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Gartenlaube 1860 Nr. 21, Fortsetzungsroman "In den Casematten Magdeburgs", Teil 3, S.321-324

(321) Am folgenden Tage erwartete Frohn mit verdoppelter Ungeduld seine junge Freundin. Er hatte am Morgen frühzeitig dafür gesorgt, daß das aufgewühlte Loch in der Ecke der Casematte verdeckt wurde, wobei seine Matratze die wesentlichsten Dienste leistete. Dann hatte er, sobald die Leute, die sich heute wieder zur Arbeit führen ließen, entfernt waren, auf kleine Streifchen des zerrissenen Papiers, worauf Esther ihm den Plan der Festung zugeschmuggelt, mit einem Bleistift allerlei Hieroglyphen gekritzelt, kurze und unverständliche Sätze, als z. B.
C. 3. Object Elbthor. Besetzt.
oder
C. 5. Object Bastion Kurfürst. –> Marktplatz.
und dergleichen mehr.
Den Rest der Zeit hatte er zum Theil damit zugebracht, über die merkwürdige Bekanntschaft nachzudenken, welche er am Tage vorher gemacht hatte. Dieser energische, in seinem tiefen Elende so muthige und so viel frische Lebenskraft zeigende Mann hatte ihm imponirt, er mußte ihn bewundern – aber er fühlte auch, daß es eine wunderlich angelegte, complicirte Natur sei, die ihm ein gewisses Mißtrauen einflößte, oder etwas wie ein Unbehagen vielmehr, das Frohn hinderte, eine volle warme Theilnahme für ihn zu empfinden. Es war diesem wenigstens klar, daß in dem Freiherrn von der Trenck ein Ehrgeiz, ein Hochmuth und eine Ueberhebung liegen müsse, die ihn zu einem sehr gefährlichen Freunde mache, und zu einem gefährlichen Menschen überhaupt, wenn er frei und im Vollbesitze seiner Kräfte und seines anscheinend so großen Reichthums sei.
Endlich kam die Stunde, die Esther’s liebliche Erscheinung in die düstre Wohnung den Gefangenen brachte. Sie kam eilig mit ihrem Korbe herein. Frohn nahm ihn ihr ab und drückte sie an sein Herz, so daß ihre schwarzen Locken über seinen Oberarm flossen – höher reichte sie an der mächtigen Männergestalt nicht hinauf. „Du hast gute Nachrichten,“ sagte er – „ich seh’s Dir an.“
Sie nickte mit dem bei seiner Umarmung tief dunkelroth gewordenen Gesichte. „Ja,“ sagte sie, „es ist mir gelungen, die Frau des Ober-Feuerwerkers kennen zu lernen, der Nachts die Schlüssel zu dem Pulverthurm zu sich nimmt …“
„Zu dem Laboratorium neben dem Thor der Sternschanze?“
„Zu demselben, von dem Sie mir früher sprachen.“
„Und weiter?“
„Die Frau liebt den Branntwein; der Mann ist Abends im Bierhause in der Stadt. Ich werde sie heute Abend besuchen und wenn es mir gelingt, sie trunken zu machen, werde ich mir Wachsabdrücke von den Schlüsseln machen können, die über dem Bette der Leute an einen Nagel aufgehängt werden. Hätten wir nur Geld, dann würde es auch nicht schwer sein, einen Schlosser zu finden, der die Schlüssel nachmacht.“
„Geld, mein Herz? – daran fehlt es nicht! Sieh her!“ Frohn zog die Goldrolle Trenck’s hervor und gab Esther einen Theil der Summe. „Hier hast Du achtzehn Friedrichsd’or – hundert Thaler; reicht’s nicht, so kannst Du mehr bekommen, schönster Engel – obwohl ich meine, Du könntest Bestechungsversuche wohlfeiler haben – mit einem Kuß könntest Du alle Männer der Welt ihren Pflichten abtrünnig machen!“
Sie wand sich bei diesen Worten von ihm los. „Sie machen wieder Ihre abscheulichen Späße,“ sagte sie. „Wenn Sie mich nur ein klein wenig lieb hätten, würden Sie daran denken, wie weh Sie mir damit thun!“
„Was sich neckt, das liebt sich, weißt Du, Esther,“ antwortete Frohn.
„Ach, Sie wissen viel von Liebe!“ erwiderte Esther traurig lächelnd.
„Herzenskind, versündige Dich nicht an meinem treuen Herzen,“ fiel Frohn zärtlich ein. „Siehst Du, wenn wir Beiden, ich, der Commandant, und Du, mein getreuer Adjutant, meiner Kaiserin, der Gott ein langes Leben schenken soll, die Hauptfestung ihres bösen Feindes in die Hände geliefert haben, dann macht sie mich zum Wenigsten zum Grafen und Feldmarschall-Lieutenant – und dann wirst Du und Niemand anders meine Gräfin und Feldmarschall-Lieutenantin …“
„Danach steht mein Sinn nicht – dafür setze ich mein Leben nicht der Gefahr aus!“ erwiderte Esther. „Ich will für meinen Vater die Freiheit … .“
„Und für Dich selbst nichts, gar nichts?“ fragte Frohn, indem er die Hand unter Esther’n Kinn legte und ihr schönes Gesicht zu sich emporhob.
„Nichts – als etwas, was Sie gar nicht zu verschenken haben – als ein – ein treues Herz!“ sagte sie, indem sie das Auge zu dem Frohn’s aufschlug und nach einem sprechenden innigen Blick sofort wieder senkte.
„Und das sollst Du finden,“ entgegneie er mit lebhaftem und warmem Gefühl – „ein treues Herz – ich wäre der schlechteste Mensch auf Erden, wenn Du es nicht fändest! Aber,“ fuhr er ...

[322] nach einer stummen Pause fort – „die Zeit eilt – zu den Geschäften! Ich habe noch andere Aufträge für Dich. Sieh hier dieses Papierstückchen. Es ist nöthig, daß es sicher in die Hände des Rittmeisters Stülpnagel komme. Was darauf steht, bedeutet: „Casematte Nr. 3.“ – Das ist die erste unter dem Fürstenwalle, weißt Du; „Object Elbthor,“ das heißt: das, was die in dieser Casematte Einquartierten thun sollen, wenn das Signal von mir gegeben ist, besteht darin, das Brück- oder Elbthor zu nehmen. „Besetzt“ bedeutet: sie sollen dort bleiben, bis ich zu ihnen stoße. Wenn Stülpnagel das Papier nur zugesteckt erhält, er wird schon begreifen. Kannst Du ihn sprechen und es ihm erklären, desto besser. Und nun ist hier eine zweite Ordre, für die Casematte 5, d. h. für den Obristwachtmeister Ehrentraut – sie sollen die Bastion Kurfürst nehmen. Wenn es geschehen, ziehen sie sich nach dem Marktplatz hinab – das bedeutet der Pfeil! Das Signal kennen sie Alle?“
„Alle!“ antwortete Esther.
„Und was ich Dir gestern auftrug, ist ausgerichtet?“
„Ich habe gestern für den Rittmeister Stülpnagel ein Zettelchen mit Ihrer Weisung, an einen kleinen Stein gebunden, in die Casematte in dem Fürstenwalle geworfen.“
„Bist Du auch vorsichtig?“
„Sorgen Sie nicht,“ erwiderte Esther, indem sie eines der beiden kleinen Papiere nahm, zusammendrückte und sich in’s rechte Ohr steckte, wonach sie das andere auf der entgegengesetzten Seite eben so verbarg und dann ihre schwarzen Locken darüber niederfallen ließ. „So findet sie Niemand,“ sagte sie.
„Oder,“ erwiderte Frohn lachend, „man denkt höchstens, Du trügest Baumwolle gegen Zahnweh in den Ohren, was freilich, wenn man Deine Perlenzähne sieht, ein wenig verdächtig wäre! Also die Schlüssel zu dem Laboratorium …“
Frohn schwieg plötzlich und begann sehr eifrig sein Frühstück zu verzehren, denn eben trat der Corporal, der Esther begleitet hatte, von draußen herein und mahnte das junge Mädchen zum Gehen.
„Nur noch einige Minuten Geduld!“ sagte Frohn, „Er würde auch nicht gleich an’s Essen denken, Camerad, wenn Er gefangen säße und es träte ein so herziges Mädel bei Ihm ein. Aber sag’ Er mir, Corporal, wer sitzt denn da drüben in dem Cachot, um das die hohen Pallisaden eingerammt sind, daß die Schildwachen, die davor stehen, nicht einmal in das Fensterloch sehen können?“
„Das hat der König so befohlen,“ versetzte der Unterofficier, „damit der Gefangene nicht mit den Leuten auf den Posten reden und sie bestechen kann.“
„Wer ist es denn?“
Der Corporal zuckte die Achseln. „Es muß wohl ein schlimmer Gesell sein. Man weiß es nicht recht. Das Gefängniß ist auf Befehl des Königs für ihn vor Jahren extra gebaut, und er soll in Ketten stecken, daß es zum Erbarmen ist. Man sagt auch, der König würde dem Commandanten den Kopf vor die Füße legen lassen, wenn er fortkäme.“ Der Corporal wußte weiter nichts anzugeben, oder wollte es nicht – Esther packte ihr Eßgeräth zusammen, und Beide gingen.
Frohn hatte noch fast einen ganzen Tag vor sich, bevor er es wagen dürfte, seine unterirdische Reise anzutreten, um seinen Besuch von gestern zu wiederholen. Es wurde ihm schwer, diese langen müßigen Stunden hinzubringen; für einen Mann, dem die Thatkraft alle Sehnen anspannt, dem der Drang nach Leben und Bewegung in allen Adern klopft, ist es eine traurige Sache, in einer preußischen Casematte zu sitzen, ohne eine andere Beschäftigung als – zu denken: ein Zeitvertreib, der, auch wenn er in einer angenehmeren Umgebung vorgenommen werden kann, z. B. im weichen Fauteuil eines bequemen Boudoirs, von vielen Leuten gescheut und gemieden wird…
Das war nun freilich bei unserem Helden, obwohl er weit mehr ein Mann der That, als der Speculation war, nicht der Fall; er scheute das Sinnen und Ueberlegen nicht, aber er empfand an diesem Tage eine entsetzliche Langweile dabei, weil die doppelte Spannung, in welche ihn sein der Ausführung sich näherndes Complot und die bevorstehende Verhandlung mit dem Freiherrn von der Trenck versetzte, ihn quälte und unruhig in dem langen Casemattenraume auf und ab rennen ließ.
Endlich waren seine Leute zurückgekehrt, das Abfütterungsgeschäft war vollbracht, – er konnte sich zur unterirdischen Reise anschicken und zündete seine Laterne am Auerhuber war heute der Theilnahme an der Fahrt überhoben. Er hatte blos Wache zu halten, für den Fall, daß er berufen werde, was durch einen Pfiff geschehen sollte. Auch den Minengang hatte er zu bewachen, da sich, nachdem Frohn hindurchgekrochen, möglicher Weise Sandschichten lösen und ihn verschütten konnten.
Frohn fand bei Trenck Alles wie am vorigen Tage; der Freiherr lag auf seinem Bett und blätterte beim Schein einer Kerze, die zu seinen Häupten auf dem Mauertische stand, in einem ziemlich starken, mit Blut engbeschriebenen Hefte. „Guten Abend, Herr Camerad,“ sagte er, als er den Kopf Frohn’n in seiner Zelle auftauchen sah … „es ist brav, daß Sie kommen.“
„Sie haben sich entschlossen, mir beizustehen?“ flüsterte Frohn, indem er sich aufschwang und dann herantretend den Sand aus seinen Kleidern schlug.
„Reden wir davon später! Ich brenne vor Begierde, Ihnen ein großes moralisches Gedicht vorzulesen, das ich in meiner Einsamkeit verfertigt habe und das meinen Namen auf die spätesten Zeiten bringen wird, wenn auch das Andenken an meine beispiellosen Leiden und die Art, wie ich mich daraus gerettet habe, je vergessen werden könnte!“
„Um Gotteswillen,“ sagte Frohn – „werfen Sie Ihre Perlen nicht vor die Säue – ich verstehe nichts von dem Poetisiren und ich wäre zudem heute nicht im Stande, drei Zeilen mit Aufmerksamkeit anzuhören.“
„Sie verstehen nichts davon? – nun, desto besser – desto tieferen Eindruck wird es auf Sie machen; es ist so schwungvoll, daß es einen Wilden hinreißen muß –“
„Ich bitte Sie nichts desto weniger …“
„Nun, wie Sie wollen,“ viel Trenck mißvergnügt ein, indem er das Heft zur Seite warf. „Dann reden wir von etwas Anderem. Erzählen Sie mir von sich – woher stammen Sie eigentlich? Ich höre an Ihrem Dialekt, daß Sie kein Oesterreicher sind. Welche Carrière habe Sie gemacht? Plaudern Sie mir davon vor. Es wird mich unterhalten!“
„In diesem Loch, 68 Pfund Ketten neben sich und einen eisernen Ring um den Hals, spricht dieser Mensch wie ein König!“ dachte Frohn. „Ich rede nicht den österreichischen Dialekt, weil ich aus dem Reiche bin,“ antwortete er dann; „aus dem Mosellande, wo mein Vater fürstlich Löwensteinscher Amtskellerer war. Ich habe zu Würzburg studirt, lustig gelebt, Schulden gemacht, mich darüber mit dem würdigen Papa entzweit und bin zu den österreichischen Werbern in Frankfurt gegangen, wo man einen Burschen von meiner Länge mit rührender Zuvorkommenheit aufnahm…“
„Kann’s mir denken,“ sagte Trenck.
„Und als Studirter von gutem Herkommen,“ fuhr Frohn fort, „hab’ ich’s leicht gefunden, es in einem Warasdiner Regiment an der banatischen Grenze zum Regimentsschreiber und dann mit der Zeit zu den Officiersschnüren zu bringen. Gefangen wurde ich in der Schlacht von Liegnitz.“
„Mit vielen Anderen,“ fiel Trenck spöttisch ein.
„Wir wurden,“ erzählte Frohn weiter, „hierher nach Magdeburg gebracht, und da unser über tausend waren, wir auch wußten, daß wir sehr viel Cameraden finden würden, so kam uns sehr bald der Gedanke, daß es möglich sein müsse, auf irgend eine Weise fortzukommen. Die meisten von uns Officieren gaben deshalb ihr Ehrenwort nicht, keinen Fluchtversuch machen zu wollen, und wurden demzufolge mit den Gemeinen in Casematten eingesperrt. Die Anderen gehen frei, wie Sie wissen werden, in der Stadt umher – wegen des Ehrenwortes, das sie abgelegt haben, bieten sie uns jedoch keine Unterstützung, und ich habe sie bei meinem Plane ganz aus dem Spiele gelassen.“
„Daran haben Sie wohl gethan,“ entgegnete Trenck, „je weniger Mitwisser, desto bester. Ihr Plan scheint mir überhaupt das Mißliche zu haben, daß zu Viele darin eingeweiht sind!“
„Wir dürfen deshalb mit der Ausführung nicht zögern,“ bemerkte Frohn. „Ich hoffe mir heute von Ihnen den Schlüssel zu unserer Casematte zu holen und das Versprechen, daß Sie mit uns losbrechen wollen … .“
„Den Schlüssel?“ fragte Trenck sehr nachdenklich. „Ich meine, Sie brauchen ihn gar nicht. Lassen Sie ihn mir. Denn sehen Sie – entweder gelingt Ihr Plan – dann werden Sie als guter Camerad mich ohnehin befreien; oder er mißlingt – dann wird man mich, wenn ich daran Theil genommen, auf ewig unschädlich machen. Meine letzte Hoffnung ist dann für immer dahin ...

... [323] Lassen Sie mich also aus der Sache. Reussiren Sie nicht, so bleibt mir noch immer die Flucht auf meinem eigenen Wege übrig.“
Frohn mußte einräumen, daß diese Bemerkung ihre Richtigkeit hatte. „Es ist wahr, was Sie da sagen,“ versetzte er; „es scheint mir jedoch, Sie thäten am besten, Ihr Heil ganz auf die Karte zu setzen, welche ich im Begriff bin auszuspielen. Ihr Plan ist zu gewagt; kommen Sie auch aus der Festung heraus, so wird man Sie in dem Costüme, worin Sie sich befinden, und das etwas auffällig ist, wie Sie einräumen werden, bald in den doppelten Cordons, die um die Festung gezogen werden, sobald der Deserteurschuß fällt, wieder einfangen.“
„Was das Costüm angeht,“ erwiderte Trenck, „so haben Sie darin allerdings Recht, es ist jedoch dafür gesorgt, daß ich bald ein anderes finde. Und wenn ich Ihnen erzähle, wie ich trotz der doppelten Cordons aus der Festung Glatz geflohen bin …“
„Sie sind schon einmal aus einer preußischen Festung geflohen?“
„Aus Glatz – wie ich Ihnen sage. Hören Sie zu – ich will Ihnen das erzählen.“
Trenck begann nun eine ausführliche Erzählung seiner bisherigen Schicksale. Er berichtete, wie er den Dienst in der Garde du Corps begonnen; wie er lange Friedrichs des Großen vertrautester Adjutant gewesen; wie er durch glänzende Waffenthaten im ersten schlesischen Kriege des Monarchen Gunst in immer höherem Maße gewonnen; wie er zugleich auch einer dem Könige sehr nahe stehenden Dame Gunst genossen; wie dem König dies nicht verborgen geblieben; wie seine Feinde und Neider dann ihn bei dem Monarchen verleumdet, daß er sich in Verbindungen mit seinem Vetter, dem österreichischen Pandurenführer von der Trenck, eingelassen; wie man ihn deshalb in die Festung Glatz eingesperrt habe; wie er zu stolz gewesen, des Königs Gnade anzurufen und vorgezogen habe, durch seine eigene Kraft die Freiheit wieder zu finden. Er erzählte dann die merkwürdigen und unglaublichen Abenteuer, die seine Flucht aus Glatz begleitet; wie er sich nun nach Rußland begeben und hier ein ganz fabelhaftes Glück gemacht habe; wie er endlich nach Oesterreich gegangen, um die unermeßlich reiche Erbschaft in Empfang zu nehmen, welche ihm sein Vetter, der Pandur, hinterlassen. Und dann endlich, wie er, um mit den Gliedern seiner Familie in Preußen eine Zusammenkunft zu haben, sich in die freie Reichsstadt Danzig begeben; wie hier jedoch der preußische Resident mit Einwilligung des pflichtvergessenen Magistrats sich wider alles Völkerrecht seiner Person bemächtigt und ihn in Ketten nach Magdeburg geliefert.
Es war eine lange, ausführliche Erzählung, deren lebhaft vorgetragene Details Frohn vollständig überschütteten, so eifrig trug Trenck sie vor; es wurde Nacht, bevor er damit zu Ende kam. Frohn lauschte zwar gespannt zu, allein er konnte sich nicht verhehlen, daß diese Schilderungen eines höchst abenteuerlichen Lebenslaufs von Eitelkeit und Ueberhebung und von einer starken Begierde zu imponiren gefärbt seien; und weiter sagte er sich, daß hier ein Mensch, dem das Schicksal wie in einer verschwenderischen Laune Alles, was nur in seiner Macht steht, einem Sterblichen zu verleihen, in reichstem Maße gegeben: Kraft und Energie, Geist, Selbstvertrauen, Schönheit, Geburt, Gunst der Mächtigen, Reichthümer, Erfolg in seinen Unternehmungen – daß hier ein zum höchsten irdischen Glück wie vorherbestimmter Mensch sich selbst in den tiefsten Jammer gestürzt, weil ihm nur Eines abging: die ganz gemeine Klugheit, sich zu beugen. Dieser Freiherr von der Trenck mit seiner nie zagenden, stolzen Stirn und seinem Pochen auf sein Recht, mit seiner tief innerlichen Ueberzeugung, daß alle die, welche sein Recht nicht unbedingt anerkannten, Teufel und Ausgeburten der Hölle seien – er hatte inmitten einer Zeit der Willkür und tyrannischer Vorurtheile, inmitten einer fossilen, vom Zopf beherrschten Gesellschaft etwas von einem Wahnwitzigen, aber auch etwas von einem Prometheus.
Endlich hatte Trenck einen Schluß gefunden.
Nach einer Pause sagte Frohn: „Welch ein merkwürdiges, bewegtes Leben! Und welch ein Gegensatz dazu ist die erzwungene Ruhe, zu der dies Leben hier verdammt ist!“
„Ruhe? Nun, wie viel Ruhe ich mir hier vergönnt habe, das haben der Herr Camerad selber gesehen!“
„Haben Sie niemals die Hoffnung gehegt, den König von seinem Unrecht gegen Sie überzeugen zu können?“ fuhr Frohn fort. „Sie brauchten ja nicht um Gnade zu flehen, was Sie verschmähten … aber Ihre Schuldlosigkeit hätten Sie doch bei ihm selber geltend machen – um Ihr Recht hätten Sie doch bitten können!“
Trenck zuckte die Achseln. „Nun ja,“ sagte er, „daß ich kein Verräther sei und mit meinem Vetter, dem Pandur, nicht intriguirt habe, das hätte ich ihm begreiflich machen können. Aber ich habe Ihnen schon angedeutet, daß noch andere Gründe da sind, weshalb ich hier in einer Oubliette schmachte. Und dann … der König glaubt … nun, weshalb soll ich Ihnen das nicht auch sagen? … er glaubt, ich habe eine Infamie begangen … ich habe ein neugeborenes Kind dadurch beseitigt, daß ich es in die Flammen eines Kaminfeuers geworfen … der Teufel möge die Schurken holen, die es ihm eingeredet haben … aber Sie begreifen, Camerad, daß es unter der Würde des Freiherrn von der Trenck ist, sich darüber zu vertheidigen.“ *)
Eine abermalige Pause entstand. Nachdem Frohn dann dem Gefangenen noch einmal ausgesprochen, wie gewaltig alles Gehörte ihn gespannt habe, suchte er das Gespräch auf das ihm zunächst am Herzen Liegende zurückzulenken. Aber Trenck ging nicht sehr bereitwillig darauf ein. Frohn fragte sich umsonst, was ihn so zurückhaltend machte, wo ein Anderer gewiß mit Freuden zugegriffen hätte. Trenck verlangte noch Bedenkzeit – er verweigerte auch den Schlüssel herauszugeben, der von innen das Thor der Casematte aufschloß.
„So lassen Sie uns folgenden Pact machen,“ sagte endlich Frohn. „Wenn ich Ihres Schlüssels bedarf, so komme ich hierher zu Ihnen, um mir ihn zu borgen. Ich sende Ihnen den Schlüssel sodann durch einen meiner Leute zurück und befehle diesem zugleich, das in der Casematte drüben aufgebrochene Loch zu füllen und zu bedecken, sodaß es nicht möglich ist, die Arbeit zu bemerken. Wenn wir in unsrer Unternehmung, wie Sie es beharrlich annehmen zu wollen scheinen, Schiffbruch leiden, so bleibt unser Verkehr mit einander unentdeckt, und Sie sind nicht compromittirt!“
„Wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie selbst darüber wachen wollen?“
„Worüber?“
„Daß an Ihrer Seite drüben das Loch sorgfältig genug zugeworfen und überdeckt werde, um keine Spur der stattgefundenen Arbeit zu verrathen?“
„Ich will’s!“ antwortete Frohn.
„Gut. So werde ich Ihnen meinen Schlüssel wahrscheinlich hergeben.“
„Wahrscheinlich?“
„Nun ja. Es ist ja nicht nöthig, daß es gleich geschehe.“
„Das nicht, aber nöthig, daß Sie gleich sich darüber erklären.“
„Nun, so holen Sie ihn!“
Bei dieser Verabredung blieb es. Frohn plauderte noch eine Weile mit dem Freiherrn von der Trenck, und dann begab er sich auf den Heimweg. Es war Mitternacht, als er in seine Casematte zurückkam.
4.
Am Tage darauf brachte Esther unserem Gefangenen wieder die besten Nachrichten. Es war ihr gelungen, ihre Depeschen an ihre Adressen zu befördern. Frohn gab ihr neue, die letzten, welche nöthig waren. Wenn sie bestellt waren, so brauchte er nur das schon früher bekannt gemachte Signal zu geben, und Jeder, der zum Handeln berufen, eilte an seinen Posten. Es fehlten nur noch die Schlüssel zu dem Laboratorium. Esther hatte, wie sie berichtete, die Wachsabdrücke. Aber es war ihr noch nicht gelungen, die Schlüssel selber machen lassen zu können; der Schlosser, der es übernommen, gegen Bezahlung von zwölf Friedrichsd’or sie anzufertigen, wollte erst am folgenden Tage gegen Mittag damit fertig werden können, da er nur daran arbeiten durfte, wenn er allein und sein Geselle nicht in der Werkstatt war. – –

Fortsetzung S. 324


*) Die Anschuldigung eines solchen Verbrechens wurde in der That gegen Trenck erhoben – man kennt noch heute in Magdeburg eine dahin lautende Aeußerung des Feldmarschalls von Kalkstein, Gouverneurs von Magdeburg, gegen den vor etwa zwanzig Jahren verstorbenen Propst des Klosters U. L. Frau und Ständemitglied Röttger. Uns scheint sie jedenfalls aus der Luft gegriffen, wie auch die Anchuldigung des Hochverraths gegen Trenck. Die ganze spätere Haltung des Mannes spricht dawider, daß er sich mit einem solchen Verbrechen belastet wußte, und am meisten die außerordentlich gnädige Aufnahme, die er später am Hofe Friedrich Wilhelms II. und bei diesem Monarchen selber fand, der ihn mit Huld überhäufte.

[324] Gegen die Abendstunde schickte Frohn sich an, seinen Besuch bei Trenck zu machen. Er kroch in seinen Minengang und gelangte darin ungehindert bis an die Stelle, wo ihm seine Laterne die Fundamentmauer des Trenck’schen Kerkers zeigte. Hier aber hörte zu seiner großen Verwunderung heute sein Weg vollständig auf. Die brunnenartige Austiefung, durch welche er gestern noch in die Zelle Trenck’s gekommen, war mit einem Paar Sandsäcken zugeworfen und darüber lagen dicke Holzbohlen. Frohn schaffte sich zwar trotz der Säcke so viel Raum, daß er den Versuch machen konnte, die Bohlen zu heben. Aber sie schienen fest zugekeilt. Er klopfte. Nichts über ihm rührte sich. Er rief: „Trenck … Herr Camerad“ … erst leise, dann lauter. Keine Antwort!
Im höchsten Grade beunruhigt, mußte er sich zum Rückzug entschließen. Größere Anstrengungen, die Bohlen zu heben, durfte er nicht machen, ebenso wenig lauter rufen. Dies hätte die Schildwache, die zwischen seiner Casematte und den Pallisaden, welche Trenck’s Kerker umgaben, auf und ab schritt, aufmerksam machen können. Frohn mußte unverrichteter Dinge zurück. Aber die Rückreise war sehr unbequem. Der Raum war nicht weit genug, daß ein so starker breitschultriger Mann, wie Frohn, sich hätte wenden können. Er mußte wie ein Krebs rückwärts kriechen.
Als er wieder in seiner Casematte angekommen war, setzte er sich auf seine Matratze nieder und dachte eine Weile stumm über die Bedeutung dieses auffallenden Umstandes nach, daß Trenck ihm geflissentlich den Weg zu sich verschlossen. Oder hatte man Trenck’s Arbeiten entdeckt? Es war nicht wahrscheinlich; man würde dann gleich den ganzen Gang zugeworfen haben. Es war möglich, daß er krank war, daß er eine außergewöhnliche Inspection seines Kerkers zu fürchten Grund erhalten … es war aber auch möglich, daß Trenck Frohn verrathen, um durch die Mittheilung einer so wichtigen Thatsache an die Festungsbehörden seine eigene Begnadigung zu erkaufen. Frohn grübelte lange darüber nach, ob eine solche Handlung mit den Charaktereigenschaften verträglich, sei, welche ihm Trenck in seinen beiden Unterredungen mit ihm gezeigt hatte. Er wurde nicht ganz klar darüber. Der Charakter Trenck’s sprach dawider … und doch, ein großer Egoismus lag in diesem merkwürdigen Menschen, und was war ihm Frohn? ein völlig Fremder, eine Bekanntschaft von zwei Tagen. Der Letztere mußte jedenfalls auf seinen Hut sein!
Endlich sprang Frohn auf. Es war so dämmerig in der Casematte geworden, daß von draußen nicht bemerkt werden konnte, was darin vorging. Er rief die sämmtliche Mannschaft um sich her. „Es wird Zeit, Ihr Leute,“ sagte er, „daß wir uns zum Losschlagen bereit halten. Macht Euch darauf gefaßt. Vielleicht gebe ich schon morgen früh, wenn mir mein Frühstück gebracht und die Casematte dabei aufgeschlossen wird, das Signal – mit dem Rufe: „Es lebe die Kaiserin!“ Ihr wißt, was Ihr dann zu thun habt! Es stürzt sich Alles zum Thore hinaus. Die Schildwachen, die uns in den Weg kommen, werden niedergeschlagen, die Musketen und die Patrontaschen, die scharfe Patronen enthalten, ihnen genommen; die ganze Mannschaft eilt auf den Platz mitten in der Sternschanze. Hier aber folgen mir alle die, welche in der Artillerie gedient haben – wie viel sind Euer? die Artilleristen treten vor!“ –
Etwa vierzig Mann traten aus den übrigen heraus.
„Gut – Ihr alle kümmert Euch weiter nicht um die Andern, sondern Ihr bleibt auf meinen Fersen und folgt mir. Alle die Andern aber werfen sich auf die Wache vor der Caserne; Ihr schlagt die paar Leute zu Boden, reißt Ihnen die Gewehre fort und stürzt Euch dann in die Caserne, wo Ihr Gewehre findet. Ihr werdet mit dem kleinen Häuflein von Landmiliz, das darin liegt, bald fertig sein, könnt deshalb auch Pardon geben. Das Todtschlagen nimmt nur Zeit fort, die Hauptsache ist, daß Ihr Waffen bekommt! – Habt Ihr nun die Leute in der Caserne überwältigt und die Gewehre in der Hand, so besetzt Ihr das Thor der Sternschanze, bis ich komme und weitere Befehle gebe. Ihr habt nichts zu fürchten. Wenn unsere Unternehmung auch scheitert, so ist dafür gesorgt, daß wir freien Abzug haben; die Cameraden aus einer der Casematten am Fürstenwall besetzen das Brückthor, sodaß uns von drüben aus der Citadelle keine Gefahr droht, im Falle die Gefangenen in derselben sich ihrer nicht bemächtigen können. Der Weg in’s Freie bleibt uns immer offen, und nach einem Marsch von zwei Stunden sind wir an der sächsischen Grenze. Es sind auch keine Truppen in der Gegend, die eine Colonne wie die unsrige angreifen könnten …“
Die Leute waren in der muthigsten Zuversicht und erwarteten gespannt den kommenden Tag, der vielleicht die Entscheidung brachte.
Frohn befand sich bei dem Gedanken daran in einer leicht begreiflichen Aufregung. Er schloß erst sehr spät in der Nacht die Augen zu einem unruhigen Schlummer.
Der Morgen kam und die ersten Stunden desselben verliefen sehr ruhig. Der gefangenen Mannschaft wurde ihr Frühstück gebracht. Zur Arbeit wurden sie heute nicht geführt; die Leute hatten den Befehl von Frohn, wenn sie hinausgeführt werden sollten, sich der Arbeit zu weigern und zu bleiben.
Unterdeß hatte am frühen Morgen eine ganz eigenthümliche Scene in Trenck’s Kerker stattgefunden. Der gefangene Freiherr hatte nämlich einen höchst merkwürdigen Entschluß ausgeführt, einen Entschluß, der unbegreiflich sein würde, wenn wir ihn uns nicht aus einem Charakter erklärten, in welchem Eitelkeit und Ruhmsucht alle übrigen Eigenschaften beherrschten. Trenck glaubte seinen Fluchtplan so gut vorbereitet, daß er am Gelingen desselben keinen Zweifel hegte. Er hatte schon im Voraus den ganzen Triumph genossen, den es ihm gewähren würde, wenn er durch eigene Kraft und Klugheit sich aus einem Kerker, wie dem seinigen, befreit: er hatte bereits ganz Europa erfüllt von Bewunderung für eine so unglaubliche That gesehen.
Das Anerbieten des österreichischen Lieutenants, welches ihm jetzt, wo er sechs Monate hindurch und noch länger seine Flucht vorbereitet hatte, die Freiheit ohne sein Zuthun als Geschenk geben wollte, war ihm deshalb keinesweges willkommen gewesen. Wie er schon in seiner Haft in Glatz vorgezogen hatte, die Freiheit, welche er durch ein Gnadengesuch bei seinem Könige hätte finden können, mit entsetzlichen Mühseligkeiten und von tödtlichen Gefahren umringt zu gewinnen, so hatte sein unbeugsamer Kopf auch jetzt sich dawider empört, von den Schultern eines Andern bequem aus seinem Kerker getragen zu werden.
Dies hatte ihm seinen Entschluß eingegeben. Schon gestern hatte er deshalb den Weg in seine Zelle für Frohn versperrt gelassen, und jetzt, am frühen Morgen, hatte er verlangt, den Officier du jour zu sprechen. Ein Stabsofficier, begleitet von einem Lieutenant, trat bald hernach in sein enges Gemach.
„Herr Obristwachtmeister,“ redete er diesen an – „ich habe mir Kunde darüber zu verschaffen gewußt, daß der Gouverneur der Festung, der Herzog von Braunschweig, gegenwärtig in den Mauern von Magdeburg ist. Ich ersuche Sie, sich zu Seiner Durchlaucht begeben zu wollen und ihm zu sagen, der Freiherr von der Trenck lasse ihn bitten, sich selbst zu überzeugen, welche Maßregeln ergriffen sind, um ihm jeden Gedanken an die Möglichkeit einer Flucht zu nehmen. Der Herzog möge selber sehen, wie jedes meiner Glieder mit schweren Eisen gefesselt ist; wie zwei dicke, mit Platten überzogene Bohlenthüren mein Gefängniß von dem Vorraum abtrennen; wie zwei andere Thüren den Vorraum schließen, und eine fünfte die Pallisadenwand rings um das Gebäude. Er möge sehen, wie Tag und Nacht die Schildwachen auf ihrer Hut sind. Wenn er sich davon überzeugt hat, mag er mein Gefängniß visitiren lassen, die Schildwachen verdoppeln und dann befehlen, zu welcher Stunde morgen am hellen Tage ich mich außerhalb der Werke der Sternschanze, auf dem Glacis bei Kloster Bergen, in vollkommener Freiheit soll sehen lassen!“
„Wir reden irre, Trenck!“ sagte der Major kopfschüttelnd und wie sich zum Gehen wendend.
„Ich weiß, was ich sage, mein Herr Obristwachtmeister,“ fuhr der Gefangene fort. „Wozu ich mich anheischig mache, das führe ich auch aus. Dagegen aber, sagen Sie der Durchlaucht das, dagegen verlange ich von dem Herzoge, daß er, was ich gethan, dem Könige meldet und mir seine Protection bei dem Monarchen gewährt; der König mag aus meiner Handlungsweise abnehmen, daß ich ein reines Gewissen habe und verschmähe zu fliehen, obwohl es nur ein Leichtes ist, trotz aller seiner Gewaltmaßregeln!“
Der Major glaubte in der That, Trenck’s Prahlereien seien aus Irrsinn hervorgegangen, und nur das energische Drängen des Gefesselten bewog ihn endlich zu dem Versprechen, sich zum Herzoge begeben zu wollen. (Schluß folgt)