Gras wachsen hören!) Da nun dies bezweifelt wird, sagt er itzt S. 168 und 170: „Ich habe doch wohl auch gesunde Augen; und was die Goldstäubchen betrifft, kann doch wohl das Vergrößerungsglas entscheiden.“ Wie! um zu entscheiden, ob ein rothgelber Schmutz Gold ist, kömmt es auf das Sehen an ...! Wo ist denn dies Gold geblieben,? ist es etwa – o noch größeres Wunder! – wiederzu Zukkerkant und Austernschale geworden? Warum wird es nicht chemisch untersucht? warum schikte es Hr. S. nicht, wie seine Exhalationen des Antmoniums, an die Akademie der Wissenschaften? oder nur zum nächsten Goldschmied oder Juden?

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nischen Prüfung dieses Universalmittels! Hier unterschied ich wiederum, zufolge seinervErzählung, zwei Fälle: 1) die Wirkung an Hrn. Semlers eigenem Körper: 2) die Wirkung bei Andern. 1) s. April S. 345: Herr S. hat es selbst genossen; aber er war damals nicht krank, und konnte also auch nicht gesund davon werden. Es folgt also weiter nichts

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als daß er nicht krank davongeworden ist. Dieses nennt er itzt S. 150 eine unwürdige Spötterei, und sagt S. 148: „es sei den doch eine herrliche Wirkung einer Präservativkur.“ Das soll wohl einganz ernstlicher Beweis sein! Der Leser mag entscheiden. 2) April, S. 346: Herr S. hat auch dies Mittel an andre geschikt; aber er meldet gar nichts von dessen Wirkung, augenscheinlich wohl, weil er nichts davon zu melden hatte. Hierüber sagt er itzt S. 151: „An solche Kleinigkeiten hält sich der liebe Akatholikus!“ Wie? sind das Kleinigkeiten, wenn manin einer historischen Sache (wie es Hr. S. immer nennt) keine Fakta zum Beweise anzuführen hat? ... Dies und gerade nur dies sind die Widerlegungen meiner begründeten Zweifel. – Nur erst itzt führt er S. 163 aus einem Briefe eines Hrn. Bährens (dessen Talent in medizinischen Beobachtungen wohl niemand kennt) zwei Fälle an: daß ein Hypochondrist, und ein Wassersüchtiger durch gebrauch dieses Mittels gesund geworden. Dagegen erzählt Hr. Karsten (S. 29,66): daß es einem Kranken in Halle (den Hr. Semler ja selbst befragenkann) gar nichts geholfen hat.

Will Hr. Semler etwa künftig eine lange Namenliste der durch dies Mittel genesenen Kranken aufführen; so sage ich ihm zum boraus: daß dies noch nichts beweiset. Man hat ja Namen bei Tausenden von Menschen, die durch Mesmers Berüh-

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ren, durch Gaßbers Beschwören, durch Labre’s Fürbitten gesund geworden; unddarum ist doch nichts von allem dem wahr. Auch thut die Einbildungskraft sehr viel. Ferner ( wie Franklin über Mesmers Kuren sagte, B. Monatsschr. 1785, Jan. S. 26): Es läßt sich nie unwiderlegbar machen, ob in einem gegebnen Falle nicht die Natur selbst einen Kranken, ohnedas gebrauchte Mittel, ja vielleicht gegen dasselbe, geheilt hat. Da dies bei Arzeneimitteln, die jeder kennt, der Fall sein kann; wie ließe sich denn von der endlichen langsamen Genesung so sicher auf die Kraft eines Mittels schließen, das bis itzt ganz unbekannt und unerhört war? Dazu kömmt, daß die Kranken vorher, und selbst während dieser Kur, ordentliche Arzeneien nehmen; ja Hr. Baron von Hirschen selbst andere Mittel, als Dekokte von Kinarinde und Guajakholz, zur Ergänzung der Kur empfiehlt. *) – Also nur mehrere sehr genaue, von sehr erfahrnen Aerzten angestellte Beobachtungen könten die Heilkraft des Mittels bestätigen. Weit sicherer aber läßt es sich chemisch prüfen; wodurch, wie Karsten in seiner Schrift gründlich bewiesen hat, nichts vonder Heilkraft desselben verlohren geht, obgleich Hr. Semler, und freilich nicht

*) S. Baron von Hirschen gründliche Anweisung das Luftsalzwasser zugebrauchen, S. 7,12.

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ohne Grund, gegen alle chemische Versuche protestirt.

Ich wiederhole also: Hr. Semler hat nichts von seinen Behauptungen bewiesen, nichts von meinen Gründen widerlegt; unddoch ein zweites Büchlein geschrieben, deren er auf die Art hunderte schreiben kann. Er hat das Luftsalzwasser nicht untersucht, er weiß nicht was zur Untersuchung einer Arzenei gehört; und hat dies Mittel doch nachdrüklichst empfohlen. Er hat die alten vorgeblichen Wundermittel der hermetischen Schriftsteller nie gesehn, geschweige nachgemacht, oder untersucht; und behauptet doch zuversichtlich, sie seien völlig eins mit dem Hirschenschen Luftsalzwasser. Er weiß nicht, welche Höhen und Tiefen die von ihm sehr unüberlegt so genannte gemeine Chemie hat (Scheele ein gemeiner Chemiker! das sagt Semler!); und nimt sich doch heraus, sie gegen die lügenhafte höhere Chemie zu verachten. Er kann die Mährchen der Metallverwandlungen nicht historisch erhärten, ihre Quellen nicht kritisch bestimmen; und doch führt er sie, wie allgemein angenommene klassische Schriftsteller, an. Er weiß nichts von chemischen Prozessen, er weiß nicht was Gold ist; und doch soll ihm die Welt glauben, ein andrer Körper könne zu Gold werden. – – Mag man dies hart nennen! Es ist nicht härter, als es wahr ist; nicht härter, als die

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Gefahr der Verführung zu reden gebeut, welche sein Ansehn bewirken kann. *) Will Hr. Semler dies widerlegen, so ist es nicht genug, schnell ein Büchlein dagegen zu schreiben; es gehören Untersuchungen dazu, die mehr Zeit erfordern, ja die wahrscheinlich sein zu andern großen und nützlichen Geschäften bestimmtes Leben ganz einnehmen könnten.


Eigentlich habe ich es nur mit Hrn. Semler, nicht mit Hrn. Baron von Hirschen selbst, zu thun. Nicht das neue Universalmittel, nur Semlers Anpreisung desselben, konnte mir wichtig genug sein, so weitläuftig davon zu reden. Indeß, da Hr. B. v. Hirschen zheils Hrn. Meier in der Stettiner Zeitung **) hat widerlegen wollen, theils auch einen Aufsatz gegen mich an die Hrn Herausgeber der Monatsschrift, mit dem Verlangen ihn

*) Ich könnte hinzusetzen: Nicht härter, als seine Verunglimpfungen des moralischen Charakters seiner Gegner. Aber ich rede wahrlich, nicht zur Erwiederung oder aus Empfindlichkeit wegen seiner Angriffe auf mich, so hart; sondern bloß der Sache selbst wegen.
**) Nr. 28 vom 7. April 1786. Hr. Meier hat Nr. 33 derselben Zeitung gründlich darauf geantwortet.

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abgedrukt zu wissen, eingesandt hat *); so muß ich mich auch noch wohl zu ihm wenden. Aber ich

*) Wir haben dies Verlangen des Hrn. Baron vonHirschen, um völlig unparteiisch zu sein, diesmal genau erfüllt, und liefern seinen Aufsatz hier ganz. Nur ward er natürlich vorher demjenigen, an den er gerichtet ist, aus gleicher Unparteilichkeit mitgetheilt, um zu sehn, ob er sich dagegen rechtfertigen könne. Anmerk. der Herausgeber.

**) An Herrn Akatholikus. Mein Herr! Sie haben in der B. Monatsschr. April S. 339 alle nur mögliche Gelehrsamkeit und Witz, beinahe könnte ich auch sagen Meimtükke, aufgefordert und verschwendet, um mich und meine Arzenei recht verdächtig und lächerlich zu machen. Da Sie keine Beweise für Ihren Satz haben als: es kann nicht sein und Sie einmal schreiben wollten, verdenke ichs Ihnen nicht, daß Sie zu der Gelehrsamkeit Ihre Zuflucht genommen; und was die nicht ausriochten konnte, das mußte der Witz thun. Aber das muß Sie doch in den Augen jedes unparteiischen Mannes verdächtig machen, daß Sie so viel von Betrügerei, Marktschreierei und Gaukelei (S. 343, 354, 359) reden, da Sie selbst gestehen, daß Sie mich von Person nicht kennen, und Sie daher auch nicht von meinem moralischen Charakter zu urtheilen im Stande sind. Ein Mann aber, der sich mit Marktschreierei und Gaukelei (wie Sie gütigst oder ungütigst meinen Arzeneihandel zu benennen belieben) abgiebt, das ist doch ein Betrüger; und das ist doch fürwahr ein arg Stük, so was einen Mann zu beschuldigen, von dem man mit Wahrheit gewiß nicht wird sagen können, daß er nur je einen Menschen im geringsten betrogen hat. Sie sagen S. 333: „Er (nemlich ich) soll für 1 Unze seines Luftsalzwassers sich zuweilen 1 Rthlr. zuweilen gar 1 Dukaten zahlen lassen.“ Wissen Sie, mein Herr, daß wenn ich Sie nicht zu gering schätzte, ich alleinüber diesen Punkt vollkommen berechtigt wäre, öffentliche Genugthuung von Ihnen zu verlangen; denn Ihr verkappter Name würde bald heraus zu bringen sein; und schon darin liegt was unedles, daß, wenn man über jemand Anzüglichkeiten schreibt, man nicht das Herz hat, seinen wahren Namen zu sagen. Wissen Sie, daß ich nie mehr als 4 Gr. pro Dosis, und das auch nur eine kurze Zeit gleich am Anfange fenommen habe, bald darauf die Dosis für 2 Gr. 10 Pf. und also 24 Doses für 1 Dukaten verkauft habe, und bis jetzt verkaufe; und wägen Sie einmal 24 Doses, wieviel Unzen diese wiegen, und ob Sie da nur für 3 Pf. Salz darin finden werden. Diese Probe kann jedermann machen. Und wenn Sie mir einen Menschen aufweisen können, der da sagen kann, daß ich je mehr als itzt gesagt für meine Arzenei genommen, oder daß ich je jemanden ein Douceur abgefordert oder angenommen hätte; dann schwöre ich hiermit feierlichst, will ich mich öffentlich selbst vor aller Welt einen Betrüger nennen. Aber ich kann Ihnen sehr viele aufweisen, die ich ganz umsonst geheilet, ja ihnen noch Geld obendrein gegeben habe.
Litte durch den Ausfall, den Sie auf meine Wenigkeit gemacht haben, kein anderer als ich; so würde ich mir gewiß, das kann ich Ihnen heilig versichern, nicht die allergeringste Mühe geben, mich zu vertheidigen. Denn glauben Sie mir, ich bin sicherlich stark genug, die größten Beleidigungen kaltblütig ertragen zu können; völlig überzeugt, daß nur die einige wahre Ehre in dem Bewußtseinbesteht, nie unedel gehandelt zu haben, und diese Ehre kann mir keine Lästerzunge rauben. Diese Gesinnungen von Ehre werden Sie so gut für ein Unding halten, als Sie Universalarzzenei, Magie und Goldmacherei darum dafür erklären, weil Ihnen diese Sächelchen fremd, unbegreiflich und unbekannt sind. Aber wie beschränkt ist doch aller Menschenverstand! – – Ich wiederhole es noch einmal; litte durch die Beleidigungen, die Sie auf mich (freilich so wie jene Schlange unter einer andern Hülle) gewagt haben, keiner als ich; ich antwortete Ihnen sicher nicht. Meine Ursachen haben Sie bereits gehöret. Allein da ich allgemeinen Nutzen zu stiften suche; da auf die Achtung und Verachtung, die das Publikum für mich hat, sehr viel ankommt, ob mein Entwurf ausgeführt wird; da, sage ich, wenn man mich achtet, meine Arzenei gekauft, und manchem rechtschaffenen Manne geholfen wird, wenn man mich aber verachtet, meinen Worten auch nicht geglaubet, folglich auch meine Arzenei nicht gekaufet, natürlich auch wenigstens nicht durch dieselbe dem Kranken geholfen wird, und hierunter also das Publikum leidet; bloß darum allein, aus dieser Ursache, sehe ich mich gemüßiget, so ungerne ichs auch thue, mich zu vertheidigen. Hoffen Sie aber nicht, daß ich mich mit Ihnen in einen gelehrten Streit einlassen werde; denn 1) ehre ich die Gelehrsamkeit zu sehr, als daß ich mich, der ich davon gar nichts verstehe, in dieses Feld mit Ihnen wagen sollte, 2) wird durch alles pro und contra Disputiren immer nichts ausgemacht. So viele und große Gelehrte wir auch haben, so haben sich die mehresten derselben, zwar auf verschiedene aber doch nur ganz besonders auf ein Fach gelegt, und solches zu ihremLieblingsstudium gemacht. Also nur der von Vorurtheilen freie und unparteiische Chimist kann urtheilen, ob Sie oder ich Recht haben; das Publikum aber, für das Sie schreiben und ich arbeite, nicht! Der Witz aber ist mir zu verächtlich, als daß ich mich zu demselben in dieser Sache erniedrigen sollte.
Suchen Sie durch Ihr Ansehn, oderdurch Ihre Freunde, oder (wenn Sie würklich ein wahrer Menschenfreund sind) bei Sr. Maj. dem Könige, es dahin zu bringen, daß mir aus den Lazarethen 24 unheilbare Personen, und eben so viel Pferde, oder anderes Vieh gleichfalls unheilbar, in einem Hause und Stalle ganz allein unter meine Aufsicht gegeben werden; dann will ich Ihnen beweisen, daß ich den größten Theil dieser kranken Menschen ganz allein mit meinem so sehr von Ihnen verachteteten Luftsalzwasser, und das Vieh auch ganz allein durch ein andees Pulver, (hierüber kann man mir einen gewissenhaften Mann zur Aufsicht bestellen) wieder herstellen werde; und dann soll das gesammte Publikum Richter sein, ob ich ein Betrüger bin, oder Sie ein boshafter Mann sind, daß Sie einen Mann der Marktschreierei und Gaukelei beschuldigen, einen Mann, der vielleicht Ihrer Achtung nicht unwürdig wäre, wenn Sie ihn, seine Denkungsart, und seinen heißen Durst Gutes zu stiften, näher kennen würden.
Nach Ihrer und Ihres Herrn Chimico Bemerkung, soll meine Arzenei aus weiter nichts, als aus Urin und Seidlitzer- oder Glaubersalz bestehen; folglich ist der Proceß so ganz einfach, daß man weither nichts nöthig hat, als das Salz aufzulösen und Urin hinein zu thun. Dazu hat man aber doch (so viel Kenntnis werden Sie doch von der Chemie haben) weder Kolben, Retorten, Alembicen etc. nöthig. Was werden Sie aber dazu sagen, wenn Ihnen fast ganz Dresden bezeugen wird, daß ich ein sehr großes wohl eingerichtetes Laboratorium habe; wenn ich Ihnen durch alle hiesigen Glashändler beweisen kann, daß ich von ihnen zu Dutzend Kolben, Retorten u.a. gekauft, ja gar aus Leipzig habe kommen lassen? Dieses beweist doch meines Erachtens zur Genüge, daß wenigstens der Proceß meiner Arzenei nicht so leicht, und ich nicht bloß der Verkäufer sein kann, wie Sie S. 356 zu bemerken belieben, sondern würklich selbst der Verfertiger sein muß. Dergleichen Beweise von der Unrichtigkeit Ihrer Angaben könnte ich Ihnen viele geben. Allein die That, meine mit meiner Arzenei gemachten glücklichen Kuren, soll für mich reden; denn Worte beweisen nichts. Noch vor 10 Jahren hätten Sie gewiß mit aller nur möglichen Spitzfindigkeit, Witz und Gelehrsamkeit überzeugen und beweisen wollen, daß man nicht in die Luft fahren könnte; und jetzt fährt man doch. Wie wenig kennen Sie doch, und die größten Gelehrten nicht ausgenommen, die Kräfte der Natur? Es ist hier nicht von Wundern die Rede, die ich gar nicht statuire. Je mehr und weitere Kenntnisse wir in der Natur erlangen, desto mehr sind wir im Stande Sachen herauszubringen, die der eine für Wunder hält, der andere aber für Schwärmerei und Betrügerei erklärt. Sie werden nie von mir gelehret oder gehöret haben, daß ich meine Arzenei für das ausgegeben wofür sie Hr. D. Semler ausgiebt; desfalls werde ich mich aber doch wohl hüten, Hrn D. Semlern zu beschuldigen, daß er sich geirret, oder Fakta erzählen sollte, die er nicht vorher genau untersucht hätte. Ihn aber desfalls lächerlich zu machen, das kann nur derthun, der mehr Witz als Verstand und gutes Herz hat; und ist auch nicht der Weg, wodurch man einen Verirrten zurechte weiset. Hr. D. Semler kann in dem Fache weiter gekommen sein als ich, kann die nemliche Sache, die ich nur zu Einem Behuf zu brauchen weiß, zu mehreren Behufen brauchen können. Sie gestehen ihm selbst zu, daß er ein Wahrheitsliebender Mann ist; wiesollte es denn kommen, daß er in dieser Sache Unwahrheiten gesagt, und etwas behauptet haben sollte, was seit Jahrtausenden nicht geglaubt, ja für Chimären ausgegeben worden ist, ohne sich vorhero selbst untrüglich, und unbezweifelt überzeugt zu haben? Lässet sich das von einem Doktor Semler, der kein jungerhitziger Jüngling, sondern ein bejahrter Greis ist, wohl denken? In Ihrer Sprache zu schreiben, müßte ich auch hier deklamiren und ausrufen: o! der Thorheit, o! der Unüberlegtheit! – – Leben Sie wohl, und werden Sie einandermal vorsichtiger!
Dreßden, den 28. April. 1786 Leopold Freiherr von Hirschen.

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werde keines seinerSchimpfwörter und keinen seinerheftigen Ausfälle gegen mich, beantwor-

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ten, sondern sie geruhig, zur eignen Beurtheilung des Lesers, abgedrukt sehen; nur auf das, was

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eigentlich Sachen oder Gründe betrift, werde ich mich einlassen.

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Hr. v. Hirschen beschwert sich: „ich habe ihn einen Betrüger genannt.“ Allein, das habe ich

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nie gethan; und er ist unartig, daß er mich dessen durch Konsequenzenmacherei beschuldigen will. Ich rede ja überhaupt nicht von ihm, sondern von seinem hier chemisch untersuchten Luftsalzwasser, und von Hrn. Semler. Nur einmal in einer Note (April S. 355) führe ich ihn selbst an; und hier nennteich ihn einen Betrogenen, hier sage ich ausdrüklich: Ich kenne den Hr. Baron nicht persönlich, und erzähle bloß Fakta, ohne über ihnzu urtheilen. So werde ich mich auch itzt nicht, und nie, über sein Persönliches (da ich ihn nicht kenne) einlassen, und kann ihn also in dieser Rüksicht nie beleidigen; ich rede bloß von seiner Arzenei und seinen eigenen Aeußerungen und Versprechungen.

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In der angeführten Note steht auch: Er soll für 1 nze sich zuweilen 1 Rthl. zuweilen gar 1 Dukaten zahlen lassen. Dies kann unrichtig, und auch richtig heißen. Hr. v. H. versichert: Anfangs für die Dosis 4 Gr., also für die Unze *) einen halben Rthl. genommen zu haben; itzt nimt er für die Dosis 2 Gr. 10 Pf., macht für die Unze 8 1/2 Gr. Für 1 Dukaten bekömt man also von ihm 24 Doses; aber aus denselben erhält man, nach Abscheidung des Urinmagma, nicht mehr als 1 Unze 1 Skrupel 13 Gram eigentliches Salz, wie der genaue und gewissenhafte Karsten (von S. 38 – 40) gezeigt hat. Folglich kann man immer noch sagen: man kaufe die Unze Salz (2 Gr. werth) zu einem Dukaten; und es kömt nur darauf an, wie hoch dem Hrn. Baron sein urin, den er sich nach Hr. Semlers Versicherung aus dem Reiche kommen läßt **) , zu stehen kömt.

*) Drei Doses des Luftsalzwassers enthalten eine Unze desselben. S. Karsten, S. 32.
**) H. Meier sagte: „das Braune im Luftsalzwaser ist nichts als das Dikke, Magma, welches nach dem Absondern der bekannten Salze aus dem menschlichen Urin zurückbleibt. Man bedenke, wie ekelhaft die quelle ist, aus welcher diese Arzenei fließt, besonders wenn man nicht weiß, von wem der Harn zu dieser Mischung genommen worden ist. (Es ist nemlich nicht von den aus Urin bereiteten Arzeneien: Salmiak und Phosphorus, die Rede. Beide haben einen solchen Feuersgrad ausgestanden, daß dadurch alles eigentlich Thierische zerstört worden; und es ist also sehr gleichgültig, aus welcher Quelle der Urin hierzu geflossen, weil alles Ekle durchs Feuer davon getrieben ist. Dahingegen das Luftsalzwasser die Quintessenz des Eklen enthält.)“ Gegen diesen Grauen und Ekel erwekkenden Gedanken sagt Herr semler (S. 117): Wenn der Herr Baron, wie ich es meist gewiß weiß, im Reiche, wo lauter Wein getrunken wird, weil er wohlfeil ist, sich das Nöthige arbeiten und präpariren läßt,; so ist diese Bedenklichkeit schon viel geringer.“ Also giebt es unter den rheinländischen Weintrinkern keine Leute mit bösen geheimen Krankheiten!

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Die Chemiker klabroth und Meier bestimmen die Bestandtheile des Luftsalzwassers: theils Glauber, teil Seidlitzersalz, und Urinmagma. Damit stimmt am Ende der um Physik und Chemie so sehr verdiente Professor Karsten überein. – Hiegegen führt der Hr. Baron nun folgenden Beweis: „Zu einer solchen Mischung hat man doch weder Kolben noch Retorten nöthig. Was werden Sie aber dazu sagen, wenn Ihnen fast ganz Dresden bezeugen wird, daß ich ein sehr großes und wohl eingerichtetetes Laboratorium habe, wenn ich Ihnen durch alle hiesigen Glashändler beweisen kann, daß ich von ihnen zu Dutzend Kolben, Retorten, u.s.w. erkauft, ja gar aus Leipzig habe kommen lassen? Dies beweist doch, meines erachtens, zur Genüge u.s.w. Dergleichen Beweise von der Unrichtigkeit Ihrer angaben könte ich Ihnen viele geben.“ – Was

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ich dazu sage? Nichts, als daß ich den Hrn Baron bedaure! Erstlich darum, weil er etwas für einen Beweis ansieht was keiner ist; zweitens darum, weil er, welches aber bei hermetischen Mitteln gewöhnlich der Fall ist, etwas sehr leicht zu erhaltendes so mühsam ausarbeitet. Das hatte ich ja schon, April S. 356, erste Note, gesagt; das hat Hr. Karsten auch sehr treffend S. 31, 35 bemerkt. Auch zeigt die beständige Erfahrung, daß hermetische Mittel, nachdem profane Chemiker deren simple Zusammensetzung gewiesen haben, von den Meistern selbst wohlfeiler geliefert werden. – Eine . 356; und Karsten, S. 95, 96). Vor einigen Jahren war es ganz wasserhelle; itzt macht er (auf Anrathen eines Arztes, den Hr. Karsten kennet, und der sich freilich schämen sollte zu so etwas gerathen zu haben) einen Zusatz, wodurch es braun wird. Ist das bei einem so heilig anvertrauten Geheimnisse erlaubt? Verstattt sich aber der Hr. Baron, zu seinem Vortheil von der Verpflichtung des Geheimnisses abzugehn; o so gehe er doch zum allgemeinen Besten noch weiter davon ab, und nenne die Ingredienzien seiner Arzenei! Er betheuret ja, keinen übermäßigen Gewinn zu lieben; so sei er dann, als Verfertiger, mit dem Gewinne zufrieden, den Klaproth und Meier und jeder chemischer Ver-

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fertiger öffentlicher Arzeneien, von ihren Arbeiten haben!

In zwei Stükken weichen die beiden Freunde, Semler und und Baron von Hirschen, von einander ab. Das einemal glaubte der Eine von dem Luftsalzwasser mehr, das anderemal der Andere. – Hr. S. findet darin die alte ächte hermetische Arzenei, ja er nennt es die Vorarbeit zum Goldmachen. Hierüber sagt Hr. v. H.mit vieler Bescheidenheit (Stettin, Zeit. Nr. 28): „Ich habe als ehrlicher Mann, jedoch mit aller Achtung von dem H.D. Semler zu reden, nie das in meiner Arzenei gefunden und gesucht, was er vorgiebt. (Und oben): Hr. S. kann in dem Fache weiter gekommen sein, als ich, u.s.w.“ – Dagegen überholt er in einem anderen Punkte Semlers Phantasieschwung sehr weit. Dieser sagt zwar: das Luftsalzwasser ist eine Universalarzenei; setzt aber ausdrüklich, obgleich etwas unerwartet, hinzu: „eine allgemeine Arzenei ist kein Mittel, das alle Krankheiten heilen kann; sondern nur ein solches, das in allen Krankheiten sicher gebraucht werden kann.“ (April, S. 345). Dagegen sagt Hr. v. H.: „Suchen Sie es bei Sr. Majest. dem Könige dahin zu bringen, daß mir aus den Lazarethen 24 unheilbare Personen, und eben soviel Pferde oder anderes Vieh, gleichfalls unheilbar, gegeben werde; dann will ich – s. oben (S. 545) – den größten Theil dieser Kranken wieder

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herstellen“. – Also, um den itzigen Streit zu entscheiden, berufe er sich auf das, was er thun wird. Darüber stirbt entweder der Elephant, oder einer von uns beiden. *) Aber, was wird er denn thun? ... Der Hr. Baron belieben wohl nur zu spaßen. Denn, was nennen Sie unheilbar? Was wirklich nicht zu heilen ist? Wie, das soll von Ihnen doch geheilet werden! So vermögen Sie mehr als die Gottheit. Zwei sich geradezu widersprechende Prädikate: nicht möglich zu heilen – dennoch zu heilen, sollen künftig einem und demselben Subjekte zu kommen! So haben wir ja Hofnung, nächstens auch einen dreiekkichten Zirkel zu sehen **). Allein, da Menschen nicht von absoluter Möglichkeit oder Unmöglichkeit reden können, so ist wohl nur gemeint: was wir andern schwachen Sterblichen bisher für unheilbar gehalten haben. z.B. einen tüchtigen Schuß durchs Herz, eine gänzliche Zerschmetterung unter dem Mühlenrade, und andere solche bisher unheilbar geglaubte Fälle. Die können Sie kurirren. Das lasse ich gelten! Indeß, scheint es, bedarf es dazu keiner Auswahl aus den Lazarethen. Solcher Unglücksfälle, oder vielmehr solcher Triumphfälle für

*) Hr. Semler trotzet auch schon auf diesen künftigen Beweis, S. 123.
**) Worauf der Mathematiker Karsten auch schon aus einer andern Behauptung des Hrn. Semlers schloß. S. Karstens Schrift, S. 19

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Sie, muß es doch auch in der Gegend von Dresden einige geben. Warum eilen Sie, edler Menschenfreund, nicht sofort zu Hülfe? Warum lassen Sie überhaupt noch Menschen und Vieh sterben? Aber sicherlich sind Sie schon mit Ihrer Hilfe da. Alles kann freilich nicht gerettet werden; aber doch, wie Sie sagen, der größte Theil. Das macht von 24 wenigstens 13 solcher sonst unheilbar gehaltener, sonst wegsterbender Kranken. Das muß doch schon, seit Ihrem Aufenthalte daselbst, ein ganz nderes Verhältniß in die Mortalitätstabellen des Meißnerkreises gebracht haben; und es ist wahrlich nicht erlaubt, daß der Statistiker Kanzler davon noch keine Notiz genommen hat. – Aber genug! Man ermüdet mit Spott und mit ernst *) über solche Sachen.

*) Kann man denn etwa im Ernst über 24 unheilbare Krankheiten mit einem Manne reden, der selbst sagt, daß er kein Gelehrter sei, also auch von Pathologie und Therapie nichts wissenschaftlich weiß? Es ist keine Schande für den besten Baron im H. Röm. Reich, wenn er von der Gelehrsamkeit gar nichts versteht; und es ist in der That sehr lobenswürdig von Hrn. Bar. v. Hirschen, daß, da dies bei ihm der Fall ist, er es selbst sagt (s. oben S. 544). Nur, sollte man denken, ein wissenschaftlicher Streit, der in Medizin und Chemie einschlägt, erfordere doch etwas Gelehrsamkeit; und man müsse bei dessen Behandlung nicht bloß, wie der H. Baron sich ausdrükt, seine Zuflucht zur Gelehrsamkeit nehmen. Uebrigens ist die Familie des Hrn. B.v.H. bekannt;

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auch stammt er von mütterlicher Seite aus einer der angesehensten und besten Familien Schlesiens. Ich merke dies hier ausdrüklich an, weil er nicht immer mit seinem Familienwappen siegelt. Sein gewöhnliches Pettschaft zeigt einen sehr hohen steilen Felsen, worauf oben ein flammender Stern mit dem bekannten Sechsek, und darin der Buchstab G ist. Die Umschrift lautet: Aut omnia aut nihil. Ich glaube freilich eher das Nihil seiner erstiegenen hermetischen Wissenschaft, als mit Hrn. Semler das Omnia derselben. Uebrigens habe ich, mit aller achtung gegen den Hrn. Baron, es hier bloß mit dem Schriftsteller und dem chemischen Verfertiger einer Universalarzenei, die sogar das Unheilbare heilen soll, zu tun.

Berlin, d. 21 Mai, 1786. Thomas Akatholikus

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Nachricht von einer neuen kunstreichen astronomischen Uhr in Berlin.

Der hiesige Uhrmacher Herr Christian Möllinger hat ein Uhrwerk zu Stande gebracht, welches in mehr als einer Rüksicht den Beifall aller Kenner verdient.
Zu oberst zeiget sich ein Zifferblat von gewöhnlicher Größe, auf welchen Stunden, Minuten und sekunden vermittelst konzentrisch laufender weiser nach dem mittleren Sonnenlaufe gezeiget werden. Um dieses Ziffernblatt geht ein besonderer Minutenring, welcher sich dergestalt verrükt, daß er allemal den Unterschied zwischen dem mittlern und dem wahren Sonnenlaufe genau anzeiget. Damit aber Kälte und Wärme nicht den Perpendikel verändere, so ist derselbe aus Stäben von verschiedenem Metalle zusammengesezt die solches verhüten. Der Perpendikel selbst aber bewegt sich oberwärts auf einer schneide, ist also auch keinen von der Feder herrührenden Unrichtigkeiten unterworfen. Er wiegt mit der Linse auf 45 Pfund. So kann also auch die verschiedne Dichtigkeit der Luft den Gang nicht verändern.

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Bis so weit hat also die Uhr alle Eigenschaften einer astronomischen, und kann zu Observationen gebraucht werden. Unter jener obern Ziferscheibe aber stehet noch eine größere, die aus drei Ringen bestehet. Einer derselben ist in zweimal zwölf Stunden und diese wieder in Viertelstunden eingetheilt. Eine Sonne zeiget hier die eit, die beim Untergange verschwindet, und beim Aufgange wieder sichtbar wird. Um die Sonne ist 2) Ekliptik in Grade abgetheilt, auf welcher man sehen kann, in welchem himmlischen Zeichen und Grade sich die Sonne jederzeit befindet; dieser Ring bewegt sich also binnen einem astronomischen Jahr von Westen nach Osten. Der Sonne gegenüber zeiget sich der synodische Mondeslauf mit den Mondsveränderungen, welcher sich durch sein eignes Gewicht bewegt.

Wir kehren wieder zu dem Stundenringe zurük, auf welchem die vorhin beschriebene Sonne nicht nur die Stunden und Viertelstunden anzeigt, sondern auf welchem auch die eit ihres Aufganges und Unterganges und die jedesmalige Länge des Tages und der Nacht vermittelst zwei kleiner Weiser ganz genau bemerkt wird. Geht die Sonne auf, so spielt die Uhr die Sturmische von Bach komponirte Morgenarie: Des Morgens neue Sonne; gehet sie unter, so spie-

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let sie die Arie: So flüchtig als des Tages Stunden, auf einem Flötenregister. Sie spielt indessen, gleich einer andern musikalischen Uhr auch mehrere andre Arten.

Unter dem Stundenringe ist ein dritter beweglicher, der das Datum anzeigt; wobei merkwürdig ist, daß er auch alle vier Schaltjahre den Schalttag bemerkt, ohne daß man nöthig hat den Ring zu verrükken; und überhaupt ist auf die Schalttage so genaue Rüksicht genommen, daß erst nach 3200 Jahren eine Stellung des Ringes nöthig sein würde.

Uebrigens schlägt das Werk ganze – und Viertelstunden mit ein und eben demselben Hammer.

Am Aeußerlichen hat der Künstler auch nichts fehlen lassen, um das Kunstwerk durch einen prächtigen Anblik zu empfehlen. Man wird aber auf die Gedanken kommen, als ob das innere Werk mit Rädern überladen und die Gänge sehr übersetzt, daher das Ganze sehr wandelbar sein dürfte. Nichts weniger! sondern alles ist so einfach als möglich. Es sind überall nur wenig Räder, und der Künstler ist allemal auf dem kürzesten und geradesten Wege zu seinem Zwek gelanget. Die Rä-

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der haben ihre gehörige Stärke, das Echappement ist einfach, und die Auslösungen hemmen nirgends die bewegende Kraft. Ein Gewicht bedient das Zeiger- , ein anderes das schlage-, und ein drittes das Spiel-Werk. Die Uhr braucht nur alle acht Tage aufgezogen werden, und sie geht unter dem Aufziehen ungehindert fort.

Der Vater des Künstlers, der ihm durch den Tod entrissen worden, hatte den Plan zu diesem werke gemacht, auch manches, aber roh und unvollendet, hinterlassen.

Dieser sein Sohn war der Erbe seiner Geschiklichkeit, und glaubte verpflichtet zu sein, durch Vollendung des weitläuftigen Plans seines würdigen Vaters demselben ein rühmliches Denkmal zu stiften. Kennern und Liebhabern, die das Werk zu sehen wünschen, wird es der bisher noch nicht nach Verdienst bekannte Künstler, der auch durch andre auf die Ausübung seiner Kunst angewandte Erfindungen sich als einen eben so denkenden als thätigen Künstler gezeigt hat, mit Vergnügen in den ersten Tagen des Junius zeigen. Es ist übrigens zu wünschen, daß sich bald ein reicher Liebhaber finden möge, der durch den Ankauf dieses sinnreichen und merkwürdigen Kunstwerks

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den Künstler entschädige. Er wohnt an der Zimmer- und Jerusalemsstraßen-Ekke.
Silberschlag


  1. Anekdoten

I.
Wunderglauben in England.
Es scheint: die Periode des Wunderglaubens (the Season of Miracles) hält ihre ordentliche Runde. Aus England ging dieser Glaube nach Schweden über, machte von da einen Sprung in die Schweiz, und fuhr den Rhein hinab nach Deutschland. Aus der Periode, worin er in England regierte, will ich hier aus dem Universal Magazine for March 1785 einen kleinen aber merkwürdigen Beitrag liefern wozu Hr. Obereit, wenn er wollte, ein noch weit interessanteres Gegenstük mittheilen könnte. Wenigstens erinnere ich mich, daß er im Nov. 1784 zu Weimar in dem Hause der Fr. Gr. v. B. eine Geschichte von der

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Art erzählt hat, deren Ausgang nur anders ist. Ich selbst maße mir das recht nicht an, Anekdoten bekannt zu machen, von denen ich nicht weiß, ob die dabei interessierten Personen sie bekannt gemacht haben wollen. Hier ist die aus England:
Während der Wunderperiode, welche vor 20 Jahren die Bridget Bostok aus Cheshire veranlaßte, die alle Krankheiten durch Gebet und Bestreichen mit nüchternem Speichel heilte, strömte eine Menge Volks aus allen Gegenden ihr zu, die ihren Speicheldrüsen voll auf zu thun gaben. Hr. John Pryce schrieb in voller Schwärmerei an diese wunderthätige Frau: daß sie ihn zu Newton Hall besuchen mögte, um ihm seine dritte Frau, die er am meisten geliebt hatte, wieder zu geben. Sein Brief selbst wird den Grund, worauf er seine Hofnung und sehr ungewöhnliches Gesuch bauete, am besten angeben.

Eurydices, oro, properata retexite fila!

“Schreiben Hrn. John Pryce`s an Frau Bridget Bostok. 1748.”
“Madam! Da ich durch mehrere sowohl öffentliche als Privatnachrichten, erfahren habe, daß Sie kürzlich viele wundervolle Kuren gethan haben, selbst wo es den besten Aerzten fehl geschla-

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gen ist,; und daß die gebrauchten Mittel, wie es scheint, mit den hervorgebrachten Würkungen in gar keinem Verhältnis stehen: So muß ich Sie als eine außerordentliche und höchst begandigte Person betrachten. Und warum sollte nicht eben der gnadenreiche Gott, welcher sie fähig macht, dem Blinden das Gesicht, dem Tauben das Gehör wieder zu geben, und den Lahmen gehend zu machen, Sie auch in den Stand setzen, den Todten wieder zu erwekken? Nun habe ich kürzlich eine Frau verloren, die ich äußerst zärtlich liebte, meine Kinder eine vortreffliche Stiefmutter, und unsre Nekannte eine sehr theure und schätzbare Freundin. Sie werden uns auf das höchste verbinden; und ich ersuche Sie auf das inständigste, um Gottes des Allmächtigen Willen, daß Sie unsertwegen Ihr Gebet zum Throne der Gnade schikken: daß die Verstorbene uns wieder gegeben werden, und weiland Frau Eleonore Pryce vom Tode wieder auferstehen möge. – Sollte Ihnen Ihre persönliche Ueberkunft nöthig scheinen, so will ich Ihnen meinen Wagen mit sechs Pferden senden, mit schiklicher Bedienung, um Sie hieher zu begleiten, wann es Ihnen gefällig sein wird. – Mit größter Dankbarkeit wird Ihnen jede Vergeltung, wie Sie solche nur verlangen, geschehen; und ich wünsche nur, daß deren bloßes Erwähnen, sowohl für Gott als Sie

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nichts beleidigendes haben möge. Ich bin u.s.w. J. Pryce.“
Wenn jeder Wundergläubige in Deutschland so viel zur Entschuldigung für sich hätte, als der gute Pryce, der damals, vom höchsten Schmerze betäubt, des Gebrauchs seiner Vernunft fast eben so wenig mächtig war, als ein Fieberkranker; so würde man nur Mitleiden mit unsern Schwärmern haben können. Sollte aber auch unter uns eine Bridget Bostok auferstehen (wie ich nächstens zu erleben hoffe), so wird sie doch schwerlich in den Fall kommen, in einer Kutsche mit Sechsen zu gleichem Zwecke abgeholt zu werden; – desto öfter aber zu andern Thorheiten. Gökingk.

  1. Wunderglauben in Deutschland.
    Aus Nordhausen.
    Die Rosenkreuzerei scheint freilich nächstens sich ganz in die frömmelnde Theosophie werfen zu wollen; indeß treibt sie bis itzt noch immerfort Alchymie, und wird sie wahrscheinlich auch niemals ganz fahren lassen. Denn Geld! Geld! schreien nicht nur die in niederm Geiz und Eisennutz dahin gegebenen Seelen der Weltkinder; sondern

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auch die hocherleuchteten Genossen der Geheimen Gesellschaften; ja selbst die reingläubigen apostolischen Christen. Hat doch Masius neulich, um noch mehr Leichtgläubige zu lokken, in der Ankündigung seines apostolischen Tagebuchs *) auch versprochen, „den Stein der Weisen“ bekannt zu machen.

Ein Landedelmann in Schlesien versuchte, durch geheime Künste und Beten Krebse zu machen. Da der Ertrag davon aber nicht groß genug war, arbeitete sein Sohn nachher lieber geradezu auf Gold. Die Goldsucherei hat eine eigene Schatzgräbergesellschaft in der Pfalz veranlaßt, die sich auch ins Würtembergische ausgebreitet hat. Ihre Oberhäupter sind zwei in dortigen Gegenden

*) Er sagt in seiner Nachricht: „Ich kündige unter dem Obwalten des Königs aller Könige eine zweite Schrift auf Pränumeration an: das apostolische Tagebuch, oder das tägliche Aussehen auf Gott, bei allen Vorfällen und Schiksalen der Menschen. Man findet in diesem Buche die deutliche Lehre der Wahrheit vom Stein der Weisen. Es ist eingerichtet sowohl für Kinder zur erlernung einer frühzeitigen Gottesfurcht, als auch für die Erwachsenen zur Bewachung ihrer selbst auf dem Wege des Glüks dabei man alles hat, und zur Ueberkommung des wirklichen und wahrhaftigen Steins der Weisen.“

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sehr bekannte Abenteurer, wovon der eine sich mehrere Namen, und selbst von sehr hohem Stande giebt. Sie versprechen für jeden in die Kasse eingelegten Gulden, tausend; und haben unglaublichen Zulauf, vorzüglich von Landleuten, Krämern und andern Menschen in kleinen Landstädten, welche zum Theil ihr ganzes Vermögen daran gewandt haben. Vor einem halben Jahre schlug der eine seinen Sitz in der Reichstadt Heilbronn auf (wo vor etlichen Jahren auch der sehr zweideutige Bund der Rechtschaffenheit bestand). Er hatte in kurzer Zeit bloß aus dem Würtembergischen über 10.000 Gulden gesamlet; itzt ist, wenigstens das öffentliche Handwerk des Ehrenmannes auf Veranlassung der Regierung unterdrükt. – Die Goldmacherei erfordert einen etwas weitläufigern Prozeß, als jene Goldsucherei.

Diese Goldmacherei bringt Viele nict nur zu den lächerlichsten, sondern selbst abscheulichsten Handlungen. Gold soll das edelste sein, was die welt hervorbringt; und da, nac alchimistisch-rosenkreuzerischen Grundsätzen, der Mensch ein wahrer Mikrokosmus, eine Welt im Kleinen, ist: so sollen im Menschen auch die Keime zu diesem edlen Metalle liegen. Ein vornehmer Mann in Berlin glaubte vor geraumer Zeit, daß kein Kolben ud Retorte so kräftig sei, als der menschliche

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Magen; es kam nur darauf an, ihm auch lauter edle Dinge zur Destillation zu geben, um das edelste Produkt hervorzubringen; und hierzu schlug er folgenden Weg ein. Er ließ seine Bedienten nichts anders als Champagnerwein trinken und Weizenbrot essen, und befahl ihnen, ihre natürlichen Bedürfnisse nirgend als auf seinen großen Boden zu verrichten. Was er da fand, unterwarf er einer neuen chemischen Operation; aber die Bedienten, denen diese Kost Anfangs sehr wohlgefiel, wurden, da sie schlechterdings nichts anders zu genießen bekamen, des Dinges noch eher überdrüssig, als der Herr selbst. – Einen ähnlichen Schmutz, nur gar nicht von lächerlicher, sondern vielmehr von abscheulicher Art, hat man ganz neulich in unsrer Nachbarschaft entdekt. Ich eile, diese häßliche Geschichte öffentlich bekannt zu machen, und auf die Art vor den greulichen Verirrungen zu warnen, wohin verkehrte Begriffe leiten können. Ein Oberoffizier, dem der Hang zu Geheimen Gesellschaften senen sonst nicht schwachen Verstand scheint gefesselt zu haben, glaubte, in dem viel edlern Abgang des menschlichen Leibes die primam materiam finden zu können; er vermochte daher eine Menge Soldaten dazu, daß sie gegen baare Bezahlung ihm das lieferten, was sonst nur die Wollust entlokken zu können schien. Die Kerle wurden schwach und hinfällig; wovon Anfangs kein Arzt die Ursache entdekken konnte, bis durch das Geständniß eines

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Menschen endlich die ganze Sache aufgeklärt ward. – s ist bekannt, daß vor einigen Jahren in Frankreich diese nemliche alchymistische Grille sogar zu menschlichem Blutdurst reizte. Auf einem Dorfe unweit Paris hatten die Adepten einen Marterstuhl bereiten lassen, mit vielen Scheermessern versehen, um das unglükliche Schlachtopfer, welches man darauf lokte, zu zerschneiden, und auf die Art recht viel frisches Menschenblut zur Bereitung des großen Werkes zu gewinnen. Die Sache war durch das Geschrei einer nur schwach verwundeten Frau entdekt; aber, weil Personen von hohem Stande mit darin verwikkelt waren, unterdrükt.

Sollte man, wenn man solche Thatsachen itziger Zeiten liest, glauben: unter kultivirten Nationen, unter Christen, zu sein? – Kann man aber, wenn man der Quelle dieser Greuel nachdenkt, alsdenn wohl noch der Behauptung beipflichten: daß die Beschäftigungen mancher geheimen Gesellschaften zwar unvernünftig, aber nicht böse, wären?

  1. Cagliostros ägyptische Pyramiden.
    Sie sagen mit völligem Rechte (Mai, S. 387): daß die wahre Entzifferung der vorgeblichen ägyptischen Pyramiden, in welchen Cagliostro seine übernatürliche Wissenschaft gelernt haben will, eine

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tief angelegte und weit aussehende Betrügerei entdekken würde. Es ist das nehmliche Geheimniß der Bosheit, womit Europa sich itzt so gutwilligerweise täuschen läßt. Die ganze abenteuerliche Geschichtserzählung von seiner Herkunft und Schiksalen enthält eine geheimnißreiche Aufforderung an die unbekannten Obern. Es sind (in der Originalausgabe) gewisse Wörter und einzelne Buchstaben, Dieu, Nature, Medina u.s.w. mit andrer Schrift gedrukt; und wer sich auf die Anspielungen des Buches Des Erreurs & c. versteht, wird auch diese bald anträthseln können. Jeder, wer vom Geheimniß ist, soll nemlich bei Erblikkung der Schrift den treuen Bruder und Gehülfen erkennen, und sich aufgerufen fühlen, ihm zu helfen. Die gutmüthigen betrogenen Untern hingegen haben wieder eine Lokspeise bekommen, um sich den Verstand zu verwirren, und um leichtgläubig jedem neuren Abenteurer, der von Aegypten zu erzählen weiß, nachzulaufen. Wie die bern ihrem gefangenen Jünger helfen werden, wird man bald sehen. Wie begierig die Untern aber nach der hingeworfenen Lokspeise sind, zeigt unter andern des Hrn. Mentelle (Historiographen des Grafen von Artois) Brief im Journal de Paris, 9. März 1786, S. 274 Er sagt: „er würde beinahe täglich, sowohl mündlich als auch schriftlich gebeten, die Frage zu beantworten: Welche Art von Priestern giebt es noch itzt in Ägypten, die die hohen Wissenschaften ih-

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rer Vorfahren besitzen?“ Eine gründliche Kenntniß der philosophischen Geschichte (z.B. von Meiners) würde die Gläubigen belehren, daß selbst diese gepriesenen Vorfahren nur gar wenig wußten. Aber, so wollen sie nicht belehret sein; sie suchen Geheimnisse, um geheimes Geld zu finden. Der Duc de Chaulnes war vor etwa 12 Jahren in Aegypten, in der von seiner Seite zwar gewissen, aber doch nicht erfüllten, Hoffnung, daselbst große Schätze des Wissens zu erheben, um seinen Beutel mit anderweitigen Schätzen anzufüllen. Auch in Deutschland wird itzt, vornemlich bei einer gewissen Klasse, des Fragens nach Aegypten, Cypern, u. dergl. immer mehr. Bei solchen Gemüthsstimmungen können die Cagliostros, und die welche ihn gesandt haben, freilich leicht wirken.
Wissen Sie schon, daß ein auf diesen Abenteurer zielendes Lustspiel, welches einer sehr erhabenen Verfasserin zugeschrieben wird, in St. Petersburg bei Schnorr 1786 gedrukt ist? Der Titel heißt: der Betrüger, ein aus dem Russischen übersetztes Lustspiel. Man findet auch Aehnlichkeiten der Namen: der Betrüger heißt Kalifalkscherston; und ein Mann der nebst seiner Frau sehr an ihn glaube, heißt Samblin.

  1. Noch ein Wundermittel.
    Bei dem Streit über das Hirschensche Luftsalzwasser ist einer ähnlichen Universalarzenei von

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den Herren Meier und Semler und Karsten gedacht worden, deren Unbedeutsamkeit gleich falls schon bewiesen ist, die aber Hr. Semler noch zu achten scheint, und die vermutlhlich manche Ihrer Leser noch nicht kennen. Es ist dies das philosophische Goldsalz, was seit einigen Jahren von Augsburg aus, vorzüglich im südlichen Deutschlande, aber auch nach Norden und Osten und Westen hin, ungemein stark verkauft wird. Auch dieses geheimnißvolle Heilmittel ist „von den Erfinderkurz vor seinem Tode einem seiner innigsten Freunde anvertraut worden, mit dem ausdrüklichen Begehren,: daß er es wiederum einem rechtschaffenen und sichern Erben zum gemeinnützigen Gebrauche der ganzen Welt anvertrauen solle; weshalb es billig ist, die wohlgemeinte und löbliche Absicht des Mannes zu erfüllen.“ Solches gesalbte Geschwätz macht itzt in Deutschland Glük! – Die Arzenei nun, um des Vermächtnisses und des Gebrauches der ganzen Welt werth zu sein, heilt alles, was man nur zu heilen wünschen kann: „Stein, Gicht, Podagra, Chiragra, Gonagra, venerische Krankheiten, Scharbok, Krätze, Ausatz, alte Schäden und Geschwüre, Salzflüsseund Fisteln, kalte Fieber, Verstopfungen und Gekröses der Leber und Milz, weibliche Krankheiten, Kolik, Krämpfe, Fäulniß, Brand, Friesel, Seekrankheiten;“ wie dieses lange Verzeichniß besagt. Und doch sind

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dies noch nicht alle Kuren; es wird kaum eine Krankheit sein, die diese Arzenei nicht aus dem Grunde sollte heben und bessern können. Man „würde ein Buch schreiben müssen, u.s.w.“ Solche plume Uebertreibungen machen itzt in Deutschland Glük!

Ich schikke Ihnen hier ein ganz sauberes Fläschchen dieses Goldsalzes, und den lobpreisenden Gebrauchszettel in deutscher und in neugriechischer Sprache. *) Die südöstlichen Provinzen Europas müssen den Wunderspekulanten doch wichtig genug sein, um auch auf sie Rüksicht zu nehmen. Nicolai hat in seiner Reisebeschreibung (Bd. VI. Beilag. S. 40) gleichfalls einen neugriechischen Zettel eines ungarischen Universalmittels abdrukken lassen. – Edles Volk, wie bist du gesunken! Du gabst, außer Deinen weisen und Dichtern, der Welt auch deinen Hippokrates; und itzt empfängst du, an deinem Ilissus und Eurotas, von den Ufern des Lechs und der Donau: Quaksalbereien mit Geschmaklosigkeit und Unverstand empfohlen.

*) Die abscheuliche Ungrammatik des Neugriechischen wird Ihnen bekannt sein. Die meisten Verstümmelungen der alten Sprache sind leicht zu entziffern. Ganz neu ist: [...]

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Der verdienstvolle Hr. Hofapotheker Meier in Stettin hat auch dies philosophische Goldsalz (indessen Empfehlung aber so wenig Philosophie, als in dessen Bestandtheilen Gold zu finden ist) untersucht, und den Erfolg davonbekant gemacht. (In Crells chemischen Annalen, St. I 1786, S. 17 folgg.) Dies Wundersalz ist: vitriolisirter weinstein mit Vitriolsäure übersättigt. Eine sehr simple, sehr wohlfeile, und nichts weniger als Wunder wirkende Mischung! – Vielleicht erstaunt der Verfertiger selbst, daß es nur das ist. Denn der Fall ist heut zutage bei chemischen Operationen nicht selten (zumal bei solchen, welche als Geheinmniß von hohen Obern oder von Freunden anvertrauet werden): daß die ersten und wahren Bestandteile nicht geradezu genannt werden, sondern daß man den Adepten mit sehr vielem Umschweif und mit Kosten langsam und mühsam das machen läßt, welches unter seinem wahren Namen jedem Anhänger bekannt, und durch den leichtesten Prozeß zu erhalten ist. – Vielleicht sagt auch hier die so gern, und in der That oft scharfsinnig, sich selbst täuschende Schwärmerei, was sie bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegt, und was selbst ein Semler in unsern Tagen wiederholt hat: „Die gemeine Chemie kann solche Wunderarzeneien nicht zusammensetzen, folglich auch nicht auflösen. Was sie nach ihrer Scheidungherausbringt, benennet sie nach dem gemeinen Körper, mit welchem es die

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meiste Aehnlichkeit hat. So ist Luftsalzwasser nur dem Glaubersalz mit Urinmagma ähnlich; philosophisches Goldsalz dem vitriolisirten Weinstein mit Vitriolsäure nur ähnlich, ohne damit völlig gleich zu sein.“ Allein, auch dies schwache Bollwerk wird durch genau angestellte Untersuchung umgeworfen. Wenn Goldsalz nach sorgfältiger Zerlegung nichts als vitriolisirten Weinstein, der mit Vitriolsäure übersättigt ist, darlegt; und wenn, umgekehrt, 9 Quentchen vitriolisirten Weinsteines mit 5 Quentchen Vitriodis gerade dieses nemliche Goldsalz geben (wie es Hr. Meier bewerkstelligt hat): so muß man, nach diesem Beweise und der Probe des Beweises, mit Worten oder mit seinem eigenen und mit anderer Leute Verstande spielen wollen, wenn man noch sagen kann: Beide Körper wären sich nur ähnlich, nicht gleich.
Th. A.


  1. Fernere Nachricht von der Stiftung der jährlichen Gedächtnißfeier des Herzogs Leopold.
    I. Es ist, während des Jahres, das man zu dieser wohlthätigen Stiftungsfeier gesammelt hat,

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durch die reichlichen Beiträge edelmüthiger Menschenfreunde von allen Ständen und aus allen Gegenden, überhaupt eingekommen (nach Brandenburg. Curant berechnet) die Summe von ... 6580 Thlr. 5 Gr. Von dieser Summe sind der Ankauf des Papiers für den Druk der Denkschrift (womit man itzt beschäftigt ist), die Feirung des ersten Festes, und manche, einzeln kleine, im ganzen aber beträchtliche Ausgaben, bestritten worden; und das Hauptkapital liefert unablöslich aufs künftige die Zinsen zu den Kosten der jährlichen Gedächtnißfeier. Die genaue Berechnung von allem diesen wird die Gesellschaft dem Publikum in der Denkschrift vorlegen. Hier wird zugleich bestimt angegeben, aus welchen Orten und von welchen Personen (diejenigen ausgenommen, welche die Nennung ihres Namens ausdrüklich verbeten haben) die Beiträge eingekommen sind; da bis itzt in den kurzen Nachrichten der Monatsschrift nur im allgemeinen konnte angegeben werden, was aus einer gesamten Provinz, z.B. Braunschweig, Schlesien, Ost- und westpreußen, eingesendet worden.

II. Am 27. April, als dem Todestage des Edlen, ist das wohlthätige Leopoldsfest, dem Stiftungszwekke gemäß, zum erstenmale in der Frankfurter Garnisonschule auf folgende Art gefeiert worden. Die Kinder dieser Schule, 300 an der Zahl, versammelten sich um 10 Uhr des

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Morgens im Schulhause. An der Spitze des Haufens waren die von der Stiftung neugekleideten zwanzig ältesten Kinder der Schule, 10 Knaben und 10 Mädchen, welche Tags zuvor ihre Kleidung empfangen hatten. Sie bestand bei den Knaben: aus tuchenem Rok, Weste, und Beinkleidern, 1 Paar Schuh, 1 Paar Strümpfe, Hut, Halsbinde, und 2 Hemden. Jedes Mädchen bekam: gleichfalls 2 Hemden, Kamisol und Rok von Serge, Schuhe, Strümpfe, Schürze, Haube, Mütze und Halstuch. – DerFeldprediger hielt an die versammelten Kinder und Aeltern eine Rede, worin er ihnen den Ursprung und Endzwek des Festes erklärte, und ihnen ihre daraus erwachsenden Pflichten ans Herz legte. Hierauf wurden unter die Kinder 100 Schulbücher (theils Rochows Kinderfreund, theils das Berlinische ABC Buch) vertheilt. Jedes der 300 Kinder bekam hierauf, um ihnen den festlichen Tag durch eine kleine Freude unvergeßlicher zu machen, einen Kuchen zu 1 Gr., und 1 Groschen an baarem Gelde. Die 20 bekleideten Kinder wurden zu Mittage, nebst ihrem Schullehrer, an einer langen Tafel der Feierlichkeit des Tages Tages angemessen gespeist. Der Schulhalter erhielt ein Geschenk von 5 Thlr; und führte Nachmittags seine Jugend an den Platz, wo der Edle Prinz sein Leben in Menschenfreundschaft beschloß. – Die bereitwillige Uebereinkunft des hohen Chefs vom Regimente, des Herrn Generalmajors von Beville, und die dienstfertige Gefälligkeit des Hrn. Regimentsquartiermeisters Dorthe und Hrn. Feldpredigers Krüger bei diesem Feste, ist mit Danke zu erkennen. – Künftig wird in Absicht eines zweiten anzusetzenden Lehrers, und in andern Umständen, noch eine

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Einrichtung getroffen werden, die das Gedächtniß des menschenfreundlichen Helden bei dieser von ihm gestifteten Schule noch mit mehr Segen und Nutzen verewigen wird. Auch hiervon wird die Denkschrift, die sobald als möglich den Beiträgern gedrukt wird zugesandt werden, umständlichere Nachricht ertheilen.

III. Noch hat sich ein patriotischer geschikter Mitbürger entschlossen, eine Frucht seines musikalischen Fleißes und Talents diesem Institute zu weihen, um den wohlthätigen Endzwek der Stiftung noch zu vergrößern. Wir rükkenhier den Aufsatz des Hern. Zelters ein, bitten alle Herausgeber von Journalen um weitere Bekanntmachung, und wünschen und hoffen durch die Pränumeration auf das angekündigte Werk eine beträchtlicheVermehrung des Fonds der wohlthätigen Stiftung.

Die Aufmerksamkeit und willige Aufnahme, womit das Publikum die von mir komponirten Variazionen à la Figaro beehrt hat, ist mir sehr schmeichelhaft, und in der That unerwartet gewesen, da diese Variazionen, auf Ersuchen des Hrn. Rellstab, die Arbeit weniger Nebenstunden sind, und ich keine Zeit übrig hatte, sie mit gehöriger Kälte die Kritik passieren zu lassen. In der Vossischen Zeitung fand ich eine Rezension darüber, die mehr das Normal ist, wie Variazionen sein sollten, als ich überzeugt bin, geleistet zu haben; indessen fand ich die Erinnerung in Ansehung des Rhythmus gegründet, und ich danke dem geschikten Rezensenten eben so sehr für seinen Tadel als Beifall.“

„Das löbliche Unternehmen einiger Menschenfreunde, die sich so edel für das Institut zur jährlichen Gedächtnißfeier des Herzogs Leopold

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interessieren, ist auch mir so heilig und unterstützungswerth, daß ich oft mir mit Wärme gewünscht habe, nach meinen besten Kräften einenBeitrag zuliefern.

Ich kündige demnach den Liebhabern des Klaviers acht Variazionen über ein bekannts Rondeau, auf Vorausbezahlung an. So weit ich meinen eigenen und den Kenntnissen meiner kritischen Freunde trauen darf, kann ich mit Gewißheit versichern, daß diese Variazionen besser als meine vorigen sind. Der Preis ist acht Groschen, den Friedrichsdor zu 5 Rthlr. gerechnet. Die Summe des Ertrags bestimme ich zum Besten des genannten Instituts. Die Gelder werden postfrei, an die Herren Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, welcheauch die Ausgabe besorgen, eingesandt. Für gutes Papier und gute Typographie werde ich nicht minder besorgt sein, als ich es für den innern Gehalt des Werkchens selbst, gewesen bin. Wer die Mühe des Sammelns übernimmt, erhält, auf Verlangen, auf 10 Exemplare das 111te frei. Die Vorausbezahlung bleibt bis Michaelis d.J. offen. Inder Michaelismesse erscheint die Ausgabe. Ich ersuche daher alle, die gern Gutes thun, dies Unternehmen zu unterstützen; und ich selbst werde keine Kraft in mir ungenützt lassen, um das Vertrauen des Publikums zu verdienen. Berlin, d. 13. Mai. 1786
„Zelter“